Eine Ablösungsvereinbarung, deren Höhe anhand einer offensichtlich nicht anwendbaren satzungsrechtlichen Regelung über den Beitragssatz ermittelt wurde, begründet kein schutzwürdiges Vertrauen, das zu einer Verwirkung des Beitragsanspruchs führen kann.

Dies folgt für das Verwaltungsgericht Greifswald aus § 3 Abs. 1 ABS i.V.m. § 9 Abs. 3 KAG M-V. Nach der zuletzt genannten Bestimmung, an deren Verfassungsgemäßheit auch mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.20131 keine Zweifel bestehen2, entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Die Vorschrift gibt damit keine bestimmte zeitliche Reihenfolge für das Vorliegen der Entstehungsvoraussetzungen der sachlichen Beitragspflicht vor. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist das Vorliegen eines Anschlusses bzw. einer Anschlussmöglichkeit des Grundstücks und die Existenz einer wirksamen Beitragssatzung. Liegen beide Voraussetzungen vor, so entsteht ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge ihres Eintritts die sachliche Beitragspflicht. Daraus folgt, dass bei Grundstücken, die – wie hier – vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung an die Anlage angeschlossen worden sind, die sachliche Betragspflicht gleichwohl erst mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entsteht.
Der Umstand, dass das Grundstück des Antragstellers nicht in Eigenregie der Stadt Barth, sondern auf Grundlage des genannten Erschließungsvertrages erschlossen wurde, steht der Entstehung der Beitragspflicht ebenfalls nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass dem Antragsgegner in Ansehung der „inneren“ Erschließung, also der innerhalb des Erschließungsgebietes gelegenen leitungsgebundenen Erschließungsanlagen kein beitragsfähiger Aufwand entstanden ist, weil diese Anlagen vom Erschließungsträger auf eigene Rechnung hergestellt worden sind (vgl. § 8 Abs. 1 des Erschließungsvertrages). Hierum geht es vorliegend jedoch nicht. Denn die Kosten, die dem Erschließungsträger auf Grundlage eines Erschließungsvertrages i.S.d. § 124 a.F. BauGB (vgl. insbesondere § 124 Abs. 2 BauGB) entstehen, sind einer Beitragserhebung generell entzogen („Regimeentscheidung“)3. Demgemäß dient die vorliegende Beitragserhebung auch nicht der Refinanzierung des Aufwandes für die „innere“ Erschließung, sondern der „äußeren“ Erschließung, d.h. der außerhalb von Erschließungsgebieten gelegenen Bestandteile der öffentlichen Einrichtungen zur zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung.
Auch § 9 des Erschließungsvertrages schließt die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht nicht aus, denn die darin getroffene Vereinbarung ist nichtig. Trotz des kommunalabgabenrechtlichen Bezugs der Vereinbarung ist Prüfungsmaßstab für ihre Wirksamkeit die Bestimmungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag nach den §§ 54 ff. VwVfG M-V. Zwar bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V, dass die Vorschriften dieses Hauptteiles (§ 2 bis § 93 VwVfG M-V) nicht für Verfahren gelten, die nach den Vorschriften der vorliegend Kraft der Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V anzuwendenden Abgabenordnung durchzuführen sind. Vom grundsätzlichen Ausschluss der Anwendung der Vorschriften des ersten Hauptteiles des VwVfG M-V normiert § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V lediglich die Ausnahme, dass die (vorliegend nicht einschlägigen) Bestimmungen der § 61 Abs. 3 und § 80 Abs. 4 Nr. 2 VwVfG M-V hiervon unberührt bleiben. Dennoch geht das Verwaltungsgericht von der Anwendbarkeit der §§ 54 ff. VwVfG M-V aus. Weil die Abgabenordnung keine Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Vertrag enthält, kann er nicht „nach den Vorschriften der Abgabenordnung“ durchgeführt werden. Damit schließt § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V eine Anwendbarkeit der Bestimmungen der § 54 ff. VwVfG M-V nicht aus. Da aber die Abgabenordnung in § 78 Nr. 3 AO das Institut des öffentlich-rechtlichen Vertrages ausdrücklich anerkennt, kann aus dem Fehlen entsprechender Bestimmungen nicht auf eine „Sperrwirkung“ der Abgabenordnung geschlossen werden.
Nach § 59 Abs. 1 VwVfG M-V ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. § 134 BGB bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dass es sich bei dem Erschließungsvertrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, kann mit Blick auf § 124 Abs. 2 BauGB a.F. keinen Zweifeln unterliegen. Die Vereinbarung verstößt gegen den zum damaligen Zeitpunkt geltenden § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993. Die Vorschrift normiert eine Beitragserhebungspflicht. Diese begründet ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB, auf die Erhebung von Beiträgen ganz oder teilweise zu verzichten. Das Abgabenrecht wird von dem Grundsatz beherrscht, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner erfolgen darf. Daraus folgt, dass andere Vereinbarungen über die (endgültige) Finanzierung beitragspflichtiger Anlagen als ein Ablösevertrag nach § 8 Abs. 9 KAG 1993 bzw. § 7 Abs. 5 KAG M-V ausgeschlossen sind4.
Bei der Vereinbarung in § 9 des Erschließungsvertrages handelt es sich nicht um einen wirksamen Ablösevertrag. Nach der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Bestimmung des § 8 Abs. 9 KAG 1993 können die Beitragsberechtigten Bestimmungen über die Ablösung des Beitrages im Ganzen vor Entstehen der Beitragspflicht treffen. Zwar ist sie im Einklang mit § 8 Abs. 9 letzter Halbsatz KAG 1993 vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht geschlossen worden, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Anschlussmöglichkeiten für die im Erschließungsgebiet gelegenen Grundstücke nicht bestanden. Auch war es ausweislich § 9 Abs. 2 des Erschließungsvertrages das Ziel der Vertragsparteien, mit der Zahlung des vereinbarten Betrages eine spätere Beitragserhebung auszuschließen. Gleichwohl kann in der Vereinbarung keine wirksame Ablösung erblickt werden. Denn die Kommunen und Zweckverbände konnten (und können) von der Ermächtigung in § 8 Abs. 9 KAG 1993 bzw. § 7 Abs. 5 KAG M-V nur Gebrauch machen, wenn sie zuvor die über die Ablösung zu treffenden „Bestimmungen“ erlassen haben. Demgemäß ist eine Ablösungsvereinbarung nichtig, wenn sie abgeschlossen worden ist, bevor ausreichende Ablösungsbestimmungen getroffen worden sind5.
Bereits diese Voraussetzung fehlt hier. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses existierten keine Ablösebestimmungen. Dies aus zwei Gründen: Zum einen sah die damals Geltung beanspruchende Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt Barth (Kanalbaubeitragssatzung – KBS) vom 26.03.1996 eine Ablösung von Anschlussbeiträgen nicht vor. Zum anderen ist die Satzung unwirksam. Ungeachtet der Frage der ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe und damit der Frage der Wirksamkeit der in § 4 Abs. 3 KBS normierten Tiefenbegrenzung folgt die Nichtigkeit der Satzung aus dem Umstand, dass sie Altanschließer privilegiert. Nach § 2 Abs. 3 KBS zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)6.
Die Ablösungsvereinbarung ist auch aus inhaltlichen Gründen unwirksam. Beim Abschluss eines solchen Vertrages sind die Beteiligten nicht „frei“. Insbesondere handelt die Behörde nicht in Ausübung einer privatautonomen Gestaltungsbefugnis, sondern unterliegt der strengen Gesetzesbindung. Daraus folgt nicht nur, dass ein Ablösungsvertrag nur in Bezug auf eine beitragsfähige Maßnahme geschlossen werden darf, sondern auch, dass die Höhe des Ablösungsbetrages nach beitragsrechtlichen Kriterien zu ermitteln ist7. Dies trifft auf den in § 9 Abs. 1 des Erschließungsvertrages vereinbarten Betrag von 1, 93 DM/m² Nettobauland nicht zu. Zwar orientiert sich der Betrag offensichtlich an dem Beitragssatz in § 4 Abs. 10 Buchst. c Satz 2 KBS. Allerdings ist der Rückgriff auf diese Bestimmung willkürlich, denn sie beanspruchte gemäß § 2 Abs. 3 KBS lediglich für sogenannte altangeschlossene Grundstücke Geltung. Unabhängig von der Frage ihrer Wirksamkeit konnte sie in Bezug auf (unerschlossene) Grundstücke in Erschließungsgebieten keine Anwendung finden. Für diese Grundstücke hätte der Ablösungsbetrag nach den in § 4 Abs. 10 Buchst. a und b KBS normierten deutlich höheren Beitragssätzen bestimmt werden müssen. Dies ist jedoch – wie dargelegt – nicht erfolgt.
Selbst wenn man trotz der vorstehenden Erwägungen von der Wirksamkeit der Ablösungsvereinbarung ausgeht, ist der Antragsgegner dennoch zur Erhebung des Differenzbetrages zwischen der Ablösungssumme und dem tatsächlich bestehenden Beitragsanspruch berechtigt. Denn der vereinbarte Ablösungsbetrag beläuft sich nur auf etwa 23 v.H. des Beitragsanspruchs (Schmutzwasser). Damit wird die vom Bundesverwaltungsgericht definierte absolute Missbilligungsgrenze von 50 v.H.8 deutlich unterschritten, was die Gemeinde zur Nacherhebung berechtigt und verpflichtet.
Verwaltungsgericht Greifswald, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 3 B 879/14
- BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08[↩]
- eingehend: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 01.04.2014 – 1 L 142/13[↩]
- vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 6 Rn. 10 ff.[↩]
- vgl. VG Greifswald, Urteil vom 03.08.2005 – 3 A 211/04 –19[↩]
- allg. Ansicht: vgl. Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 07/2013, § 7 Anm. 16.1 m.w.N.[↩]
- allg. Ansicht: vgl. Aussprung a.a.O. § 9 Anm.02.05.02.2 m.w.N.[↩]
- vgl. VG Greifswald, Urteil vom 03.08.2005 – 3 A 211/04[↩]
- BVerwG, Urteil vom 09.11.1990 – 8 C 36/89[↩]