Dienstliche Beurteilung – und die richterliche Unabhängigkeit

Nach § 26 Abs. 1 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Nach § 26 Abs. 2 DRiG umfasst die Dienstaufsicht vorbehaltlich des Absatzes 1 auch die Befugnis, dem Richter die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen.

Dienstliche Beurteilung – und die richterliche Unabhängigkeit

Demgemäß sieht § 6 Abs. 1 und 2 SächsRiG die periodische Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung von Richtern auf Lebenszeit vor, mit dem Hinweis, dass bei der Beurteilung richterlicher Amtsgeschäfte die sich aus § 26 Abs. 1 und 2 DRiG ergebenden Beschränkungen zu beachten sind und eine Stellungnahme zum Inhalt richterlicher Entscheidungen unzulässig ist.

Soweit die richterliche Unabhängigkeit durch den Inhalt einer dienstlichen Beurteilung beeinträchtigt wird, ist diese unzulässig. Das ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn darin die richterliche Amtsführung und spezifisch richterliche Fähigkeiten bewertet werden. Das entspricht vielmehr ihrem Zweck. Eine dienstliche Beurteilung verletzt die richterliche Unabhängigkeit nur dann, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausläuft, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. In dieser Richtung muss die dienstliche Beurteilung eines Richters sich auch jeder psychologischen Einflussnahme enthalten. Sie ist unzulässig, wenn die in ihr enthaltene Kritik den Richter veranlassen könnte, in Zukunft eine andere Verfahrens- oder Sachentscheidung als ohne diese Kritik zu treffen1.

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Zum Schutzbereich der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehören in erster Linie die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden Sach- und Verfahrensentscheidungen einschließlich nicht ausdrücklich vorgeschriebener, dem Interesse der Rechtssuchenden dienender richterlicher Handlungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (sog. Kernbereich; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 04.06.2009 – RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 16 mwN). Sie sind dienstaufsichtlichen Maßnahmen grundsätzlich entzogen, es sei denn, es liegt ein offensichtlicher, jedem Zweifel entrückter Fehlgriff vor2. Dementsprechend ist auch die Verhandlungsführung einer Dienstaufsicht weitgehend entzogen3.

Hingegen unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienstaufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, die äußere Form der Erledigung eines Dienstgeschäftes oder um solche Fragen geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit so weit entrückt sind, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden können4. So kann etwa der Vorhalt unangemessen langer Urteilsabsetzungsfristen eine zulässige Ausübung von Dienstaufsicht sein5.

Im vorliegenden Fall waren die folgende Beurteilungen eines Richters am Arbeitsgericht Gegenstand der Auseinandersetzung:


Der Richter bereitet seine mündlichen Verhandlungen auch mit entsprechenden Hinweis- und Auflagenbe-schlüssen so vor, dass sie regelmäßig im ersten Kammertermin entscheidungsreif sind. In den von mir besuchten Verhandlungen war allerdings nicht erkennbar, dass der Richter die mündlichen Verhandlungen leitet.

Seine Urteile sind sprachlich gut nachvollzieh-bar und in der Regel übersichtlich aufgebaut. Sie sind auch gut verständlich. Zum Teil nimmt der Richter die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zur Kenntnis. In einigen seiner Urteile ist der Richter von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen, ohne in den Entscheidungsgründen darauf hinzuweisen bzw. sich mit dieser auseinanderzusetzen.

Seine Kenntnisse im materiellen Recht, insbe-sondere im Arbeitsrecht sind befriedigend bis ausreichend, seine prozessrechtlichen Kenntnisse sind nicht immer ausreichend. Der Richter setzt seine juristischen Kenntnisse oft nicht in seiner richterlichen Arbeit um.

Während der Richter die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen gegenüber außerhalb der mündlichen Verhandlung von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt. Auch vielfältige Schreiben, Anträge, Bitten und Hilferufe ignoriert der Richter zum Teil über Jahre. Dies ist ein unangemessenes Verhalten, zumal, wie regelmäßig, wenn die Anliegen der Parteien oder ihrer Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die vielfältige Untätigkeit des Richters berechtigt sind.

Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Leipzig hatte zwei Passagen dieser dienstlichen Beurteilung beanstandet6. Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidung:

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Die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Beurteilung und die Würdigung der darin im Einzelfall verwendeten Formulierungen ist grundsätzlich Sache der Tatsachengerichte und unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Überprüfung (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 137 Abs. 2 VwGO). Sofern keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben werden, ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die im Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden7. Die tatrichterliche Würdigung einer Äußerung oder Erklärung, auch in einer Beurteilung, ist nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ob wesentlicher Tatsachenstoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein kann, außer Betracht gelassen wurde, oder ob sie sonst auf Rechtsfehlern beruht8.

Hiernach ist die Formulierung „Zum Teil nimmt der Richter die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zur Kenntnis“ zu beanstanden. Der Satz lässt mehrere nicht völlig fernliegende Deutungen zu. Diese Formulierung enthält nicht lediglich einen zulässigen Vorhalt, dass der Richter die höchstrichterliche Rechtsprechung von vornherein nicht zur Kenntnis nimmt und damit gegen methodische Standards der Rechtsanwendungstechnik verstößt, sondern kann auch dahin verstanden werden, der Richter müsse der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen oder es werde für alle Fälle ein Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt, und beeinträchtigt damit den Richter in seiner richterlichen Unabhängigkeit9.

Auch die Passage „Während der Richter die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen gegenüber außerhalb der mündlichen Verhandlung von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt“ ist zu beanstanden. Diese Formulierung stellt einen über die zulässige Ausübung der Dienstaufsicht hinausgehende Missbilligung und Herabsetzung der Richterpersönlichkeit des Antragstellers dar10. Sie ist darauf gerichtet, den Richter persönlich herabzusetzen. Die Substantive „Ignoranz“ und „Gleichgültigkeit“ sollen die Kritik an dem Verhalten über das für eine Beanstandung der Verhaltensweisen des Antragstellers notwendige Maß hinaus betonen und hervorheben. Es wird nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass Eingaben ignoriert werden, sondern dass das Verhalten des Antragstellers von „Ignoranz geprägt“ ist.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Februar 2014 – RiZ(R) 4/13

  1. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14.10.2013 – RiZ(R) 2/12, NVwZ-RR 2014, 202 Rn. 15 mwN[]
  2. BGH, Urteil vom 14.04.1997 – RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 468[]
  3. BGH, Urteil vom 22.02.2006 – RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 21[]
  4. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 04.06.2009 – RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 17; Urteil vom 22.02.2006 – RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn.20[]
  5. BGH, Urteil vom 27.01.1995 – RiZ(R) 3/94, DRiZ 1995, 352, 353; Urteil vom 22.03.1985 – RiZ(R) 2/84, DRiZ 1985, 394, 395; Urteil vom 31.01.1984 – RiZ(R) 3/83, BGHZ 90, 41, 45 f.[]
  6. LG Leipzig, Urteil vom 11.04.2013 – 66 DG 7/11[]
  7. st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115, 123 mwN[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2013 – RiZ(R) 2/12, NVwZ-RR 2014, 202 Rn. 18; Urteil vom 22.02.2006 – RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 23; Urteil vom 14.04.1997 – RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 469; BVerwG, Urteil vom 11.01.2011 – 1 C 1.10, BVerwGE 138, 371 Rn. 15[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 04.06.2009 – RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 25; Schnellenbach, RiA 1999, 161, 165[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 04.06.2009 – RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 18; Urteil vom 06.10.2011 – RiZ(R) 3/10, NJW 2012, 939 Rn.20 f.[]
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