Bei der Entscheidung über ein teilweises Absehen von der Erstattung nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG im Fall der Wehrdienstverweigerung dürfen bis zur Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten für das Studium des ehemaligen Soldaten bei der Bundeswehr nur die Kosten zurückgefordert werden, die dem ehemaligen Soldaten bei einem vergleichbaren Studium an einer zivilen Universität entstanden wären.

Das schließt es indes nicht aus, im Rahmen der Ermittlung der Erstattungsforderung grundsätzlich einen Betrag in Höhe der dem ehemaligen Soldaten tatsächlich anlässlich seines Studiums bei der Bundeswehr gewährten Reise- und Umzugskosten als Kosten eines vergleichbaren Studiums an einer zivilen Universität anzusetzen.
Rechtsgrundlage für die gegenüber dem ehemaligen Offiziersanwärter durch den angegriffenen Bescheid geltend gemachte Forderung ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten i. d. F. der Bekanntmachung vom 30.05.20051 (Soldatengesetz – SG a. F.).
Danach muss ein früherer Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten.
Bei dem ehemaligen Offiziersanwärter handelt es sich um einen (früheren) Soldaten auf Zeit. Er war gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 SG i. d. F. des Gesetzes vom 13.05.20152 i. V. m. § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG a. F. aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit zu entlassen, weil er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden ist. Diese Entlassung gilt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 SG i. d. F. des Gesetzes vom 13.05.20152 i. V. m. § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG a. F. als Entlassung auf eigenen Antrag. Die militärische Ausbildung des ehemaligen Soldaten war auch mit einem Studium verbunden. Er hat im Zeitraum von Oktober 2008 bis September 2012 an der Universität der Bundeswehr Hamburg ein Studium absolviert.
Der ehemalige Offiziersanwärter ist nach § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG a. F. grundsätzlich verpflichtet, auch die anlässlich seines Studienbeginns gewährte Reise- und Umzugskostenvergütung in Höhe von insgesamt 184, 70 € zu erstatten.
Allerdings kann gemäß § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Ausgehend von den hierzu vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen (a) ist es nicht zu beanstanden, von dem wegen Wehrdienstverweigerung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit entlassenen ehemaligen Offiziersanwärter einen Betrag in Höhe der ihm anlässlich seines Studiums tatsächlich gewährten Reise- und Umzugskostenvergütung zurückzufordern (b).
Der Begriff der besonderen Härte in § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. ist als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll überprüfbar. Zweck der Härteregelung ist es, den von den Regelvorschriften nicht erfassten Ausnahmefällen und Grenzsituationen – den atypischen Fällen – Rechnung tragen zu können3. Im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 GG stellt die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, in der Regel eine besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. dar. Der Dienstherr ist dementsprechend bei Vorliegen einer besonderen Härte zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten verpflichtet4.
Der Erstattungsbetrag darf nicht höher sein als der Betrag, den der Soldat durch den Erwerb von Spezialkenntnissen und Fähigkeiten, die ihm im späteren Berufsleben von Nutzen sind, erspart hat. Diese Beschränkung stellt sicher, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung des Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abhält. Mit der Abschöpfung lediglich des durch die Fachausbildung erworbenen Vorteils erleidet der anerkannte Kriegsdienstverweigerer keine Einbuße an Vermögensgütern, über die er unabhängig vom Wehrdienstverhältnis verfügt. Durch den Vorteilsausgleich wird nur die Situation wiederhergestellt, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat die Fachausbildung absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden5.
Der Vorteil aus der Fachausbildung oder dem Studium, den die Bundeswehr nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. in Ausübung ihres Ermessens zu bestimmen und zu bemessen hat, besteht in der Ersparnis von Aufwendungen, nicht in der Aussicht auf künftige oder fiktive Einnahmen. Bestimmen lassen sich die Aufwendungen, die der Soldat auf Zeit dadurch erspart hat, dass er die Fachausbildung oder das Studium nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen. Abgeschöpft werden darf nur die eingetretene Ersparnis. Erspart hat der ehemalige Soldat auf Zeit stets die unmittelbaren Ausbildungskosten im engeren Sinne wie Ausbildungsgebühren und Aufwendungen für Ausbildungsmittel. Erspart hat er aber auch die mittelbaren Kosten der Ausbildung wie Reisekosten und Aufwendungen, die im öffentlichen Dienst üblicherweise durch Trennungsgeld abgegolten werden, sowie die ersparten Lebenshaltungskosten und die Kosten für die Krankenversicherung. Diese mittelbaren Ausbildungskosten sind Kosten, die bei einer Fachausbildung in der Bundeswehr vom Dienstherrn getragen werden, während sie bei einer Fachausbildung oder einem Studium jedenfalls typischerweise vom Auszubildenden oder Studierenden selbst getragen werden müssen6. Dabei darf die Erstattungspflicht nicht von hypothetischen Umständen eines – einer Beweisführung nicht zugänglichen – alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden. Die zu erstattenden ersparten Aufwendungen sind generalisierend und pauschalierend zu bestimmen7.
Aus den aufgezeigten Grundsätzen ergibt sich, dass bei der Entscheidung über ein teilweises Absehen von der Erstattung nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. grundsätzlich die für ein außerhalb der Bundeswehr absolviertes Studium derselben Fachrichtung typischerweise entstehenden Kosten zu ermitteln sind. Diese sind den für das Studium des ehemaligen Soldaten bei der Bundeswehr tatsächlich entstandenen Kosten gegenüberzustellen. Bis zur Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten dürfen nur die Kosten zurückgefordert werden, die dem ehemaligen Soldaten bei einem vergleichbaren Studium an einer zivilen Universität entstanden wären.
Daraus ist nicht zu schließen, dass zur Ermittlung dieser fiktiven Kosten für ein außerhalb der Bundeswehr absolviertes Studium ein Rückgriff auf die dem ehemaligen Offiziersanwärter im Zusammenhang mit seinem Studium bei der Bundeswehr gewährten Reise- und Umzugskostenvergütungen ausgeschlossen ist. Angesichts der Tatsache, dass die durchschnittlichen Reise- und Umzugskosten für ein Studium an einer zivilen Universität in der Regel gar nicht oder nur mit einem unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand ermittelt werden können8, ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität die – hier im angegriffenen Bescheid auch ausdrücklich dokumentierte – Annahme der Bundeswehr sachgerecht, dass die im Rahmen eines Studiums bei der Bundeswehr tatsächlich angefallenen Reise- und Umzugskosten auch bei einem Studium des ehemaligen Soldaten an einer zivilen Universität angefallen wären und dementsprechend zurückgefordert werden können.
Anhaltspunkte für einen atypischen Ausnahmefall, etwa dass der Betrag eine Größenordnung erreicht, die einen Anfall von Reise- und Umzugskosten in dieser Höhe bei Aufnahme eines Studiums des ehemaligen Soldaten an einer zivilen Universität ausgeschlossen erscheinen lässt, bestehen bei der im hier entschiedenen Fall zurückgeforderten Summe von 184,70 € nicht.
Die Reise- und Umzugskosten sind auch nicht bereits in den anhand der 18., 19. und 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland pauschaliert ermittelten; vom ehemaligen Offiziersanwärter ersparten Lebenshaltungs- und Studienkosten in Höhe von insgesamt 36 506,22 € enthalten, über die von den Vorinstanzen bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar werden mit den genannten Sozialerhebungen auch die durchschnittlichen Ausgaben der Studierenden in Deutschland für Auto und/oder öffentliche Verkehrsmittel erfasst. Diese Erhebungen sind jedoch ausdrücklich darauf angelegt, lediglich die regelmäßigen Ausgaben der Studierenden zu erfassen, zu denen die typischerweise lediglich einmal anfallenden Reise- und Umzugskosten anlässlich des Studienbeginns nicht zählen9.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. April 2022 – 2 C 8.20
- BGBl. I S. 1482[↩]
- BGBl. I S. 706[↩][↩]
- BVerwG, Urteil vom 12.04.2017 – 2 C 16.16, BVerwGE 158, 364 Rn. 36[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2015 – 2 C 40.13, Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 16 m. w. N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 12.03.2020 – 2 C 37.18, Buchholz 449 § 49 SG Nr. 2 Rn. 16 m. w. N.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2015 – 2 C 40.13, Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 18 ff. m. w. N.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 12.03.2020 – 2 C 37.18, Buchholz 449 § 49 SG Nr. 2 Rn. 14 m. w. N.[↩]
- vgl. dazu Nr. 3.3.2 der zur Rückforderung vom Bundesministerium der Verteidigung aufgestellten Bemessungsgrundsätze vom 17.12.2012 – BMVg, P II 1 – Az. 16-02-11[↩]
- vgl. etwa Bundesministerium für Bildung und Forschung, Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2006 – 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, S. 224[↩]
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