Abschiebeschutz für afghanische Flüchtlinge?

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute über die Gewährung von Abschiebungsschutz an einen afghanischen Staatsangehörigen wegen drohender Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines bewaffneten Konflikts entschieden. Dieses unionsrechtliche Abschiebungsverbot (Art. 15c der Qualifikationsrichtlinie1) ist im August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).

Abschiebeschutz für afghanische Flüchtlinge?

Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts liegt der Fall eines 2001 nach Deutschland eingereisten inzwischen 37 Jahre alten afghanischen Klägers zugrunde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab, stellte seinerzeit aber zu seinen Gunsten ein ausländerrechtliches Abschiebungsverbot (nach § 53 Abs. 6 AuslG) fest, da ihm in Afghanistan Gefahr für Leib und Leben infolge einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohe. Nach der Entmachtung der Taliban widerrief das Bundesamt 2006 diese Feststellung und verneinte zugleich das Vorliegen sonstiger Abschiebungsverbote.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den Widerrufsbescheid aufgehoben, da dem Kläger das zuerkannte Abschiebungsverbot (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) weiterhin zustehe. Er könne nämlich als alleinstehender und wegen der Erkrankung an Epilepsie nur beschränkt arbeitsfähiger Mann in Afghanistan keine ausreichende Existenzgrundlage finden. Ihm drohe daher eine extreme Gefahr für Leib und Leben. Insoweit ist das Urteil bereits rechtskräftig geworden.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat das Bundesamt darüber hinaus auch zur Feststellung des gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet. Nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes sei bei Prüfung der Rechtsgrundlage für den Widerruf (§ 73 Abs. 3 AsylVfG) vorrangig auf das neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Dessen Voraussetzungen lägen vor: In seiner Heimatprovinz Paktia herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, dessen Gefahren sich in der Person des Klägers zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben verdichteten. Da er vor der Ausreise von Zwangsrekrutierung bedroht gewesen sei und diese Gefahr in Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie auch heute noch bestehe, sei er persönlich besonders betroffen. Auf andere Landesteile wie etwa Kabul könne er nicht verwiesen werden. Denn angesichts der schlechten Arbeitsmarkt- und Versorgungslage sei dort für den ungelernten und an Epilepsie erkrankten Kläger das Existenzminimum nicht gewährleistet.

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Die auf das gemeinschaftsrechtliche Abschiebungsverbot beschränkte Revision des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hatte heute vor dem Bundesverwaltungsgericht Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs insoweit auf und verwies das Verfahren zur weiteren Aufklärung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurück:

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zwar zutreffend davon ausgegangen, dass in der Heimatregion des Klägers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Seine Feststellungen zum Vorliegen einer erheblichen individuellen Gefahr infolge willkürlicher Gewalt für die Person des Klägers sind aber mit den rechtlichen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. So fehlt es an ausreichenden Feststellungen dazu, warum dem Kläger die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zugute kommen soll. Insbesondere lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, inwiefern eine dem Kläger vor der Ausreise drohende Zwangsrekrutierung durch die – damals in Teilen Afghanistans herrschenden – Taliban einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie bedeutet hätte und inwiefern dieser Schaden mit jetzt drohenden Gefahren vergleichbar ist. Unabhängig davon hat der Verwaltungsgerichtshof auch keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, welches Niveau die willkürliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in der Heimatregion des Klägers derzeit erreicht hat. Insofern lassen seine Feststellungen auch nicht den Schluss zu, dass praktisch jede Zivilperson dort allein wegen ihrer Anwesenheit in dem Gebiet einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Diese Prüfung wird der Verwaltungsgerichtshof nach Zurückverweisung der Sache nachholen müssen. Dabei wird er gegebenenfalls auch auf den von der Revision angesprochenen Gesichtspunkt eingehen müssen, ob der Kläger im Hinblick auf seine jetzt festgestellte, schon seit der Kindheit bestehende schwere Erkrankung tatsächlich der Gefahr einer Zwangsrekrutierung unterliegt.

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  1. Richtlinie 2004/83/EG[]