Das richterliche Erledigungspensum – und die Dienstaufsicht

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die den im Rahmen der Dienstaufsicht gegenüber einem Richter ausgesprochenen Vorhalt ordnungswidriger Ausführung seiner Amtsgeschäfte und die Ermahnung zu ihrer ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung betrifft.

Das richterliche Erledigungspensum – und die Dienstaufsicht

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig beurteilt, weil der Richter eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die angegriffenen Entscheidungen nicht substantiiert dargelegt hat. Ob der Vorhalt und die Ermahnung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit inhaltlich in vollem Umfang genügen, musste daher offenbleiben.

Der Beschwerdeführer ist Richter am Oberlandesgericht. Nach entsprechender Ankündigung und vorangegangenem Gespräch erließ die Präsidentin des Oberlandesgerichts im Januar 2012 einen Bescheid, mit dem sie dem Richter im Rahmen der Dienstaufsicht die ordnungswidrige Art der Ausführung seiner Amtsgeschäfte gemäß § 26 Abs. 2 DRiG vorhielt und ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnte. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die richterliche Unabhängigkeit die Festlegung von Arbeitszeiten verbiete, der von einem Richter geschuldete Einsatz aber nach dem durchschnittlichen Erledigungspensum vergleichbarer Richterinnen und Richter zu bemessen sei. Sie benannte die durchschnittlichen Erledigungszahlen des Richters sowie am Oberlandesgericht insgesamt für die Jahre 2008 bis 2011 und führte aus, dass der Richter das Durchschnittspensum seit Jahren „ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender Toleranzbereiche“ unterschreite.2011 habe er weniger Verfahren erledigt als dies der durchschnittlichen Leistung einer Halbtagsrichterin/eines Halbtagsrichters am Oberlandesgericht entspreche; ein unbefriedigendes Arbeitspensum dürfe beanstandet werden. Der vom Richter gegen den Bescheid erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg.

Den Antrag des Richters auf Feststellung der Unzulässigkeit des Bescheids vom 26.01.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2012 wies das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Karlsruhe mit Urteil vom 04.12.2012 zurück1. Die hiergegen eingelegte Berufung blieb vor dem Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Stuttgart erfolglos2. Auf die Revision des Richters hob der Bundesgerichtshof – Dienstgericht des Bundes – mit Urteil vom 07.09.20173 das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Dienstgerichtshof zurück. Zur Begründung führte er aus, dass der Vorhalt und das Anhalten zu einer unverzögerten Erledigung den Richter zwar grundsätzlich nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigten. Die Grenze zu einer solchen Beeinträchtigung werde erst überschritten, wenn eine Erledigung der Eingänge in sachgerechter Weise nicht mehr möglich sei; diese Grenze sei nicht nach den subjektiven Vorstellungen des einzelnen Richters, sondern im Vergleich zu anderen Richtern zu bestimmen. Die Feststellung des Dienstgerichtshofs, dem Richter werde auch nicht indirekt ein Pensum abverlangt, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht nicht mehr bewältigen lasse, sei jedoch nicht rechtsfehlerfrei getroffen worden, da der Dienstgerichtshof den Einwendungen des Richters zur Ermittlung der Durchschnittszahlen hätte nachgehen müssen. Die vom Richter hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an4.

Nach Einholung weiterer Stellungnahmen zu den erhobenen Zahlen wies der Dienstgerichtshof die Berufung im Mai 2019 erneut zurück5. Die richterliche Unabhängigkeit des Richters werde durch den Vorhalt und die Ermahnung nicht beeinträchtigt. Nach eingehender Prüfung der vorgelegten Statistiken und Zählweisen sei das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass die Angaben in den Bescheiden zuträfen. Der Vorhalt verlange bei zutreffender Auslegung keine bestimmte, sondern nur eine insgesamt höhere, sich mehr dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung. Das Bundesverfassungsgericht verkenne nicht, dass aufgrund unterschiedlicher Arbeitsweisen verschiedene Richterkollegen unterschiedliche Erledigungszahlen hätten. Hinzu kämen besondere Konstellationen, in denen für eine gewisse Zeit ein Absinken von Erledigungen auftreten könne. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, von jedem Richter ein Erledigungspensum zu erwarten, welches grundsätzlich im Bereich des Durchschnitts liege. Der Richter könne jedoch nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit für sich in Anspruch nehmen, grundsätzlich über viele Jahre hinweg eine auf Dauer erheblich vom Durchschnitt abweichende Erledigungsleistung zu erbringen. Soweit er moniere, der Präsidentin sei bewusst gewesen, dass er nur seine Arbeitsweise ändern könne, indem er Verfahren weniger sorgfältig bearbeite, könne das Bundesverfassungsgericht dem nicht folgen. Der Vorhalt sei so zu verstehen, dass er selbst seine Arbeitsweise reflektieren könne auf etwaige Vorgehensweisen, die ihn unnötig viel Zeit kosteten, ohne dass sich dies auf die Qualität der Rechtsprechung auswirken könnte.

Weiterlesen:
Die corona-bedingte 2G-Regelung im brandenburgischen Einzelhandel

Die dagegen gerichtete Revision  wies der Bundesgerichtshof – Dienstgericht des Bundes – zurück6. Der Dienstgerichtshof habe den Prüfungsantrag nunmehr ohne Rechtsfehler für unbegründet erachtet. Dem Richter werde mit dem angefochtenen Bescheid nach der Auslegung des Dienstgerichtshofs keine bestimmte, sondern nur eine insgesamt höhere, sich mehr dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung abverlangt. Diese tatrichterliche Würdigung sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Vorhalt beeinträchtige den Richter unter Zugrundelegung der ergänzenden Feststellungen nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Die in dem Vorhalt von Rückständen und der Ermahnung zu unverzögerter Erledigung enthaltene Aufforderung, die Arbeitsweise zu ändern, bedeute nicht, in einem bestimmten Sinn zu entscheiden oder sein Amt in einer bestimmten Richtung auszuüben. Der Dienstgerichtshof habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dem Richter werde nicht indirekt ein Pensum abverlangt, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht ohne Zuhilfenahme pflichtwidriger Praktiken nicht mehr bewältigen lasse. Entgegen der Auffassung der Revision begegne der in der ständigen Rechtsprechung des erkennendas Bundesverfassungsgerichts verwendete Begriff der Sachgerechtigkeit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Sachgerechtigkeit sei nicht das Gegenteil der dem Richter vorgegebenen Gesetzesbindung, sondern impliziere, dass der Richter die ihm übertragenen Aufgaben im Rahmen der jeweils maßgeblichen Verfahrensordnung sowie unter Berücksichtigung des einschlägigen materiellen Rechts wahrnehme und sich seine Überzeugung bilden könne, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Dass die Kolleginnen und Kollegen des Richters am Oberlandesgericht sachgerecht arbeiteten, hebe die Revision selbst hervor. Damit ziehe sie die Überzeugung des Dienstgerichtshofs, dass andere Richter vergleichbarer Positionen das von ihnen tatsächlich erledigte, in dem Vorhalt angegebene Pensum bewältigt haben, ohne auf pflichtwidrige Praktiken zurückzugreifen, nicht in Zweifel. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen habe das Bundesverfassungsgericht geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Für ein willkürliches Verhalten der Präsidentin des Oberlandesgerichts bestehe, anders als die Revision meine und unter anderem mit schriftsätzlichen Äußerungen im Berufungsverfahren zu belegen versuche, kein Anhaltspunkt. Die hierauf erhobene Anhörungsrüge des Richters wies das Dienstgericht des Bundes ebenfalls zurück7.

Der Richter hat daraufhin Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung  richterlichen Unabhängigkeit von Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG lägen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde komme weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch sei sie zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Richters angezeigt, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe8. Sie sei unzulässig, denn sie sei nicht hinreichend substantiiert begründet:

Weiterlesen:
Der dienstunfähige Richter - und die längere Erkrankung

Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren der die behauptete Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorzutragen. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Richter sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen9. Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll; soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, müssen diese herangezogen werden10. Mit dem einfachen Recht hat sich der Richter jedenfalls insoweit auseinanderzusetzen, als dies für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Aspekte des zur Prüfung des Bundesverfassungsgerichts gestellten Falles erforderlich ist.

Gemessen daran hat der Richter die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt.

97 Abs. 1 GG ist kein rügefähiges Grundrecht im Sinne des § 90 BVerfGG11. Das Bundesverfassungsgericht hat aber anerkannt, dass Art. 33 Abs. 5 GG auch die hergebrachte Stellung von Richtern als besondere Gruppe von Angehörigen des öffentlichen Dienstes umfasst und diesen grundrechtsähnliche Individualrechte einräumt, soweit sich für sie vom Gesetzgeber zu beachtende hergebrachte Grundsätze des richterlichen Amtsrechts nachweisen lassen, die gerade die persönliche Rechtsstellung des Richters mitgestalten12. Zu den hergebrachten Grundsätzen des Richteramtsrechts zählt insbesondere auch der Grundsatz der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit13.

Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die damit umschriebene Garantie der sachlichen Unabhängigkeit bedeutet im Wesentlichen, dass die Richter nur an das Gesetz gebunden, also frei von Weisungen sind14. Zum Schutzbereich der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehören in erster Linie die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden Sach- und Verfahrensentscheidungen, einschließlich nicht ausdrücklich vorgeschriebener, dem Interesse der Rechtssuchenden dienender richterlicher Handlungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (sog. Kernbereich)15. Der Exekutive ist jede vermeidbare Einflussnahme auf die richterliche Unabhängigkeit untersagt; dazu zählen auch mittelbare, subtile und psychologische Einflussnahmen16. Wie jede dienstliche Beurteilung, verstanden als Verfahren und als Akt der Bewertung richterlicher Tätigkeit, hat auch die Formulierung von Maßstäben für die (quantitative) Erledigungsleistung die Unabhängigkeit des Richters umfassend zu respektieren. Derartige Maßnahmen der Gerichtsverwaltung beziehungsweise der zuständigen Normgeber verletzen die richterliche Unabhängigkeit dann, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinauslaufen, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. Eine auch nur mittelbare Einflussnahme hat zu unterbleiben, wenn sie den Richter veranlassen könnte, in Zukunft anders zu entscheiden als ohne diese Kritik17.

Nach Art.20 Abs. 3 GG ist die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Der dem Gesetz unterworfene Richter wird durch diese aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Bindung in seiner verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit nicht berührt18, sondern im Gegenteil gestärkt. Sowohl die Rechtsbindung als auch die Unterwerfung unter das Gesetz konkretisieren die den Richtern anvertraute Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt (vgl. Art. 92 GG)19; die in Art. 97 Abs. 1 GG garantierte sachliche Unabhängigkeit der Richter soll sicherstellen, dass die Gerichte ihre Entscheidung allein an Gesetz und Recht ausrichten20.

Unter Berücksichtigung dieser vom Richter im Wesentlichen zutreffend wiedergegebenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe lässt sich dem Beschwerdevorbringen eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.

Der Richter sieht seine sachliche richterliche Unabhängigkeit durch den Vorhalt und die Ermahnung der Präsidentin des Oberlandesgerichts beeinträchtigt, weil er damit zu einer grundlegenden Änderung seiner Rechtsanwendung aufgefordert werde. Dabei wendet er sich insbesondere gegen die ständige Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes, wonach das dienstaufsichtliche Eingreifen wegen vorhandener Rückstände und der mit einem Vorhalt verbundene Erledigungsdruck dann eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit ist, wenn dem Richter damit indirekt ein Pensum abverlangt wird, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht nicht mehr bewältigen lässt21. Der Richter ist der Auffassung, dass die Prüfung einer vermeintlichen „Sachgerechtigkeit“ verfassungsrechtlich nur haltbar wäre, wenn jeder Richter gemäß seiner eigenen Überzeugung entscheiden könnte, was für ihn in der Rechtsanwendung nach Inhalt, Methode und Arbeitsweise „sachgerecht“ sei. Eine „Durchschnittssachgerechtigkeit“ sei von Art. 97 Abs. 1 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt.

Weiterlesen:
Dokumentation notarieller Verwahrungsgeschäfte

Dabei setzt sich der Richter bereits nicht hinreichend mit der dem Vorhalt und der Ermahnung zugrundeliegenden einfachrechtlichen Grundlage auseinander. Nach § 26 Abs. 2 DRiG umfasst die Dienstaufsicht auch die Befugnis, die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäfts vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen, soweit dadurch nicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Daraus haben die Dienstgerichte in den angegriffenen Entscheidungen den Schluss gezogen, dass auch die Arbeitsleistung eines Richters in quantitativer Hinsicht der Dienstaufsicht nicht von vornherein entzogen sei. In der Literatur wird ebenfalls die Auffassung vertreten, dass der Vergleich von Erledigungszahlen zwar mit einer gewissen Zurückhaltung zu beurteilen sei, es angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 26 Abs. 2 DRiG aber keinem Zweifel unterliege, dass etwa ein unbefriedigendes Arbeitspensum eines Richters grundsätzlich beanstandet werden könne22.

Da der Richter die Regelung des § 26 Abs. 2 DRiG verfassungsrechtlich nicht in Zweifel zieht, hätte er sich näher mit ihrem Inhalt auseinandersetzen und darlegen müssen, welcher Anwendungsbereich noch bliebe, wenn, wie er meint, die „Sachgerechtigkeit“ der Erledigung allein durch die subjektive Überzeugung und persönliche Arbeitsweise des einzelnen Richters bestimmt wird. Er führt zwar aus, dass der Vorhalt einer „unzureichenden Arbeitsleistung“ nur insoweit zulässig sei, als damit keine Einflussnahme auf die richterliche Arbeit verbunden sei; dies könnte beispielsweise bei einer unzureichenden Arbeitszeit oder bei der willkürlichen Nichtbeachtung einer gesetzlichen Frist möglich sein. Diese Ausführungen setzen sich jedoch nicht mit dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 DRiG und der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Befugnis der Dienstaufsicht auseinander, nicht nur zu „ordnungsgemäßer“, sondern auch zu „unverzögerter“ Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Der Richter berücksichtigt auch nicht, dass das Abstellen auf ein an Durchschnittswerten orientiertes Verständnis von Sachgerechtigkeit unter Wahrung „großzügiger Toleranzbereiche“ die richterliche Unabhängigkeit möglicherweise eher schützt als einengt. Die Komplexität der damit aufgeworfenen Fragen und der Umstand, dass der Richter seiner Auffassung im Kern eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 26 Abs. 2 DRiG zugrunde legt, hätte ihn dazu veranlassen müssen, die aufgeworfenen Fragen eingehend zu erörtern.

Ungeachtet dessen legt der Richter auch eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die konkrete Anwendung des § 26 Abs. 2 DRiG in Gestalt der angegriffenen Entscheidungen nicht substantiiert dar.

Soweit er geltend macht, er sei von der Präsidentin zur Erzielung bestimmter Durchschnittszahlen aufgefordert worden, zeigt er nicht auf, dass die – anderslautende – Auslegung, die der Bescheid vom 26.01.2012 durch die Entscheidungen der Dienstgerichte erfahren hat, unvertretbar sein könnte. So hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, dass dem Richter mit dem Bescheid der Präsidentin eine quantitativ unbefriedigende Arbeitsleistung vorgehalten und nicht nur ein statistischer Zahlenvergleich vorgenommen werde. Dabei hat er zum einen darauf abgestellt, dass neben der Auflistung der durchschnittlichen Erledigungszahlen in dem Bescheid ausdrücklich von einem unbefriedigenden Arbeitspensum gesprochen werde sowie davon, dass der Richter weniger erledigt habe, als dies der durchschnittlichen Leistung eines Halbtagsrichters oder einer Halbtagsrichterin entspreche. Zum anderen hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, dass der nicht näher ausgeführte Verweis auf die „großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche“ gerade ein Hinweis dafür sei, dass dem Richter keine bestimmte, schon gar nicht eine im Durchschnitt liegende Arbeitsleistung abverlangt werde. Der Vorhalt verlange bei zutreffender Auslegung nur eine insgesamt höhere, sich dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung.

Weiterlesen:
Der Konkurrentenstreit um Vorsitzendenstellen am Bundessozialgericht

Mit dieser vom Dienstgericht des Bundes revisionsrechtlich nicht beanstandeten tatrichterlichen Würdigung setzt sich der Richter nicht auseinander. Er macht geltend, die Dienstgerichte hätten eine Subsumtion des streitgegenständlichen Sachverhalts unterlassen und verweist hierzu insbesondere auf die Berufungserwiderung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe, wonach „durch die gesetzliche Vorgabe der Personalausstattung und das tatsächliche Fallaufkommen […] der verbindliche Maßstab aufgestellt“ werde, „wie viel der einzelne Richter in seiner jeweiligen Funktion insgesamt zu erledigen“ habe. Dem Richter ist zuzugeben, dass diese Äußerung für sich genommen mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit zu beanstanden sein dürfte, da sie möglicherweise als Befürwortung eines „Erledigungspensums nach Kassenlage“ verstanden werden könnte. Jedoch haben die angegriffenen Entscheidungen diesen Ansatz nicht nur nicht aufgenommen oder gar gebilligt, sondern die Maßgeblichkeit einer objektiven Auslegung des vom Richter beanstandeten Vorhalts betont. Das Dienstgericht des Bundes hat hierzu ausgeführt, dass es nicht auf die vom Richter in Anknüpfung an die vorzitierte Passage der Berufungserwiderung behauptete Absicht der Präsidentin ankomme, sondern auf den in Rede stehenden objektiven Gehalt des Vorhalts, der dem Richter weder konkrete Vorgaben zu seiner Arbeitsweise gemacht noch ein bestimmtes Pensum abverlangt habe. Diese Auslegung des Vorhalts und nicht das dem Vorhalt vom Richter und möglicherweise von der Präsidentin des Oberlandesgerichts zugewiesene Verständnis liegt den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Dem tritt die Beschwerdeschrift inhaltlich nicht entgegen.

Auch im Hinblick auf sein Vorbringen, er sei durch den Vorhalt der Präsidentin zu einer grundlegenden Änderung seiner Rechtsanwendung aufgefordert worden, legt der Richter nicht substantiiert dar, dass die hiervon abweichende Würdigung des Vorhalts durch die Dienstgerichte unvertretbar sein könnte. Der Dienstgerichtshof hat ausgeführt, der Vorhalt sei so zu verstehen, dass der Richter selbst seine Arbeitsweise reflektieren könne auf etwaige Vorgehensweisen, die ihn unnötig viel Zeit kosteten, ohne dass sich dies auf die Prüfung der einzelnen Fälle oder allgemein die Qualität der Rechtsprechung auswirken könnte. Dies betreffe nicht die eigentliche Rechtsprechung oder Sorgfalt bei der Bearbeitung der Verfahren, sondern beispielsweise organisatorische Aspekte. Auch das Dienstgericht des Bundes hat festgestellt, dass die in dem Vorhalt enthaltene Aufforderung, die Arbeitsweise zu ändern, gerade nicht bedeute, in einem bestimmten Sinn zu entscheiden oder das Amt in einer bestimmten Richtung auszuüben.

Der Richter trägt zwar vor, die Behauptung, dass die Maßnahme der Präsidentin keinen Einfluss genommen habe, sei eine Leerformel, die den allgemeinen Denkgesetzen und dem Vorbringen der Parteien widerspreche. Dies legt er jedoch ebensowenig nachvollziehbar dar wie seine Auffassung, die angegriffene Maßnahme werde sich auf seine künftige richterliche Arbeit inhaltlich auswirken. Soweit er auf einzelne Umstände hinweist, aus denen sich die von ihm wahrgenommene Absicht der Präsidentin ergebe und die, wie etwa die Besonderheiten in der Wahrnehmung seiner richterlichen Verantwortung, die er in einem Vermerk vom 06.11.2011 niedergelegt habe, seiner Auffassung nach von den Dienstgerichten nicht berücksichtigt worden seien, setzt er sich wiederum nicht mit den Ausführungen in den angegriffenen Entscheidungen auseinander. So hat etwa der Dienstgerichtshof das Vorbringen des Richters, der Präsidentin sei bewusst gewesen, dass er seine Arbeitsweise nur insoweit ändern könne, dass er Verfahren weniger sorgfältig bearbeite oder sich nicht mehr an das Gesetz halten könne, gewürdigt, ist diesem jedoch nicht gefolgt. Im Hinblick auf den Vortrag des Richters, ihm seien im gesamten dienstrechtlichen Verfahren keine konkreten Hinweise zu einer Änderung seiner Arbeitsweise gegeben worden, hat der Dienstgerichtshof zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass in diesem Fall ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit anzunehmen sein könnte, da dem Richter dann möglicherweise tatsächlich eine bestimmte Verfahrensweise für einzelne Verfahren vorgegeben werden solle.

Weiterlesen:
Die Verhinderung des Beisitzers bei der Urteilsunterschrift

Darüber hinaus lässt der Richter unberücksichtigt, dass er zuletzt vor den Dienstgerichten und auch im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wiederholt vorgetragen hat, er ziehe nicht in Zweifel, dass seine Kolleginnen und Kollegen am Oberlandesgericht ihre Entscheidungen sachgerecht und an das Gesetz gebunden träfen. Im Hinblick auf den Umstand, dass sich der vom Richter beanstandete Vorhalt an der Erledigungsleistung dieser Kolleginnen und Kollegen orientiert, gelingt es dem Richter nicht, nachvollziehbar zu begründen, dass er selbst – anders als seine Kolleginnen und Kollegen – dem Vorhalt nur durch eine Änderung der Rechtsanwendung nachkommen könnte, die von ihm nur unter Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit verlangt werden könnte. Soweit der Richter die Auslegung des § 26 Abs. 2 DRiG durch die angegriffenen Entscheidungen als Grundlage für die Erwartung einer befriedigenden quantitativen Arbeitsleistung nicht in Frage stellt23, ist sein Vortrag in sich unauflöslich widersprüchlich, weil er zugleich annimmt, bei einer Orientierung an dieser Auslegung in seiner eigenen Tätigkeit unter Verletzung des Art. 97 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5 GG in die Nähe der strafbaren Rechtsbeugung zu geraten oder die Grenze hierzu gar zu überschreiten.

Demgegenüber vermag auch der Verweis des Richters auf den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.2016 – 2 BvR 661/16 – nicht zu überzeugen. Dort hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Verurteilung eines ehemaligen Richters wegen Rechtsbeugung festgestellt, dass die Verwirklichung dieses Straftatbestandes voraussetzt, dass dem zur Entscheidung berufenen Richter ausreichend Zeit zu einer allein an Recht und Gesetz orientierten Bearbeitung des Falles zur Verfügung steht24. Da der Richter jedoch ausdrücklich nicht in Zweifel zieht, dass seine Kolleginnen und Kollegen am Oberlandesgericht ihre Entscheidungen an das Gesetz gebunden getroffen haben, erschließt sich aus dem Beschwerdevorbringen auch in diesem Zusammenhang nicht, weshalb er durch den Vorhalt gezwungen werden könnte, seine Entscheidungen unter Missachtung der Bindung an Recht und Gesetz zu treffen oder sich gar einer Rechtsbeugung strafbar zu machen.

Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung außerdem ausgeführt hat, dass stets die konkrete, subjektive Belastungssituation des Richters in den Blick zu nehmen sei und eine Orientierung allein an vermeintlich objektiven, durchschnittlichen Bearbeitungszeiten dem nicht genüge25, setzt sich der Richter wiederum nicht damit auseinander, dass ihm nach der Auslegung des Vorhalts in den angegriffenen Entscheidungen nicht nur eine (gelegentliche) Abweichung von Durchschnittswerten, sondern eine über Jahre anhaltende insgesamt unzureichende Arbeitsleistung vorgehalten wird.

Weiterlesen:
Europäischer Gerichtshof vs. nationale Verfassungsgericht - oder: die systemische Gefahr der Straflosigkeit

Der Richter zeigt nach alledem eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend substantiiert auf, so dass seine Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig ist. Ob der Vorhalt und die Ermahnung auch in der Gestalt, die sie durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen gefunden haben, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit inhaltlich in vollem Umfang genügen, muss daher offenbleiben.

Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG hat der Richter ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass die Dienstgerichte entscheidungserhebliches Vorbringen nicht berücksichtigt oder die Beweisanträge des Richters ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt haben könnten.

Schließlich zeigt der Richter eine mögliche Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot nicht mit hinreichender Deutlichkeit auf. Das Beschwerdevorbringen geht insoweit inhaltlich nicht über das Vorbringen zur Beeinträchtigung der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit hinaus. Eine in keiner Weise vertretbare Begründung der angegriffenen Entscheidungen ist damit nicht ansatzweise dargetan.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. November 2021 – 2 BvR 1473/20

  1. LG Karlsruhe, Urteil vom 04.12.2012 – RDG 6/12[]
  2. OLG Stuttgart, Urteil vom 17.04.2015 – DGH 2/18[]
  3. BGH, Urteil vom 07.09.2017 – RiZ (R) 2/15[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 09.03.2018 – 2 BvR 174/18[]
  5. OLG Stuttgart, Urteil vom 21.05.2019 – DGH 1/18[]
  6. BGH, Urteil vom 12.05.2020 – RiZ (R) 3/19[]
  7. BGH, Beschluss vom 07.07.2020 – RiZ (R) 2/15[]
  8. vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>[]
  9. vgl. BVerfGE 82, 43 <49> 86, 122 <127> 88, 40 <45> 105, 252 <264>[]
  10. vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.> 78, 320 <329> 101, 331 <345 f.> 105, 252 <264> 130, 1 <21>[]
  11. vgl. BVerfGE 27, 211 <217> 48, 246 <263>[]
  12. vgl. BVerfGE 12, 81 <87> 15, 298 <302> 26, 141 <154> 56, 146 <162>[]
  13. vgl. BVerfGE 12, 81 <88> 55, 372 <391 f.> BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016 – 2 BvR 661/16, Rn. 14[]
  14. vgl. BVerfGE 14, 56 <69> 26, 186 <198> 27, 312 <319> 148, 69 <89 ff.>[]
  15. stRspr, vgl. etwa BGH, Urteil vom 22.02.2006 – RiZ (R) 3/0520 f. m.w.N.[]
  16. vgl. BVerfGE 26, 79 <93 f.> 55, 372 <389> 148, 69 <90 f. Rn. 57> BVerfG, Beschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2576/11, Rn. 8; Beschluss vom 04.02.2016 – 2 BvR 2223/15, Rn. 76[]
  17. zur dienstlichen Beurteilung vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2016 – 2 BvR 2223/15, Rn. 78; BGH, Urteil vom 31.01.1984 – RiZ (R) 3/83 8; BGH, Urteil vom 04.06.2009 – RiZ (R) 5/08 15 m.w.N.[]
  18. vgl. BVerfGE 18, 52 <59> 19, 17 <31 f.> 111, 307 <325>[]
  19. BVerfGE 111, 307 <325>[]
  20. vgl. BVerfGE 107, 395 <402 f.> BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016 – 2 BvR 661/16 17[]
  21. vgl. BGH, Urteil vom 16.09.1987 – RiZ (R) 5/87 16; Urteil vom 05.10.2005 – RiZ (R) 5/04 21; Urteil vom 03.12.2009 – RiZ (R) 1/09 35; Urteil vom 07.09.2017 – RiZ (R) 2/15 22[]
  22. vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl.2009, § 26 Rn. 24[]
  23. zu seiner abweichenden Auslegung siehe oben[]
  24. vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016 – 2 BvR 661/16, Rn.20[]
  25. vgl. BVerfG, a.a.O.[]