Vor die Gebäudeaußenwand vortretende Gebäudeteile sind nur dann als Balkone i. S. von § 7b Abs. 1 Satz 1 NBauO 2003 (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO 2012) innerhalb des Grenzabstands zulässig, wenn sie eine gewisse Größe nicht überschreiten. Insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Grenzabstandsvorschriften und der entsprechenden Privilegierungen folgt, dass Balkone im Sinne des Abstandsrechts lediglich einen Freisitz vor der Wohnung darstellen, sie aber nicht dazu dienen, Wohnnutzung in relevantem Umfang ins Freie zu verlagern.

Welche Tiefe ein Gebäudeteil aufweisen darf, um noch als Balkon im obigen Sinne zu gelten, ist in Niedersachsen gesetzlich nicht festgelegt. Abhängig von der sonstigen Dimensionierung und Gestaltung des Gebäudeteils liegt die maximale Tiefe im Bereich von 1, 50 m bis 2, 00 m.
Auf die Größe des Gebäudes, vor dem das Gebäudeteil hervortritt, kommt es nicht an. Einen Rechtssatz, dass großzügig dimensionierte Gebäude auch großzügig dimensionierte Balkone i. S. von § 7b Abs. 1 Satz 1 NBauO 2003 (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO 2012) gestatten, gibt es nicht. Grundsätzlich unerheblich ist auch, ob es auf dem Baugrundstück möglich wäre, einen Balkon ohne Inanspruchnahme des Grenzabstands zu errichten; die abstandsrechtliche Privilegierung setzt keine entsprechende Zwangslage voraus.
Die vorgenannten Größenbegrenzungen greifen auch dann ein, wenn ein vorstehendes Gebäudeteil nur teilweise in den Grenzabstandsbereich hineinragt. Steht das Gebäude so weit von der Grundstücksgrenze entfernt, dass die Tiefenbegrenzung eines Balkons i. S. von § 7b Abs. 1 Satz 1 NBauO 2003 (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO 2012) überschritten wird, bevor der Grenzabstandsbereich erreicht ist, gelangt die entsprechende abstandsrechtliche Privilegierung nicht zur Anwendung.
Es reicht nicht aus, wenn der Mindestabstand von 2 m zum Grundstück des Nachbarn eingehalten wird, unabhängig von der Flächengröße des Balkons und dem Abstand, den das Gebäude, vor dem der Balkon liegt, seinerseits zum Nachbargrundstück einhält. § 7b NBauO a. F. enthält zwar keine eindeutigen Angaben zur zulässigen „Tiefe“ eines Balkons, wenn es heißt „…Balkone dürfen die Abstände… um 1, 50 m, höchstens jedoch um ein Drittel unterschreiten“. Um mehr als ein Drittel von 3 m unterschreitet der Balkon hier den Abstand zur Nachbargrenze nicht, weist allerdings eine Tiefe von 4 m bis zur Gebäudekante auf. Betrachtet man den Entwicklungsprozess von Balkonen, handelte es sich ursprünglich nicht um Freiluftbereiche mit einer Fläche von wie hier ca. 30 qm und einer Tiefe von 4 m gemessen von der Gebäudewand. Balkone dienten ursprünglich allenfalls „zum Luft schnappen“. Sie waren in der Frühphase ihrer Entwicklung entweder zu Repräsentationszwecken an der Vorderseite des Gebäudes oder zu Wirtschaftszwecken an den hinteren Fassaden in Zusammenhang mit den Wirtschaftsräumen angebracht und hatten eine Tiefe von etwa 1 m für eine „Stuhlbreite“. Erst in den 50er Jahren entwickelte sich der Balkon als fester Bestandteil von Gebäudeneubauten oder als Sanierungsbestandteil von Altbauten. Balkone dieser Art gingen und gehen über eine Tiefe von 1, 50 m bis 2 m allerdings kaum hinaus, dienten also ebenfalls mehr dem „Luftschnappen“ als der Verlagerung wohnähnlicher Nutzung ins Freie.
Aus der Entstehungsgeschichte der Niedersächsischen Bauordnung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Balkone davon abweichend im Sinne eines Freiluftwohnbereichs jedweder Größe definiert werden sollten. In der Begründung zum Entwurf fünften Änderung der NBauO1 heißt es, dass die „untergeordneten Gebäudeteile“ den Grenzabstand um 1, 50 m höchstens um ein Drittel unterschreiten dürften2 und Balkone deshalb ausdrücklich erwähnt würden, weil sie auch dann den Abstand unterschreiten dürften, wenn sie nicht als untergeordnet angesehen werden könnten. Im Entwurf zur Änderung der NBauO von 1995 findet sich im schriftlichen Bericht zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen3 nur ein Hinweis dahin, das Wintergärten nicht den Regelungsbereich des § 7b einzubeziehen seien, weil sie schon von ihrer Dimension her nicht den dort aufgezählten Gebäudeteilen wie Blumenfenster und Erker vergleichbar seien. Das könnte eher dafür sprechen, dass die in § 7b NBauO a.F. erfassten Gebäudeteile nicht Dimensionen haben sollten wie ein Wintergarten oder ein Balkon in der Größenordnung eines Wintergartens. In der Begründung des Gesetzesentwurfs für die Neufassung der NBauO vom 21.12.20104 wird darauf verwiesen, dass Vorbauten „wie nach bisheriger Rechtslage nicht mehr als 1, 50 m, höchstens jedoch um ein Drittel, vor die Außenwand vortreten“ dürften. Das zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausging, Vorbauten, die in den Grenzabstand hineinragen, dürften – „nach bisheriger Rechtslage“ – nur um 1, 50 m bzw. ein Drittel des mindestens notwendigen Grenzabstands vor die Außenwand vortreten. Das spricht dafür, dass dem niedersächsischen Gesetz wie den Bauordnungen anderer Bundesländer ein Verständnis zugrunde liegt, wonach Balkone – im Abstandsbereich – jedenfalls nicht „unbegrenzt“ vor die Außenwand „vortreten“ dürften
Sinn und Zweck der Abstandvorschriften und der insoweit ermöglichten Ausnahmen verlangen eine andere Betrachtung nicht. Auch wenn Sinn und Zweck von Abstandsvorschriften die Bewahrung von Licht und Luft für die Nachbargrundstücke ist, folgt daraus nicht, dass bei einem größeren Abstand des Gebäudes als dem Mindestabstand zur Nachbargrenze die Größe des Balkons, der vor dessen Fassade liegt, keine Rolle mehr spielt. Sinn und Zweck der Zufuhr von Licht und Luft verlangen bei engen Wohnverhältnissen einerseits die Abstände zwischen den Gebäuden in einer Mindestgröße zu erhalten, verbieten andererseits aber bei einer engen Bausituation im Mindestabstandsbereich nicht, trotzdem noch einen Freisitz – von geringer Tiefe – vor den Wohnungen zu ermöglichen. Das verlangt, dass dann ein Freisitz bis zu 2 m an die Grundstücksgrenze heranrücken darf, wenn er anderenfalls gänzlich entfallen müsste. Stellt sich die Situation aber so dar, dass große Gebäude auf großen Grundstücken liegen und die Einhaltung der Grenzabstände auch mit einem vor die Gebäudewand hervortretenden Balkon unproblematisch möglich ist, entfällt die Notwendigkeit unter Inanspruchnahme des für den Mindestgrenzabstand erforderlichen Raums den sonst nicht zu verwirklichenden Freisitz zuzulassen. Bei entsprechend großen Grundstücken besteht deshalb kein Bedarf für die engen Grundstücksverhältnissen geschuldete Ausnahme. Wenn, wie im vorliegenden Fall, der Abstand der Gebäudefassade zur Grundstücksgrenze 6 m beträgt, lässt sich auch unter Einhaltung des Mindestabstands von 3 m zur Grundstücksgrenze ein Freisitz von immer noch 3 m Tiefe verwirklichen. In diesem Fall besteht keine Notwendigkeit, den Mindestabstand deshalb in Anspruch zu nehmen, weil die Balkonfläche sich dann zu einer wohnähnlichen Nutzung – noch – besser eignet, wenn sie um einen weiteren Meter vergrößert wird.
Terrassen haben nach herkömmlichem Verständnis eine größere Ausdehnung als Balkone und bieten damit mehr Möglichkeiten zu einer „wohnähnlichen Nutzung“. Spielt sich eine derartige wohnähnliche Nutzung auf einer Terrasse ab, kann durch den größeren Abstand die für das Nachbargrundstück entstehende „Belastung“ gemindert werden. Terrassen, sofern sie nicht auf der gewachsenen Geländehöhe liegen oder an anderer Stelle im Garten errichtet sind, müssen deshalb den Mindestabstand einhalten. Die Unterscheidung der Gartennutzung im Übrigen von der Nutzung einer erhöht liegenden Terrasse berücksichtigt, dass von einem erhöhten Standpunkt die Wirkung auf die Nachbargrundstücke gesteigert wird gegenüber der bei Inanspruchnahme des gewachsenen Grundes – des Gartens (§ 5 Abs. 1 Satz 2 NBauO n. F., 12a NBauO a. F.). Liegt ein Balkon über dem Geländeniveau des Nachbargrundstücks ist die von seiner Nutzung ausgehende Wirkung auf das Nachbargrundstück durch die Einhaltung des erforderlichen Grenzabstands zu begrenzen, wie bei einer erhöht liegenden Terrasse. Anderenfalls würde sich die Unterscheidung zwischen einer Terrasse und einem gegenüber der Einhaltung des Mindestgrenzabstands privilegierten Balkon erübrigen5.
Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO n. F. wäre ein Balkon dieser Größe ebenfalls nicht genehmigungsfähig. Neben dem gegenüber der NBauO a.F. nicht veränderten Begriff „Balkon“ wird dessen Ausdehnung nun auch in der „Länge“ begrenzt. Bei einer Länge von 7 m angesichts einer Gesamtlänge der Gebäudefassade an dieser Stelle von 13 m, bzw. bei Einrechnung eines weiteren um 1 m nach Norden zurückspringenden Fassadenteils, von insgesamt 17 m wird mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand in Anspruch genommen. Selbst wenn der zurückspringende Fassadenteil mitgerechnet wird, hat die südliche Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen eine Länge von knapp 17 m und der Balkon (bei einer Tiefe von 4 m) eine Länge von 7 m, so dass er mehr als ein Drittel der Fassade überdeckt.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 18. September 2014 – 1 LC 85/13
- Ges.v. 11.04.1986, GVBl S.103[↩]
- LT-Drs. 10/3480 S.49[↩]
- LT-Drs. 13/1301 S.3[↩]
- LT-Drs. 16/3195 S.72[↩]
- so OVG Schleswig-Holstein-Holstein, Urteil vom 15.12.1992 – 1 L 118/91 36[↩]
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