Bereitschaftsdienst von Polizeivollzugsbeamten – und der Freizeitausgleich

Bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes ist gemäß § 88 Satz 2 BBG1 voller Freizeitausgleich zu gewähren.

Bereitschaftsdienst von Polizeivollzugsbeamten – und der Freizeitausgleich

Nach § 88 Satz 2 BBG ist Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist damit, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet oder genehmigt werden durfte2.

Mehrarbeit im Sinne des § 88 Satz 2 BBG ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus – d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs – verrichtet3.

Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll4.

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Bereitschaftsdienst ist nach § 88 Satz 2 BBG abgeltungsfähiger Dienst5. Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist6.

„Entsprechende Dienstbefreiung“ in § 88 Satz 2 BBG heißt bei Bereitschaftsdienst – ebenso wie bei Volldienst – voller Freizeitausgleich im Verhältnis „1 zu 1“. Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bestimmung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte.

Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus, zur Bestimmung des Umfangs des zu gewährenden Freizeitausgleichs auf das Maß und die Intensität der Inanspruchnahme während der geleisteten Mehrarbeit abzustellen, legt aber wegen des Fehlens der Benennung dieses Kriteriums gleichwohl nahe, dass allein an den zeitlichen Umfang der geleisteten Mehrarbeit angeknüpft und damit ohne Unterscheidung nach der Art des Dienstes – Volldienst oder Bereitschaftsdienst – voller Freizeitausgleich gewährt wird.

Entscheidend für die Auslegung, dass auch bei Bereitschaftsdienst ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich besteht, sprechen Sinn und Zweck des § 88 Satz 2 BBG. Nach besonderer dienstlicher Beanspruchung dient der Freizeitausgleichsanspruch nicht in erster Linie der Regeneration des durch Mehrarbeit überobligationsmäßig herangezogenen Beamten. Dienstbefreiung für Mehrarbeit soll vielmehr die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit – jedenfalls im Gesamtergebnis – gewährleisten. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen7. Auf die sich aus der gesetzlichen Arbeitszeitregelung ergebende Freizeit hat der Beamte auch dann einen Anspruch, wenn er sie nicht zur Wiederherstellung seiner Kräfte benötigt.

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Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Begriff der „entsprechenden“ Dienstbefreiung wurde 1965 in den damals den Freizeitausgleichsanspruch regelnden § 72 Abs. 2 BBG eingefügt. Zurück ging diese Formulierung auf einen Vorschlag aus der Mitte des Bundestages, wonach dem Mehrarbeit leistenden Beamten „dem Umfang der Mehrleistungen entsprechend“ Dienstbefreiung zu gewähren sein sollte8. Beabsichtigt war eine „klare gesetzliche Regelung … des Umfanges der als Äquivalent für die gegenüber der regelmäßigen Arbeitszeit erhöhten Dienstleistungen zu gewährenden Dienstbefreiung“. Ohne dass damit eine Inhaltsänderung beabsichtigt war, erhielt der Freizeitausgleichsanspruch in § 72 Abs. 2 BBG sodann die auch heute in § 88 Satz 2 BBG enthaltene Fassung, wonach „entsprechende Dienstbefreiung“ gewährt wird9. „Entsprechend“ meint damit dem (zeitlichen) Umfang – nicht: der Intensität der Mehrleistung – entsprechend.

Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist Bereitschaftsdienst hinsichtlich der Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ohne Einschränkung wie Volldienst zu behandeln10. Art. 2 Nr. 1 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung – Arbeitszeitrichtlinie – definiert den Begriff der Arbeitszeit, der autonom, d.h. unabhängig von nationalstaatlichen Erwägungen und Besonderheiten auszulegen ist, weil nur so die einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann11. Die Anwendung dieses Arbeitszeitbegriffs ist zwar auf den Regelungsbereich der Richtlinie beschränkt und erstreckt sich deshalb nicht auf Fragen der Vergütung12 oder des Schadensersatzes13. Beim Anspruch auf Freizeitausgleich für Mehrarbeit steht aber der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit selbst in Rede. Würde Bereitschaftsdienst nicht in vollem Umfang ausgeglichen, müssten die betroffenen Beamten ggf. mehr als die in der Arbeitszeitrichtlinie festgelegten 48 Wochenstunden arbeiten.

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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. November 2016 – 2 C 21.15

  1. in der insoweit unverändert gültigen Fassung vom 05.02.2009, BGBl. I S. 160[]
  2. vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.03.1967 – 6 C 79.63, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 2 S. 12 f.[]
  3. vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.2004 – 2 C 61.03, BVerwGE 122, 65, 68 14 f.[]
  4. vgl. BVerwG, Urteile vom 02.04.1981 – 2 C 1.81, Buchholz 237.7 § 78a LBG NW Nr. 2 S. 3 f. 20; vom 28.05.2003 – 2 C 28.02, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 S. 5 14; und vom 23.09.2004 – 2 C 61.03, BVerwGE 122, 65, 69 18[]
  5. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 29.03.1974 – 6 C 21.71, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 10 S. 24 ff.; und vom 25.10.1979 – 2 C 7.78, BVerwGE 59, 45, 46 f. 41[]
  6. BVerwG, Urteil vom 22.01.2009 – 2 C 90.07, Buchholz 240.1 BBesO Nr. 31 Rn. 14, 17 m.w.N.; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 12 Arbeitszeitverordnung – AZV – vom 23.02.2006, BGBl. I S. 427[]
  7. vgl. BVerwG, Urteile vom 10.12 1970 – 2 C 45.68, BVerwGE 37, 21, 24 f. 31; und vom 26.07.2012 – 2 C 70.11, NVwZ 2012, 1472 Rn. 29[]
  8. BT-Drs. IV/2214 S. 1 und 3[]
  9. BT-Drs. IV/3624, S. 1 ff.[]
  10. vgl. EuGH, Urteile vom 03.10.2000 – C-303/98 [ECLI: EU:C:2000:528], Simap, Slg. 2000, I-7963 Rn. 48 und 52; vom 09.09.2003 – C-151/02 [ECLI:EU:C:2003:437], Jaeger, Slg. 2003, I-8389 Rn. 71, 75 und 103; und vom 01.12 2005 – C-14/04 [ECLI:EU:C:2005:728], Dellas, Slg. 2005, I-10253 Rn. 46; Beschluss vom 11.01.2007 – C-437/05 [ECLI:EU:C:2007:23], Vorel, Slg. 2007, I-331 Rn. 27[]
  11. vgl. EuGH, Beschluss vom 11.01.2007 – C-437/05, Vorel, Slg. 2007, I-331 Rn. 26[]
  12. vgl. EuGH, Beschluss vom 11.01.2007 – C-437/05, Vorel, Slg. 2007, I-331 Rn. 32[]
  13. vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.2010 – C-429/09 [ECLI:EU:C:2010:717], Fuß, Slg. 2010, I-12167 Rn. 44[]
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