Abschiebungen nach Rumänien – und die Fluchtbewegungen infolge des Ukraine-Kriegs

Vor dem Bundesverfassungsgericht war ein gegen eine Abschiebung gerichteter Eilantrag mangels Ermittlung der Auswirkungen der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Fluchtbewegungen erfolgreich.

Abschiebungen nach Rumänien – und die Fluchtbewegungen infolge des Ukraine-Kriegs

Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde vom Bundesverfassungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde – längstens für die Dauer von sechs Monaten – untersagt, die in seinem Bescheid angedrohte Abschiebung des Beschwerdeführers nach Rumänien zu vollziehen oder vollziehen zu lassen.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet1. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre2.

In Anwendung dieser Maßstäbe erschien dem Bundesverfassungsgericht der Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall geboten:

Die Verfassungsbeschwerde erweist sich weder als von vornherein unzulässig noch als offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit einer Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art.19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – noch – hinreichend substantiiert dargelegt. Er hat nachvollziehbar vorgebracht, dass eine Verletzung der verfassungsrechtlich fundierten Sachaufklärungspflicht durch das Verwaltungsgericht jedenfalls denkbar erscheint. Das Verwaltungsgericht unterstellt – ohne ansatzweise die aktuelle Lage in Rumänien nach Beginn des Krieges in der Ukraine zu berücksichtigen – die Möglichkeit der adäquaten (Weiter-)Behandlung der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers in Rumänien trotz einer ärztlich attestierten, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Retraumatisierung im Fall der Abschiebung. Dabei hätte sich eine sorgfältige Ermittlung der Auswirkungen der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Fluchtbewegungen auf die Aufnahme und Behandlung anderer Gruppen Geflüchteter in den Aufnahmestaaten – unter anderem in Rumänien – aufgedrängt. Dies könnte eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung darstellen. Auch in medizinischer Hinsicht hätte eine weitere Sachverhaltsaufklärung nahegelegen. Denn unterstellt, dem Beschwerdeführer stünde in Rumänien zeitnah ein Therapieplatz zur Verfügung, ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Berichten nicht, dass die aufgrund einer Retraumatisierung nach dem ärztlichen Bericht drohenden selbstschädigenden und suizidalen Handlungen durch eine Therapie rechtzeitig abgewendet werden können.

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Die danach erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Ihm drohen durch einen Vollzug der Abschiebung schwere und möglicherweise irreparable Nachteile. Demgegenüber wiegen etwaige Nachteile, die durch den um eine überschaubare Zeit verlängerten Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet entstehen, weniger schwer.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 2 BvR 961/22

  1. vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.> 118, 111 <122>[]
  2. vgl. BVerfGE 105, 365 <371> 106, 351 <355> 108, 238 <246> 125, 385 <393> stRspr[]

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