Die Regenwasserkanalisation muss nicht so ausgestaltet sein, dass sie auch bei Extremniederschlägen Schutz vor Überschwemmung bietet.

Bei der Ausgestaltung der Regenwasserkanalisation dürfen Maßnahmen, die Grundstückseigentümer zur Sicherung vor Überschwemmungen getroffen haben, berücksichtigt werden.
Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit einer Regenwasserkanalisation können nicht schematisch festgelegt werden. Es gibt zwar technische Regelwerke für die Ausgestaltung und Leistungsfähigkeit von Regenwasserkanalisationen in DIN-EN 752 und in dem Arbeitsblatt A 118 des ATV-DVWK. Allerdings sind diese – wie etwa in dem hier vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall – nicht anzuwenden, soweit diese Regelwerke erst nach Herstellung der jeweiligen Entwässerungsanlage herausgegeben worden sind. Deshalb ist in diesen Fällen auch nicht nicht zu entscheiden, ob Änderungsansprüche schon dann ausgeschlossen sind, wenn die Anlage die Vorgaben der ATV Arbeitsblätter einhalten, weil damit den Regeln der Technik entsprochen werde (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.12.2002 – 1 A 10202/02)).
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen muss eine Regenwasserkanalisation so ausgelegt werden, dass es nicht jährlich zu Überflutungen und Rückstau auf Grundstücken kommt. Eine gemeindliche Regenwasserkanalisation ist unzureichend und bietet nicht den erforderlichen Schutz der Anlieger, wenn mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, jährlich einmal einer Überschwemmung ausgesetzt zu werden. Die Leistungsfähigkeit der Kanalisation muss aufgrund einer umfassenden Würdigung aller maßgeblichen abwasserwirtschaftlichen, technischen und topographischen Gelegenheiten ermittelt werden und kann sich nicht auf den „Berechnungsregen“ beschränken. Der ist zwar ein wesentliches Kriterium für die Dimensionierung der Kanalisation, kann jedoch nicht das einzige sein. Vielmehr sind zusätzlich auch die Geländeverhältnisse und die möglichen Fließwege bei Austritt aus den Einläufen zu beachten. Aus Sicht des betroffenen Grundstückseigentümers, auf dessen Schutz die Anlage auch ausgelegt sein muss, ist die „Überstauungshäufigkeit“, also der Anstieg des Wasserspiegels bis auf Geländehöhe, als Maßstab für die Auslegung und die Leistungsfähigkeit der Kanalisation geeigneter als die Regenhäufigkeit. Eine allein auf den „Berechnungsregen“ abgestellte Beurteilung ist insbesondere dann nicht ausreichend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine darauf zugeschnittene Anlage außerstande ist, das anfallende Regenwasser nicht nur in seltenen Ausnahmefällen, sondern darüber hinaus auch bei häufigen, auch im Rahmen einer generalisierten Betrachtungsweise zu berücksichtigenden Anlässen zu bewältigen. Das kann etwa der Fall sein, wenn es in dem betroffenen Straßenzug trotz einer Auslegung der Kanalisation auf den Berechnungsregen immer wieder zu Überschwemmungen kommt1. Ein Abwehranspruch gegen Überschwemmungen kann aber bei ungünstigen topographischen Gegebenheiten des Anliegergrundstückes ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Ein ungünstiges Höhenniveau des Anliegergrundstücks muss von der Gemeinde bei der Anlegung der Kanalisation nur eingeschränkt berücksichtigt werden2.
Diesen bereits in den ersten Instanz vom Verwaltungsgericht Oldenburg aufgestellten Grundsätzen3 schließt sich auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im vollen Umfang an: Abwasserkanäle müssen nicht so ausgelegt sein, dass es auch „bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen“, also in Extremfällen, nicht zu einem Rückstau kommt4. Die Kanäle müssen aber so beschaffen sein, dass die Anlieger und Nutzer im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungsschäden geschützt sind. Der Schutz ist nicht hinreichend gewährleistet, wenn die Anlieger es hinnehmen müssen, einmal jährlich einer Überschwemmung ausgesetzt zu sein5.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. Januar 2011 – 9 LA 130/10
- BGH, Urteil vom 11.12.1997 – III ZR 52/97, NJW 1998, 1307[↩]
- Brandenburgisches OLG, Urteil vom 06.05.2008 – 2 U 20/02[↩]
- VG Oldenburg, Urteil vom 01.06.2010 – 1 A 2411/08[↩]
- ähnlich der BGH, Urteil vom 22.04.2004 – III ZR 108/03, DVBl 2004, 948 für das Fehlen einer Amtspflichtverletzung bei einem Jahrhundertregen; siehe dazu auch Nds. OVG, Beschluss vom 23.06.2010 – 9 LA 51/09[↩]
- BGH, Urteil vom 18.02.1999 – III ZR 272/96, DÖV 1999, 740 = DVBl 1999, 609 = NVwZ 1999, 689; s. auch Rosenzweig/Freese, NKAG, Stand: August 2010, § 5 Rdn 188[↩]