Die Aufwendungen zu einem operativen Eingriff in einen gesunden Körper, durch den das subjektiv als belastend empfundene Aussehen verändert wird, sind auch dann nicht notwendig im beihilferechtlichen Sinne, wenn die Belastungen das Ausmaß einer psychischen Krankheit angenommen haben1.

Die Beihilfegewährung dient der Erstattung von Aufwendungen, die aus Anlass einer Krankheit entstanden sind (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BhV; nunmehr § 1 Satz 1, §§ 12 f. BBhV). Da die Beihilfevorschriften keinen eigenständigen Krankheitsbegriff statuieren, ist grundsätzlich auf den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückzugreifen2. Danach ist Krankheit ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Zustand des Körpers oder des Geistes, der ärztlicher Behandlung bedarf oder – zugleich oder ausschließlich – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Jemand ist krank, wenn er in seiner Körperfunktion beeinträchtigt ist oder an einer anatomischen Abweichung leidet, die entstellend wirkt3.
Danach steht außer Frage, dass Störungen, die sowohl mit seelischen als auch mit körperlichen Beeinträchtigungen verbunden sind, vom beihilferechtlichen Krankheitsbegriff erfasst werden. Es kommt darauf an, ob das Krankheitsbild sowohl körperlicher als auch seelischer Natur ist4. Hierfür reicht nicht aus, dass das subjektive Empfinden des Betroffenen, sein körperlicher Zustand sei unzulänglich, psychische Störungen hervorruft. Subjektive Wahrnehmungen sind ohne Bedeutung für die Frage, ob eine körperliche Krankheit vorliegt. Maßgeblich sind objektive Kriterien, insbesondere der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse5.
Diesen Krankheitsbegriff hat das Oberverwaltungsgericht seiner tatsächlichen und rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt, wobei es Bezug auf die Senatsrechtsprechung genommen hat. Es hat den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellten Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass es sich bei der geringen Körpergröße der Tochter des Klägers objektiv nicht um eine Krankheit gehandelt hat. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich eine psychische Störung angenommen, die sich wegen des Empfindens der Unzulänglichkeit aufgrund der geringen Körpergröße ausgeprägt hat. Diese tatsächlichen Feststellungen lassen eine rechtliche Würdigung nicht zu, die Krankheit der Tochter des Klägers sei „ganzheitlich“, d.h. körperlicher und seelischer Art. Vielmehr kann daraus nur der Schluss auf eine ausschließlich psychische Erkrankung gezogen werden.
Der Begriff der beihilferechtlichen Notwendigkeit von Aufwendungen als Voraussetzung für die Beihilfengewährung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV; nunmehr § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV) ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Danach sind Aufwendungen dem Grund nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient. Entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren. Zusätzliche Maßnahmen, die für sich genommen nicht die Heilung des Leidens herbeiführen können, können als notwendig gelten, wenn sie die Vermeidung oder Minimierung von mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Behandlungsrisiken und Folgeleiden bezwecken6.
Der beihilferechtliche Begriff der Notwendigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen entspricht jedenfalls im hier maßgebenden Bereich inhaltlich dem Begriff der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Regelung muss die Behandlung notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehlt es an der Notwendigkeit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V für operative Eingriffe in den gesunden Körper, durch die psychischen Krankheiten entgegengewirkt werden soll, die auf einen subjektiv als unzulänglich empfundenen körperlichen Zustand ohne Krankheitswert zurückzuführen sind. Denn nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Erkenntnisse ist generell zweifelhaft, ob derartige Eingriffe zur Überwindung einer psychischen Krankheit geeignet sind. Die psychischen Wirkungen der körperlichen Veränderungen können nicht eingeschätzt werden, insbesondere ist nach dem Eingriff eine Symptomverschiebung zu besorgen. Hinzu kommt, dass der operative Eingriff dem subjektiven Empfinden des Betroffenen geschuldet ist, der eine körperliche Eigenschaft als belastend empfindet und sich damit nicht abfindet. Letztlich müssten Schönheitsoperationen auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn psychotherapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist7.
Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die Auslegung des Begriffs der beihilferechtlichen Notwendigkeit. Sie schließen aus, die Notwendigkeit einer Operation zur Veränderung des Aussehens davon abhängig zu machen, ob die medizinisch gebotene psychotherapeutische Behandlung im konkreten Fall (noch) Erfolg verspricht.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. September 2011 – 2 B 66.11
- im Anschluss an die stRspr des BSG zu § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V[↩]
- BVerwG, Urteil vom 24.02.1982 – 6 C 8.77, BVerwGE 65, 87, 91 = Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 5 S. 5; Beschluss vom 04.11.2008 – 2 B 19.08, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 4[↩]
- BVerwG, Urteile vom 24.02.1982 a.a.O. und Beschluss vom 04.11.2008 a.a.O.; BSG, Urteile vom 10.02.1993 – 1 RK 14/92 – BSGE 72, 96, 98; vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R – BSGE 93, 252 Rn. 4 f.; vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R – BSGE 100, 119 Rn. 11 und vom 28.09.2010 – B 1 KR 5/10 R – NJW 2011, 1899 Rn. 10[↩]
- BSG, Urteil vom 28.09.2010 a.a.O. Rn. 15[↩]
- BSG, Urteile vom 19.10.2004 a.a.O. Rn. 5 f.; vom 28.02.2008 a.a.O. Rn. 16 und vom 28.09.2010 a.a.O. Rn. 14[↩]
- BVerwG, Urteil vom 07.11.2006 – 2 C 11.06, BVerwGE 127, 91 = Buchholz 237.8 § 90 RhPLBG Nr. 2 [↩]
- BSG, Urteile vom 10.02.1993 a.a.O. S. 98 f.; vom 09.06.1998 – B 1 KR 18/96 R – BSGE 82,158, 163 f.; vom 19.10.2004 a.a.O. Rn. 7 f. und vom 28.09.2010 a.a.O. Rn. 14[↩]