Disziplinarmalus für Rechtspfleger

Die Berücksichtigung der besonderen Stellung eines Rechtspflegers im Rahmen der disziplinarischen Würdigung zu dessen Lasten setzt – sofern ein solcher „Malus“ überhaupt in Betracht kommt – voraus, dass dem Beamten tatsächlich Aufgaben nach dem Rechtspflegergesetz übertragen sind.

Disziplinarmalus für Rechtspfleger

Im hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall steht der Beklagte als Justizoberinspektor (Besoldungsgruppe A 10) im Dienst des klagenden Landes Nordrhein-Westfalen und war zuletzt in der IT-Abteilung einer Staatsanwaltschaft beschäftigt. Er ist durch rechtskräftiges Strafurteil wegen eines im Jahr 2006 begangenen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils hatte der Beklagte ein eingezogenes Notebook, das ihm zur dienstlichen Verwahrung übergeben worden war, in seine Privatwohnung verbracht und durch ein anderes und defektes Notebook ausgetauscht. Im sachgleichen Disziplinarverfahren entfernte das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, die hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück, weil der festgestellte Sachverhalt zur familiären Situation des Beklagten im Tatzeitpunkt bei der Würdigung nur verkürzt berücksichtigt worden war1. Daraufhin hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfallen die Berufung erneut zurückgewiesen und dabei zu Lasten des Beklagten darauf abgestellt, dass Straftaten eines Rechtspflegers angesichts dessen Amtsstellung in besonderer Weise geeignet seien, das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit zu erschüttern. Auch bei Berücksichtigung der den Beklagten entlastenden familiären Situation sei ein Verbleib des Beklagten im Beamtenverhältnis daher ausgeschlossen.

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Dieses Urteil hob das Bundesverwaltungsgericht nun erneut auf und verwies das Verfahren erneut zur anderweitigen Verhandlung zurück an das Oberverwaltungsgericht in Münster, da das Oberverwaltungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es den Status des Beklagten als Rechtspfleger erschwerend berücksichtigt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO). Hiermit musste der Beklagte nach dem Gesamtverlauf des Verfahrens nicht rechnen, so dass die Würdigung des Gerichts als „überraschend“ bewertet werden muss.

Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen2. Hieraus ergibt sich zwar keine allgemeine Frage- oder Aufklärungspflicht des Richters. Ein Gericht verstößt aber dann gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte3.

Nach diesen Maßstäben hätte das Oberverwaltungsgericht hier den Beklagten in seiner zweiten Berufungsverhandlung darauf hinweisen müssen, dass es die Amtsstellung des Beklagten als Rechtspfleger im Rahmen der Maßnahmebemessung erschwerend berücksichtigen will.

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Im zweiten Berufungsurteil vom 21.05.2014 hat das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung zu Lasten des Beklagten darauf abgestellt, dass er als Rechtspfleger selbst ein Organ der Rechtspflege sei. Der Status des Beklagten als Rechtspfleger führe dazu, dass das Vertrauen sowohl seines Dienstherrn als auch der Allgemeinheit durch Straftaten in besonderer Weise erschüttert werde. Dies gelte unabhängig davon, dass der Beklagte selbst seinen Tätigkeitsschwerpunkt nur im Bereich der Verwertung eingezogener sowie auszusondernder Hard- und Software gehabt habe; maßgeblich sei insoweit das Amt als Ganzes.

Dieser Gesichtspunkt war im gesamten bisherigen Disziplinarverfahren nicht für bedeutsam erachtet worden. Weder in der Klageschrift noch im Urteil des Verwaltungsgerichts ist dieser Aspekt auch nur erwähnt worden. Auch im ersten Berufungsurteil vom 19.12 2012 hat das Oberverwaltungsgericht den besonderen Rechtspflegerstatus des Beklagten nicht als mögliches Belastungselement benannt. Entsprechende Erwägungen finden sich nachfolgend weder im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht noch in den nach der Zurückverweisung gewechselten Schriftsätzen. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Beklagten ist hierüber auch in der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht nicht gesprochen worden. Das Oberverwaltungsgericht hat damit in seinem zweiten Berufungsurteil tragend auf einen Gesichtspunkt abgestellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.

Dies gilt umso mehr, als ein „Rechtspfleger-Malus“ für Zugriffsdelikte in der bisherigen Disziplinar-Rechtsprechung nicht angenommen worden ist. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht den Rückgriff auf die Amtsstellung bei Polizeibeamten (für innerdienstliche Pflichtverletzungen allerdings nur, wenn diese unter Ausnutzung ihrer dienstlichen Stellung begangen wurden4) oder für Lehrer (allerdings nur, soweit ein Dienstbezug zur Aufgabenwahrnehmung vorliegt5) unter bestimmten Umständen gebilligt. Entsprechende Entscheidungen für Rechtspfleger liegen indes nicht vor.

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Der Beklagte hatte daher weder im Hinblick auf den konkreten Prozessverlauf noch in Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung Anlass, zur besonderen Bedeutung der Amtsstellung eines Rechtspflegers für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Zugriffsdelikten Stellung zu nehmen.

Von seiner Äußerungsmöglichkeit hat der Beklagte nunmehr im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens Gebrauch gemacht und darauf hingewiesen, dass die Stellung eines Rechtspflegers weder in Anbetracht des dienstlichen Aufgabenbereichs noch im Hinblick auf das Ansehen in der Öffentlichkeit mit der vom Oberverwaltungsgericht als Bezug herangezogenen Lage eines Richters verglichen werden kann. Er hat weiter eingewandt, dass die Verwendung eingezogener Geräte nicht mehr dem Strafvollstreckungsverfahren zugerechnet werden könne und er damit allein Verwaltungsaufgaben wahrgenommen habe. Mit diesen Gesichtspunkten hat sich das Oberverwaltungsgericht bislang nicht auseinandergesetzt, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die angegriffene Entscheidung auf dem unterlassenen Hinweis beruht.

Insbesondere aber ist das Oberverwaltungsgericht mit seiner Bezugnahme auf das Amt eines Rechtspflegers als Ganzes ohne Berücksichtigung des dem Beklagten übertragenen Tätigkeitsbereichs von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Einen Status als Rechtspfleger, unabhängig von der konkreten Aufgabenbetrauung, gibt es nicht.

Der Beklagte hat das Amt eines Justizoberinspektors im gehobenen Justizdienst des Landes inne. Als solcher hat er keinen Anspruch darauf, mit Geschäften betraut zu werden, die nach dem Rechtspflegergesetz einem Rechtspfleger vorbehalten sind. Als Rechtspfleger wird er nur dann tätig, wenn ihm entsprechende Aufgaben tatsächlich übertragen sind (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 RPflG). Die Bezeichnung als Rechtspfleger kennzeichnet daher kein Statusamt, sondern eine Funktion6. Nachdem das Oberverwaltungsgericht selbst davon ausgegangen ist, dass der Beklagte nicht mit den einem Rechtspfleger vorbehaltenen Geschäften betraut war, kann daher auch nicht erschwerend auf den Status als Rechtspfleger abgestellt werden. Ein entsprechendes Funktionsamt war dem Beklagten nicht übertragen. Bezugspunkt des Statusamtes „als Ganzem“ ist vielmehr das dem Beklagten verliehene Amt eines Justizoberinspektors. Unabhängig von der Frage, ob der vom Oberverwaltungsgericht angenommene „Rechtspfleger-Malus“ grundsätzlich denkbar wäre7, kommt ein solcher „Malus“ angesichts der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier nicht in Betracht.

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Damit ist das Oberverwaltungsgericht von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen und hat seiner Würdigung einen bemessungsneutralen Umstand als erschwerend zugrunde gelegt. Auch die rechtliche Würdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist damit fehlerhaft8.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12. November 2014 – 2 B 67.2014 –

  1. BVerwG, Beschluss vom 20.12 2013 – 2 B 35.13, NVwZ-RR 2014, 314[]
  2. BVerfG, Plenumsbeschluss vom 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 408 f.[]
  3. stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190, Urteil vom 08.07.1997 – 1 BvR 1934/93, BVerfGE 96, 189, 204, Beschluss vom 07.10.2003 – 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341, 345 f. sowie zuletzt etwa Kammerbeschluss vom 14.10.2010 – 2 BvR 409/09 20[]
  4. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11, BVerwGE 147, 229 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr.20, jeweils Rn.20[]
  5. BVerwG, Urteil vom 19.08.2010 – 2 C 5.10, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 = NVwZ 2011, 303, jeweils Rn. 15; sowie Beschluss vom 25.05.2012 – 2 B 133.11, NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 11[]
  6. BVerwG, Urteil vom 30.03.2006 – 2 C 41.04, BVerwGE 125, 365 = Buchholz 11 Art. 97 GG Nr. 9, jeweils Rn. 18[]
  7. vgl. zur Klärungsbedürftigkeit der Bezugnahme auf die Stellung als Polizeibeamter zuletzt Beschluss vom 01.10.2014 – 2 B 30.14[]
  8. stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 02.02.1984 – 6 C 134.81, BVerwGE 68, 338, 339 sowie zuletzt etwa Beschluss vom 20.12 2013 – 2 B 35.13, NVwZ-RR 2014, 314 Rn.19[]
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