Befreiung von Gurtanlegepflicht

Ein Kraftfahrzeugführer oder Mitfahrer hat nur dann einen Anspruch auf Befreiung von der Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurts, wenn die Benutzung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, weil mit der Nutzung für ihn konkret ernsthafte Gesundheitsschäden verbunden sind, denen auf anderem Wege nicht vorgebeugt werden kann und die als solche ärztlicherseits bestätigt werden können1.

Befreiung von Gurtanlegepflicht

Eine Ausnahme von der Gurtanlegepflicht des § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO ist nur in besonders dringenden Fällen und unter strengen Anforderungen an den Nachweis ihrer Notwendigkeit zulässig. Dabei ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass auch gewichtigere subjektive Beeinträchtigungen dem Betroffenen bei der Abwägung des Risikos, das er bei Nichtanlegung des Sicherheitsgurts für sich und für andere Verkehrsteilnehmer eingeht, durchaus zuzumuten sein können. Physische oder psychische Beeinträchtigungen, die in Folge des Gurtanlegens auftreten, rechtfertigen es angesichts des weit überwiegenden Nutzens der Sicherheitsgurte und des im Falle der Nichtanlegung bestehenden erheblichen Risikos in der Regel nicht, den Insassen eines Kraftfahrzeugs von der Pflicht zum Gurtanlegen zu befreien. So ist etwa die mit psychischen Beeinträchtigungen verbundene Abneigung, den Gurt anzulegen oder sich beim Anlegen helfen zu lassen, nicht geeignet, die Notwendigkeit einer Befreiung von der Gurtanlegepflicht aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu begründen. Ein Kraftfahrzeugführer oder Mitfahrer hat nur dann einen Anspruch auf Befreiung von der Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurts, wenn die Benutzung des Gurts aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, weil mit der Nutzung für ihn konkret ernsthafte Gesundheitsschäden verbunden sind, denen auf anderem Wege nicht vorgebeugt werden kann und die als solche ärztlicherseits bestätigt werden können2. Darin liegt eine Verletzung von Grundrechten nicht3.

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Es trifft auch nicht zu, dass der Verzicht auf den Sicherheitsgurt in erster Linie den Bereich der Selbstgefährdung berührt. Einen derartigen Einwand haben sowohl das Bundesverfassungsgericht4 als auch der Bundesgerichtshof5 als nicht tragfähig zurückgewiesen und des Näheren ausgeführt, dass derjenige, der sich als Insasse eines Kraftfahrzeugs in den allgemeinen Straßenverkehr begibt, nicht nur auf sein eigenes Risiko handelt, sondern auch über das Ausmaß des im heutigen Straßenverkehr immer gegenwärtigen Risikos anderer Verkehrsteilnehmer mitentscheidet, und die Gurtanlegepflicht in vielfacher Weise nicht nur die berechtigten Interessen ggf. betroffener anderer Verkehrsteilnehmer, sondern auch der Allgemeinheit schützt (Inanspruchnahme von Rettungsdiensten und medizinischen Versorgungseinrichtungen, Belastung der Sozialversicherungssysteme6) Die von dem Fahrer demgegenüber befürchteten Unfallszenarien (Gefahr von Feuer, drohendes Ertrinken im Fahrzeug) hat das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung zu Recht als eher fernliegend und ungeeignet zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bezeichnet.

Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.06.20147 vermag der Fahrer zu seinen Gunsten ebenfalls nichts herzuleiten. Der Bundesgerichtshof hat mit diesem Urteil entschieden, dass Schadensersatzansprüche eines Radfahrers, der bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemindert sind, weil der Verordnungsgeber aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang bewusst davon abgesehen habe, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen und es jedenfalls zur Zeit des Unfallereignisses auch nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen habe, das Tragen von Fahrradhelmen für erforderlich zu halten. Demgegenüber hat der Verordnungsgeber die Verpflichtung zum Anlegen von Sicherheitsgurten bereits im Jahr 1975 begründet und entspricht es seit langem – wie auch die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs annimmt – der verantwortungsbewussten Überzeugung aller einsichtigen und vernünftig handelnden Kraftfahrer, dass die Benutzung des Sicherheitsgurts eine zur Schadensminderung grundsätzlich geeignete und erforderliche Maßnahme ist.

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Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. Februar 2015 – 12 LA 137/14

  1. wie BGH, Urteil vom 29.09.1992 – VI ZR 286/91, BGHZ 119, 268[]
  2. vgl. dazu näher BGH, Urteil vom 29.09.1992 – VI ZR 286/91, BGHZ 119, 268; ferner König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 21a StVO Rn. 12[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.07.1986 – 1 BvR 331/85 u. a., NJW 1987, 180[]
  4. BVerfG, a. a. O.[]
  5. so bereits BGH, Urteil vom 20.03.1979 – VI ZR 152/78, BGHZ 74, 25[]
  6. dazu insbesondere BGH, Urteil vom 20.03.1979, a. a. O. 29 f.[]
  7. BGH, Urteil vom 17.06.2014 – VI ZR 281/13, NJW 2014, 2493[]