Namensschilder und Dienstnummernschilder für Polizisten

Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt hat die am 21.07.2017 bzw. 01.07.2018 in Kraft getretenen Regelungen des § 12 Abs. 2 bis 5 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG) zur Pflicht der Polizeibeamten zum Tragen von Namensund Dienstnummernschildern für verfassungsgemäß erklärt.

Namensschilder und Dienstnummernschilder für Polizisten
  1. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes umfasst die Regelung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte zu Zwecken der Strafverfolgungsvorsorge.
  2. Die Verpflichtung von Polizeibeamten zum Tragen eines Namensschildes gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 SOG LSA greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 6 Abs. 1 LVerf ein, ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Interesse an der Aufklärung möglicher Pflichtverletzungen begründet ein hinreichend gewichtiges Allgemeinwohlinteresse an der Kennzeichnung von Polizeibeamten.
  3. Es kann dahinstehen, ob die Pflicht zur pseudonymen Kennzeichnung mit einem Dienstnummernschild und einer taktischen Kennzeichnung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 6 Abs. 1 LVerf eingreift. Ein Eingriff wäre jedenfalls aus den gleichen Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt wie die Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung.

Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt hat damit einen Normenkontrollantrag der Mitglieder einer Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt zurückgewiesen. Gegenstand des Verfahrens war die Frage der Vereinbarkeit des § 12 Abs. 2 bis 5 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt mit Art. 72 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG/Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Der Inhalt der angegriffenen Norm umfasst die namentliche Kennzeichnungspflicht, insbesondere die Regelungen zur nachträglichen Identitätsfeststellung mittels Dienstnummer, und Erhebung sowie Speicherung der personenbezogenen Daten der betroffenen Polizeibeamten. Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dem Land fehle bereits die Gesetzgebungskompetenz. Inhaltlich greife die Kennzeichnungspflicht zudem als Ausdruck eines Generalverdachts in unzulässiger Weise in das Persönlichkeitsrecht der Beamten, insbesondere in deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, ein.

Die angegriffenen Normen seien, so das Landesverfassungsgericht, der Strafverfolgungsvorsorge im Vorfeld eines Straftatverdachts zuzuordnen und unterfielen damit der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 des Grundgesetzes. Da der Bund insoweit keine Regelungen getroffen habe, sei der Landesgesetzgeber befugt, Regelungen zur Strafverfolgungsvorsorge durch Kennzeichnungspflichten für Polizeibeamte zu treffen. Das Landesverfassungsgericht bejahte einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Verpflichtung zum Tragen des Namensschildes. Jener sei jedoch unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verfassungsrechtlich durch das Allgemeininteresse an der Aufklärung möglicher Pflichtverletzungen gerechtfertigt. Eine Restgefahr aus einer Kenntnis von Dritten vom Namen eines Polizeibeamten gehe nicht über die Risiken des Berufs hinaus, die jedem Polizeibeamten, der diesen Beruf ergreift, bekannt und im Rahmen seines Dienstverhältnisses zumutbar seien. Ob die Pflicht zum Tragen eines Dienstnummernschildes und der taktischen Kennzeichnung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle, ließ das Landesverfassungsgericht offen. Ein solcher wäre jedenfalls ebenfalls gerechtfertigt, weil eine Pflicht zu einer solchen pseudonymen Kennzeichnung von geringerem Gewicht im Vergleich mit der namentlichen Kennzeichnung sei. Einen Eingriff in die Menschenwürde der betroffenen Polizeibeamten durch die Kennzeichnungspflicht hat das Gericht verneint; die Anonymität gehöre nicht zu dem durch Art. 4 der Landesverfassung geschützten Bereich der Menschenwürde.

Die angegriffene Regelung ist formell und materiell mit der Landesverfassung vereinbar. Das Land ist zur Gesetzgebung über die in § 12 Abs. 2–5 SOG LSA geregelte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte zuständig. Weder die Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes noch die zum Tragen eines Dienstnummernschildes oder einer taktischen Kennzeichnung verletzen das Datenschutzgrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 LVerf. Die Kennzeichnungspflicht verletzt auch nicht die Menschenwürde gem. Art. 4 LVerf.

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Die angegriffene Regelung überschreitet nicht die auf in der landesverfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zu überprüfende Gesetzgebungskompetenz des Landes aus Art. 30, 70 Abs. 1 GG.

Kontrollmaßstab in den Verfahren der Normenkontrolle vor dem Landesverfassungsgericht ist gem. Art. 75 Nr. 3 LVerf die Landesverfassung. Soweit das Fehlen einer Gesetzgebungskompetenz des Landes als Grund für die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht wird, können auch die Kompetenzverteilungsregelungen des Grundgesetzes in die Prüfung des Landesverfassungsgerichts einbezogen werden. Landesverfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt der Prüfung ist in diesen Fällen das in Art. 2 Abs. 1 LVerf verankerte Rechtsstaatsprinzip, das auch verlangt, dass der Landesgesetzgeber nur im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeiten Gesetze erlässt. Da nach der Regelungssystematik der föderalen Ordnung des Grundgesetzes das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz der Länder nur mit Blick auf die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in den Art. 70 ff. GG sowie die darauf beruhende Gesetzgebungstätigkeit des Bundes bestimmt werden kann, erweist sich die Einbeziehung der einschlägigen Normen des Grundgesetzes sowie der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes als unerlässlich, um die von der Landesverfassung auferlegte Rechtsbindung zu überprüfen1. Soweit es dabei um die Auslegung von Vorschriften des Grundgesetzes geht, ist die vorrangige Interpretationszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das Grundgesetz zu beachten und in Zweifelsfällen eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG erforderlich. Die in Bezug auf die zur Prüfung gestellte Norm gerügte fehlende Gesetzgebungszuständigkeit des Landes kann – und muss – innerhalb dieses rechtlichen Rahmens durch das Landesverfassungsgericht geprüft werden.

Die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers für die angegriffene Regelung ist nicht durch eine Bundeskompetenz verdrängt, Art. 70 Abs. 1 GG.

Der Zweck der Regelung fällt zwar zumindest auch in den Bereich der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten und damit in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Durch diese Vorschrift des Grundgesetzes ist aber nicht jede gesetzliche Regelung durch die Länder ausgeschlossen, die sich auf Tatbestände im Vorfeld einer (möglichen) Straftat bezieht. Nur dann, wenn der Landesgesetzgeber eine der verbeugenden Strafverfolgung dienende Regelung erlassen hätte, für die der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen hat, wäre diese unzulässig, Art. 72 Abs. 1 GG2.

Für das Recht der Strafverfolgung hat der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG mit dem Erlass der Strafprozessordnung Gebrauch gemacht. Deren Regelungen knüpfen überwiegend an einen Straftatverdacht an. Regelungen zur Strafverfolgungsvorsorge im Vorfeld eines Straftatverdachts sind nur punktuell im Zusammenhang mit bestimmten Befugnissen geregelt3. Pflichten von Beamten mit dem Zweck, für den Fall einer Straftat ihre Identifizierung als Täter zu ermöglichen oder zu erleichtern, sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Der Verzicht des Bundesgesetzgebers auf solche Regelungen soll sie nicht abschließend aus den Mitteln der Strafverfolgungsvorsorge fernhalten, sondern läßt sie dem Landesgesetzgeber für die betreffenden Regelungszusammenhänge, hier das Recht der Gefahrenabwehr durch die Polizei, offen. Da der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz insoweit also nicht ausgeschöpft hat, kann der Landesgesetzgeber Regelungen zur Strafverfolgungsvorsorge durch Kennzeichnungspflichten für Polizeibeamte treffen.

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Soweit die namentliche Kennzeichnung mittels der Strafverfolgungsvorsorge einen präventiven Effekt verspricht, indem sie durch die Aufhebung der Anonymität die handelnden Polizeibeamten von – unter Umständen strafbaren – Pflichtverletzungen abzuhalten geeignet ist, überschneidet sich ihre Wirkung mit dem generalpräventiven Zweck der jeweils in Rede stehenden Strafnormen. Aber sie bleibt im Rahmen einer mittelbaren Wirkung der Strafverfolgungsvorsorge und tritt nicht derart als ein eigenständiger Zweck daneben, dass sie in die Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG übergriffe.

Die Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 6 Abs. 1 LVerf ein.

Auf dieses Recht können sich auch Beamte berufen. Der Grundrechtsschutz im Beamtenverhältnis ist anerkannt4. Pflichten aus dem Beamtenverhältnis können in Grundrechte eingreifen, soweit sie über die allgemeine Verpflichtung zur Ausübung des Dienstes hinaus grundrechtlich geschützte Interessen des Amtswalters beeinträchtigen5.

Der Name ist ein personenbezogenes Datum im Sinne des Art. 6 Abs. 1 LVerf.

Die Verpflichtung des Beamten zum Tragen eines Namensschildes bedeutet, dass er den Bürgern gegenüber mit seinem Namen aufzutreten hat, diese somit als Dritte von seinem Namen Kenntnis erhalten. Dies wirkt als eine Weitergabe des personenbezogenen Datums an Dritte und damit als „Verarbeitung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 3 LVerf, die dem grundrechtsgebundenen Dienstherrn zuzurechnen ist.

Dieser Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 LVerf ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 2 LVerf unterliegt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einem Gesetzesvorbehalt. Dem Erfordernis der gesetzlichen Ermächtigung ist durch § 12 Abs. 2 SOG LSA genügt. Die Regelung erfüllt auch die besonderen Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 3 LVerf, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten zu bestimmen und das Recht auf Auskunft, Löschung und Berichtigung näher zu regeln sind. Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber in § 12 Abs. 5 SOG LSA das zuständige Ministerium ermächtigt hat, Inhalt, Umfang und Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht durch Rechtsverordnung näher zu bestimmen. Der Gesetzgeber hat die wesentlichen Regelungen im Gesetz selbst bestimmt. Sollte eine entsprechende Verordnung den Bestimmungen des § 12 Abs. 2–4 SOG LSA zuwiderlaufen, würde dies zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung der Verordnung führen; eine darauf gestützte Weisung wäre rechtswidrig. Die Verfassungsgemäßheit der beanstandeten Vorschrift würde davon nicht berührt.

Die Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung ist verhältnismäßig.

Die Landesregierung hat zum gesetzgeberischen Zweck in der Begründung des Entwurfs der Landesregierung vom 02.12.2016, Seite 9, Drs. 7/685 ausgeführt:

„[…] das Tragen von Namensschildern bzw. einer individuellen Kennzeichnung ist in einer modernen, weltoffenen und bürgernahen Polizei ein maßgebliches Element der Bürgerorientierung, das von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet wird. Es trägt zur Stärkung des Vertrauens in die Polizei bei, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht einer anonymen Staatsmacht gegenüber stehen, sondern einer dialogbereiten und individuell verantwortlich handelnden Polizei. Die Polizei des Landes Sachsen-Anhalt hat einen sehr hohen Stellenwert bei den Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Grundlage für das entgegengebrachte Vertrauen in die Arbeit der Polizei sind Professionalität, eine gute Ausbildung sowie moderne Ausstattung und hohe Motivation. Zu einer bürgernahen und bürgerorientierten Polizei gehört aber insbesondere auch die Möglichkeit, den einzelnen Polizeivollzugsbeamten im täglichen Dienstgeschehen persönlich ansprechen zu können. Dies ist Ausdruck eines modernen staatlichen Selbstverständnisses und öffentlichen Dienstes.“

Im Interesse der Vertrauenswürdigkeit und individuellen Verantwortlichkeit der Polizei soll die Kennzeichnungspflicht insbesondere auch einer schnellen und verlässlichen Aufklärung im Falle etwaiger Pflichtverletzungen dienen.

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Das Interesse an der Aufklärung von Pflichtverletzungen begründet ein Allgemeinwohlinteresse an der namentlichen Kennzeichnung von Polizeibeamten. Ein solches Interesse ist nicht nur dann gegeben, wenn ein besonderes Interesse des Staates besteht bzw. eine originäre staatliche Aufgabe erfüllt wird. Ein Allgemeinwohlinteresse liegt auch dann vor, wenn sich dies aus dem Interesse des Bürgers ableiten lässt. Dies kann sich z. B. aus dem Interesse des Bürgers auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben6. Die in Art. 4 bis 23 LVerf genannten Grundrechte binden nach Art. 3 Abs. 1 LVerf Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Zu dem hieraus folgenden Gemeinwohlauftrag gehört es daher, die rechtlichen Interessen und grundrechtlich geschützten Belange des Bürgers bei der Amtsführung durch Beamte zu berücksichtigen und Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen7.

Zu diesem Zweck ist die Kennzeichnungspflicht geeignet, erforderlich und angemessen.

Von Polizeibeamten wird erwartet, dass sie ein rechtskonformes Verhalten an den Tag legen. Diese Erwartung wird zwar in aller Regel erfüllt. Fehlverhalten ist aber nicht grundsätzlich auszuschließen. Für den Fall einer Pflichtverletzung oder auch des bloßen Vorwurfs einer solchen kann eine namentliche Kennzeichnung dazu beitragen, die individuelle Verantwortlichkeit zu klären und damit allgemein sowie im Einzelfall die Erwartung pflichtgemäßen Verhaltens zu bestätigen und zu sichern. Insbesondere erleichtert sie es den von einer polizeilichen Maßnahme betroffenen Bürgern, ihre Grundrechte durchzusetzen.

Die namentliche Kennzeichnung ist zu dem mit ihr verfolgten Zweck erforderlich. Die Erforderlichkeit eines vom Gesetzgeber als erforderlich angesehenen Mittels entfällt nicht bereits dann, wenn ein anderes milderes Mittel denkbar erscheint, sondern erst dann, wenn ein milderes gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht8. Eine gegenüber der namentlichen Kennzeichnung mildere, ebenso geeignete Maßnahme stellt das Tragen einer Ziffernoder Buchstabenkombination nicht dar. Nur durch die namentliche Kennzeichnung weiß der betroffene Bürger, wer ihm gegenübersteht. Ein Name lässt sich eher merken als die Abfolge von Ziffern. Auch die Verpflichtung der Polizeibeamten in § 12 Abs. 1 SOG LSA, sich auf Verlangen auszuweisen, ist nicht so geeignet wie die namentliche Kennzeichnung. Sie setzt voraus, dass der Bürger danach fragt. Das ist eine Hürde, die bei einer namentlichen Kennzeichnung nicht überwunden werden muss. Vor einer solchen Frage wird der betroffene Bürger möglicherweise Scheu empfinden. Zudem wird in vielen Situationen die Beantwortung der Frage nicht möglich sein.

Die namentliche Kennzeichnung ist auch angemessen. Das Interesse der Polizeibeamten daran, dass ihr Name nicht auf diese Weise kenntlich wird, überwiegt das Allgemeinwohlinteresse an der namentlichen Kennzeichnung nicht.

Die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 6 Abs. 1 LVerf durch die Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung ist von vergleichsweise geringem Gewicht.

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Die gesetzliche Regelung mildert die Reichweite des Eingriffs dadurch ab, dass sie Ausnahmen von der Pflicht zum Tragen des Namensschildes vorsieht. Bei Einsätzen in Einsatzeinheiten entfällt die Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung vollständig. Die Verpflichtung zur namentlichen Kennzeichnung besteht weiterhin dann nicht, wenn hierdurch der Zweck der Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Beamten beeinträchtigt werden. Dabei konnte der Gesetzgeber alltäglich auftretende Gefährdungen der Interessen von Polizeibeamten als zumutbar ansehen. Wenn aus bekannten Tatsachen oder Umständen Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende Gefährdung für den Polizeibeamten durch die namentliche Kennzeichnung vorliegen und in dieser speziellen Situation die Annahme gerechtfertigt ist, es sollten aufgrund des Namens weitere außerdienstliche Daten des Beamten erlangt werden, besteht die namentliche Kennzeichnungspflicht nicht. Der Eingriff durch die gesetzliche Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes wird auch dadurch erheblich abgemildert, dass der Polizeibeamte über die Ausnahme selbst entscheiden kann, ohne vorab eine Verwaltungsentscheidung oder die Entscheidung eines Vorgesetzten einzuholen; vielmehr beurteilt der betroffene Beamte den Ausnahmetatbestand vor Ort selbst. Hierzu ist ein Polizeibeamter auch in der Lage. Das geht nicht darüber hinaus, was von ihm im Übrigen für die Einschätzung von Gefahren abverlangt wird. In Anbetracht der Vielgestaltigkeit und Unvorhersehbarkeit von Einsatzlagen bedurfte es hierzu keiner weitergehenden Regelungen durch den Gesetzgeber.

Das Gewicht eines Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung hängt des weiteren u. a. davon ab, welche Inhalte von dem Eingriff erfasst werden, insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die entsprechenden Informationen für sich und in ihrer Verknüpfung mit anderen Informationen aufweisen9. Informationsbezogene Grundrechtseingriffe wiegen umso schwerer, je nachdem welche Nachteile den Betroffenen aufgrund des Eingriffs drohen oder nicht ohne Grund befürchtet werden10.

Der Name eines Polizeibeamten stellt für sich genommen keine intime Information dar. Allerdings können durch weitere Recherchen zumindest bei eher selteneren Namen weitere Daten des Polizeibeamten in Erfahrung gebracht werden. Damit ist es – soweit nicht eine Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht greift – nicht auszuschließen, dass für die Beamten oder Personen aus ihrem sozialen Umfeld Gefährdungen entstehen.

Im Ergebnis der öffentlichen Anhörung des Landtages von Sachsen-Anhalt von sachkundigen Personen, Vertretern von Interessengruppen und der Wissenschaft hat der Gesetzgeber die Gefährdung jedoch geringer gewichtet. Da diese Risiken nicht exakt abschätzbar sind, steht dem Gesetzgeber diese Einschätzungsprärogative zu11. Dem Gesetzgeber sind Übergriffe auf Polizeibeamte im privaten Bereich nicht bekannt. Zu diesem Ergebnis kam im Rahmen der vorgenannten Anhörung auch Prof. Dr. Clemens Arzt vom Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit in der Anhörung des Innenausschusses des Landtages von Sachsen-Anhalt am 16.02.2018.

Dass bestimmte Gruppen von Linksoder Rechtsextremisten oder kriminelle Banden versuchen, – auch – Polizeibeamte einzuschüchtern, ist bekannt. Dies betrifft jedoch Versuche der Einschüchterung während der Dienstausübung. Dass es tatsächlich zu Übergriffen außerhalb des dienstlichen Bereichs gekommen wäre, ist nicht bekannt und auch von den Antragstellern nicht dargelegt. Diese Gefährdungen unterscheiden sich auch nicht von denen für andere Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes. Soweit Tätigkeiten entfaltet werden, bei denen der öffentlich Bedienstete mit Bürgern in Kontakt kommt, wird nahezu ausnahmslos sein Name bekannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch andere Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes sich ohne weiteres dem Unmut von betroffenen Bürgern ausgesetzt sehen können. So sind jedenfalls öffentlichkeitswirksam in der jüngeren Vergangenheit eher Mitarbeiter von Jobcentern Opfer von Angriffen geworden, wobei diese Angriffe regelmäßig im Dienst erfolgten und damit nicht Folge einer namentlichen Kennzeichnung waren.

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Oftmals werden die Namen der handelnden Polizeibeamten ohnehin bekannt, weil sie Berichte oder Anzeigen fertigen und mit ihrem Namen unterzeichnen. Aber auch Polizeibeamte, die über längere Zeit im ländlichen Bereich tätig sind oder als Kontaktbereichsbeamte eingesetzt sind, sind oftmals nicht nur mit Nachnamen, sondern auch mit Vornamen und ihrem sozialen Umfeld bekannt. Dass es bei diesen Beamten zu Übergriffen im privaten Bereich gekommen wäre, ist nicht bekannt.

Die verbleibende Restgefahr aus einer Kenntnis von Dritten vom Namen eines Polizeibeamten geht nicht über die Risiken des Berufs hinaus, die jedem Polizeibeamten, der diesen Beruf ergreift, wie entsprechend auch anderen Berufsgruppen, bekannt sind und im Rahmen des Dienstverhältnisses zugemutet werden können.

Dem vergleichsweise geringfügigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Polizeibeamten steht ein überwiegendes Allgemeinwohlinteresse gegenüber. Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten ist ein wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens12. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf das Auftreten des Polizeibeamten als Organ der Staatsmacht, der im besonderen Maße an Recht und Gesetz gebunden ist. Die sachgerechte und rechtskonforme Erledigung staatlicher Aufgaben beansprucht ebenfalls Verfassungsrang (Art.20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 4 LVerf). Ebenso gewährleistet die namentliche Kennzeichnung des Beamten auch die effektive Durchsetzbarkeit von Ansprüchen des von einer polizeilichen Maßnahme betroffenen Bürgers.

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich tiefer eingreifende Transparenzpflichten zugunsten von Gesetzeszwecken ohne Verfassungsrang als angemessen beurteilt13.

Angesichts der Vereinbarkeit der Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung mit Art. 6 Abs. 1 LVerf kann die Pflicht zur pseudonymen Kennzeichnung mit einem Dienstnummernschild und einer taktischen Kennzeichnung erst recht nicht als Grundrechtsverletzung erkannt werden.

Es kann dahinstehen, ob sie überhaupt in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 6 Abs. 1 LVerf eingreift. Zwar ist auch ein Pseudonym ein personenbezogenes Datum, solange es sich – wie hier – durch die Verknüpfung mit den Daten über die Zuordnung zum einzelnen Polizeibeamten entschlüsseln lässt. Zweifelhaft ist aber, ob die Weitergabe eines bloßen Identifizierungsmerkmals in einer Situation, in der der Polizeibeamte ohnehin unausweichlich als Individuum – etwa mit seinem Gesicht und auch sonst in seinem äußeren Erscheinungsbild – erkennbar und zurechenbar handelt, die für eine Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmung entscheidende, zumindest potentielle, Risikoerhöhung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit14 bewirkt.

Jedenfalls wäre eine Eingriffswirkung der Pflicht zur pseudonymen Kennzeichnung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Hierfür gilt nichts anderes als für die Verpflichtung zur namentlichen Kennzeichnung. Im Vergleich mit dieser ist die Pflicht zur pseudonymen Kennzeichnung von noch geringerem Gewicht. Die individuelle Zuordnung der Dienstnummer oder taktischen Kennzeichnung zum einzelnen Beamten ist nur dem Dienstherrn möglich. Wird sie nach außen weitergegeben, liegt hierin ein rechtlich selbständig zu beurteilender Akt der Datenweitergabe, der sich an den jeweils einschlägigen Vorschriften messen lassen muss.

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Die Kennzeichnungspflicht gem. § 12 Abs. 2–4 SOG LSA berührt die Menschenwürde der betroffenen Polizeibeamten gem. Art. 4 LVerf nicht.

Die Antragsteller sehen eine solche Verletzung darin, dass durch die Kennzeichnung der Polizeibeamten diese zum bloßen Objekt der Strafverfolgung degradiert werden. Eine solche Degradierung zu einem Objekt der Strafverfolgung ist aber nicht allein darin zu sehen, dass ein möglicher Täter einer Straftat namhaft gemacht werden kann. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt nur dann vor, „wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren […]. Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben muss, in dem er ‚sich selbst besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘“15. Vorliegend wird durch die Kennzeichnungspflicht lediglich die nachträgliche Feststellung der Identität ermöglicht. Die Anonymität gehört aber nicht zu dem durch Art. 4 LVerf geschützten Bereich der Menschenwürde.

Landesverfassungsgericht Sachsen -Anhalt, Urteil vom 7. Mai 2019 – LVerwaltungsgericht 4/18

  1. LVerfG, Urteil vom 12.07.2005 – LVG 6/04, Rn. 58, LVerfGE 16, 583 f. m. w. N.[]
  2. BVerfG, Urteil vom 27.05.2005 – 1 BvR 668/04 – BVerfGE 113, 348, 369–375[]
  3. so für die Telekommunikationsüberwachung BVerfGE 113, 348, 372–375[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.04.2015 – 2 BvR 1322/12, Rn. 57, m. w. N.[]
  5. zur Abgrenzung von eingriffslosen Dienstausübungsvorschriften vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2017 – 2 C 25.17, Rn. 34; Urteil vom 19.11.2015 – 2 A 6.13, Rn. 18; Beschluss vom 23.02.2017 – 2 B 14.15, Rn. 13[]
  6. OVG BerlinBrandenburg, Urteil vom 05.09.2018 – 4 B 4.17, Rn. 47[]
  7. vgl. OVG BerlinBrandenburg, a. a. O.[]
  8. st. Rspr.; statt vieler: BVerfG, Beschluss vom 22.08.2012 – 1 BvR 199/11, Rn. 18[]
  9. vgl. BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, Rn. 221; Urteil vom 03.03.2004 – 1 BvR 2378/98, Rn. 263[]
  10. BVerfG, Urteil vom 14.07.1999, a. a. O., Rn. 221; Urteil vom 12.03.2003 – 1 BvR 330/96, Rn. 75; Beschluss vom 04.04.2006, a. a. O., Rn. 108[]
  11. vgl. BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05, Rn. 140[]
  12. BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, Rn. 260 m. w. N.[]
  13. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2008 – 1 BvR 3255/07, Rn. 24, zur Veröffentlichung der Bezüge von Vorstandsmitgliedern einer Krankenkasse im Interesse der Transparenz hinsichtlich der Kosten im Gesundheitswesen[]
  14. vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1, 42 f.[]
  15. BVerfG, Beschluss vom 16.07.1969 – 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 6[]

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