Unbegleiteten minderjährigen Ausländern, denen weder Asyl noch Flüchtlingsschutz zusteht, vermittelt § 58 Abs. 1a AufenthG Schutz vor Abschiebung wie ein Abschiebestopp-Erlass. Hierdurch sind diese Ausländer gegenüber extremen allgemeinen Gefahren in ihrem Heimatland hinreichend geschützt, so dass keine Notwendigkeit besteht, daneben Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zu gewähren. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Dies entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines unbegleiteten afghanischen Jugendlichen. Sein Asylantrag blieb beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolglos. Das hierauf angerufene Verwaltungsgericht Stuttgart hat die beklagte Bundesrepublik verpflichtet, ihm Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren1. Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auf die Berufung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ebenfalls davon ausgegangen, dass minderjährigen Afghanen wegen der schlechten Versorgungslage in ihrem Heimatland Abschiebungsschutz zusteht, wenn sie dort – wie der Kläger – keine Verwandten oder Bekannten haben2. Daran habe sich auch durch die zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG neu eingefügte Vorschrift des § 58 Abs. 1a AufenthG nichts geändert.
Dieser Argumentation der baden-württembergischen Verwaltungsrichter ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner jetzt verkündeten Revisionsentscheidung nicht gefolgt, sondern hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen:
Zwar ist der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass bei allgemeinen Gefahren Abschiebungsschutz grundsätzlich nur im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung (z.B. durch einen Abschiebestopp-Erlass) gewährt werden kann. Fehlt es – wie hier – an einer solchen Anordnung, kann Abschiebungsschutz im Einzelfall unter Durchbrechung der in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angeordneten Sperrwirkung zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse erst bei einer extremen Gefahrenlage zugesprochen werden.
Die Notwendigkeit einer solchen verfassungskonformen Auslegung besteht aber nur dann, wenn der Ausländer keinen anderen, einem Abschiebestopp-Erlass vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung genießt. Gleichwertigen Schutz vor Abschiebung in eine extreme Gefahrenlage vermittelt einem unbegleiteten Minderjährigen jedoch das in § 58 Abs. 1a AufenthG enthaltene gesetzliche Vollstreckungshindernis. Denn die Ausländerbehörde darf den unbegleiteten minderjährigen Ausländer nicht abschieben, bis sie sich von der Möglichkeit der Übergabe an eine der in der Vorschrift genannten Personen (z.B. die Eltern) bzw. Einrichtungen positiv vergewissert und das Ergebnis dieser Prüfung dem Ausländer auch mitgeteilt hat.
Gegen die Entscheidung, die Duldung nicht zu verlängern, kann der Betroffene gerichtlich vorgehen. Bei Gefahren, die unabhängig von der sicheren Übergabe an die Familie oder eine Einrichtung drohen, kann er überdies einen Folgeantrag stellen und sein Abschiebungsschutzbegehren erneut vor dem Bundesamt zur Prüfung stellen. Da das Berufungsgericht keine hinreichend tragfähigen Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung getroffen hat, ist die Sache zur erneuten Prüfung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen worden.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 13.12