„Sachzuwendungen“ an einen Beamten

Das Bundesverwaltungsgericht ändert seine Rechtsprechung zu Disziplinarverfahren bei Sachzuwendungen: Die Schwe­re eines Ver­sto­ßes gegen das be­am­ten­recht­li­che Ver­bot der Vor­teils­an­nah­me hängt nach der neuen Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr davon ab, ob es sich bei dem Vor­teil um eine Geld- oder Sach­zu­wen­dung han­delt. Ein Be­am­ter, der sich wegen Be­stech­lich­keit (§ 332 Abs. 1 StGB) straf­bar macht, ist im Re­gel­fall aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis zu ent­fer­nen. Glei­ches gilt für die Straf­bar­keit wegen Vor­teils­an­nah­me (§ 331 Abs. 1 StGB), wenn ein Be­am­ter, der ein her­vor­ge­ho­be­nes Amt oder eine be­son­de­re Ver­trau­ens­stel­lung in­ne­hat, für die Dienst­aus­übung einen mehr als un­er­heb­li­chen Vor­teil for­dert oder an­nimmt.

„Sachzuwendungen“ an einen Beamten

Inhalt und Reichweite des beamtenrechtlichen Verbots der Vorteilsannahme sind nach dem Zweck der Dienstpflicht zu bestimmen. Die uneigennützige, nicht auf einen privaten Vorteil bedachte Amtsführung der Beamten stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Sie ist unverzichtbar, um das notwendige Vertrauen der Bevölkerung darauf zu erhalten, dass sich die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung ausschließlich an Recht und Gesetz orientiert. Dieses Vertrauen wird beeinträchtigt, wenn der Anschein entsteht, ein Beamter nutze seine Amtsstellung oder seine dienstliche Tätigkeit aus, um private Vorteile zu erzielen. Er muss jeden Eindruck vermeiden, dienstliche Tätigkeit oder Auftreten könnten beeinflusst werden. Daher darf sich ein Beamter nicht für einen Vorteil offen zeigen, wenn sich ein dienstlicher Bezug nicht ausschließen lässt1.

Dabei ist unter Vorteil jeder wirtschaftliche Wert zu verstehen, der dem Beamten oder einem von ihm bestimmten Dritten von anderer Seite als dem Dienstherrn zugewandt werden soll2. Ein Beamter verletzt die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung auch dann, wenn er einen Vorteil für einen Dritten annimmt, fordert oder sich versprechen lässt. Die Spende des Vorteils für einen gemeinnützigen Zweck kann allenfalls bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden3.

Der Vorteil weist den erforderlichen Bezug zu dem Amt des Beamten auf, wenn er nach den erkennbaren Vorstellungen des Vorteilsgebers im Zusammenhang mit der Amtsstellung des Beamten gewährt oder versprochen wird. Anknüpfungspunkt können sowohl das Amt im statusrechtlichen Sinne als auch das Amt im konkret-funktionellen Sinn, d.h. der dienstliche Aufgabenbereich des Beamten, sein. Der Vorteil kann sich auf eine ganz bestimmte dienstliche Handlung, auf das dienstliche Verhalten, auf die Aufgabenerfüllung als solche, aber auch auf den Status des Beamten oder auf die Beamteneigenschaft beziehen. Es ist nicht erforderlich, dass ein Beziehungsverhältnis zwischen Vorteil und dienstlichem Verhalten besteht. Vielmehr reicht es aus, dass der Vorteil gefordert, gewährt oder in Aussicht gestellt wird, um den Beamten bei seinem dienstlichen Verhalten wohlwollend zu stimmen („Pflege der Landschaft“). Private Kontakte zwischen Vorteilsgeber und Beamten schließen die Amtsbezogenheit des Vorteils nur dann aus, wenn er ausschließlich wegen der persönlichen Beziehungen gewährt wird4.

Der Beklagte hat angeboten, gegen Zahlung eines Geldbetrags eine rechtswidrige Diensthandlung vorzunehmen. Diese Bestechlichkeit stellt einen gravierenden Verstoß gegen die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung dar.

Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LDG MV kann das Verwaltungsgericht auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme erkennen. Dies bedeutet, dass es nicht an tatsächliche Feststellungen oder disziplinarrechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden ist. Vielmehr klärt das Verwaltungsgericht den Sachverhalt in Bezug auf die Handlungen, die dem Beamten in der Disziplinarklage zur Last gelegt werden, und in Bezug auf die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte selbst umfassend auf und würdigt die Beweise (§ 58 Abs. 1 LDG MV, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hält das Verwaltungsgericht ein Dienstvergehen für erwiesen und steht dessen Sanktionierung kein rechtliches Hindernis entgegen, bestimmt es die Disziplinarmaßnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV aufgrund einer eigenständigen Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden, d.h. aller erschwerenden und mildernden Umstände. Hierunter fallen alle Tatsachen, die im Einzelfall für die Schwere des nachgewiesenen Dienstvergehens, das Persönlichkeitsbild des Beamten und den Umfang der Beeinträchtigung des in ihn gesetzten Vertrauens bedeutsam sind. Demnach ist die Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft, wenn das Verwaltungsgericht einen bemessungsrelevanten Gesichtspunkt nicht oder nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht berücksichtigt hat. Darüber hinaus ist sie rechtsfehlerhaft, wenn das Verwaltungsgericht einen bemessungsneutralen Gesichtspunkt einbezogen, d.h. erschwerend oder mildernd berücksichtigt hat5.

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Ein Verstoß gegen das Gebot umfassender Sachaufklärung führt zwangsläufig dazu, dass die Bemessungsentscheidung unvollständig und damit rechtswidrig ist6. Bei der Gewichtung der be- und entlastenden Gesichtspunkte sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Schuldprinzip zu beachten7.

In Bezug auf bemessungsrelevante Gesichtspunkte, die nach erschöpfender gerichtlicher Sachaufklärung im Ungewissen bleiben, findet der Grundsatz Anwendung, dass im Zweifel zugunsten des Beamten zu entscheiden ist („in dubio pro reo“). Dieser Grundsatz, der im Rechtsstaatsprinzip gemäß Art.20 Abs. 1 und 3 GG und im Gebot freier richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankert ist, fordert, dass nur solche den Beamten belastenden Umstände bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, an denen nach der gerichtlichen Überzeugung kein vernünftiger Zweifel besteht. Dies bedeutet, dass ein bemessungsrelevanter Gesichtspunkt, der den Beamten belastet, mit dem für ihn günstigsten Sachverhalt in die Gesamtwürdigung einzustellen ist, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Zum einen muss das Verwaltungsgericht die Möglichkeiten der Sachaufklärung erschöpft haben, ohne zu der Überzeugung zu gelangen, dass eine Sachverhaltsvariante zutrifft. Zum anderen müssen für die dem Beamten günstigste Variante hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte sprechen. Auch gilt der Grundsatz nicht für einzelne Elemente der Beweiswürdigung zu einem bemessungsrelevanten Gesichtspunkt8.

Das gesetzliche Gebot der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände trägt dem Zweck der Disziplinarbefugnis Rechnung. Dieser besteht nicht darin, begangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Berufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Daher ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und falls dies zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtenverstöße zu verhindern9.

Im Berufungsverfahren stellt sich die Aufgabe der Gesamtwürdigung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV, d.h. der Sachverhaltsfeststellung und -würdigung sowie der Maßnahmebemessung, dem Oberverwaltungsgericht (§ 65 Abs. 1 LDG MV). Es muss sich insbesondere eine eigene Überzeugung vom Nachweis des Dienstvergehens und der bemessungsrelevanten Umstände bilden; ein Verweis auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts genügt nicht10.

Die Gesamtwürdigung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV führt zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn der Beamte ein schweres Dienstvergehen begangen hat und die Gesamtwürdigung ergibt, er werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung sei bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto näher liegt eine derartige Prognose. Dies wird durch § 15 Abs. 2 Satz 1 LDG MV klargestellt, der wörtlich § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG entspricht11.

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Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LDG MV (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BDG) ist die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des § 7 LDG MV (§ 5 BDG) aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 LDG MV (BDG) im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist12.

Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen entwickelt. Bestimmte innerdienstliche Pflichtenverstöße werden als so gewichtig eingestuft, dass grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert ist. Derartige Regeleinstufungen dürfen aber nicht schematisch angewandt werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Schuldprinzip folgt, dass es im Einzelfall stets möglich sein muss, die von einer Regeleinstufung ausgehende Indizwirkung zu entkräften. Hierfür können insbesondere Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten Anlass geben. Das Gewicht der mildernden Umstände muss umso höher sein, je schwerer der Pflichtenverstoß nach den dafür bedeutsamen Merkmalen wiegt13.

Dem Verbot der Vorteilsannahme in Bezug auf das Amt kommt als Bestandteil der Dienstpflicht zur uneigennützigen Amtsführung herausragende Bedeutung zu. Ein Beamter, der hiergegen verstößt, zerstört regelmäßig das Vertrauen, das für eine weitere Tätigkeit als Beamter, d.h. als Organ des Staates, erforderlich ist. Eine rechtsstaatliche Verwaltung ist auf die berufliche Integrität des Berufsbeamtentums zwingend angewiesen. Jeder Eindruck, ein Beamter sei für Gefälligkeiten offen oder käuflich, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn kein Zweifel daran aufkommt, dass es bei der Aufgabenwahrnehmung mit rechten Dingen zugeht14.

Aus der herausragenden Bedeutung des Verbots der Vorteilsannahme folgt, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann indiziert ist, wenn sich der Beamte wegen Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Im Falle der Bestechlichkeit wird das Verbot der Vorteilsannahme in besonders schwerer Weise missachtet. Der Beamte erklärt sich bereit, als Gegenleistung für einen Vorteil eine rechtswidrige Diensthandlung vorzunehmen. Der Straftatbestand des § 332 Abs. 1 StGB ist bereits dann vollendet, wenn die sogenannte Unrechtsvereinbarung (rechtswidrige Diensthandlung gegen Vorteil) zustande gekommen ist. Die Vereinbarung muss nicht „erfüllt“ worden sein. Weder müssen der Beamte oder der von ihm bestimmte Dritte den vereinbarten Vorteil erhalten noch muss der Beamte rechtswidrig gehandelt haben.

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Der besonders schwere Unrechtsgehalt der Bestechlichkeit kommt im Strafrahmen des § 332 Abs. 1 StGB zum Ausdruck, der von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren reicht. Er wird zudem durch die Entscheidung des Gesetzgebers belegt, das Beamtenverhältnis nach der – hier allerdings nicht anwendbaren, weil zur Tatzeit noch nicht geltenden – Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG bereits dann kraft Gesetzes zu beenden, wenn ein Beamter wegen Bestechlichkeit in Bezug auf eine Diensthandlung im Hauptamt rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird.

Darüber hinaus ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei strafbarem Verhalten nach § 331 Abs. 1 StGB (Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne) im Regelfall angezeigt, wenn ein Beamter als Inhaber eines hervorgehobenen Amtes oder einer dienstlichen Vertrauensstellung für die Dienstausübung einen mehr als unerheblichen Vorteil fordert oder annimmt. Auch in diesen Fällen muss eine Unrechtsvereinbarung zustande kommen, d.h. der Beamte muss eine Beziehung zwischen Vorteil und Dienstausübung herstellen. Seit der Erweiterung des Straftatbestandes des § 331 Abs. 1 StGB durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz15 muss sich diese Vereinbarung nicht mehr auf eine konkrete dienstliche Handlung beziehen. Es reicht aus, dass durch den Vorteil das allgemeine Wohlwollen des Beamten bei der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erkauft werden soll. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine Bereitschaft zur Missachtung von Recht und Gesetz hat erkennen lassen16.

Liegen die Voraussetzungen für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Regelmaßnahme vor, macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem unerlaubten Vorteil um Geld- oder Sachleistungen handelt. Der unbedingt zu vermeidende Anschein der Käuflichkeit in Bezug auf das Amt entsteht unabhängig von der Art des Vorteils. Es muss jedem Beamten klar sein, dass er die Grenze der Sozialadäquanz auch dann überschreitet, wenn er in Bezug auf das Amt eine wie auch immer geartete Sachleistung von einigem Wert fordert, annimmt oder sich versprechen lässt17. Daher führt der Senat die Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter, wonach der Pflichtenverstoß schwerer wiegt, wenn eine Geldzuwendung in Rede steht18.

Auch wenn der Verstoß gegen das Verbot der Vorteilsannahme der Regeleinstufung der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unterfällt, gilt grundsätzlich, dass die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses davon abhängt, ob mildernde Umstände von einem Gewicht vorliegen, das die Schwere des Pflichtenverstoßes und sonstige belastende Umstände aufwiegt. Allerdings kann dies wegen der herausragenden Bedeutung der verletzten Dienstpflicht nur in Erwägung gezogen werden, wenn der Verstoß aufgrund erheblicher mildernder Umstände weniger schwer wiegt oder ein anerkannter Milderungsgrund wie etwa freiwillige Offenbarung eingreift. Liegt ein derartiger Grund nicht vor, kann von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur abgesehen werden, wenn dem Beamten lediglich ein einmaliger Pflichtenverstoß zur Last fällt, der aufgrund der besonders gelagerten Umstände des Einzelfalles eine großzügigere Bewertung rechtfertigt. Dies kann in Betracht kommen, wenn der Beamte kein hervorgehobenes Amt bekleidet und entweder der Wert des Vorteils eher gering ist oder der Vorteil dem Beamten aufgedrängt wird.

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Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen der Regeleinstufung schon deshalb erfüllt, weil sich der Beklagte wegen Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Da der Dienstvorgesetzte dem beklagten Beamten in der Disziplinarklageschrift nur einen einmaligen Pflichtenverstoß zur Last legt, hängt ein Verbleib des Beklagten im Beamtenverhältnis davon ab, ob zu seinen Gunsten mildernde Umstände von erheblichem Gewicht zu Buche schlagen, die geeignet sind, die belastenden Umstände zu kompensieren.

Die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Gesamtwürdigung des Oberverwaltungsgerichts genügt den dargestellten Anforderungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat teilweise das Ergebnis der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts zu bemessungsrelevanten Gesichtspunkten übernommen, anstatt sich eine eigene Überzeugung zu bilden. Zudem hat es sowohl bemessungsrelevante Umstände außer Acht gelassen als auch bemessungsneutrale Umstände in die Gesamtwürdigung einbezogen. Hierzu ist im Einzelnen zu bemerken:

Zugunsten des Beklagten spricht die relativ geringe Höhe des geforderten Geldbetrags. Zu seinen Lasten ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte als Polizeivollzugsbeamter eine Vertrauensstellung innehatte. Ihm oblag es, selbständig Anzeigen aufzunehmen und durch ihre Weiterleitung dafür zu sorgen, dass die festgestellten Verkehrsverstöße sanktioniert werden konnten. Weiterhin spricht gegen ihn, dass die Initiative zu dem Pflichtenverstoß von ihm ausgegangen ist. Er hat mit dem Fahrer Kontakt aufgenommen, um diesem seinen Plan zur Vertuschung der Täterschaft gegen Zahlung von 200 bis 250 € zu unterbreiten.

Es ist Sache des Oberverwaltungsgerichts festzustellen, ob dem Beklagten weitere mildernde Umstände zugute kommen und ob der Nachweis weiterer erschwerender Umstände erbracht ist. Im Anschluss daran hat das Oberverwaltungsgericht alle be- und entlastenden Umstände, die tatsächlich und rechtlich in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, nach dem ihnen zukommenden Gewicht ins Verhältnis zu setzen, wobei es die Regeleinstufung der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis für Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB zu beachten hat.

Das Oberverwaltungsgericht hat dem Beklagten zudem rechtsfehlerhaft einen Ladendiebstahl einer geringfügigen Sache im November 2003 angelastet. Es hat sich darauf beschränkt, die Einwendungen des Beklagten gegen die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, das den Ladendiebstahl für erwiesen gehalten hat, auf Plausibilität zu überprüfen. Das Berufungsgericht muss sich jedoch eine eigene Überzeugung vom Nachweis des Dienstvergehens und aller bemessungsrelevanten Umstände bilden. Es darf sich nicht darauf beschränken, auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zu verweisen10.

Den Gründen des Berufungsurteils lässt sich nicht entnehmen, ob das Oberverwaltungsgericht die Angaben des Beklagten, er habe bei dem Verstoß gegen das Verbot der Vorteilsannahme aus Mitleid gehandelt, für glaubhaft gehalten hat. Dies lässt darauf schließen, dass das Oberverwaltungsgericht dem Tatmotiv des Beklagten rechtsfehlerhaft keine bemessungsrelevante Bedeutung beigemessen hat. Die Motivlage, die den Beamten zu den nachgewiesenen Pflichtenverstößen veranlasst hat, ist ein bemessungsrelevanter Umstand. Daher müssen die Verwaltungsgerichte den Beamten zu seinen Motiven befragen und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben prüfen19.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Angaben des Beklagten zu seinen Lebensumständen während der Tatzeit zu Unrecht von vornherein jede bemessungsrelevante Bedeutung abgesprochen. Eine so genannte negative Lebensphase während des Tatzeitraums kann je nach den Umständen des Einzelfalles mildernd berücksichtigt werden. Dies gilt allerdings nur für außergewöhnliche Verhältnisse, die den Beamten zeitweilig aus der Bahn geworfen haben. Hinzukommen muss, dass er die negative Lebensphase in der Folgezeit überwunden hat20. Dieser Rechtsprechung liegt die oben unter 2. a)) dargestellte Erwägung zugrunde, dass die Frage, welche Disziplinarmaßnahme zu verhängen ist, insbesondere ob ein Beamter trotz eines gravierenden Dienstvergehens noch tragbar ist, nach dem Zweck der disziplinarrechtlichen Sanktionierung stets in Ansehung der gesamten Persönlichkeit zu beantworten ist.

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Danach liegt die Berücksichtigung einer schwierigen, inzwischen überwundenen Lebensphase vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge der Lebensumstände darstellt21. Dies bedeutet aber nicht, dass eine schwierige Lebensphase während der Tatzeit in anderen Fällen generell außer Betracht zu bleiben hat.

Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht zugunsten des Beklagten bei der Maßnahmebemessung berücksichtigt, dass er während des Disziplinarverfahrens weiter Dienst geleistet hat. Entscheidungen über die weitere Verwendung eines Beamten während des Disziplinarverfahrens sind bemessungsneutral. Dies folgt daraus, dass es nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LDG MV Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, die erforderliche Disziplinarmaßnahme unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Bindung an Wertungen des Dienstherrn zu bestimmen. Daher kann der Dienstherr die Maßnahmebemessung nicht durch Entscheidungen für oder gegen den Einsatz des beschuldigten Beamten beeinflussen. Führt die verwaltungsgerichtliche Gesamtwürdigung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV zu dem Ergebnis, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, vermag daran die weitere Dienstausübung während des Disziplinarverfahrens nichts zu ändern. Das Vertrauensverhältnis, dessen Fortbestand für den Verbleib im Beamtenverhältnis erforderlich ist, bezieht sich auf den allgemeinen Status als Beamter, nicht auf die Dienstleistung22.

Ergänzend weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen für sich genommen regelmäßig nicht geeignet ist, gravierende Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen23.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12

  1. BVerwG, Urteile vom 14.12.1995 – 2 C 27.94, BVerwGE 100, 172, 175 = Buchholz 236.1 § 19 SG Nr. 1 S. 3; vom 20.01.2000 – 2 C 19.99, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 9 S. 11; vom 23.11.2006 – 1 D 1.06, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29; Beschluss vom 29.01.2009 – 2 B 34.08, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 8 Rn. 9[]
  2. BVerwG, Urteile vom 14.12.1995 a.a.O. S. 175 bzw. S. 3; vom 20.01.2000 a.a.O. S.12; und vom 20.02.2002 – 1 D 19.01, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 S. 18[]
  3. BVerwG, Urteile vom 21.09.1988 – 1 D 140.87, BVerwGE 86, 74, 77; vom 01.09.1998 – 1 D 63.97, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 7 S. 6; und vom 19.06.2008 – 1 D 2.07[]
  4. BVerwG, Urteile vom 14.12.1995 a.a.O. S. 176 bzw. S. 4; vom 20.01.2000 a.a.O. S. 12; vom 20.02.2002 a.a.O. Rn. 18 f.; vom 08.06.2005 – 1 D 3.04; und vom 19.06.2008 – 1 D 2.07[]
  5. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 – 2 C 12.04, BVerwGE 124, 252, 255 f. = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 16; und vom 28.07.2011 – 2 C 16.10, BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18 Rn. 18[]
  6. BVerwG, Urteile vom 03.05.2007 – 2 C 9.06, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 17; und vom 28.07.2011 a.a.O. Rn. 30[]
  7. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. Rn. 22, vom 03.05.2007 a.a.O. Rn.20; und vom 28.07.2011 a.a.O. Rn. 29[]
  8. BVerwG, Urteile vom 13.12.1979 – 1 D 104.78, BVerwGE 63, 319, 321; vom 30.09.1992 – 1 D 32.91, BVerwGE 93, 294, 297; vom 04.05.2006 – 1 D 13.05; vom 03.05.2007 a.a.O. Rn. 17; und vom 28.07.2011 a.a.O. Rn. 30; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.10.2008 – 1 StR 292/08 – NStZ-RR 2009, 90[]
  9. BVerwG, Urteile vom 05.05.1988 – 1 D 12.97, Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16; und vom 03.05.2007 a.a.O. Rn. 16; Beschlüsse vom 06.07.1984 – 1 DB 21.84, BVerwGE 76, 176, 177 f.; vom 13.10.2005 – 2 B 19.05, Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5; und vom 16.05.2012 – 2 B 3.12, NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 5[]
  10. BVerwG, Beschluss vom 20.10.2011 – 2 B 86.11[][]
  11. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. Rn. 21 f.; und vom 03.05.2007 a.a.O. Rn. 18[]
  12. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. Rn. 22; vom 03.05.2007 Rn.20; und vom 28.07.2011 Rn. 29[]
  13. BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 a.a.O. Rn. 22; vom 03.05.2007 a.a.O. Rn.20 f.; vom 24.05.2007 – 2 C 25.06, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 22; und vom 28.07.2011 a.a.O. Rn. 29 f.[]
  14. BVerwG, Urteile vom 22.10.1996 – 1 D 76.95 – 113, 4, 5; vom 24.06.1998 – 1 D 23.97, BVerwGE 113, 229, 232; vom 20.02.2002 – 1 D 19.01, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11; und vom 08.06.2005 – 1 D 3.04[]
  15. vom 13.08.1997, BGBl I S.2038[]
  16. BVerwG, Urteile vom 23.11.2006 – 1 D 1.06, Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29 f.; und vom 19.06.2008 – 1 D 2.07[]
  17. vgl. Zwiehoff, in: jurisPR-ArbR 45/2005 Nr. 2[]
  18. vgl. BVerwG, Urteile vom 22.10.1996 – 1 D 76.95, BVerwGE 113, 4, 6 f.; und vom 24.06.1998 – 1 D 23.97, BVerwGE 113, 229, 232 f.[]
  19. BVerwG, Urteil vom 23.02.2012 – 2 C 38.10, NVwZ-RR 2012, 479 Rn. 18; Beschluss vom 06.09.2012 – 2 B 31.12[]
  20. BVerwG, Urteile vom 18.04.1979 – 1 D 39.78, BVerwGE 63, 219, 220, vom 23.08.1988 – 1 D 136.87 – NJW 1989, 851; und vom 27.01.2011 – 2 A 5.09, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 17 Rn. 39, Beschluss vom 14.06.2005 – 2 B 108.04, NVwZ 2005, 1199, 1200, insoweit in Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 nicht abgedruckt[]
  21. vgl. BVerwG, Urteil vom 27.01.2011 a.a.O. Rn. 39[]
  22. BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 – 1 D 33.02, BVerwGE 120, 33, 49 f. = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 76; und vom 08.06.2005 – 1 D 3.04 – juris Rn. 26[]
  23. BVerwG, Urteile vom 23.11.2006 – 1 D 1.06, insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 nicht abgedruckt, vom 07.02.2008 – 1 D 4.07, insoweit in Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 13 nicht abgedruckt, vom 19.06.2008 – 1 D 2.07, insoweit in Buchholz 235 § 25 BDO Nr. 5 nicht abgedruckt; Beschluss vom 23.01.2013 – 2 B 63.12[]
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