Die Ausschreibung zur Festnahme in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei ist kein Verwaltungsakt.

Neben den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG erfordert die Ausschreibung zur Festnahme als nicht geschriebenes Tatbestandsmerkmal das Vorliegen von Haftgründen nach § 62 AufenthG.
Vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Ausländer kann insbesondere nicht auf den nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangigen vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen werden. Denn eine Ausschreibung zur Festnahme in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei ist nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet; ihr fehlt daher die Verwaltungsaktsqualität1.
Der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt – unabhängig davon, ob dessen Rechtsgrundlage unmittelbar in den Grundrechten oder in dem analog anzuwendenden § 1004 BGB gesehen wird2 – voraus, dass zu besorgen ist, die Behörde werde künftig durch ihr hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des vom behördlichen Handeln Betroffenen eingreifen3.
Haftgründe
Nach § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG (bis zum 25.11.2011: § 50 Abs. 7 Satz 1 AufenthG4) kann ein Ausländer zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist5.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt: Der Aufenthalt des Ausländers ist dem Antragsgegner unverändert unbekannt; auch sein Aufgriffsort und der Aufgriffszeitpunkt können nicht abgeschätzt werden. Die Ausschreibung zur Festnahme erfolgt mit dem Zweck der Aufenthaltsbeendigung. Der Ausländer ist vollziehbar ausreisepflichtig. Wiederholte Anträge auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung des Ausländers auszusetzen, blieben ohne Erfolg6.
Neben den danach erfüllten tatbestandlichen Voraussetzungen, wie sie in § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG ausdrücklich normiert sind, erfordert die Ausschreibung zur Festnahme als nicht geschriebenes Tatbestandsmerkmal das Vorliegen von Haftgründen nach § 62 AufenthG7.
Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 5 AufenthG liegen vor: Die dem Ausländer von der Ausländerbehörde im Bescheid gesetzte Ausreisefrist ist abgelaufen und sein Aufenthalt ist der Ausländerbehörde unbekannt (Nr. 2). Die vorgesehene Abschiebung konnte nicht vollzogen werden, weil der Ausländer untergetaucht ist (Nr. 3). Er hat auch im Beschwerdeverfahren seinen Aufenthalt nicht bekanntgegeben. Er ist offensichtlich nicht bereit, die wiederholten ablehnenden gerichtlichen Sachentscheidungen über seine Anträge auf Aussetzung der Abschiebung zu akzeptieren und sich dem bevorstehenden Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen freiwillig zu stellen (Nr. 5).
Die Ausschreibung zur Festnahme ist auch verhältnismäßig8. Dabei kann das Niedersächsische Oberverwaltuangsgericht hier dahinstehen lassen, ob, wie es der Ausländer meint, die Verhältnismäßigkeit stets dann zu verneinen ist, wenn ein auf die Festnahme gestellter Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft voraussichtlich abgelehnt werden wird. Denn hier hat der Ausländer nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein erneuter Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die vom Ausländer behauptete bevorstehende Geburt einer Tochter, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben soll, führt jedenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Abschiebung9. Gleiches gilt voraussichtlich nach der Geburt dieser Tochter, denn der Ausländer hat nicht ansatzweise aufgezeigt, dass er mit dieser eine nach Art. 6 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft führen wird10. Hiergegen sprechen schon die in den Gerichtsakten dokumentierten Einlassungen der Kindesmutter.
Schließlich bedarf die Ausschreibung zur Festnahme durch die Ausländerbehörde auch unter dem Gesichtspunkt etwaiger aus Art. 104 Abs. 2 GG abzuleitender Vorwirkungen keiner richterlichen Anordnung. § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG enthält nur die Ermächtigung zur Nutzung der Fahndungshilfsmittel der Polizei, nicht aber eine Ermächtigung zu Freiheitsentziehungen. Die Ausschreibung zur Festnahme lässt für die Polizei als Nutzer der Fahndungshilfsmittel zwar erkennen, dass die zum Zeitpunkt der Ausschreibung zuständige Ausländerbehörde nach eigenverantwortlicher Prüfung Haftgründe nach § 62 AufenthG bejaht hat. Die Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bleibt aber der eigenverantwortlich nach § 62 Abs. 4 AufenthG tätig werdenden Behörde überlassen11.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. Januar 2015 – 8 ME 163/14
- vgl. zur Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) und zur Ausschreibung im polizeilichen Informationssystem (INPOL): VG Koblenz, Beschluss vom 24.07.2007 – 3 L 1035/07.KO; Westphal, Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem – Voraussetzungen, Wirkungen und Rechtsschutzmöglichkeiten, in: InfAuslR 1999, 361, 364 jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – BVerwG 7 C 77.87, BVerwGE 81, 197, 199 f. (offengelassen); Nds. OVG, Urteil vom 12.02.1991 – 9 L 246/89, NJW 1992, 192, 193 (Grundrechte); Bayerischer VGH, Urteil vom 18.12.1990 – 8 B 87.03780, NJW 1991, 2660 f.; Hess. VGH, Urteil vom 20.10.1987 – 9 OE 24/83, NJW 1988, 1683 f. (§ 1004 BGB analog) [↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 7.08.1997 – BVerwG 3 C 49.9619; BVerwG, Beschluss vom 29.04.1985 – BVerwG 1 B 149.84 9; Nds. OVG, Urteil vom 11.03.2010 – 8 LB 9/08, NVwZ-RR 2010, 639, 640[↩]
- vgl. Art. 1 Nr. 26 Buchst. d des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258[↩]
- vgl. zur verwaltungspraktischen Umsetzung der Ausschreibung durch die Ausländerbehörden: Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, Ausländerrecht; Allgemeine Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommen, vom 09.03.1998, Nds. MBl. S. 766, dort Anlage Nr. 4.2.2.3[↩]
- vgl. zuletzt Nds. OVG, Beschluss vom 07.11.2014 – 8 ME 125/14[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.05.2009 – 2 BvR 475/09, NVwZ 2009, 1034, 1035[↩]
- vgl. zu diesem Erfordernis: GK-AufenthG, § 50 Rn. 57 (Stand: Februar 2012[↩]
- vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 07.11.2014, a.a.O.[↩]
- vgl. zu den Anforderungen: Nds. OVG, Beschlüsse vom 28.11.2013 – 8 ME 157/13; und vom 12.03.2013 – 8 LA 13/13, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.05.2009, a.a.O., S. 1034; Beichel-Benedetti, Die Ausschreibung zur Festnahme nach § 50 Abs. 7 AufenthG, in: NVwZ 2009, 1150[↩]