Wehrbeschwerdeverfahren – und die Untätigkeitsbeschwerde

Die Monatsfrist, nach deren (fruchtlosen) Ablauf in einem Wehrbeschwerdeverfahren ein Rechtsbehelf wegen Untätigkeit eingelegt werden kann (§ 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO), stellt keine Bearbeitungsfrist für die zuständige Stelle (§ 9 WBO) dar. Sie beginnt auch dann mit der Einlegung der Beschwerde oder weiteren Beschwerde zu laufen, wenn diese bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten des Soldaten eingelegt wird und der zuständigen Stelle erst zugeleitet werden muss.

Wehrbeschwerdeverfahren – und die Untätigkeitsbeschwerde

Die Wehrbeschwerdeordnung gibt dem Soldaten, wenn über seine Beschwerde bzw. weitere Beschwerde „innerhalb eines Monats nicht entschieden worden ist“, die Möglichkeit, das Verfahren im Wege der weiteren Beschwerde vor die nächsthöhere Instanz bzw. mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor das Wehrdienstgericht zu bringen (§ 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO). Die Monatsfrist, nach deren Ablauf diese Option eröffnet ist, beginnt mit der wirksamen Einlegung der (weiteren) Beschwerde bei einer dafür zuständigen Stelle (§ 5 Abs. 1 und 2, § 16 Abs. 4 WBO). Dies gilt nicht nur dann, wenn die (weitere) Beschwerde unmittelbar bei der Stelle erhoben wird, die für die Entscheidung über die (weitere) Beschwerde zuständig ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2, ggf. i.V.m. § 16 Abs. 3 und 4 WBO), sondern auch dann, wenn die (weitere) Beschwerde – was die Wehrbeschwerdeordnung als den Regelfall ansieht – bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten eingelegt wird (§ 5 Abs. 1 Satz 1, ggf. i.V.m. § 16 Abs. 4 WBO)1. Richtig ist, dass sich in dem letzteren Fall die Frist, die der zuständigen Stelle zur Verfügung steht, um über die (weitere) Beschwerde zu entscheiden, ohne Gefahr zu laufen, dabei von einem Untätigkeitsrechtsbehelf „überholt“ zu werden, um denjenigen Zeitraum verkürzt, der benötigt wird, um die (weitere) Beschwerde „unverzüglich der zuständigen Stelle unmittelbar zuzuleiten“ (§ 5 Abs. 3 WBO). Diese faktische Verkürzung der Bearbeitungsfrist ist jedoch in Kauf zu nehmen. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut von § 16 Abs. 2 und § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO bezieht sich die Monatsfrist nicht auf die der zuständigen Stelle letztlich zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit, sondern auf das gesamte Verfahren von der Einlegung des Rechtsbehelfs bis zur abschließenden Entscheidung. Es entspricht auch dem Sinn der Untätigkeitsrechtsbehelfe und des mit ihnen verfolgten Beschleunigungsgrundsatzes, dass Nachlässigkeiten bei der Weiterleitung (§ 5 Abs. 3 WBO) zulasten der für die Entscheidung über die (weitere) Beschwerde zuständigen Stelle und nicht zulasten des Soldaten, der darauf keinen Einfluss hat, gehen.

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Die Monatsfrist (§ 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO) begann deshalb vorliegend nicht erst mit dem Eingang der Beschwerde beim Bundesministerium der Verteidigung, sondern bereits mit deren Eingang bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten der Soldatin. Die Soldatin hat ihren Untätigkeitsrechtsbehelf voriegend damit damit nicht verfrüht, sondern ordnungsgemäß nach Ablauf der Frist des § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO eingelegt.

a bereits für die Entscheidung über die Beschwerde das Bundesministerium der Verteidigung zuständig war, ist die „weitere Beschwerde“ als (Untätigkeits-)Antrag auf Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht zu werten (§ 17 Abs.1 Satz 2, § 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WBO).

Das Bundesministerium der Verteidigung war verpflichtet, den wirksam gestellten Antrag – ohne weiteres Tätigwerden in der Sache – mit seiner Stellungnahme dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen (§ 21 Abs. 3 Satz 1 WBO). Es war insbesondere nicht mehr berechtigt, noch über die Beschwerde zu entscheiden; insoweit war die Sachkompetenz mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen.

Da das Bundesministerium der Verteidigung im vorliegenden Fall gleichwohl noch eine die Beschwerde zurückweisende Sachentscheidung getroffen und die Soldatin hiergegen (insoweit konsequent) (nochmals) die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt hatte, ist damit zwar formal eine Verdoppelung der prozessualen Anträge auf gerichtliche Entscheidung eingetreten. Sie beziehen sich jedoch auf ein und dasselbe Wehrbeschwerdeverfahren.

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In diesem Wehrbeschwerdeverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig in der Sache entschieden (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 121 VwGO). Damit ist nicht nur der in diesem Beschluss in Bezug genommene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die unzulässige Beschwerdeentscheidung des BMVg, sondern auch die vorliegende, als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu wertende „weitere Beschwerde“ (Untätigkeitsbeschwerde) erledigt. Die – fehlerhafte – Aufspaltung ein und desselben Wehrbeschwerdeverfahrens in zwei „Verfahrensstränge“ eröffnet für die Soldatin keine zweite gerichtliche Sachprüfung. Der rechtskräftige Beschluss im ersten Verfahren schließt eine erneute Entscheidung in gleicher Sache aus.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 1 WB 7.15

  1. im Ergebnis wie hier: Dau, WBO, 6. Aufl.2013, § 16 Rn.19, § 17 Rn. 47; Orth, NZWehrr 1990, 207, 208 f.; a.A.: Lingens, NZWehrr 1980, 216, 228: Fristbeginn stets erst mit Eingang bei der zuständigen Beschwerdestelle[]