Asylverfahren – und der Streit um die Zuständigkeit

Ein Verwaltungsakt, der einen Asylantrag nur auf der Grundlage des § 27a AsylVfG als unzulässig nach § 31 Abs. 6 AsylVfG ablehnt, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, kann nicht nach § 47 VwVfG in einen Verwaltungsakt umgedeutet werden, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG abgelehnt wird.

Asylverfahren – und der Streit um die Zuständigkeit

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass einem Asylantragsteller kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung zusteht, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, – Dublin II-VO –1 auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. – durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt – die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden ist, und folglich allein eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin II-Verordnung der Klage eines Asylantragstellers grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen kann.

In Übereinstimmung hiermit wird durch den Ablauf der Überstellungsfrist kein subjektives Recht des Asylantragstellers begründet.

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Für den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts ist nach der auch im öffentlichen Recht anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern der erklärte Wille der den Bescheid erlassenden Behörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte; Unklarheiten hierbei gehen zu Lasten der Verwaltung2. Nach diesem Maßstab erschöpft sich die Regelung eines Bescheides, der im Tenor einen Asylantrag für unzulässig erklärt und zur Begründung nur unter Bezugnahme auf § 27a AsylVfG die Zuständigkeit eines anderen Staates auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages zur Durchführung des Asylverfahrens bejaht, zwangsläufig in der Feststellung der Verfahrenszuständigkeit eines anderen Staates, der Mitteilung dieser Verfahrenszuständigkeit an den Asylantragsteller nach § 31 Abs. 6 AsylVfG und der sich aus § 27a AsylVfG für einen im Bundesgebiet gestellten Asylantrag ergebenden Rechtsfolge3. Für den Empfänger eines solchen Bescheides bestehen bei objektiver Würdigung keinerlei Anhaltspunkte, dass die den Bescheid erlassende Behörde den Asylantrag auch aus anderen Rechtsgründen für unzulässig erachtet und dass sie, gleich aus welchem Rechtsgrund, eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens ablehnt.

Ein Verwaltungsakt, der einen Asylantrag nur auf der Grundlage des § 27a AsylVfG als unzulässig nach § 31 Abs. 6 AsylVfG ablehnt, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, kann nicht nach § 47 VwVfG in einen Verwaltungsakt umgedeutet werden, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG abgelehnt wird.

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Einer solchen Umdeutung steht entgegen, dass die genannten Verwaltungsakte nicht, wie von § 47 Abs. 1 Alt. 1 VwVfG gefordert, auf das gleiche Ziel gerichtet sind4. Auf das gleiche Ziel gerichtet sind Verwaltungsakte nur dann, wenn sie von gleicher materiell-rechtlicher Tragweite sind5 und ihre Regelungsinhalte keine wesentlichen Unterschiede aufweisen6. Daran fehlt es hier. Die Entscheidung nach §§ 27a, 31 Abs. 6 AsylVfG dient allein der Feststellung, dass nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ein auf dieser Grundlage erlassener Verwaltungsakt zielt allein darauf ab, eine inhaltliche Befassung mit den vom Asylantragsteller geltend gemachten Asylgründen von vorneherein abzulehnen. Das Bundesamt ist regelmäßig nur verpflichtet, die in § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylVfG beschriebenen Umstände zu ermitteln. Die Entscheidung nach § 71a AsylVfG setzt hingegen die Befassung mit den vom Asylantragsteller geltend gemachten Asylgründen voraus, selbst wenn die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens letztlich abgelehnt wird. Das Bundesamt ist verpflichtet, anhand der vorgebrachten Asylgründe und in Auseinandersetzung mit einer bereits ergangenen Entscheidung über den Erstantrag inhaltlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen und das Asylverfahren wiederaufzugreifen ist sowie bejahendenfalls, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. In diesem Verfahren hat das Bundesamt den Asylantragsteller nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in Verbindung mit §§ 24 Abs. 1 Satz 3, 25 AsylVfG grundsätzlich persönlich und umfassend anzuhören.

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Einer Umdeutung steht auch entgegen, dass die Voraussetzungen für eine ablehnende Entscheidung über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG nicht, wie von § 47 Abs. 1 Alt. 3 VwVfG gefordert, vorgelegen haben. Maßgeblich ist insoweit nicht nur der Zeitpunkt, in dem die Umdeutung vorgenommen wird, sondern auch der Zeitpunkt, in dem der Verwaltungsakt, der umgedeutet werden soll, erlassen worden ist. Denn die Umdeutung wirkt auf diesen Zeitpunkt zurück7. Es ist indes ausgeschlossen, dass in diesem Zeitpunkt zugleich die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Erlass eines Verwaltungsakts, der einen Asylantrag nur auf der Grundlage des § 27a AsylVfG als unzulässig nach § 31 Abs. 6 AsylVfG ablehnt, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und den rechtmäßigen Erlass eines Verwaltungsakts, mit dem das Bundesamt in eigener Zuständigkeit die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ablehnt, vorgelegen haben.

Einer Umdeutung steht schließlich das Verbot der Schlechterstellung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwVfG entgegen8. Die Rechtsfolgen eines Verwaltungsakts, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG abgelehnt wird, sind für den Asylantragsteller ungünstiger als die Rechtsfolgen eines Verwaltungsaktes, der einen Asylantrag nur auf der Grundlage des § 27a AsylVfG als unzulässig ablehnt, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist9. Infolge der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach §§ 27a, 31 Abs. 6 AsylVfG ordnet das Bundesamt auf der Grundlage des § 34a AsylVfG lediglich die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, also regelmäßig einen Mitgliedstaat der Europäischen Union an. Nach Überstellung in diesen zuständigen Staat wird dort das Asylverfahren durchgeführt. Infolge der Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG ist das Asylverfahren hingegen abgeschlossen; eine erneute inhaltliche Befassung kommt nur auf einen Folgeantrag bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG in Betracht. Zudem droht das Bundesamt dem Asylantragsteller gemäß § 71a Abs. 4 AsylVfG in Verbindung mit § 34 AsylVfG die Abschiebung in dessen Herkunftsstaat an.

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Die danach fehlende Erfüllung der in § 47 Abs. 1 Alt. 1 und 3 sowie Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwVfG gesetzlich bestimmten Voraussetzungen für eine Umdeutung kann uch nicht allein mit Blick auf die in asylrechtlichen Verfahren geltende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime überwunden werden; etwas Anderes ergibt sich auch aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.201510 nicht11.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Oktober 2015 – 8 LA 115/15

  1. ABl. L v. 25.02.2003, S. 1[]
  2. vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 18.06.1980 – BVerwG 6 C 55.79, BVerwGE 60, 223, 228 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[]
  3. so auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.08.2015 – 13a ZB 15.50052 7[]
  4. so auch OVG NRW, Beschluss vom 16.06.2015 – 13 A 221/15.A 28; Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.01.2015 – 13a ZB 14.50071 9; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2015 – A 11 S 2508/14 8[]
  5. vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, BT-Drs. 7/910, S. 67[]
  6. vgl. grundlegend: BVerwG, Urteil vom 11.11.1960 – BVerwG IV C 277.59, BVerwGE 12, 9, 10, und weiterführend: Laubinger, Die Umdeutung von Verwaltungsakten, in: VerwArch 78 (1987), 207, 345, 358 f. mit weiteren Nachweisen[]
  7. vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.04.2010 – 10 A 11232/09 42; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9.09.2008 – 10 S 994/07 24; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., § 47 Rn. 37[]
  8. vgl. hierzu Laubinger, a.a.O., S. 361 mit weiteren Nachweisen[]
  9. so auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 2.07.2015 – 11 ZB 15.50101 13; VG Göttingen, Beschluss vom 8.06.2015, a.a.O., Rn. 16; VG Osnabrück, Urteil vom 16.02.2015 – 5 A 248/14 33[]
  10. BVerwG, 18.02.2015 – 1 B 2.15[]
  11. vgl. mit eingehender Begründung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2015, a.a.O., S. 1158[]
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