Anfechtung eines Umlegungsbeschlusses – und die Öffentlichkeit der Ratssitzungen

Im Rahmen der Anfechtung des Umlegungsbeschlusses ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Umlegung zu überprüfen1.

Anfechtung eines Umlegungsbeschlusses – und die Öffentlichkeit der Ratssitzungen

Die gemäß § 38 Abs. 1 GemO BW zu fertigende Niederschrift über die Gemeinderatssitzung ist eine öffentliche Urkunde, bezüglich deren Inhalt der Beweis der Unrichtigkeit zulässig ist (§§ 415, 418 Abs. 1 und 2 ZPO; Anschluss an VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 1989, 153). Eine negative Beweiskraft dergestalt, dass in der Niederschrift nicht aufgenommene Vorgänge als nicht stattgefunden zu behandeln sind, ist ihr nicht beizumessen.

Ein Umlegungsbeschluss ist nur dann rechtmäßig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Umlegung vorliegen. Hierzu gehört auch die Beschlussfassung über die Anordnung der Umlegung nach § 46 Abs. 1 BauGB. Ein solcher Beschluss ist kein Verwaltungsakt und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur zusammen mit dem Umlegungsbeschluss anfechtbar und kann nur so zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden. Im Rahmen der Anfechtung des Umlegungsbeschlusses ist dann die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Umlegung zu überprüfen2.

Anordnungs- und Umlegungsbeschluss sind gleichermaßen rechtswidrig, wenn bei der Beschlussfassung des Gemeinderats die Vorschriften der Gemeindeordnung über die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen verletzt worden sind. Nicht zu folgen ist der Argumentation der Revision, der Anordnungsbeschluss beinhalte nur einen „internen Auftrag“ des Gemeinderats an die Umlegungsstelle zur Durchführung der Umlegung, so dass es für die Rechtmäßigkeit des Umlegungsbeschlusses nur auf die materiellen Voraussetzungen für eine Umlegung nach § 46 Abs. 1 BauGB ankomme: Mangels Außenwirkung blieben Verfahrensmängel bei der Beschlussfassung des Gemeinderats „intern“ und seien daher nicht geeignet, den später gefassten Umlegungsbeschluss gleichsam zu „infizieren“. Der Anordnungsbeschluss des Gemeinderats kann, auch wenn es sich um einen internen Vorgang ohne Verwaltungsaktqualität handelt, grundsätzlich nur dann Grundlage eines rechtmäßigen Umlegungsbeschlusses sein, wenn die allgemein für Gemeinderatsbeschlüsse geltenden (Verfahrens)Regelungen der jeweils anwendbaren Gemeindeordnung eingehalten sind3.

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Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO BW sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich. Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung gehört zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts. Er hat die Funktion, dem Gemeindebürger Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder zu ermöglichen und dadurch eine auf eigener Kenntnis und Beurteilung beruhende Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie eine Willensbildung zu schaffen, den Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen. Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung begründet regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung und führt daher zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses4. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der zu überprüfende Beschluss zwar in öffentlicher Sitzung gefasst wurde, jedoch ohne Beratung erfolgt ist und die Sachdiskussion in einer nichtöffentlichen vorangegangenen Sitzung durchgeführt wurde. Eine solche Verfahrensweise widerspricht dem Sinn und Zweck des Gebots der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen5. Keinen Verstoß gegen das Prinzip der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung stellt es jedoch dar, wenn nur eine Einzelfrage in nichtöffentlicher Sitzung behandelt wird, die der Information der Gemeinderäte dient und nicht die Rede davon sein kann, dass die nichtöffentliche Vorberatung die in öffentlicher Sitzung zu führende Sach- und Abwägungsdiskussion ersetzt, vorweggenommen oder in sonstiger Weise der öffentlichen Wahrnehmung entzogen hat6.

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Nichtöffentlich muss verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern. Berechtigte Interessen Einzelner im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO BW können rechtlich geschützte oder sonstige schutzwürdige Interessen sein. Sie erfordern den Ausschluss der Öffentlichkeit in der Gemeinderatssitzung, wenn im Verlauf einer öffentlichen Sitzung persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse zur Sprache kommen können, an deren Kenntnis schlechthin kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen kann und deren Bekanntgabe dem Einzelnen nachteilig sein könnte7. Dabei müssen im Falle einer fehlenden generellen Regelung – wie hier – die Voraussetzungen im Einzelfall festgestellt werden.

Die gemäß § 38 Abs. 1 GemO BW zu fertigende Niederschrift über die Gemeinderatssitzung ist eine öffentliche Urkunde, bezüglich deren Inhalt der Beweis der Unrichtigkeit zulässig ist (§§ 415, 418 Abs. 1 und 2 ZPO; VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 1989, 153). Eine negative Beweiskraft dergestalt, dass in der Niederschrift nicht aufgenommene Vorgänge als nicht stattgefunden zu behandeln sind, hat das Berufungsgericht der Niederschrift zu Recht nicht beigemessen.

Nicht tragfähig ist jedoch die Annahme, die Nennung der Namen der Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines beabsichtigten Umlegungsgebiets in öffentlicher Gemeinderatssitzung verletze keine rechtlich geschützten oder sonstigen Interessen dieser Personen.

Die Auswirkungen einer Umlegung sind grundstücksbezogen und nicht personenbezogen. Die Namen der Eigentümer sind für die Voraussetzungen und die Zweckmäßigkeit einer Umlegung zunächst ohne Belang. Dementsprechend ist auch für die Öffentlichkeit regelmäßig kein anerkennenswertes Interesse ersichtlich, die Namen der Eigentümer der in einem Umlegungsgebiet liegenden Grundstücke zu erfahren. Gründe dafür, dass dies im konkreten Einzelfall anders zu bewerten ist, sind im vorliegenden Fall weder festgestellt noch von den Beteiligten vorgetragen worden.

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Auf der anderen Seite haben die Eigentümer ein durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem daraus abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschütztes Recht, darüber zu entscheiden, wer die Information über ihre Eigentümerstellung erhält. Deshalb macht das Gesetz die Einsichtnahme in das Grundbuch, mit der der Rechtsverkehr typischerweise diesen Umstand in Erfahrung bringt, davon abhängig, dass ein berechtigtes Interesse dafür besteht (§ 12 Abs. 1 Satz 1 GBO)8. Die Bekanntgabe dieser Tatsache in öffentlicher Sitzung des Gemeinderats stellt mithin einen Eingriff in die Rechte der Eigentümer dar.

Der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, es könne nicht festgestellt werden, dass der Gemeinderat in dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer des künftigen Umlegungsgebiets gesprochen habe. Insoweit geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Sitzungsniederschrift – die sich hierzu nicht verhält – keine negative Beweiskraft zukommt, vielmehr die tatsächlichen Umstände auch aufgrund anderer Beweismittel festgestellt werden können. Auch die Einbeziehung der Einlassung der Antragsteller, die an der öffentlichen Sitzung teilgenommen haben, ist geboten. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese nur Auskunft geben können über die in öffentlicher Sitzung gefallenen Äußerungen, die insoweit allenfalls ein Indiz dafür darstellen, was tatsächlich in der nichtöffentlichen Sitzung beraten worden ist.

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Für die Überprüfung der Frage, was tatsächlich Gegenstand der Beratung in der nichtöffentlichen Sitzung war, kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die konkreten Namen der Ratsmitglieder genannt werden, die bestimmte Fragen (in öffentlicher Sitzung) gestellt haben. Die Teilnehmer der (nichtöffentlichen) Sitzung, die über diesen Gesichtspunkt (nach Entbindung von ihrer Schweigepflicht durch den Bürgermeister, vgl. § 35 Abs. 2 Satz 1 GemO) Auskunft geben können, sind in der Niederschrift der Sitzung vermerkt. Insoweit darf sich nicht allein auf die Würdigung der Einlassung des Bürgermeisters beschränkt werden. Nach § 221 Abs. 2 BauGB ist das Gericht gehalten, von Amts wegen die Aufnahme von Beweisen anzuordnen und gegebenenfalls auch solche Tatsachen zu berücksichtigen, die von den Beteiligten nicht vorgebracht worden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vermag diese Vorschrift eine gerichtliche „Befugnis“ im Sinne einer Verpflichtung des Gerichts zur Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes zu begründen. Die (begrenzte) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im baulandgerichtlichen Verfahren ist im Zusammenhang zu sehen mit den – auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird – zunehmend anerkannten Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten. Dementsprechend findet die Pflicht der Tatsachengerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zur weiteren Sachaufklärung bietet9. Die Verpflichtung des Gerichts zur Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes besteht dann, wenn sonst eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu befürchten wäre und wenn wichtige öffentliche Interessen im Spiel sind. Die Vorschrift macht es dem Gericht zur Pflicht, die von einem der Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingeführte Behauptung, soweit sie rechtserheblich ist, von Amts wegen zu klären10. Hiervon ausgehend hätten Gemeinderatsmitglieder dazu befragen werden müssen, was Gegenstand der Beratung des nichtöffentlichen Teiles der hier in Rede stehenden Gemeinderatssitzung gewesen ist. Die Begründung, es bedürfe deshalb keiner Beweisaufnahme von Amts wegen, weil das gesamte – außerordentlich umstrittene und von einigen der beteiligten Grundstückseigentümern vehement angegriffene – Umlegungsverfahren erneut in Gang gesetzt werden könne, ist nicht tragfähig.

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Unzureichend ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts auch insoweit, als es keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob selbst bei einem angenommenen nicht hinreichenden Grund für die Herstellung der Nichtöffentlichkeit gleichwohl ein zur Nichtigkeit des Beschlusses führender Verfahrensfehler ausscheidet. Da die Beratung der Beschlussvorlage über die Anordnung der Umlegung und die Abstimmung in öffentlicher Sitzung durchgeführt wurden, und es hier nur eine kurze Unterbrechung dieser öffentlichen Beratung gegeben hat durch einen nichtöffentlichen Teil der Sitzung, hätte ausgehend vom Inhalt der nichtöffentlichen Beratung geprüft werden müssen, ob diese die Sach- und Abwägungsdiskussion ersetzen, vorwegnehmen oder in sonstiger Weise der öffentlichen Wahrnehmung entziehen sollte. Nur in einem solchen Fall bestünde bei der gegebenen Sachlage Anlass, einen zur Rechtswidrigkeit führenden wesentlichen Verfahrensfehler bei der Fassung des Beschlusses anzunehmen6.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. April 2015 – III ZR 195/14

  1. Fortführung der BGH, Urteile vom 12.03.1987 – III ZR 29/86, BGHZ 100, 148, 149 und 155 sowie vom 02.04.1981 – III ZR 131/79, NJW 1981, 2124, 2125[]
  2. vgl. BGH, Urteile vom 12.03.1987 – III ZR 29/86, BGHZ 100, 148, 149 und 155 sowie vom 02.04.1981 – III ZR 131/79, NJW 1981, 2124, 2125[]
  3. vgl. Kirchberg in Redeker/Uechtritz, AHB-Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., Teil 2 C Rn. 29; s. auch BGH, Urteil vom 11.05.1967 – III ZR 141/66, NJW 1967, 1662 zu der, soweit ersichtlich allein strittigen, Frage der Befangenheit von Ratsmitgliedern, denen im Umlegungsgebiet gelegene Grundstücke gehören, s. dazu Kirchberg aaO mwN[]
  4. vgl. VGH Baden-Württemberg, VBlBW 2013, 269, 270 mwN[]
  5. vgl. VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2001, 462, 463[]
  6. vgl. VGH Baden-Württemberg VBlBW 2011, 393, 394[][]
  7. VGH Baden-Württemberg, NVwZ 1992, 196, 197 f mwN; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1995, 897[]
  8. siehe dazu BGH, Beschluss vom 17.08.2011 – V ZB 47/11, NJW-RR 2011, 1651 Rn. 7; KG, RNotZ 2004, 464[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2006 – III ZR 129/05, NJW 2006, 1729, 1731[]
  10. vgl. BGH, Urteile vom 04.11.2004 – III ZR 372/03, BGHZ 161, 38, 45; und vom 07.02.1974 – III ZR 13/73, NJW 1974, 947[]
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