Wechsel eines Beamten in das EU-Ausland – und die Nachversicherung in der Rentenversicherung

Macht ein Beamter von der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV Gebrauch, indem er aus dem in Deutschland begründeten Beamtenverhältnis ausscheidet, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, so hat er einen Anspruch auf einen Ausgleichsbetrag, der die Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzt, die ihm infolge der mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Nachversicherung zusteht. 

Wechsel eines Beamten in das EU-Ausland – und die Nachversicherung in der Rentenversicherung

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Rechtsstreit hatte ein Lehrer geklagt, der ab 1978 als beamteter Lehrer in Nordrhein-Westfalen tätig war; in diesem Dienstverhältnis wäre er Anfang Februar 2016 in den Ruhestand getreten. Er beantragte jedoch im Jahr 1999 seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, um in Österreich als Lehrer zu arbeiten. Daraufhin wurde der Lehrer in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Im Gegensatz zum Bund und anderen Ländern hat das Land Nordrhein-Westfalen keine gesetzliche Regelung geschaffen, nach der den Beamten im Falle ihres Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis die bis dahin erworbenen Versorgungsanwartschaften im Grundsatz erhalten bleiben. Im Jahr 2013 beantragte der Lehrer beim beklagten Land die Bewilligung von „Altersgeld“ mit der Begründung, die bloße Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibe weit hinter dem Wert der von ihm bis zur Entlassung „erworbenen“ beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche zurück.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Verwaltungsgericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt1. Im Anschluss hieran hat es das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dem Lehrer ab dem 1.02.2016 einen Ausgleichsbetrag für den Verlust der Altersversorgung aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zuzuerkennen2.

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Auf die Berufung des Landes hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster das erstinstanzliche Urteil geändert und das Land verpflichtet, an den Lehrer ab dem 1.08.2016 eine Entschädigung in Höhe der Differenz zwischen der Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage, die er von der Deutschen Rentenversicherung erhält, und einer fiktiven Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage zuzüglich einer VBL-Zusatzrente zu zahlen, die der Lehrer erhalten hätte, wenn er zwischen dem 1.08.1980 und dem 31.08.1999 als angestellter Lehrer im Schuldienst des Landes tätig gewesen wäre3. Der Lehrer könne wegen des im Versorgungsrecht geltenden Grundsatzes der strikten Gesetzesbindung lediglich einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend machen.

Auf die Revision des Lehrers hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, dem Lehrer ab dem 1.02.2016 einen Ausgleich für die mit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Einbußen in der Altersversorgung zu zahlen:

Der Wert der Nachversicherung des Lehrers bleibt bezogen auf die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit von ca.20 Jahren deutlich hinter dem Wert der „erworbenen“ Versorgungsansprüche zurück. Die damit einhergehende Beeinträchtigung des Rechts der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV ist nicht durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, sodass dem Lehrer ein Ausgleichanspruch zusteht. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gebietet es, innerstaatliche Vorschriften, wie hier den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts im Versorgungsrecht, unangewendet zu lassen und einen Ausgleichsanspruch unmittelbar auf der Grundlage des Unionrechts zuzuerkennen. Die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zur Bestimmung des Ausgleichsanspruchs weichen dabei erheblich von denen des Verwaltungsgerichts ab.

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Entsprechend der Vorgabe des Gerichtshofs der Europäischen Union zum „gültigem Bezugssystem“, an dem sich die Rechtsstellung des aus dem Dienstverhältnis ausgeschiedenen Beamten zu orientieren hat, ist in einem ersten Schritt nach der zeitratierlichen Methode der Wert des Anteils an der fiktiven Gesamtversorgung des Lehrers zum 1.02.2016 zu ermitteln, den der Lehrer im Beamtenverhältnis zum beklagten Land verbracht hat. Maßgeblich ist der Versorgungsanspruch, der dem Lehrer beim Verbleib im Dienst des Landes bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen zugestanden hätte; auszugehen ist dabei von den zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis geltenden Umständen, etwa Statusamt und Stufe der Besoldung. Die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit ist in Bezug zu setzen zu dieser fiktiven Gesamtversorgung. Von diesem so berechneten Wert ist in einem zweiten Schritt der Anteil an der gesetzlichen Altersrente abzuziehen, der auf die Nachversicherung im Anschluss an die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis entfällt.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 2 C 3.21

  1. EuGH, Urteil vom 13.07.2016, C-187/15[]
  2. VG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2018 – VG 23 K 6871/13[]
  3. OVG NRW, Urteil vom 18.11.2020 – OVG 3 A 1194/18[]

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