Enthält ein Strafurteil zur Frage der Schuldfähigkeit des Täters keine Ausführungen, so ist wegen des für das Strafgericht vorgegebenen Prüfprogramms davon auszugehen, dass es das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB verneint hat. Die Bindung an diese Feststellung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG steht auch der Prüfung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB durch das Disziplinargericht entgegen, weil § 21 StGB ein Eingangsmerkmal i. S. v. § 20 StGB voraussetzt.

Dies entschied aktuell das Bundesverwaltungsgericht auf eine Disziplinarklage gegen eine beim Bundesnachrichtendienst beschäftigte Beamtin. Wegen verschiedener Vorwürfe hat der BND mit dem Ziel Disziplinarklage erhoben, dass die Beamtin durch den Ausspruch des Gerichts aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird. Das Bundesverwaltungsgericht als erstinstanzlich zuständiges Gericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO) hat die überwiegende Zahl der Vorwürfe aus dem gerichtlichen Disziplinarverfahren ausgeschieden, weil diese der Beamtin vorgeworfenen Handlungen für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen (§ 56 Satz 1 BDG). Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist damit nur noch der Umstand, dass die beklagte Beamtin wegen Betruges in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden ist. Die Strafgerichte sind dabei vom Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB ausgegangen (besonders schwerer Fall des Betruges). Das Bundesverwaltungsgericht erkannte auf Entfernung der Beamtin aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 10 BDG):
Dem behördlichen Disziplinarverfahren sowie der Disziplinarklageschrift des BND haften keine wesentlichen Mängel an.
Die Beamtin ist ordnungsgemäß über die Einleitung des Disziplinarverfahrens belehrt und ihr ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden (§ 20 Abs. 1 BDG). Das Disziplinarverfahren ist im Hinblick auf das Strafverfahren ausgesetzt und nach dessen rechtskräftigem Abschluss fortgesetzt worden (§ 22 Abs. 1 und 2 BDG). Entsprechend § 30 BDG hatte die Beamtin auch Gelegenheit, sich zum Ergebnis der Ermittlungen abschließend zu äußern; die Gleichstellungsbeauftragte wurde beteiligt und erhob gegen die geplante Disziplinarmaßnahme keine Einwände.
Verfahrensfehlerhaft ist lediglich die Ausdehnungsentscheidung des BND vom 31.10.2019. Denn diese betrifft das am 19.08.2019 ergangene „Strafurteil des Amtsgerichts … und dessen Feststellungen tatsächlicher Art“. Dieser Lebenssachverhalt war aber bereits durch die Ausdehnungsentscheidung des BND vom 05.09.2019 Gegenstand des behördlichen Disziplinarverfahrens. Inhalt einer Ausdehnungsentscheidung können nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BDG lediglich neue Handlungen sein, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Es muss sich um einen neuen Lebenssachverhalt handeln; es reicht nicht aus, dass ein Lebenssachverhalt von verschiedenen staatlichen Stellen ausgehend von ihrer Zuständigkeit – hier Staatsanwaltschaft und Amtsgericht durch Anklageschrift und Strafurteil – unterschiedlich rechtlich bewertet worden ist. Dieser Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist jedoch nicht wesentlich (§ 55 BDG). Denn es kann ausgeschlossen werden, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens auswirken könnte1.
Die vom Präsidenten des BND unterzeichnete Klageschrift entspricht den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Präsident des BND ist für die Erhebung der Disziplinarklage gegen die Beamtin zuständig (§ 34 Abs. 2 Satz 2 BDG i. V. m. Nr. 3 der Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des BND vom 28.01.20022).
Unerheblich ist auch, dass die Klageschrift des BND das Datum 1.10.2021 trägt, der Personalrat des BND der Disziplinarklage aber erst am 14.10.2021 zugestimmt hat. Am 1.10.2021 hatte der Präsident des BND die Vorlage des Disziplinarbereichs zur Klageerhebung gebilligt. Erst danach stellte die Beamtin den hierfür erforderlichen Antrag auf Mitwirkung des Personalrats. Aufgrund der nachträglichen Zustimmung des Personalrats bestand kein Anlass zu einer erneuten förmlichen Entscheidung des Präsidenten des BND vor Erhebung der Disziplinarklage.
Das Bundesverwaltungsgericht sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Im Zeitraum von Ende Mai bis 4.07.2017 bestellte die Beamtin online in 17 Fällen verschiedene Waren – Kleidung, Hundefutter und Gegenstände zur Pflege und Haltung von Hunden – bei einem Internet-Händler. Im Vertrauen auf die spätere Bezahlung der bestellten Waren lieferte der Händler die Waren an die Anschrift der Beamtin in B. Dort nahmen die Beamtin oder auch Nachbarn der Beamtin die Waren entgegen, die sie später der Beamtin übergaben. Wie von vornherein beabsichtigt, bezahlte die Beamtin die Ware nicht und verwendete sie für eigene Zwecke, obwohl sie wusste, dass sie wegen fehlender Bezahlung keinen Anspruch darauf hatte. Die Beamtin wollte sich durch die Begehung der Taten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle erheblichen Umfangs verschaffen. Der Gesamtwert der von der Beamtin bestellten, aber nicht bezahlten Waren belief sich auf 4 873, 93 €.
Diese Feststellungen ergeben sich gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG aus den tatsächlichen Feststellungen des insoweit rechtskräftig gewordenen Urteils des Amtsgerichts … vom 19.08.2019. Ihre Berufung gegen dieses Urteil hat die Beamtin auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Die entscheidungserheblichen tatsächlichen Feststellungen des sachgleichen Strafurteils sind vom Disziplinargericht nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG seiner Entscheidung grundsätzlich zugrunde zu legen; dies gilt auch für die Feststellungen zum Ursachenzusammenhang, zur Schuldfähigkeit, zur Schuldform sowie zu den Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen. Insoweit ist dem Disziplinargericht wegen der gesetzlichen Vorgabe eine eigene Beweisaufnahme verwehrt. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil i. S. v. § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG offenkundig unrichtig sind, sind nicht ersichtlich.
Durch ihr Verhalten hat die Beamtin rechtswidrig und schuldhaft die ihr nach § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG obliegende Pflicht verletzt, wonach das Verhalten einer Beamtin innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf erfordert. Denn begeht eine Beamtin in kurzer Zeit eine große Zahl von Straftaten, so beeinträchtigt dies das Vertrauen der Allgemeinheit in eine an Recht und Gesetz gebundene öffentliche Verwaltung.
Die außerdienstliche Dienstpflichtverletzung stellt nach Maßgabe des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG ein Dienstvergehen dar.
Die Dienstpflichtverletzung hat die Beamtin außerdienstlich begangen. Denn ihre Handlung war weder formell in ihr Amt noch materiell in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden3.
Die außerdienstliche Dienstpflichtverletzung ist nach Maßgabe des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarwürdig. Die Pflichtverletzung ist nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt der Beamtin und das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Auch wenn die Voraussetzungen für die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlichen Fehlverhaltens eines Beamten erheblich erhöht worden sind, darf der Beamte durch dieses Verhalten das Vertrauen der Bürger nicht beeinträchtigen, er werde als Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates eine unabhängige, unparteiliche und gesetzestreue Verwaltung sicherstellen4. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die zukünftige pflichtgemäße Amtsführung durch die Beamtin ist durch die Dienstpflichtverletzung ganz erheblich erschüttert. Ungeachtet des Umstands, dass Strafverfahren und Disziplinarverfahren unterschiedliche Zwecke verfolgen5, folgt die Disziplinarwürdigkeit des Verhaltens der Beamtin aus dem Umstand, dass sie wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die nur wenig hinter dem Strafmaß zurückbleibt, das nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG ohne weitere Prüfung die Annahme der Untragbarkeit des Betroffenen für den öffentlichen Dienst begründet.
Die dem Bundesverwaltungsgericht nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG obliegende Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme führt zur Entfernung der Beamtin aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG). Die Würdigung der Gesamtheit der be- und entlastenden Umstände ergibt, dass die Beamtin durch ihr schweres Dienstvergehen das Vertrauen der Allgemeinheit und ihrer Dienstherrin endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungskriterien müssen mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Schwere des Dienstvergehens maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 1 Satz 3 und 4 BDG im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist. Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere Maßnahme zu rechtfertigen. Umgekehrt können Gesichtspunkte des Persönlichkeitsbilds oder eine besondere Vertrauensbeeinträchtigung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen, obwohl diese Maßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist. Das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Maßstab ist hierbei, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der be- und entlastenden Umstände bekannt würde. Die Prüfung, ob der betreffende Beamte im Beamtenverhältnis verbleiben darf, hat sich auf sein Amt als Ganzes und nicht nur auf einen begrenzten Tätigkeitsbereich (Amt im funktionellen Sinne) zu beziehen6
Zur Bestimmung des Ausmaßes des durch die außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufenen Vertrauensschadens kann auf den zum Tatzeitpunkt geltenden Strafrahmen zurückgegriffen werden, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat. Die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlusts am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von außerdienstlich begangenen Straftaten. Mit der Anknüpfung an die (im Tatzeitpunkt geltende) Strafandrohung wird zugleich verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts, sondern die Einschätzung des Parlaments bestimmt, welche Straftaten als besonders verwerflich anzusehen sind7.
Der hier anzuwendende Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe eröffnet den Orientierungsrahmen bis hin zur Höchstmaßnahme.
Von der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind zwar die Feststellungen zum äußeren Tathergang, nicht aber die Erwägungen des Strafgerichts zur Strafzumessung erfasst. Bindende Wirkung haben danach lediglich die tatsächlichen Feststellungen der Strafurteile im Hinblick auf die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Regelbeispiels „gewerbsmäßig“ i. S. v. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG maßgeblich ist somit die Feststellung, dass sich die Beamtin durch die Taten im Zeitraum von Ende Mai bis 4.07.2017 eine Einnahmequelle von einiger Zeit und einiger Dauer verschaffen wollte, um eigene Aufwendungen zu ersparen.
Danach ist für das Disziplinarverfahren von einem „gewerbsmäßigen Handeln“ der Beamtin auszugehen. Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; nicht erforderlich ist, dass er vorhat, aus seinem Tun ein „kriminelles Gewerbe“ zu machen8. Es reicht dabei aus, dass das durch die Straftat Erlangte für die eigene Verwendung vorgesehen ist, indem es zur Deckung eigener Bedürfnisse eingesetzt wird und eigene Aufwendungen erspart9.
Ist ein Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt, so ist das Vorliegen eines besonders schweren Falls des Betrugs indiziert. Zwar kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere mildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint10. Solche Umstände sind jedoch nach den tatsächlichen Feststellungen der Strafgerichte nicht erkennbar. Auch liegt der Betrugsschaden bei den einzelnen Taten jeweils deutlich oberhalb der Bagatellgrenze und der Gesamtschaden ist angesichts der Vielzahl der Betrugsfälle in kurzer Zeit als hoch anzusehen.
Aufgrund der Bindungswirkung des § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG an die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils ist für das gerichtliche Disziplinarverfahren die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Beamtin nach § 21 StGB ausgeschlossen.
§ 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichnenden Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert ist. Zwar ist die Annahme der erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Beamtin zum Tatzeitpunkt für das gerichtliche Disziplinarverfahren von Bedeutung (aa). § 21 StGB setzt aber tatbestandlich voraus, dass eine der in § 20 StGB aufgeführten seelischen Störungen gegeben ist. Das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB haben die Strafgerichte hier mit bindender Wirkung für das Disziplinargericht nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG verneint. Dies gilt wegen des Aufbaus des § 21 StGB auch für diesen Milderungsgrund (bb). Eine Lösung von dieser bindenden Wirkung der Strafurteile kommt nicht in Betracht (cc).
Liegt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne des § 21 StGB tatsächlich vor, so ist dieser Umstand vom Disziplinargericht bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen11. Wegen des auch im Disziplinarverfahren geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Schuldgrundsatzes kann die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden, wenn eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vorliegt12.
§ 21 StGB ist zweistufig aufgebaut. Seine Anwendung kommt nur in Betracht, wenn eine der in § 20 StGB aufgeführten seelischen Störungen vorliegt13. Erst wenn das Eingangsmerkmal und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen14.
Den Strafurteilen ist zu entnehmen, dass bei der Beamtin im Tatzeitraum keines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB vorlag. Zwar befassen sich die Strafurteile nicht ausdrücklich mit der Frage der Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Beamtin im Tatzeitraum. Aufgrund des für ein Strafurteil maßgeblichen Prüfprogramms ist aber davon auszugehen, dass die Strafgerichte die Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bedacht und verneint haben. Denn die Strafgerichte dürfen die Frage, ob eines der Merkmale des § 20 StGB erfüllt ist und deshalb die Anwendung von §§ 20 oder 21 StGB in Betracht kommt, nicht offenlassen, sofern entsprechende Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Fehlt ein Anhalt für das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB, so bedarf es im Strafurteil keiner näheren Prüfung und Begründung15. Werden jedoch tatsächliche Gründe behauptet (§ 267 Abs. 2 StPO) oder liegen Umstände vor, die den Ausschluss oder die (erhebliche) Verminderung der Schuldfähigkeit i. S. v. §§ 20 und 21 StGB auch nur möglich erscheinen lassen, so bedarf es – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen – von Amts wegen ihrer Prüfung, Erörterung und Darlegung im Urteil16.
Bei einem diesbezüglichen Schweigen des Strafurteils ist dementsprechend davon auszugehen, dass das Strafgericht keines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als erfüllt angesehen hat.
An diese Erwägungen knüpft die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Bindungswirkung auch von stillschweigenden Feststellungen der Strafgerichte an. Dies gilt insbesondere für die Frage der Schuldfähigkeit eines Beamten bei der Begehung einer Straftat. Bei einer Verurteilung geht die disziplinargerichtliche Rechtsprechung vom Ausschluss der Schuldunfähigkeit i. S. v. § 20 StGB aus, weil andernfalls eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht zulässig gewesen wäre17.
Die Bindungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 BBG gelten sowohl für die Frage der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB als auch wegen des dargelegten zweistufigen Aufbaus des § 21 StGB für die Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit. Anhaltspunkte für eine offenkundige Unrichtigkeit dieser Feststellungen, sodass die erneute Prüfung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG zu beschließen wäre, sind nicht ersichtlich. Wegen dieser Bindungswirkung ist dem Disziplinargericht eine eigene Beweisaufnahme mittels der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Anhörung eines sachverständigen Zeugen nicht gestattet18.
Erführe die Allgemeinheit vom außerdienstlichen Dienstvergehen der Beamtin, würde sie der Beamtin kein Vertrauen im Hinblick auf die zukünftige pflichtgemäße Amtsausübung mehr entgegenbringen. Von einer Beamtin, die sich des mehrfachen Betrugs in einem besonders schweren Fall dadurch schuldig gemacht hat, dass sie sich durch ihr vorsätzliches Handeln zu Lasten eines gutgläubigen Lieferanten eine Einnahmequelle von einiger Zeit und einiger Dauer verschaffen wollte, und dadurch einen Gesamtschaden von ca. 4 800 € verursacht hat, wird die Allgemeinheit keine pflichtgemäße Amtsausübung mehr erwarten.
Der Milderungsgrund der unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage kommt hier nicht in Betracht. Dieser „anerkannte“ Milderungsgrund setzt voraus, dass der Beamte Gelder oder Güter zur Minderung oder Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage verwendet hat19. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Milderungsgrund scheitert schon daran, dass es an einem zeitlich begrenzten Fehlverhalten mangelt20. Die Beamtin hat über einen Zeitraum von sechs Wochen in Kenntnis ihrer außerordentlich angespannten finanziellen Lage, die die Begleichung der Rechnungen ausschloss, in 17 Fällen verschiedene Waren bestellt. Diese waren zur Lebensführung, wie die Bekleidungsgegenstände und die Gegenstände zur Pflege und Haltung von Hunden, nicht unbedingt erforderlich. Die Beamtin kann auch nicht darauf verweisen, es sei ihr um das Überleben der beiden von ihr betreuten Hunde gegangen, die für sie einen besonderen Wert darstellten. Denn wie die Beamtin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, sind in der Gesamtsumme von ca. 4 800 € auch Kleidungsstücke für eine weitere Person enthalten. Auch hat die Beamtin Gegenstände zur Pflege und Haltung von Hunden beschafft, die für deren Unterhalt nicht unbedingt erforderlich waren.
Bei der Beamtin sind auch keine gesundheitlichen Einschränkungen ersichtlich, die unterhalb der Schwelle des § 21 StGB liegen, die aber dennoch für die Bemessungsentscheidung nach § 13 BDG relevant sind.
Eine den Anforderungen des § 13 BDG gerecht werdende Bemessungsentscheidung setzt voraus, dass sämtliche be- und entlastenden Umstände mit dem ihnen jeweils zukommenden Gewicht in die Gesamtwürdigung eingestellt werden. Dazu zählen auch gesundheitliche Beeinträchtigungen des Beamten im Tatzeitraum, die zwar nicht die hohen Anforderungen eines Eingangsmerkmals i. S. v. § 20 StGB erfüllen, die aber dennoch für die Kriterien des § 13 BDG relevant sind. Denn unter der Geltung der Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ist es nicht möglich, die in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten und „anerkannten“ Milderungsgründe als abschließenden Kanon der allein beachtlichen Entlastungsgründe anzusehen21.
Dem Bericht über die Untersuchung der Beamtin durch den Facharzt für Psychiatrie K. vom 30.04.2018, der im Hinblick auf die Frage der Dienstunfähigkeit der Beamtin erstellt worden ist, sind aber keine Anhaltspunkte für eine bemessungsrelevante Beeinträchtigung der Gesundheit der Beamtin im Tatzeitraum zu entnehmen. Zwar spricht der Gutachter vom Vorliegen einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Symptomatik (ICD-10: F 43.2), die sich in Existenzängsten, Grübeln, Schlaflosigkeit und subdepressiven Verstimmungen äußere. Allerdings wird eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert ausdrücklich ausgeschlossen. Der Bericht macht auch deutlich, dass die festgestellten Beeinträchtigungen ausschließlich im Hinblick auf das Verhältnis zur bisherigen Beschäftigungsbehörde, dem BND, bestehen. Denn der Gutachter führt aus, dass die Beamtin von dem Kontakt zur bisherigen Beschäftigungsbehörde abgesehen, bemerkenswert wenig eingeschränkt sei. Die Beamtin engagiere sich in ihrer Freizeit in der Ausbildung von Rettungshunden und arbeite ehrenamtlich als Rettungssanitäterin, wobei sie auch Krankenwagen mit Wege- und Sonderrechten führe.
Sonstige Milderungsgründe, die zu einer Herabsetzung der an sich gebotenen Disziplinarmaßnahme führen könnten, sind nicht ersichtlich.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. April 2023 – 2 A 18.21
- BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 – 2 C 15.09, BVerwGE 137, 192 Rn.19[↩]
- BGBl. I S. 560[↩]
- vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 20.02.2001 – 1 D 55.99, BVerwGE 114, 37 <48> vom 19.08.2010 – 2 C 5.10, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 9; und vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228 Rn. 10[↩]
- BVerwG, Urteile vom 30.08.2000 – 1 D 37.99, BVerwGE 112, 19 <26> und vom 18.06.2015 – 2 C 9.14, BVerwGE 152, 228 Rn. 11[↩]
- BVerwG, Urteile vom 24.10.2019 – 2 C 3.18, BVerwGE 166, 389 Rn. 34; und vom 16.06.2020 – 2 C 12.19, BVerwGE 168, 254 Rn. 40[↩]
- BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11, BVerwGE 147, 229 Rn. 13 ff.[↩]
- BVerwG, Urteile vom 19.08.2010 – 2 C 5.10, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 22 f.; und vom 24.10.2019 – 2 C 3.18, BVerwGE 166, 389 Rn. 28[↩]
- BGH, Urteil vom 11.10.1994 – 1 StR 522/94 – NStZ 1995, 85 <85> m. w. N.[↩]
- Holtz, Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, MDR 1976, 632 <633> BGH, Urteil vom 11.09.2003 – 4 StR 193/03 – NStZ 2004, 265 Rn. 7; Fischer, StGB, 70. Aufl.2023, Vor § 52 Rn. 62 m. w. N.[↩]
- BGH, Urteil vom 11.09.2003 – 4 StR 193/03 – NStZ 2004, 265 Rn. 1 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 – 2 C 59.07 32[↩]
- BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 – 2 C 83.08, BVerwGE 136, 173 Rn. 34[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 26.09.2014 – 2 B 14.14, Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 21; vom 23.05.2017 – 2 B 51.16, Buchholz 235.1 § 64 BDG Nr. 3 Rn. 15; und vom 17.10.2019 – 2 B 79.18, NVwZ-RR 2020, 749 Rn. 10[↩]
- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 04.07.2013 – 2 B 76.12, Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 80 Rn.20; vom 28.02.2017 – 2 B 85.16, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 49 Rn. 7; und vom 29.08.2017 – 2 B 76.16, Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 9 Rn. 15[↩]
- BGH, Beschluss vom 27.10.2015 – 3 StR 363/15 – StV 2017, 520 Rn. 5; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl.2023, § 20 Rn.19[↩]
- BGH, Beschluss vom 22.06.2011 – 5 StR 226/11 – StV 2011, 647 <647 f.> Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl.2019, § 20 Rn. 45 m. w. N.[↩]
- BVerwG, Urteile vom 29.11.1989 – 1 D 71.88 – NJW 1990, 2834; vom 16.03.1993 – 1 D 69.91 – NJW 1993, 2632; und vom 11.12.1996 – 1 D 56.95, BVerwGE 113, 44 und Beschluss vom 29.06.2005 – 2 B 112.04 3[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 24.07.2019 – 2 B 22.19 9[↩]
- BVerwG, Urteile vom 25.08.2009 – 1 D 1.08 74 m. w. N.; und vom 19.12.2015 – 2 C 6.14, BVerwGE 154, 10 Rn. 34[↩]
- vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23.10.2002 – 1 D 5.02 [↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 – 2 C 12.04, BVerwGE 124, 252 <262> und vom 03.05.2007 – 2 C 9.06, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn.20 ff.[↩]
Bildnachweis:
- Bundesverwaltungsgericht hdr: Robert Windisch