Der prozessrechtliche Grundsatz der Meistbegünstigung findet bei einer Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung Anwendung, wenn ein Truppendienstgericht anstelle der Abhilfe- eine Endentscheidung trifft.

In einem solchen Fall ist daher die Nichtzulassungsbeschwerde ungeachtet des Umstandes statthaft, dass das Truppendienstgericht – wie unten näher ausgeführt wird – zu der getroffenen Beschwerdeentscheidung nicht befugt gewesen ist und dass infolgedessen Unklarheit über das dagegen eröffnete Rechtsmittel besteht. Denn nach dem prozessrechtlichen Grundsatz der Meistbegünstigung hat bei solchen „inkorrekten“ Entscheidungen der Rechtsmittelführer die Wahl, welches von mehreren denkbaren Rechtsmitteln er ergreift1. Er kann sowohl das objektiv richtige, als auch das falsche, aber der äußerlichen Entscheidungsform der Vorinstanz entsprechende Rechtsmittel einlegen. Der allgemein anerkannte Grundsatz der Meistbegünstigung wurzelt in der Überlegung, dass Fehler des Gerichts nicht zulasten der Partei gehen dürfen; insbesondere darf ihnen nicht durch eine falsche Behandlung der Sache durch ein Gericht der Instanzenzug abgeschnitten werden2. Nach diesen Grundsätzen durfte der frühere Soldat entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung des Truppendienstgerichts Nichtzulassungsbeschwerde gegen dessen Entscheidung erheben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im vorliegenden Fall auch begründet, weil die Entscheidung des Truppendienstgerichts auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO beruht.
Der frühere Soldat beanstandet zu Recht, dass das Truppendienstgericht sachlich nicht für eine abschließende Entscheidung über seine Beschwerde zuständig gewesen ist. Sein Verteidiger hat im Schreiben vom 27.05.2021 ausdrücklich gegen den richterlichen Durchsuchungsbeschluss vom 27.04.2021 Beschwerde eingelegt, nicht gegen eine Maßnahme des Disziplinarvorgesetzten. Dementsprechend handelt es sich nicht – wie das Truppendienstgericht annimmt – um eine Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO. Diese Norm eröffnet keine Beschwerdemöglichkeit gegen richterliche Anordnungen, sondern nur gegen sonstige – vollzogene oder in Vollzug befindliche – Maßnahmen nach § 20 WDO seitens des Disziplinarvorgesetzten, der Wehrdisziplinaranwaltschaft oder sonstiger beteiligter Ermittlungsbehörden3. Dass der Disziplinarvorgesetzte den richterlichen Durchsuchungsbeschluss beantragt und später daraus vollstreckt hat, ändert nichts daran, dass die Durchsuchungsanordnung eine richterliche Entscheidung des Truppendienstgerichts ist, die nicht nach § 42 Nr. 5 WDO von ihm selbst abschließend überprüft werden kann.
Vielmehr richtet sich die Beschwerde gegen richterliche Durchsuchungsanordnungen nach § 114 Abs. 1 WDO. Nach dieser Vorschrift ist gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts und gegen richterliche Verfügungen die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eröffnet; das betrifft – wie § 114 Abs. 1 Satz 2 WDO klarstellt – insbesondere Beschlagnahme- oder Durchsuchungsentscheidungen. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die – wie hier – in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind4. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat am 15.03.2021 die Vorermittlungen aufgenommen und die unterschiedlichen Ermittlungen der Feldjäger, des Disziplinarvorgesetzten und der Strafverfolgungsbehörden koordiniert. Dass der Disziplinarvorgesetzte in Absprache mit dem Wehrdisziplinaranwalt die Durchsuchung beim Truppendienstgericht beantragt hat, ändert nichts daran, dass wegen des Verdachts des Betruges und der Steuerhinterziehung Vorermittlungen für ein gerichtliches Disziplinarverfahren geführt worden sind. Da somit nach § 114 Abs. 1 WDO das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung über die Beschwerde gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung zuständig gewesen ist, hat das Truppendienstgericht seine Zuständigkeit verfahrensfehlerhaft angenommen.
Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Entscheidung des Truppendienstgerichts. Bei richtiger Beurteilung der prozessrechtlichen Zuständigkeiten hätte der Vorsitzende der Truppendienstkammer lediglich eine Abhilfeprüfung nach § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO vornehmen und gegebenenfalls einen Abhilfebeschluss der Kammer veranlassen können. Andernfalls hätte er die Sache nach § 114 Abs. 3 Satz 2 WDO dem Bundesverwaltungsgericht zur Endentscheidung vorlegen müssen. Für eine abschließende Sachentscheidung des Truppendienstgerichts bestand kein Raum, sodass sich der Beschluss des Truppendienstgerichts vom 09.12.2021 auch nicht im Sinne des § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig erweist. Da somit bereits ein entscheidungserheblicher Verfahrensfehler vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob zusätzlich – wie der frühere Soldat annimmt – ein Entzug des gesetzlichen Richters und damit ein absoluter Verfahrensfehler im Sinne des § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 138 Nr. 1 VwGO vorliegt.
Das Bundesverwaltungsgericht machte daher von der nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, bei Verfahrensfehlern den Rechtsstreit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das erstinstanzlich zuständige Truppendienstgericht zurückzuverweisen5. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer wird die Abhilfeprüfung nach § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO im Lichte der neueren Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats zum Durchsuchungsrecht nachholen müssen6.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2022 – 2 WNB 1.22
- vgl. BVerwG, Urteile vom 09.04.1964 – 8 C 375.63, BVerwGE 18, 193 <195> und vom 13.04.2011 – 9 C 1.10, BVerwGE 139, 296 Rn. 11 sowie BGH, Beschluss vom 16.10.2002 – VIII ZB 27/02 – BGHZ 152, 213 <216>[↩]
- BVerwG, Urteil vom 05.09.1991 – 3 C 26.89, BVerwGE 89, 27 <29>[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 02.09.2022 – 2 WDB 6.22, NVwZ 2022, 1733 Rn. 18[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.02.2022 – 2 WDB 12.21, NVwZ 2022, 1728 Rn. 16 m. w. N.[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 17.05.2018 – 1 WNB 2.18, Buchholz 450.1 § 23a WBO Nr. 6 Rn. 8 m. w. N.; und vom 28.07.2022 – 1 WNB 4.22 4 m. w. N.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 09.02.2022 – 2 WDB 12.21, NVwZ 2022, 1728; vom 10.07.2022 – 2 WDB 11.21 – juris; und vom 02.09.2022 – 2 WDB 6.22, NVwZ 2022, 1733[↩]