Die versäumte Beschwerdefrist

Die Versäumung der Beschwerdefrist durch den Soldaten wird nicht dadurch geheilt, dass die für die Beschwerdeentscheidung zuständige Stelle die Beschwerde aus anderen Gründen als der Fristversäumnis – ohne Sachprüfung – als unzulässig zurückweist. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist in diesem Fall unzulässig.

Die versäumte Beschwerdefrist

Nach § 6 Abs. 1 WBO darf die Beschwerde frühestens nach Ablauf einer Nacht und muss innerhalb eines Monats eingelegt werden, nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschwerdeanlass Kenntnis erhalten hat. Kenntnis vom Beschwerdeanlass hat ein Soldat, wenn ihm die Umstände bekannt sind, aus denen sich die von ihm empfundene Beeinträchtigung ergibt1. Anders als § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO, der den Beginn der gerichtlichen Antragsfrist an die Zustellung des zurückweisenden Beschwerdebescheids knüpft, setzt § 6 Abs. 1 WBO für den Beginn der Beschwerdefrist nur die tatsächliche, positive Kenntnis vom Beschwerdeanlass voraus. Etwas anderes gilt (nur) dann, wenn für eine truppendienstliche Maßnahme eine bestimmte Art der Bekanntgabe durch eine spezielle gesetzliche Regelung oder durch eine Verwaltungsvorschrift vorgeschrieben ist oder in ständiger Verwaltungspraxis durchgeführt wird; dann beginnt die Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs erst mit dieser förmlichen Bekanntgabe zu laufen2.

Eine solche besondere Form der Bekanntgabe ist für die Mitteilung, dass die Auswahlkonferenz einen Offizier nicht zum Bataillonskommandeur ausgewählt hat, weder durch eine normative Regelung noch durch Verwaltungsvorschrift vorgeschrieben. Es kann dahingestellt bleiben, ob das „Anschreiben gemäß Anlage 2.4“, mit dem die ausgewählten Kommandeure zu informieren sind (Nr. 4.2 sowie Nr. 2.d der Anlage 2 zum „Befehl für die Perspektivkonferenz I 2012“), überhaupt als Anordnung einer bestimmten Art der Bekanntgabe und nicht bloß als Schreibhilfe (Standardschreiben) zu verstehen ist; sie gilt jedenfalls nur für die Bekanntgabe positiver Auswahlentscheidungen. Erst recht fehlt es an der Anordnung einer Bekanntgabe durch einen „qualifizierten Bescheid“, der im Sinne des Antragstellers neben dem Tenor der Auswahlentscheidung auch eine Begründung enthalten könnte, die eine im Wesentlichen vollständige Überprüfung der Konferenzentscheidung ermöglicht und die Einsichtnahme in die Auswahlunterlagen erübrigt.

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Für den Beginn der Beschwerdefrist maßgeblich und ausreichend ist daher die tatsächliche, positive Kenntnis vom Beschwerdeanlass. Diese hat der Antragsteller im hier entschiedenen Fall in dem Personalgespräch am 10.05.2012 erlangt, weil ihm dort nach dem Vermerk über das Personalgespräch – und insoweit von ihm auch nicht bestritten – unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass er nicht zum Bataillonskommandeur ausgewählt worden ist. Die Mitteilung erfolgte unter Umständen (Personalgespräch) und durch eine Person (aktuell zuständiger Personalführer), die für den Antragsteller keinen Zweifel zuließen, dass es sich hierbei um eine sachlich richtige und eine nicht erst noch bestätigungsbedürftige Information handelte.

Die verspätete Einlegung der Beschwerde betrifft eine vom Gericht von Amts wegen zu beachtende Zulässigkeitsvoraussetzung und steht einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache entgegen.

Das (vorgerichtliche) Beschwerdeverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung erfüllt für das wehrdienstgerichtliche Antragsverfahren dieselbe Funktion wie das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO für Klagen nach dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht. Soweit für eine Klage aus dem Wehrdienstverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, tritt das Beschwerdeverfahren zudem an die Stelle des Vorverfahrens (§ 23 Abs. 1 WBO). Für die Frage, welche Folgen die verspätete Einlegung einer Beschwerde für die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung hat, kann deshalb auf die Rechtsprechung zu der entsprechenden Problematik im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht zurückgegriffen werden.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum allgemeinen Verwaltungsprozessrecht stellt die Einhaltung der Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 VwGO) eine Sachurteilsvoraussetzung dar, die vom Gericht in jeder Instanz von Amts wegen zu prüfen ist. Allerdings soll in einem Widerspruchsverfahren, das (nur) das Verhältnis zwischen der Behörde und dem durch den Verwaltungsakt Betroffenen berührt, die Widerspruchsbehörde auch über einen verspäteten Widerspruch sachlich entscheiden und damit den Weg zur verwaltungsgerichtlichen Sachprüfung eröffnen dürfen3. Die Widerspruchsfrist diene in derartigen Fällen vornehmlich dem Schutz der Behörde selbst. Ihr stehe es deswegen frei, sich entweder mit dem Ergebnis der Unzulässigkeit des Widerspruchs auf die Fristversäumnis zu berufen oder aber unter Außerachtlassung der Fristversäumnis zur Sache selbst zu entscheiden. Eine sich über die Fristversäumnis hinwegsetzende Sachentscheidung schließe für das spätere gerichtliche Verfahren die Beachtlichkeit der Verspätung des Widerspruchs aus.

Überträgt man diese Rechtsprechung auf das Beschwerdeverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung, so fehlt es vorliegend bereits an einer (sich über die Fristversäumnis hinwegsetzenden) Sachentscheidung des für die Entscheidung über die Beschwerde zuständigen Bundesministeriums der Verteidigung. Denn das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde des Antragstellers mit dem Bescheid vom 11.11.2013 ausdrücklich als unzulässig zurückgewiesen. Dass es sich dabei – unzutreffend – auf das Fehlen einer anfechtbaren dienstlichen Maßnahme und – von seinem Standpunkt aus konsequent – nicht auf die Fristversäumnis gestützt hat, ist unerheblich; ausschlaggebend ist, dass sich das Bundesministerium der Verteidigung in dem Beschwerdebescheid nicht auf eine Sachprüfung eingelassen hat. Eine (die gerichtliche Überprüfung wiedereröffnende) Sachentscheidung folgt auch nicht daraus, dass das Bundesministerium der Verteidigung – ungeachtet der Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig – dem Anliegen des Antragstellers im Rahmen der Dienstaufsicht nachgegangen ist. Die entsprechenden Ausführungen sind zum einen schon formal nicht Bestandteil des Beschwerdebescheids, der mit der Rechtsbehelfsbelehrung abschließt; der darauf folgende dienstaufsichtliche Teil endet seinerseits mit dem (zutreffenden) Hinweis, dass die dienstaufsichtlichen Feststellungen nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar sind. Zum anderen wird die Dienstaufsicht allein im öffentlichen Interesse wahrgenommen4; sie wird, auch wenn sie durch einen – ggf. auch unzulässigen – Rechtsbehelf angestoßen wird (siehe auch § 12 Abs. 3 Satz 2 WBO), nicht durch diesen bestimmt. Die Beschwerdeentscheidung vom 11.11.2013 heilt deshalb nicht die Fristversäumnis des Antragstellers.

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Fristenberechnung und Fristenkontrolle bei der Beschwerdefrist

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. November 2014 – 1 WB 61.2013

  1. stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.12 2010 – 1 WB 26.10, Rn.20; und vom 29.01.2013 – 1 WB 5.12, Rn. 27, jeweils m.w.N.[]
  2. stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 16.07.2013 – 1 WB 43.12, Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 87 Rn. 30[]
  3. vgl., auch zum Folgenden, insb. BVerwG, Urteil vom 04.08.1982 – 4 C 42.79, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 49 = NVwZ 1983, 285 m.w.N.; kritisch hierzu Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl.2014, § 70 Rn. 11[]
  4. vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.08.2007 – 1 WB 51.06, Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 62 Rn. 18 = NZWehrr 2007, 252[]