Die Rückwirkende Neuregelung der vorübergehenden Erhöhung des versorgungsrechtlichen Ruhegehaltssatzes durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz ist verfassungsgemäß, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht.
Die gesetzliche Regelung[↑]
Beamte, die neben ihrem beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch aus einer früheren Tätigkeit einen Anspruch auf Rente aus einer gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, befinden sich in einer besonderen Versorgungslage, wenn sie vor Erreichen der Regelaltersgrenze – etwa wegen Dienstunfähigkeit oder aufgrund einer besonderen Altersgrenze – in den Ruhestand treten. Sie sind zunächst ausschließlich auf ihre beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angewiesen, da sie ihre Altersrente erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen können. Dies kann sich für diese Beamten nachteilig auswirken, wenn durch eine späte Übernahme in das Beamtenverhältnis und den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige Dienstjahre für die Berechnung der Versorgungsbezüge berücksichtigt werden können. § 14a BeamtVG wirkt dieser „Versorgungslücke“ bei sogenannten gemischten Erwerbskarrieren durch eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bis zum Beginn des Rentenbezugs entgegen.
Berechnungsgrundlage für die Erhöhung war nach der ursprünglichen Fassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG der „nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“. Dies wurde von der Verwaltung in Übereinstimmung mit verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums zunächst dahingehend ausgelegt, dass nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter („erdienter“) Ruhegehaltssatz maßgeblich sei. Demgegenüber kam das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Juni 2005 zu dem Ergebnis, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz von 35 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge um einen „berechneten“ Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG handele. Dieser Rechtsauffassung folgte die Verwaltung jedoch nicht; auch die unteren Instanzgerichte schlossen sich ihr nur teilweise an.
Durch das am 11. Februar 2009 verkündete Dienstrechtsneuordnungsgesetz (DNeuG) wurde § 14a Abs. 1 BeamtVG dahingehend geändert, dass als Berechnungsgrundlage für die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nur noch der „erdiente“ Ruhegehaltssatz in Betracht kommt. Art. 17 Abs. 1 DNeuG ordnete das Inkrafttreten dieser Änderung mit Wirkung vom 24. Juni 2005 an, das heißt zum Zeitpunkt der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Richtervorlage des Bundesverwaltungsgerichts[↑]
Der Kläger des verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahrens war seit 1992 als Polizeibeamter beim Bundesgrenzschutz beziehungsweise bei der Bundespolizei tätig. Er wurde nach Vollendung des 60. Lebensjahres mit Ablauf Februar 2008 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. Die Bundesfinanzdirektion Nord setzte sein Ruhegehalt auf 1.691,89 € fest, wobei sie den „erdienten“ Ruhegehaltssatz in Höhe von 32,64 % gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a. F. vorübergehend um 24,58 % auf insgesamt 57,22 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge erhöhte. Der Kläger begehrte, den Ruhegehaltssatz auf Basis des Mindestruhegehaltssatzes auf insgesamt 59,58 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge vorübergehend zu erhöhen, woraus sich ein Ruhegehalt in Höhe von 1.761,68 € ergeben hätte. Dies lehnte die Bundesfinanzdirektion Nord ab. Die hiergegen erhobene Klage hat zur Vorlage durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG geführt, das in der rückwirkenden Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot sieht1.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG mit dem Grundgesetz, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vertrauensschutz, vereinbar ist. Die Vorschrift enthält keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung und verletzt nicht das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Vertrauen versorgungsberechtigter Beamter darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein.
Zulässige Rückwirkung – Vertrauensschutz, Artt. 20 Abs. 2, 33 Abs. 5 GG[↑]
Art. 17 Abs. 1 DNeuG, der das Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG mit Wirkung vom 24.06.2005 anordnet und dadurch in die geänderte Fassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG auch Beamte einbezieht, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind, begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift enthält keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung und verletzt nicht das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Vertrauen versorgungsberechtigter Beamter darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein.
Mit dem vorlegenden Gericht kann davon ausgegangen werden, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG sowohl echte Rückwirkung als auch unechte Rückwirkung zukommt.
Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“), wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll2. Bei Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG ist dies – die Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch das Bundesverwaltungsgericht als maßgeblich unterstellt – im Hinblick auf Beamte der Fall, die nach dem 24.06.2005 und vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes am 11.02.2009 in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllt haben. Insoweit kann Art. 17 Abs. 1 DNeuG zur nachträglichen Kürzung bestehender Versorgungsansprüche führen, wie das Beispiel des am 1.03.2008 in den Ruhestand getretenen Klägers des Ausgangsverfahrens zeigt. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand hatte der Kläger bei einem nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz von 59,58 v.H. einen Versorgungsanspruch in Höhe von 1.761,68 € zu erwarten. Nach der rückwirkenden Gesetzesänderung errechnet sich für den Kläger ein vorübergehend erhöhter Ruhegehaltssatz von 57,22 v.H. und damit ein Versorgungsanspruch in Höhe von (lediglich) 1.691,89 €. Im Zeitraum zwischen Eintritt in den Ruhestand und Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes wurde der bestehende Versorgungsanspruch des Klägers damit, gemessen an der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Rechtslage, nachträglich um insgesamt 837,48 € (12 Monate x 69,79 €) gekürzt.
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor3. Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG entfaltet – wiederum auf der Grundlage der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts – unechte Rückwirkung, soweit danach bestehende Versorgungsansprüche von Beamten, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllen, für die Zeit nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gekürzt werden. Beim Kläger des Ausgangsverfahrens, der die Regelaltersgrenze am 28.02.2013 und damit 48 Monate nach Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes erreicht, verringert sich der Versorgungsanspruch damit um insgesamt 3.349,92 € (48 Monate x 69,79 €).
An der (echten und unechten) Rückwirkung von Art. 17 Abs. 1 DNeuG fehlt es nicht deshalb, weil die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F., wie es in der Gesetzesbegründung heißt, aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellender Natur sei4. Zwar liegt grundsätzlich keine Rückwirkung vor, wenn die Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte5. Dies ist hier aber nicht der Fall.
Die verbindliche Auslegung von Rechtssätzen ist Aufgabe der Gerichte. Eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Befugnis zu „authentischer“ Interpretation der rückwirkend geänderten Norm ist daher nicht anzuerkennen6. Deren Regelungsgehalt ist vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll. So liegt es hier.
Das Tatbestandsmerkmal „nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“ in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. konnte unterschiedlich ausgelegt werden. Während die Verwaltung sowie die Instanzrechtsprechung und ein Teil der Literatur zunächst davon ausgingen, dass damit nur der auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnete („erdiente“) Ruhegehaltssatz gemeint sei, gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen „berechneten“ Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handelte. Da nichts dafür spricht, dass eine der beiden Auslegungsalternativen – etwa wegen Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfindung7 – auszuscheiden gewesen wäre, hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung eine Streitfrage abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung in einem bestimmten Sinne und damit konstitutiv entschieden.
Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetzgebung nicht zu beanstanden.
Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind8. Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten9.
Die „echte“ Rückwirkung („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“) ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss10, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird11. Ausnahmsweise können aber zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des Verbots einer „echten“ Rückwirkung gestatten12.
Dagegen ist die „unechte“ Rückwirkung („tatbestandliche Rückanknüpfung“) nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen13. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren14. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz15.
Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Dabei sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen16 und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren17. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt18.
Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat in Art. 33 Abs. 5 GG eine besondere Ausprägung erfahren. Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sollen dem Beamten Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Güter gewährleisten und insbesondere verhindern, dass versorgungsberechtigte Beamte in ihrem schutzwürdigen Vertrauen darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein, enttäuscht werden19. Die für die Beurteilung rückwirkender Rechtsänderungen zulasten der Beamten und Versorgungsempfänger nach Art. 33 Abs. 5 GG heranzuziehenden Maßstäbe unterscheiden sich jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht grundsätzlich von den Maßstäben, die auch sonst für rückwirkende belastende Gesetze gelten.
Der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 14a Abs. 1 BeamtVG steht kein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Beamten entgegen. Daher bedarf es auch keiner nach „echter“ und „unechter“ Rückwirkung differenzierenden Würdigung.
Das durch das Rechtsstaatsprinzip und Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen – insbesondere Vermögensdispositionen – herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen20. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren war21 oder wenn ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei22.
Ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen, dass es sich bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen „berechneten“ Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handele, konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht entwickeln.
Der Regelungsgehalt des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. war in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Die Vorschrift wurde von der für die Beamtenversorgung zuständigen Verwaltung sowie von der Instanzrechtsprechung und einem Teil der Literatur zunächst dahingehend ausgelegt, dass der „nach sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“ nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter („erdienter“) Ruhegehaltssatz sei, insbesondere der nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechnete Ruhegehaltssatz. Vom Anwendungsbereich des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ausdrücklich ausgenommen wurden die Mindestruhegehaltssätze gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG, weil beide – ohne Bezug zur tatsächlich ruhegehaltfähigen Dienstzeit – abstrakt gesetzlich vorgegeben und deshalb nicht „berechnet“ seien.
Zwar kam das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23.06.2005 unter Hinweis auf Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zu dem Ergebnis, dass auch der Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG ein Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sei. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand dieses Normverständnisses konnte allein aus dieser Entscheidung indes nicht erwachsen.
Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, wirken zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus als – freilich nur richtungweisendes – Präjudiz für künftige Fälle. Die höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt aber keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung23. Weder sind die unteren Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, noch sind es die obersten Gerichte selbst. Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an einer bestimmten Rechtsauffassung aus der bisherigen Judikatur festhalten24. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen25.
Bis zur Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes war nicht sicher davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festhalten würde. Eine in dieser Richtung gefestigte Rechtsprechung bestand nicht. Vielmehr wich das Urteil vom 23.06.2005 von der bis dahin bestehenden Verwaltungspraxis sowie von der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ab. Zwar schlossen sich in der Folgezeit einige Instanzgerichte dem Bundesverwaltungsgericht an; zumindest ein Oberverwaltungsgericht folgte dessen Rechtsprechung jedoch nicht26, auch stieß das Urteil auf erhebliche Kritik im Schrifttum27.
Im Rahmen dieser Kritik wurde darauf hingewiesen, dass die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu Ergebnissen führen kann, die über den Regelungszweck des § 14a BeamtVG hinausgehen. § 14a BeamtVG soll versorgungsrechtlichen Nachteilen entgegenwirken, die sich wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung für den Zeitraum ergeben können, in dem ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht, die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen aber noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden können28. Diesem Ziel wird die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zwar gerecht. Sie vermeidet insbesondere, dass § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in den Fällen leerläuft, in denen die Versorgungsbezüge trotz des vorübergehenden Ausschlusses des Beamten von einer gesetzlichen Rente auch bei Einbeziehung der Pflichtbeitragszeiten nach Maßgabe von § 14a Abs. 2 BeamtVG die Mindestversorgung nicht überschreiten.
Sie greift jedoch über das Ziel des Gesetzgebers hinaus, soweit ein Beamter durch die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine höhere Gesamtversorgung erhält, als er aufgrund von § 14 Abs. 5 BeamtVG bei Erreichen der Regelaltersgrenze erhalten wird. Im Zeitraum zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand bis zum Beginn des Rentenbezugs ist der Beamte dadurch quasi „überversorgt“29. Mit diesem Aspekt setzt sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.06.2005 nicht auseinander.
Kritik hat diese Entscheidung auch deshalb erfahren, weil die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu einer Besserstellung von Beamten, die zunächst in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig waren, gegenüber Beamten, die ausschließlich in einem Beamtenverhältnis standen, führen kann, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich ist. In Fällen, in denen letzteren lediglich Ansprüche auf die Mindestversorgung gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG zustehen, könnte bei ersteren, die Pflichtbeitragszeiten für die gesetzliche Rentenversicherung vorweisen können, trotz gleicher Arbeits- und Dienstzeit der Mindestruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden. Den versorgungsrechtlichen Nachteilen gemischter Erwerbskarrieren wird insoweit mehr als nur entgegengewirkt, weil die Betroffenen vorübergehend eine höhere Gesamtversorgung erhalten, als ihnen zustünde, wenn die relevanten Pflichtbeitragszeiten ruhegehaltfähige Dienstzeiten wären30. Das Bundesverwaltungsgericht war davon ausgegangen, dass dies wegen der erheblich abweichenden Staffelung der Sätze nach § 14 Abs. 1 BeamtVG und nach § 14a Abs. 2 BeamtVG nur in besonderen Ausnahmefällen vorkommen werde und zudem einer Korrektur in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 14 Abs. 5 BeamtVG zugänglich sein könnte31.
Die für die Beamtenversorgung zuständigen Behörden haben zudem ganz überwiegend keinen Zweifel daran gelassen, dass dem Urteil vom 23.06.2005 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei. Demgemäß wurden in der Folgezeit Anträge auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts auf der Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG abgelehnt, darunter auch Anträge von Bundesbeamten, die – wie der Kläger des Ausgangsverfahrens – beim Bundesgrenzschutz tätig waren32. Jedenfalls durch die entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren war die Haltung der Verwaltung auch allgemein bekannt. Hinzu kamen Gesetzesinitiativen auf Bundes- wie auf Landesebene, mit denen die unveränderte Verwaltungspraxis gesetzlich abgesichert werden sollte33 und die in den Ländern teilweise bereits im Jahr 2007 zu entsprechenden Bestimmungen führten34.
Unter diesen Umständen lag es – trotz der Gefolgschaft der Mehrzahl der Instanzgerichte – nicht fern, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung korrigieren werde. Dementsprechend fehlte es an einer hinreichend sicheren Grundlage für ein Vertrauen in den Fortbestand der auf dieser Entscheidung beruhenden Rechtslage. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht letztlich an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten und diese gegen Kritik verteidigt35. Diese Entscheidung erging jedoch nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes und konnte deshalb nicht mehr vertrauensbildend wirken36.
Art. 17 Abs. 1 DNeuG stößt auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Vertrauensschutzes im Bereich der Beamtenversorgung nicht auf rechtsstaatliche Bedenken. § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F wurde rückwirkend in einem Sinne geändert, der der Verwaltungspraxis sowie der zunächst überwiegenden Auslegung dieser Norm in Rechtsprechung und Schrifttum entsprach. Die von der Rückwirkung Betroffenen hatten sich während des ganz überwiegenden Teils ihrer Dienstzeit darauf einzustellen, dass nur ihr „erdienter“ Ruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden kann. Vor diesem Hintergrund konnten sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.06.2005 nicht ohne weiteres zum Anlass für erhebliche Dispositionen im Vertrauen auf dessen Bestand nehmen, zumal die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf die Zeit zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand und dem Beginn des Rentenbezugs beschränkt ist und spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze wegfällt (vgl. § 14a Abs. 3 BeamtVG), es also um zeitlich begrenzte Dispositionsmöglichkeiten ging. Auch liegt die mit der Rechtsänderung verbundene Rückführung der Versorgungsbezüge – beim Kläger des Ausgangsverfahrens monatlich 69,79 €, entsprechend 3,96 v.H. der Bruttoversorgung – in einem von den Betroffenen beherrschbaren Rahmen und lässt eine Unterschreitung des von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbestandes der Alimentation nicht besorgen. Daher war der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nach Maßgabe angemessener Übergangsregelungen in Kraft zu setzen.
Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG[↑]
Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nicht durchgreifend sind die vom Bundesverwaltungsgericht im Hinblick darauf erhobenen Bedenken, dass die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nicht eingreift, wenn Versorgungsbezüge bereits gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 BeamtVG festgesetzt worden sind.
Bei der rückwirkenden Kürzung gesetzlicher Ansprüche steht der Gesetzgeber generell vor der Frage, wie er mit bereits rechtskräftig festgestellten oder bestandskräftig gewordenen Ansprüchen umgeht. Insoweit stehen sich zwei in gleicher Weise mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzipien gegenüber: Das Prinzip der (Einzelfall-)Gerechtigkeit, das es gebietet, auch rechtskräftig festgestellte oder bestandskräftig gewordene Ansprüche von der Begünstigung auszuschließen, und das Prinzip der Rechtssicherheit, aus dem die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen und sonstiger in Bestandskraft erwachsender Akte der öffentlichen Gewalt folgt. Es ist Sache des Gesetzgebers, welchem der beiden Prinzipien im konkreten Fall der Vorzug gegeben werden soll37.
Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für die Gruppe der Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge bereits rechtskräftig festgesetzt und ausbezahlt worden sind, der Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der (Einzelfall-)Gerechtigkeit eingeräumt hat. Dies gilt umso mehr, als diese Gruppe ohnehin vor der Erstattung der aufgrund der rückwirkenden Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zuviel gezahlten Beträge geschützt wäre (vgl. § 52 Abs. 1 BeamtVG).
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10
- BVerwG, Beschluss vom 19.08.201 – 2 C 34.09[↩]
- vgl. BVerfGE 109, 133, 181; 114, 258, 300; 127, 1, 16 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 200, 242; 97, 67, 79; 127, 1, 17[↩]
- vgl. BT-Drucks 16/7076, S. 186[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 429, 436; 50, 177, 193; 126, 369, 393[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 196, 215; 111, 54, 107; 126, 369, 392[↩]
- vgl. BVerfGE 96, 375, 394 f.; 113, 88, 103 f.; 122, 248, 257 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 45, 142, 167 f.; 63, 343, 356 f.; 72, 200, 242; 97, 67, 78 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 343, 357; 72, 200, 257 f.; 97, 67, 78; 109, 133, 180; 114, 258, 300 f.; 127, 1, 16[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 67, 78 f. m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 343, 353 f.; 67, 1, 15; 72, 200, 241 f.; 97, 67, 78 f.; 114, 258, 300[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 200, 258; 97, 67, 79 f.; 101, 239, 263 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 343, 357; 105, 17, 40; 114, 258, 301[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 312, 331; 67, 1, 15; 71, 255, 272; 76, 256, 349 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 38, 61, 83; 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f.; 125, 104, 135[↩]
- vgl. BVerfGE 30, 392, 404; 50, 386, 395; 67, 1, 15; 75, 246, 280; 105, 17, 37; 114, 258, 300[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 200, 242 f.; 95, 64, 86; 101, 239, 263; 116, 96, 132; 122, 374, 394; 123, 186, 257[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 1, 18[↩]
- vgl. BVerfGE 76, 256, 347 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 13, 39, 45 f.; 30, 367, 389[↩]
- vgl. BVerfGE 13, 261, 272; 50, 177, 193 f.; 126, 369, 393 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 302, 325 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 84, 212, 227; 122, 248, 277[↩]
- vgl. BVerfGE 78, 123, 126; 87, 273, 278[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 302, 326; 122, 248, 278; 126, 369, 395[↩]
- vgl. OVG NEW, Urteil vom 16.01.2008 – 21 A 2098/06[↩]
- vgl. Bauer/Zahn, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 2 mit Fn. 2, April 2008; Grunefeld, a.a.O., S. 122, 127[↩]
- vgl. BT-Drucks 10/4225, S. 21; BVerwGE 111, 93, 96 f.; Strötz, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 1, April 2009[↩]
- vgl. OVG NRW, a.a.O., Rn. 38; Grunefeld, a.a.O., S. 122, 127[↩]
- vgl. OVG NRW, a.a.O., Rn. 31 ff.; Bauer/Zahn, a.a.O., Rn. 2 mit Fn. 2, April 2008[↩]
- vgl. BVerwGE 124, 19, 25[↩]
- vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 06.03.2007 – 5 A 191/06; VG Berlin, Urteil vom 05.06.2008 – 5 A 60.07[↩]
- vgl. BT-Drucks 16/7076, S. 186; ferner etwa für Brandenburg LT-Drucks 4/5154, S. 7; für Thüringen LT-Drucks 4/2616, S. 11[↩]
- vgl. etwa § 3 Abs. 1 des brandenburgischen Beamtenversorgungsergänzungsgesetzes, gemäß Art. 6 des Gesetzes vom 21.11.2007, GVBl I S. 158, 162 in Kraft getreten am 27.11.2007; § 4 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über ergänzende Bestimmungen zur Beamtenversorgung, gemäß Art. 4 des Gesetzes vom 31.01.2007, GVBl S. 1, 3 in Kraft getreten am 1.03.2007[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.2009 – 2 C 29/08[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 200, 254; 97, 67, 78 f.; 114, 258, 300[↩]
- vgl. BVerfGE 15, 313, 319; 19, 150, 166; 29, 413, 432; 48, 1, 22; 72, 302, 327 f.[↩]










