§ 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO räumt der Behörde die Befugnis ein, die kraft Gesetzes nach § 80b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 1 VwGO entfallende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage durch die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zu dessen Unanfechtbarkeit fortdauern zu lassen.

Die in § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO enthaltene Formulierung „bis zur Unanfechtbarkeit“ markiert nur eine äußerste Grenze; die Behörde kann auch eine kürzere Frist wählen.
In dem hier entschiedenen Fall versagte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg dem Antrag des Antragstellers, auf der Grundlage des § 80b Abs. 2 VwGO die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23.06.2009 über den Widerruf der ärztlichen Approbation anzuordnen, den Erfolg. Der Antrag ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts bereits unzulässig:
Der Zulässigkeit des Antrags steht dabei nicht bereits entgegen, dass er erst nach Beendigung der aufschiebenden Wirkung gestellt worden ist. Die hier durch die Erhebung der Anfechtungsklage des Antragstellers nach § 80 Abs. 1 VwGO ausgelöste aufschiebende Wirkung endete gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels, mithin am 9.07.2011 drei Monate nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung1 gegen das den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 9.02.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19.01.2011. Trotz der damit seit dem 10.07.2011 kraft Gesetzes beendeten aufschiebenden Wirkung konnte der Antragsteller am 5.08.2011 zulässigerweise einen Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO auf Anordnung der (Fortdauer der) aufschiebenden Wirkung stellen. Denn weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmung kann entnommen werden, dass der Antrag fristgebunden ist2.
Dem Antragsteller fehlt hier aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage durch das Oberverwaltungsgericht.
Die Zulässigkeit eines jeden gerichtlichen Verfahrens3 und damit auch des Verfahrens nach § 80b Abs. 2 VwGO4 erfordert, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers besteht, mithin er ein schutzwürdiges Interesse an der Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nachweisen kann5. Daran fehlt es hier, nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 11.08.2011 gegenüber dem Antragsteller die sofortige Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides vom 23.06.2009 bis zu einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren ausgesetzt hat. Denn aufgrund dieser Verfügung des Antragsgegners besteht derzeit bis zu einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers fort, so dass für die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung durch das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage des § 80b Abs. 2 VwGO derzeit kein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers besteht.
Zweifel an der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Verfügung des Antragsgegners vom 11.08.2011 sind vom Antragsteller nicht geltend gemacht worden; solche sind auch für das Oberverwaltungsgericht nicht ersichtlich.
Nach § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO endet die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage mit der Unanfechtbarkeit oder, wenn die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels. Dies gilt nach § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO auch dann, wenn vor Ergehen des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils die Vollziehung durch die Behörde ausgesetzt oder die aufschiebende Wirkung durch das Gericht wiederhergestellt oder angeordnet worden ist. Mit diesen Regelungen will der Gesetzgeber die Möglichkeit der missbräuchlichen Ausnutzung des Suspensiveffektes allein durch die Einlegung von Rechtsmitteln beschränken6.
Die Gefahr einer solchen missbräuchlichen Ausnutzung des Suspensiveffektes durch den Rechtsmittelführer einer Anfechtungsklage ist dann ausgeschlossen, wenn die beklagte Behörde nach Ergehen des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils selbst die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzt. Als Ausnahmeregelung zum Entfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 1 VwGO räumt daher § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO der Behörde die Befugnis ein, die kraft Gesetzes eintretende sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes bis zu dessen Unanfechtbarkeit auszusetzen7. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss diese Aussetzung der Vollziehung ausdrücklich und unter Bestimmung ihrer Dauer erfolgen8. Dabei markiert die in § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO enthaltene Formulierung „bis zur Unanfechtbarkeit“ nur eine äußerste Grenze; die Behörde kann auch eine kürzere Frist wählen9.
Diesen Anforderungen genügt die Aussetzung der Vollziehung im Bescheid des Antragsgegners vom 11.08.2011. Hierin bestimmt der Antragsgegner nach Ergehen des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils ausdrücklich die Aussetzung der Vollziehung des vom Antragsteller angefochtenen Bescheides vom 23.06.2009 über den Widerruf der ärztlichen Approbation. Auch die Dauer dieser Vollziehungsaussetzung ist klar bestimmt durch die Anknüpfung an die zu erwartende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren. Dass hiermit für den Fall der Zulassung der Berufung eine kürzere als nach § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO mögliche Frist bestimmt wurde, ist, wie ausgeführt, unschädlich. Aus dieser Befristung der Vollziehungsaussetzung kann der Antragsteller derzeit auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine (weitergehende) gerichtliche Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über den Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Berufungszulassungsantrag hinaus herleiten. Denn eine Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über den Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungszulassungsverfahren hinaus kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn die Berufung zugelassen wird10, setzt also diese Entscheidung voraus, an der es bisher im vorliegenden Verfahren fehlt.
Niedersächsisches Obervewrwaltungsgericht, Beschluss vom 29. August 2011 ‑8 MC 138/11
- vgl. zum Berufungszulassungsantrag als Rechtsmittel im Sinne des § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO: OVG NRW, Beschluss vom 29.05.2001 – 13 B 434/01, NVwZ-RR 2002, 76; OVG Bremen, Beschluss vom 13.12.1999 – 1 B 422/99, NVwZ 2000, 942 f.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16.12.1998 – 2 M 132/98, NVwZ-RR 1999, 591; OVG RheinlandPfalz, Beschluss vom 13.11.1998 – 7B 12224/98, NVwZ 1999, 896; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 80b Rn. 7; Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Mai 2010, § 80b Rn. 24; Schenke, Zur Geltung der Befristung der aufschiebenden Wirkung für Berufungen vor Inkrafttreten des § 80b VwGO, in: DVBl.1997, 1330, 1331 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.06.2007 – 4 VR 2/07, BVerwGE 129, 58, 63 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.10.2009 – 10 AS 09.2124, jeweils m.w.N.; a.A. Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, a.a.O., § 80b Rn. 38[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 17.01.1989 – 9 C 44.87, BVerwGE 81, 164, 165[↩]
- vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.10.2000 – 6 AS 00.2433[↩]
- vgl. Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, a.a.O., § 40 Rn. 74 f. m.w.N.[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG), BT-Drs. 13/3993, S. 9 und 11[↩]
- vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.07.2011 – 8 MC 127/11 [↩]
- vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 80b Rn. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 80b Rn. 31[↩]
- vgl. Bader/FunkeKaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, 5. Aufl., § 80b Rn. 8[↩]
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 01.04.2011 – 13 B 318/11[↩]