Ein Postbeamter, der ihm dienstlich anvertraute oder zugängliche Postsendungen – im Dienst oder zu Hause – in der Absicht öffnet, den vorgefundenen Inhalt für sich zu behalten, erschüttert regelmäßig das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn so nachhaltig, dass er nicht im Dienst belassen werden kann.

Die Post ist in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten im Umgang mit Beförderungsgut angewiesen, weil eine lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist. Wer sich als Beamter über diese aus leicht erkennbarer Notwendigkeit begründete Pflicht zur Vertrauenswürdigkeit hinwegsetzt, beweist im Kernbereich seiner Pflichten ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit und Vertrauensunwürdigkeit, dass er grundsätzlich mit der einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses rechnen muss [1].
Mit dem Öffnen der Briefe und der Entwendung des darin befindlichen Geldes hat der Beamte zusätzlich das Postgeheimnis verletzt. Die vertrauliche Behandlung der Briefsendungen gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen eines geordneten Postbetriebs. In der schuldhaften Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbedienstete liegt deshalb ein Dienstvergehen, das für sich allein bereits geeignet ist, bei einem Beamten die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Postgeheimnis mit dem Ziel verletzt wird, Zugang zu aneignungsfähigem Inhalt von Postsendungen zu gewinnen [2].
Ferner belasten den Beamten im hier entschiedenen Disziplinarverfahren auch die etwa 1 900 Fälle erheblich, in denen er die Postsendungen zwar nicht beraubt, jedoch von der Zustellung zurückgestellt hat. Wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden hat, gehört die Pflicht zur gewissenhaften Behandlung und Beförderung der der Post anvertrauten Sendungen zu den wesentlichen Pflichten eines Postbeamten. Die Allgemeinheit hat einen Anspruch darauf, dass die Post ihren Aufgaben in diesem sowohl postrechtlich als auch strafrechtlich geschützten Bereich in sorgfältiger und zuverlässiger Weise nachkommt. Die Post muss sich deshalb uneingeschränkt auf die Zuverlässigkeit und Pflichttreue, namentlich auf die gewissenhafte Behandlung und Beförderung der Postsendungen durch ihre Bediensteten verlassen können. Dies ist für jeden Postbeamten leicht einsehbar. Wer sich als beamteter Postbediensteter gleichwohl über diese leicht verständliche Pflicht hinwegsetzt, versagt damit im Kernbereich seiner Tätigkeit.
Bei nicht eigennütziger Postunterdrückung – wie hier im Übrigen – gibt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine festen Regeln für eine in solchen Fällen zu verhängende Disziplinarmaßnahme. Anders als etwa bei der Unterschlagung und bei einem Beförderungsdiebstahl umfasst die Unterdrückung von Postsendungen eine erheblich größere Spannweite denkbarer Verhaltensweisen, die im Einzelnen von sehr unterschiedlichem Gewicht sein können. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb bei nicht eigennütziger Unterdrückung von Postsendungen je nach den Umständen des Einzelfalles auf Gehaltskürzung oder Dienstgradherabsetzung erkannt und nur in besonders schweren Fällen die Entfernung aus dem Dienst ausgesprochen [3].
Hinsichtlich des Hauptvorwurfs – des Zugriffs auf die 15 dienstlich anvertrauten oder zugänglichen Postsendungen und deren Inhalt – ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [4] eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in der Regel nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund die Annahme rechtfertigt, der Beamte habe das in ihn gesetzte Vertrauen seiner Vorgesetzten und der Allgemeinheit aus objektiver Sicht noch nicht endgültig verloren. Das ist hier nicht der Fall.
In Betracht kommt allein der Milderungsgrund des Handelns in einer unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage. Er setzt „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür voraus, dass der Beamte in einer für ihn unverschuldeten und ausweglosen finanziellen Notlage zur Abwendung der für ihn existentiell spürbaren Folgen zeitlich begrenzt ein Zugriffsdelikt begangen hat [5]. Das Bundesverwaltungsgericht lässt offen, ob einzelne dieser Voraussetzungen hier vorliegen. Denn der Beamte kann sich deshalb nicht mit Erfolg auf den Milderungsgrund berufen, weil dieser nicht – zeitlich begrenzt – in einer ausweglosen Konfliktsituation, auf die der Milderungsgrund zugeschnitten ist, gehandelt hat. Die mildere Bewertung des Fehlverhaltens hat ihren Grund darin, dass der betroffene Beamte in einer Konfliktsituation versagt hat, in der er keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf dienstlich anvertrautes Geld oder Gut gesehen hat, um den notwendigen Lebensbedarf für sich und/oder seine Familie zu sichern. Eine solche Konfliktsituation kann aber nur dann als Ursache des Fehlverhaltens anerkannt werden und zu einer Milderung führen, wenn es sich um ein vorübergehendes, zeitlich und zahlenmäßig eng begrenztes Fehlverhalten gehandelt hat; wiederholte Zugriffshandlungen über einen längeren Zeitraum, auch wenn sie auf einen Zustand mit Krankheitswert (z.B. psychische Dauerbelastung, Alkoholabhängigkeit) zurückzuführen sein dürften, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der alkoholkranke Beamte hat sich von Dezember 1998 bis Herbst 1999 in 15 Fällen und in den vorangegangenen sechs Jahren in einer unbestimmten Zahl von Fällen in unzulässiger Weise immer wieder – in Serie – durch Beraubung dienstlich anvertrauter Postsendungen fremdes Geld verschafft, um damit vorwiegend seine Alkoholsucht zu befriedigen. Bei dieser Sachlage ist Ursache seines Fehlverhaltens nicht mehr eine aus existentieller Not geborene, vorübergehende Konfliktsituation, welche der Beamte kurzschlussartig versucht hat, mit dem falschen Mittel zu beheben. Vielmehr hat dieser über einen langen Zeitraum gezielt die Inanspruchnahme fremden Vermögens eingesetzt, um damit über weitere „Einkünfte“ neben seinem sonstigen Einkommen, das zur Befriedigung seiner finanziellen Bedürfnisse offensichtlich nicht ausgereicht hat, verfügen zu können. Ein solches Fehlverhalten schließt – auch bei einem Alkoholabhängigen – die Anwendung des Milderungsgrundes aus [6].
Der Beamte kann sich auch nicht mit Erfolg auf andere mildernde Umstände berufen.
Dies gilt zunächst für seine Alkoholabhängigkeit als solche. Soweit der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen die Alkoholerkrankung eines Beamten bei einem Zugriffsdelikt unter bestimmten engen – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen als eigenständigen Milderungsgrund anerkennt [7], folgt das Bundesverwaltungsgericht dem schon grundsätzlich nicht. Bei Zugriffsdelikten können Erkrankungen des Beamten – für sich genommen – nur dann zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, wenn diese – was vorliegend nicht gegeben ist – Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB herbeigeführt haben. Ist das nicht der Fall, kann von der Höchstmaßnahme nur bei Vorliegen der Voraussetzungen anerkannter Milderungsgründe abgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keinen Grund, einen alkoholkranken Beamten gegenüber Beamten, die an einer anderen Krankheit leiden, zu privilegieren und die Alkoholkrankheit außerhalb der Anwendungsbereiche des § 20 StGB und der anerkannten Milderungsgründe selbständig mildernd zu berücksichtigen [8].
Ob der Beamte die Pflichtverletzungen ggf. im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen hat – der Sachverständige im Strafverfahren hatte dies verneint, kann offen bleiben. Denn auch wenn die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen hätten, würde dies an der Verhängung der Höchstmaßnahme nichts ändern. Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung [4] davon aus, dass auch eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei einem aktiven Beamten die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses jedenfalls dann nicht rechtfertigen kann, wenn es sich um die eigennützige Verletzung leicht einsehbarer Kernpflichten handelt. In einem solchen Fall muss im Hinblick auf die als selbstverständlich geforderte und ständig eingeübte korrekte Verhaltensweise von dem Beamten erwartet werden, dass dieser auch bei erheblich verminderter Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit noch genügend Widerstandskraft gegen strafbares Verhalten im Dienst aufbietet. Um die Verletzung einer solchen Kernpflicht handelt es sich, wenn – wie hier – ein Postbeamter unbefugt Briefe öffnet, um daraus etwas zu entwenden [9].
Auch kann nicht unter dem Gesichtspunkt des „Mitverschuldens“ oder der Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn mildernd berücksichtigt werden, dass der Beamte von seinen Vorgesetzten keinerlei Hilfe zur Bekämpfung seiner Alkoholerkrankung erhalten habe, obwohl seine Abhängigkeit vom Alkohol und deshalb seine mangelnde Eignung zur ordnungsgemäßen Dienstverrichtung bekannt gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht, der bei Zugriffsdelikten – wie hier – solche mildernden Umstände bisher nicht anerkannt hat, hat zwar offen gelassen, ob in besonders krassen Ausnahmefällen eine Verletzung der Fürsorgepflicht zu einem Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme führen kann [10]. Dieser Frage braucht jedoch auch hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Falles sind nicht ersichtlich. Die – aus der Sicht des Beamten – aufgetretenen „Versuchungssituationen, auf den Inhalt der Postsendungen zugreifen zu können“, waren nicht durch Dienstvorgesetzte vorwerfbar geschaffen worden; sie waren allein durch die Dienstausübung des nicht erkennbar alkoholbedingt dienstunfähigen Beamten entstanden. Der damals auch nicht schuldunfähige Beamte blieb deshalb für sein dienstliches Fehlverhalten ungeteilt verantwortlich.
Soweit sich der Beamte zu seiner Entlastung darauf beruft, er habe seine Alkoholsucht inzwischen in den Griff bekommen und sei „trocken“, ist dies zwar anerkennenswert, kann jedoch ebenfalls nicht zu einer Milderung der Maßnahme führen. Der Milderungsgrund der Überwindung einer negativen Lebensphase vermag den eingetretenen Verlust der Vertrauenswürdigkeit nicht rückgängig zu machen; er findet deshalb bei Zugriffsdelikten – wie im vorliegenden Fall – keine Anwendung [11].
Es entspricht schließlich ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei Kernpflichtverletzungen der hier in Rede stehenden Art weder die bisherige Unbescholtenheit des Beamten noch sein sehr kooperatives Verhalten nach der Tat ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen können [12].
- stRspr, z.B. BVerwG, Urteil vom 14.11.2001 – 1 D 9.01 – m.w.N.[↩]
- stRspr, z.B. BVerwG, Urteil vom 14.11.2001, a.a.O., m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 08.05.2001 – 1 D 20.00, BVerwGE 114, 212 = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 29 = NJW 2001, 3565, m.w.N.[↩]
- z.B. BVerwG, Urteil vom 14.11.2001, a.a.O.[↩][↩]
- vgl. dazu z.B. BVerwG, Urteil vom 30.09.1992 – 1 D 32.91, BVerwGE 93, 294; Urteil vom 25.09.2001 – 1 D 62.00, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. dazu Urteil vom 25.09.2001, a.a.O. m.w.N.[↩]
- BverwG, Urteil vom 20.06.2001 – OVG 6d A 2424/99.O[↩]
- vgl. zuletzt Urteil vom 19.02.2002 – 1 D 10.01, Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 27, m.w.N.[↩]
- BverwG, Urteil vom 14.11.2001, a.a.O. m.w.N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 12.06.2001 – 1 D 31.00 – m.w.N.[↩]
- stRspr, z.B. BVerwG, Urteil vom 23.05.2001 – 1 D 12.00 – m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 09.04.2002 – 1 D 14.01; Urteil vom 23.05.2001, a.a.O.[↩]