Das Namensschild an der Polizeiuniform

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Polizeivollzugsbediensteten nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen behördliche und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen wendet, mit denen ihr Begehren abgelehnt wurde, kein Namensschild an ihrer Dienstkleidung tragen zu müssen.

Das Namensschild an der Polizeiuniform

Die Regelung des Brandenburgischen Polizeirechts

Mit dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes vom 09.06.20111 wurde § 9 des Brandenburgischen Polizeigesetzes (BbgPolG) mit Wirkung zum 1.01.2013 neu gefasst und in § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG geregelt, dass Polizeivollzugsbedienstete bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild tragen. Das Namensschild wird nach § 9 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG beim Einsatz geschlossener Einheiten durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung ersetzt. § 9 Abs. 3 BbgPolG sieht vor, dass die Legitimationspflicht und die namentliche Kennzeichnung nicht gelten, soweit der Zweck der Maßnahme oder Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Polizeivollzugsbediensteten dadurch beeinträchtigt werden. § 9 Abs. 4 BbgPolG enthält eine Ermächtigung des für Inneres zuständigen Mitglieds der Landesregierung, welches Inhalt, Umfang und Ausnahmen von diesen Verpflichtungen durch Verwaltungsvorschrift zu regeln hat.

Das Ministerium des Innern erließ am 21.11.2012 eine die Kennzeichnungspflicht betreffende Verwaltungsvorschrift (VV Kennzeichnungspflicht)2, die am 7.11.2018 unter anderem hinsichtlich der Ausgestaltung der Namens- und Ziffernschilder geringfügig geändert wurde3. Ziffer 4.2 VV Kennzeichnungspflicht sieht die Befreiung einiger im einzelnen aufgeführten Einheiten (u.a. Polizeivollzugsbedienstete während ihres Einsatzes im Personenschutz, in der Tauchergruppe oder in der Hubschrauberstaffel) vor. In Ziffer 4.3 VV Kennzeichnungspflicht (Ausnahmen von der namentlichen Kennzeichnungspflicht) wird zunächst der Wortlaut des § 9 Abs. 3 BbgPolG wiederholt und dann ausgeführt: „Polizeivollzugsbedienstete können von der namentlichen Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden, wenn aufgrund polizeilicher Erfahrung oder anderer konkreter Umstände zu erwarten ist, dass unter Nutzung der namentlichen Kennzeichnungspflicht außerdienstliche Daten über den Polizeivollzugsbediensteten erlangt werden sollen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Befreiung entscheidet der Vorgesetzte des Polizeivollzugsbediensteten; in einer Besonderen Aufbauorganisation entscheidet der Polizeiführer. Kann diese Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden, so entscheidet der Beamte selbst.

Der Ausgangssachverhalt

Die beschwerdeführende Polizistin steht als Polizeihauptkommissarin im Dienst des Landes Brandenburg. Sie wird im Wach- und Wechseldienst und gelegentlich bei einer geschlossenen Einheit der Polizei des Landes Brandenburg verwendet.

Im Frühjahr 2013 beantragte die Polizeihauptkommissarin beim Polizeipräsidium die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht. Diesen Antrag lehnte das Polizeipräsidium ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Polizeihauptkommissarin wies das Polizeipräsidium zurück.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

Mit Beschluss vom 20.06.2014 verwarf das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg die Rechtssatzverfassungsbeschwerde der Polizeihauptkommissarin als unzulässig. Diese sei durch die Regelungen in § 9 Abs. 2 bis 4 BbgPolG nicht unmittelbar betroffen. § 9 Abs. 2 BbgPolG beschränke sich darauf, die namentliche Kennzeichnungspflicht – nur dieser unterliege die Polizeihauptkommissarin – im Grundsatz festzulegen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Vorschrift bleibe nach Absatz 4 einer Verwaltungsvorschrift überlassen. In den Rechtskreis des einzelnen Polizeivollzugsbediensteten werde erst dadurch eingegriffen, dass ihm gegenüber die namentliche Kennzeichnung angeordnet und damit zugleich – gege-benenfalls konkludent – festgestellt werde, dass in seinem Fall keine Ausnahmeregelung greife.

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Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte

Die gegen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid gerichtete Anfechtungs- und die Feststellungsklage blieb vor dem Verwaltungsgericht Potsdam4 ebenso erfolglos wie ihre Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg5 und ihre Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht6.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG sei verfassungsgemäß. Zwar greife die Vorschrift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizeihauptkommissarin in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Sie genüge jedoch dem Gesetzesvorbehalt, wonach der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen dürfe. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit sei nicht festzustellen; dies gelte insbesondere für die Ausnahme in § 9 Abs. 3 BbgPolG, die sich in dem hier relevanten Zusammenhang allein auf das Namensschild nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG beziehe. Dass der Gesetzgeber unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Gesetzesbegriffe verwende, sei angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fallkonstellationen, in denen den Interessen des Polizeivollzugsbediensteten der Vorrang einzuräumen sei, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Schließlich begegne auch die Ermächtigungsvorschrift des § 9 Abs. 4 BbgPolG im Hinblick auf das Gebot der Normenklarheit keinen Bedenken. Sie sei nicht so auszulegen, dass das zuständige Ministerium berechtigt wäre, weitere, mit der Regelung in Absatz 3 gleichrangige Ausnahmetatbestände zu schaffen. Denn der Gesetzgeber habe die für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen. Dementsprechend sei § 9 Abs. 3 BbgPolG abschließend; Nr. 4.3 VV Kennzeichnungspflicht wiederhole den Wortlaut der Vorschrift und erläutere sie lediglich; Nr. 4.2 VV Kennzeichnungspflicht nenne zwar Gruppen von Bediensteten, die von der Kennzeichnungspflicht befreit seien, doch ließen diese sich ohne Weiteres unmittelbar aus dem Zweck des § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG oder dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung ableiten.

Die Pflicht zum Tragen eines Schilds mit dem Nachnamen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG sei angesichts der mit der gesetzlichen Regelung verfolgten öffentlichen Interessen verhältnismäßig. Die Vorschrift diene legitimen Zielen, nämlich der Transparenz der Arbeit der Polizei und der Erleichterung einer straf- und disziplinarrechtlichen Aufklärung etwaigen rechtswidrigen Verhaltens von Polizeivollzugsbediensteten. Wenn der Staat gegenüber dem Bürger nicht mehr anonym, sondern durch einen namentlich gekennzeichneten Amtsträger auftrete, stärke dies das Vertrauen in die Arbeit der Polizei. Das Bundesverfassungsgericht verkenne nicht, dass die Verpflichtung zur anlasslosen Offenbarung des Familiennamens für einen uniformierten Polizeivollzugsbediensteten eine beeinträchtigende Wirkung habe, weil der Name am Einsatzort einer größeren Öffentlichkeit bekannt werde und zudem nicht ausgeschlossen sei, dass Aufnahmen vom Einsatz und dem Verhalten der dort handelnden Bediensteten im Internet veröffentlicht würden. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Familienname nicht der engen Privatsphäre der Bediensteten zuzuordnen sei. Zudem sei den Bediensteten bewusst, dass der Name dem jeweiligen Ansprechpartner und auch weiteren Personen bekannt werde. Den Bediensteten sei ferner klar, dass die Kundgabe des Familiennamens im Zusammenhang mit ihrem Dienst stehe und den zuständigen staatlichen Stellen grundsätzlich die Möglichkeit eröffne, gegen sie straf- oder disziplinarrechtliche Ermittlungen einzuleiten. Es bestehe zwar aufgrund der Verpflichtung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG die Möglichkeit, dass ein Vollzugsbediensteter ohne jeden Anlass mit Vorwürfen überzogen oder dass er Opfer eines Übergriffs werde. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zeigten allerdings die bisher vorliegenden Untersuchungen, dass sich diese Befürchtung bislang nicht bestätigt habe. Zudem könne der Polizeivollzugsbedienstete die Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister (§ 51 BMG) und auch einer Übermittlungssperre in den Fahrzeugregistern (§ 41 StVG) beantragen, um die Erlangung von weiteren Informationen über seine Person über die ohnehin bestehenden Hürden für die Erteilung von Auskünften hinaus zu erschweren.

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Die zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignete Verpflichtung zum Tragen eines Namensschilds sei auch erforderlich und angemessen. Ein gleich geeignetes, aber den Polizeivollzugsbediensteten weniger belastendes und damit milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Dies gelte insbesondere für die in der Revisionsverhandlung erörterte Möglichkeit, dem Bediensteten die Wahl zwischen der Verwendung eines Namensschilds und mehreren dauerhaft zugeordneten Kennziffern zu ermöglichen. Das Interesse der Polizeivollzugsbediensteten daran, dass ihr Familienname nicht einer größeren Öffentlichkeit aus Anlass einer Diensttätigkeit ohne besondere Veranlassung bekannt werde, überwiege die vom Gesetzgeber mit der gesetzlichen Regelung verfolgten öffentlichen Interessen nicht. Die Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde dadurch abgemildert, dass bereits der Gesetzgeber Ausnahmetatbestände vorgesehen habe.

Auch ein Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) sei nicht ersichtlich. Die unterschiedliche Behandlung unter anderem von Polizeivollzugsbediensteten in Dienstkleidung und sonstigen Bediensteten der Polizei ohne Dienstkleidung – Bedienstete im Verwaltungsbereich der Polizei, zum Beispiel im Personal- und Finanzwesen oder bei der Kriminalpolizei – sei vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass diese regelmäßig keinen ständigen unmittelbaren Kontakt zum Bürger hätten. Ebensowenig verstoße die Vorschrift gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (Art. 33 Abs. 5 GG).

Schließlich sei auch die aus § 9 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG folgende Pflicht, beim Einsatz geschlossener Einheiten an ihrer Dienstkleidung anstelle des Namensschilds eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung zu tragen, verfassungsgemäß. Auch hier sei ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung gegeben. Dieser Eingriff beruhe jedoch auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden gesetzlichen Grundlage

Die Verfassungsbeschwerde

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Polizistin eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Zudem genüge die angegriffene Regelung insgesamt nicht dem Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot (Art.20 Abs. 1 und Abs. 3 GG). Dabei bezieht sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde allein auf die namentliche Kennzeichnungspflicht für Polizeivollzugsbedienstete (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG) und nicht auf die noch im fachgerichtlichen Gerichtsverfahren ebenfalls streitgegenständliche Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung zum Tragen einer zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeigneten Kennzeichnung beim Einsatz geschlossener Einheiten (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG).

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlägen. Der Verfassungsbeschwerde komme weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch sei sie zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Polizeihauptkommissarin angezeigt, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe7. Sie sei unzulässig, denn sie sei nicht hinreichend substantiiert begründet.

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Begründungsanforderungen bei einer Verfassungsbeschwerde

Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ist der Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht, soweit dies für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Belang ist, sowie und insbesondere mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführenden muss sich mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergeben8. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde haben sich die Beschwerdeführenden mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen9; das erfordert in der Regel eine ins Einzelne gehende, argumentative Befassung mit der angegriffenen Entscheidung und ihren tragenden Begründungslinien, und zwar auf der Ebene des Verfassungsrechts am Maßstab der als verletzt gerügten grundrechtlichen Positionen10.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde trotz ihrer missverständlichen Formulierung („soweit erforderlich“) unmittelbar gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums vom 30.05.2013, den Widerspruchsbescheid vom 15.08.2015, das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 08.12.2015 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 05.09.2018 richtet, wird sie den materiellen Substantiierungsanforderungen nicht gerecht, da die Polizeihauptkommissarin inhaltlich auf die genannten Entscheidungen nicht eingeht. Auch soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts richtet, ist sie nicht hinreichend substantiiert begründet:

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden11. Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung setzt die freie Entfaltung der Persönlichkeit daher den Schutz des Einzelnen gegen eine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Vor diesem Hintergrund gewährleistet Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG als Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis jedes Einzelnen, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen12. Der Schutz dieses Rechts erstreckt sich auf alle Informationen, die etwas über die Bezugsperson aussagen können, und damit auch auf Basisdaten wie Namen und Anschrift13.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Jenseits des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung14 kann es auf der Grundlage eines Gesetzes beschränkt werden, sofern dies im überwiegenden Allgemeininteresse liegt, sich Vor-aussetzungen und Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar aus dem Gesetz ergeben und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist15.

Die dargelegten Grundsätze gelten auch im Beamtenverhältnis. Dass die Grundrechte dort in gleicher Weise Geltung beanspruchen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt16.

Kern des Vortrags der Polizeihauptkommissarin ist, dass die Regelung hinsichtlich der namentlichen Kennzeichnungspflicht deshalb Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletze, weil damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht Genüge getan werde. Schon diesbezüglich fehlt es an einer substantiierten Darstellung.

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Soweit die Polizeihauptkommissarin rügt, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei schon deshalb verletzt, weil die Regelung in § 9 Abs. 2 in Verbindung mit § 9 Abs. 3 BbgPolG nicht erforderlich sei, um das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen, da mit einer Verpflichtung zum Tragen eines Dienstnummernschildes ein milderes Mittel zur Verfügung stehe, blendet sie an dieser Stelle aus, dass die streitgegenständliche Regelung zwei – gleichrangige – Ziele verfolgt. Neben der von der Polizeihauptkommissarin angesprochenen Erleichterung der straf- und disziplinarischen Aufklärung rechtswidrigen Verhaltens von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten will der Gesetzgeber mit der namentlichen Kennzeichnungspflicht auch die Bürgernähe der Polizei fördern17. Zwar nennt die Polizeihauptkommissarin dieses Gesetzesziel an anderer Stelle in der Verfassungsbeschwerde, setzt sich aber hinsichtlich des vorgetragenen milderen Mittels nicht damit auseinander, dass mit einer bloßen Nummer oder anderweitigen Kennzeichnung dieses weitere Ziel ersichtlich nicht in gleicher Weise wie durch ein Namensschild erreicht werden kann. Darauf hatte auch das Bundesverwaltungsgericht hingewiesen.

Auch mit ihrer Annahme, bei der Gestaltung der Ausnahmeregelung sei unberücksichtigt geblieben, dass das Gefahrenpotential zum Zeitpunkt der Vornahme der Amtshandlung objektiv nicht erkannt werden könne, macht die Polizeihauptkommissarin die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substantiiert deutlich.

Soweit sie darauf abstellt, dass sich die Gefahr erst im Nachhinein (z.B. durch eine Internetrecherche) realisiere, die Ausnahmeregelung in Ziffer 4.3 VV Kennzeichnungspflicht deshalb unzureichend sei, ist ihr zwar zuzugestehen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Namen betroffener Polizeivollzugsbediensteter erst einige Zeit nach der Vornahme der Amtshandlung „gegoogelt“ oder anderweitig recherchiert werden. Ihr Hinweis auf die Möglichkeit, ein viel weitergehendes Persönlichkeitsbild von Polizeibediensteten und/oder dritten Personen durch „Standortdaten, Online-Kennung, besondere Merkmale, die Ausdruck der psychischen, physiologischen, genetischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind“ zu ermitteln, lässt allerdings schon offen, inwieweit die Kenntnis des Nachnamens tatsächlich auch Zugang zu diesen weiteren Daten schaffen soll. Dabei wird zudem nicht ganz deutlich, was die Polizeihauptkommissarin mit den von ihr genannten Begriffen konkret meint. Sie bleibt in der Beschreibung des Risikos, welchem sie sich durch die namentliche Kennzeichnungspflicht ausgesetzt sieht, pauschal.

Es fehlt zudem an jeglicher substantiierter, insbesondere realitätsnaher Darstellung der Folgen eines solchen späteren Datenabrufs. Neben der Tatsache, dass die Polizeihauptkommissarin es in einem gewissen Umfang selbst in der Hand hat, Einfluss auf die Daten zu nehmen, die von ihr im Internet veröffentlicht werden, setzt sie sich in der Verfassungsbeschwerde aber auch nicht mit der Frage auseinander, inwieweit sich hier – nach Vornahme der Amtshandlung – eine Gefahr realisiert, die über die hinausgeht, der sämtliche Beamtinnen und Beamte ausgesetzt sind, die unter Nennung ihres Namens Amtshandlungen vornehmen. In Behörden ist es mittlerweile vielfach üblich, dass die jeweiligen Sachbearbeiterinnen oder Sachbearbeiter ihren Namen im Schriftverkehr oder im sonstigen dienstlichen Kontakt preisgeben. Auch Richterinnen und Richter sind verpflichtet, ihren Namen im Urteil anzugeben (vgl. u.a. § 117 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auf diesen Aspekt geht die Polizeihauptkommissarin zwar in der Revisionsbegründung ein, in der Verfassungsbeschwerde nimmt sie aber auf diese Ausführungen nicht Bezug.

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Soweit das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass eine Zunahme von Angriffen auf Polizeivollzugsbedienstete seit Einführung der Kennzeichnungspflicht nicht festzustellen sei, rügt die Polizeihauptkommissarin dies zwar als unzutreffend, setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass das Bundesverwaltungsgericht über § 137 Abs. 2 VwGO an die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gebunden ist. Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen hätten gegenüber dem Oberverwaltungsgericht beziehungsweise im Rahmen der Revision durch Verfahrensrüge geltend gemacht werden müssen. Dass dies erfolgt wäre, wurde nicht vorgetragen, die Berufungsbegründung oder das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht nicht vorgelegt. In der Revisionsbegründung rügt die Polizeihauptkommissarin lediglich, dass aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts falsche Schlüsse gezogen worden seien. Ungeachtet dessen bleibt der Vortrag der Polizeihauptkommissarin, wonach sich die „in der Gesellschaft nicht zu leugnende zunehmende Gewalt gegen Polizisten“ an der „statistisch steigenden Entwicklung mehrerer Straftatbestände (u.a. Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung)“ zeige, unsubstantiiert. Unzutreffend ist bereits die Annahme der Polizeihauptkommissarin, dass Gewalt gegen Polizeibedienstete als solche nicht statistisch erfasst und gemessen wird18. Mit den veröffentlichten Statistiken setzt sich die Polizeihauptkommissarin in der Verfassungsbeschwerde nicht auseinander. Gleiches gilt für den Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg über die Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit der Kennzeichnungspflicht für Polizeivollzugsbedienstete vom 21.05.2015, nach welchem sich die Einführung der Kennzeichnungspflicht als unproblematisch gestaltete. Darauf geht die Polizeihauptkommissarin nur kurz im Rahmen der Revisionsbegründung ein, ohne in der Verfassungsbeschwerde auf diese Ausführungen Bezug zu nehmen.

Soweit die Polizeihauptkommissarin weiter ausführt, die Regelung in § 9 Abs. 2 in Verbindung mit § 9 Abs. 3 BbgPolG sei auch unverhältnismäßig im engeren Sinne, weil damit unzureichende Vorkehrungen zum Schutz der Polizeivollzugsbediensteten seitens des Dienstherrn getroffen worden seien, macht sie die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung ebenfalls nicht hinreichend substantiiert deutlich.

Letztlich rügt die Polizeihauptkommissarin in diesem Zusammenhang, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Möglichkeit einer Auskunftssperre im Melderegister nach § 51 BMG oder einer Übermittlungssperre nach § 41 StVG nicht ausreichend seien, weil diese Regelungen den Dienstherrn nicht verpflichteten, eine entsprechende Sperre zu beantragen. Dabei setzt die Polizeihauptkommissarin sich schon nicht damit auseinander, dass es auch ihr selbst möglich ist, eine entsprechende Sperre nach § 51 Abs. 1 BMG beziehungsweise § 41 Abs. 2 StVG zu beantragen. Ob sie einen solchen Antrag gestellt hat und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis, trägt sie nicht vor. Hinsichtlich der weiteren Daten im Internet, die in Kenntnis ihres Namens gegebenenfalls abgerufen werden können, setzt sich die Polizeihauptkommissarin ebenfalls nicht damit auseinander, dass sie sich in großem Umfang diesbezüglich auch selbst schützen kann. Neben der Möglichkeit, in den Einstellungen der sozialen Netzwerke den Zugang auf einen ausgewählten privaten Kreis zu beschränken, sehen auch die nationalen und europarechtlichen Datenschutzregelungen die Möglichkeit vor, die Löschung persönlicher Daten zu erreichen. Diese Aspekte werden in der Verfassungsbeschwerde vollständig ausgeblendet. Die Polizeihauptkommissarin trägt auch nicht vor, in diese Richtung irgendwelche Schritte unternommen zu haben.

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Grundsatz der Normklarheit und Bestimmtheit

Auch soweit die Polizeihauptkommissarin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere der Normenklarheit und Bestimmtheit (Art.20 Abs. 1 und Abs. 3 GG) rügt, macht sie die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung nicht hinreichend deutlich.

Sie trägt vor, dass die Regelung unbestimmt sei, weil die Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht weder durch den parlamentarischen Gesetzgeber noch sonst mittels gesetzlicher Regelung, sondern durch eine Verwaltungsvorschrift bestimmt worden seien. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass Ziffer 4.3 VV Kennzeichnungspflicht den Wortlaut von § 9 Abs. 3 BbgPolG wiederhole und die Ausnahmeregelung lediglich erläutere, also keine neuen Ausnahmetatbestände schaffe, kritisiert die Polizeihauptkommissarin mit dem Argument, dass § 9 Abs. 4 BbgPolG damit materiell-rechtlich ins Leere laufe. Dabei setzt sie sich aber schon nicht damit auseinander, dass die Norm unter anderem bezogen auf die Ausgestaltung der Ausnahmen einen Regelungsgehalt aufweist, etwa hinsichtlich der Frage, wer über das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation entscheidet. Auch befasst sich die Polizeihauptkommissarin nicht mit der Frage, ob sich jegliche Konkretisierung der Kennzeichnungspflicht etwa in Bezug auf spezielle Polizeieinheiten (etwa Taucher) auf der Ebene des Gesetzes überhaupt sinnvoll vornehmen ließe. Dasselbe gilt für die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fallkonstellationen, in denen den Interessen des Polizeivollzugsbediensteten der Vorrang einzuräumen sei, könne vom Gesetzgeber eine detailliertere Regelung nicht verlangt werden.

Die Verfassungsbeschwerde ist auch unzulässig, soweit sie sich mittelbar gegen § 9 Abs. 2 bis 4 BbgPolG und die VV Kennzeichnungspflicht wendet, da sie keinen gesonderten Vortrag zur mittelbaren Rechtssatzverfassungsbeschwerde enthält.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. November 2022 – 2 BvR 2202/19

  1. GVBl I Nr. 10[]
  2. ABl Nr. 50 S.1956[]
  3. ABl Nr. 48 S. 1187[]
  4. VG Potsdam, Urteil vom 08.12.2015 – 3 K 3564/13[]
  5. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.09.2018 – 4 B 4.17[]
  6. BVerwG, Urteil vom 26.09.2019 – 2 C 33.18[]
  7. vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>[]
  8. vgl. BVerfGE 78, 320 <329>[]
  9. vgl. BVerfGE 82, 43 <49> 86, 122 <127> 130, 1 <21>[]
  10. vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.10.2020 – 2 BvR 1893/20 1[]
  11. vgl. BVerfGE 35, 202 <220> 65, 1 <41 ff.> 128, 1 <42>[]
  12. vgl. BVerfGE 65, 1 <43> 128, 1 <42> 130, 1 <35> 130, 151 <183> 142, 234 <251 Rn. 30> stRspr[]
  13. vgl. BVerfGE 65, 1 <45> 128, 1 <44 f.> 130, 151 <183 f.>[]
  14. vgl. hierzu BVerfGE 27, 344 <350 f.> 120, 274 <335> 130, 1 <22> 141, 220 <276 Rn. 120, 278 Rn. 124>[]
  15. vgl. BVerfGE 65, 1 <44> 141, 220 <264 f. Rn. 91, 93 f.>[]
  16. vgl. BVerfGE 39, 334 <366 f.> 108, 282 <296>[]
  17. u.a. LTDrucks 5/1442, S. 1[]
  18. vgl. das jährliche Bundeslagebild des Bundeskriminalamts „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte“[]

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