Aus dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG lässt sich keine Verpflichtung des Normgebers ableiten, die in einer Prüfungsordnung bestimmte Frist, innerhalb der ausreichende Prüfungsleistungen bei einem vorangegangenen Prüfungsversuch in der Wiederholungsprüfung angerechnet werden, um den Zeitraum in Anspruch genommener Elternzeit zu verlängern.

Dies entschied jetzt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem Rechtsstreit um eine Fortbildungsprüfung zum anerkannten Abschluss geprüfter Industriefachwirt/geprüfte Industriefachwirtin.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F (in der bis zum 31.08.2009 gültigen Fassung vom 15.04.19991, gleichlautend § 8 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV 2009 vom 25.08.20092 und aktuell in der Neufassung vom 25.06.20103 § 8 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV) wird der Prüfungsteilnehmer mit dem Antrag auf Wiederholung der Prüfung von einzelnen Prüfungsteilen und Prüfungsfächern befreit, wenn er darin in einer vorangegangenen Prüfung mindestens ausreichende Leistungen erbracht hat und er sich innerhalb von zwei Jahren, gerechnet vom Tage der Beendigung der nicht bestandenen Prüfung an, zur Wiederholungsprüfung angemeldet hat.
Unstreitig erfüllt im hier entschiedenen Fall die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht. Denn die vorangegangenen Prüfungen, in denen die Klägerin ausreichende Leistungen in den streitgegenständlichen Prüfungsfächern erbracht hat, waren bereits im Juni 2006 bzw. April 2007 abgeschlossen, sodass die zweijährige Befreiungsfrist im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung zur Wiederholungsprüfung Herbst 2012 (16.04.2012) offensichtlich abgelaufen war. Dass die Beklagte die Frist unter dem 22.10.2009 bis zur Prüfung im Frühjahr 2010 verlängert hatte, führt – ungeachtet der Frage, ob eine derartige Verlängerung rechtlich möglich war – zu keiner anderen Beurteilung. Dieser Zeitraum ist ebenfalls verstrichen.
Auch die Berücksichtigung des Zeitraums, in dem sich die Klägerin in Mutterschutz befand (Mai bis August 2009), könnte ihrem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst wenn die Befreiungsfrist – über die von der Beklagten unter dem 22.10.2009 vorgenommene Verlängerung bis zur Prüfung im Frühjahr 2010 hinaus – zusätzlich um die Zeit des Mutterschutzes verlängert worden wäre, hätte sie jedenfalls bereits im Jahr 2010 und damit lange vor der Anmeldung im April 2012 geendet.
Die Befreiungsfrist hat sich aber auch nicht dadurch verlängert, dass die Klägerin im Zeitraum von Ende August 2009 bis 06.07.2012 Elternzeit in Anspruch genommen hat.
Mit der Normierung der Zwei-Jahres-Frist bestimmt § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. in eindeutiger Weise, bis zu welchem Zeitpunkt ein Prüfungsteilnehmer in der Wiederholungsprüfung von der Pflicht zur erneuten Erbringung ausreichender Prüfungsleistungen befreit wird. Dass hierbei eine von ihm in Anspruch genommene Elternzeit fristverlängernd zu berücksichtigen wäre, kann dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnommen werden. Hierfür geben aber auch weder der systematische Gesamtzusammenhang der Vorschrift noch ihr Sinn und Zweck einen Anhalt.
Vorschriften, die im Zusammenhang mit der Fortbildungsprüfung stehen und denen sich Anhaltspunkte für die Berücksichtigung von Elternzeit bei der Bemessung der Befreiungsfrist entnehmen ließen, sind nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin auf hochschul- und ausbildungsrechtliche Vorschriften Bezug nimmt, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Berücksichtigung von Elternzeit vorsehen (vgl. etwa § 16 Satz 3 HRG, § 34 Abs. 1 Satz 2 LHG, § 63 Abs. 1 Satz 5 Kunsthochschulgesetz Saar, § 5 Abs. 1 Satz 1 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst Mecklenburg-Vorpommern), beziehen sich diese weder auf die einschlägige Fortbildungsprüfung noch auf die allein erhebliche Frage der Befreiung von in einer vorangegangenen Prüfung erbrachten ausreichenden Prüfungsleistungen im Rahmen einer Wiederholungsprüfung. Dies gilt auch für den – gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 BBiG für Fortbildungsprüfungen entsprechend geltenden – § 46 Abs. 2 BBiG. Danach darf Auszubildenden, die Elternzeit in Anspruch genommen haben, bei der Entscheidung über die Zulassung (zur Abschlussprüfung) hieraus kein Nachteil erwachsen4. Dass das Berufsbildungsgesetz eine Schutzvorschrift zugunsten von Aus- bzw. Fortzubildenden, die Elternzeit in Anspruch genommen haben, ausschließlich im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Zulassung zur Prüfung vorsieht, spricht in systematischer Hinsicht dagegen, Elternzeit im Rahmen der Bestimmung des § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. zu berücksichtigen. Denn die dort normierte Anrechnung setzt voraus, dass der Wiederholer zur Prüfung bereits zugelassen ist.
Aber auch Sinn und Zweck der Regelung legen ihren abschließenden Charakter nahe. Nach § 1 Abs. 2 IndFachwirtPrV a.F. ist durch die Prüfung festzustellen, ob der Prüfungsteilnehmer die notwendigen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen hat, bestimmte Aufgaben eines Industriefachwirtes in Industriebetrieben wahrzunehmen. Die Prüfung gliedert sich in einen wirtschaftszweigübergreifenden, einen wirtschaftszweigspezifischen sowie einen berufs- und arbeitspädagogischen Teil (§ 3 Abs. 1 IndFachwirtPrV a.F.). Die einzelnen Prüfungsteile können in beliebiger Reihenfolge an verschiedenen Prüfungsterminen geprüft werden; dabei ist mit dem letzten Prüfungsteil spätestens zwei Jahre nach dem ersten Prüfungstag des ersten Prüfungsteils zu beginnen (vgl. § 3 Abs. 2 IndFachwirtPrV a.F.). Der (Erst-)Prüfling muss somit seine Leistungen in einem Prüfungsteil hinsichtlich aller zu prüfenden Prüfungsfächer in einem Prüfungstermin bzw. einer Prüfungskampagne unter Beweis stellen, was dem prüfungsrechtlichen Grundsatz entspricht, wonach ein Prüfungsteilnehmer nach seinen in der Prüfung gezeigten tatsächlichen Leistungen zu beurteilen ist und nicht nach einem in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegenden Leistungsstand5. § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. modifiziert insoweit die Bestehensvoraussetzungen zugunsten des Wiederholers und lässt die Anrechnung einzelner in der Erstprüfung erbrachter ausreichender Prüfungsleistungen in der Wiederholungsprüfung zu, was der Sache nach zu einer zeitlichen Streckung des Prüfungsteils führt. Mit der Begrenzung dieser zeitlichen Streckung auf einen Zeitraum von zwei Jahren gibt der Verordnungsgeber zu erkennen, dass nach seiner Einschätzung innerhalb dieses Zeitraums die in der Erstprüfung in einem Prüfungsteil gezeigten Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen noch in einem für die Feststellung der Qualifikation eines Industriefachwirts ausreichendem Maße vorhanden sind, dass indes bei einer Überschreitung dieses Zeitraums hinreichende Rückschlüsse auf das Vorliegen des erforderlichen Leistungs- und Kenntnisstandes nicht mehr erlaubt sind. Dies spricht ebenso gegen die Möglichkeit einer erweiternden Auslegung der Vorschrift wie ein weiterer Aspekt: Durch die Anrechnung von ausreichenden Leistungen in der Erstprüfung eines Prüfungsteils werden die Wiederholer gegenüber den Teilnehmern an der Erstprüfung bessergestellt6. Da die Chancengleichheit am ehesten gewahrt wird, wenn alle Prüflinge ihre Leistungsfähigkeit hinsichtlich aller Prüfungsfächer gleichzeitig – und nicht „abgeschichtet“ – in einem kurzen Zeitraum unter Beweis stellen7, handelt es sich bei § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit um eine die Wiederholer begünstigende Ausnahmeregelung.
Insgesamt hat der Verwaltungsgerichtshof deshalb keine Zweifel daran, dass die Bestimmung die Möglichkeit der Befreiung von bereits erbrachten ausreichenden Prüfungsleistungen in der Wiederholungsprüfung abschließend regelt und für die Annahme einer Regelungslücke kein Raum bleibt. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Norm mithin auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ein Anspruch auf Berücksichtigung von Elternzeit entnommen werden. Denn eine verfassungskonforme Auslegung ist dort nicht statthaft, wo sie zu dem Gesetzeswortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers in Widerspruch treten würde8. Den Gerichten ist es verwehrt, im Wege der Auslegung einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Regelung einen entgegengesetzten Sinn zu geben oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen9.
Nach alledem fehlt es bereits an der Rechtsgrundlage für die begehrte Berücksichtigung von Elternzeit bei der Befreiung von ausreichenden Prüfungsleistungen. Bereits aus diesem Grund kann die unmittelbar auf die entsprechende Verpflichtung der Beklagten gerichtete Klage keinen Erfolg haben. Denn Bestimmungen des Prüfungsrechts, die – wie Regelungen des Prüfungsverfahrens und der Bestehensvoraussetzungen – die Berufswahl und die spätere Berufsausübung berühren, unterstehen dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, der eine Regelung durch Gesetz oder durch eine auf hinreichender gesetzlicher Grundlage beruhende untergesetzliche Rechtsnorm verlangt10. An einer solchen normativen Grundlage fehlt es hier. Einer Entscheidung, ob unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes eine verordnungsrechtliche Regelung in der IndFachwirtPrV überhaupt ausreichen würde oder ob nicht vielmehr wegen der gravierenden Beeinträchtigung der Chancengleichheit eine formellgesetzliche Regelung im Berufsbildungsgesetz erforderlich wäre, bedarf es nicht.
Unabhängig davon bestand aber auch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die in § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. geregelte Zwei-Jahres-Frist um den Zeitraum in Anspruch genommener Elternzeit zu verlängern.
Eine derartige Verpflichtung folgt zunächst nicht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Im Bereich der berufsbezogenen Ausbildung dient das Grundrecht in erster Linie der Abwehr ungerechtfertigter hoheitlicher Regelungen bzw. sonstiger belastender Maßnahmen11. Um einen derartigen Eingriff in das Grundrecht geht es hier nicht, weil § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. eine den Wiederholer begünstigende Prüfungserleichterung darstellt und die Klägerin die Erweiterung dieser Begünstigung begehrt. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung hierzu ergibt sich auch nicht aus den in der Rechtsprechung anerkannten, in Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes an die Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens zu stellenden verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen12. Schließlich begründet Art. 12 Abs. 1 GG nur ausnahmsweise und unter sehr engen Voraussetzungen auch den Normgeber treffende Schutzpflichten13. Insoweit ist indes eine nähere Prüfung entbehrlich. Denn der maßgebliche Grund für das Begehren auf Berücksichtigung der Elternzeit fällt in den spezielleren Schutzbereich der familienbezogenen Schutz- und Förderungspflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, sodass eine aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Schutzpflicht bereits nicht zur Anwendung kommt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin vermag diese auch aus Art. 6 Abs. 4 GG für ihr Begehren nichts herzuleiten. Danach hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Es entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass aus Art. 6 Abs. 4 GG für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden können14. Der Anspruch auf Elternzeit in § 15 Abs. 1 BEEG knüpft aber – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – weder an die Mutterschaft an noch betrifft er ausschließlich Mütter. Die der Mutter durch die Betreuung und Erziehung von Kindern entstehenden Belastungen eröffnen den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, da sie Väter gleichermaßen treffen können15.
Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung von Elternzeit folgt auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG.
Diese Bestimmung enthält neben ihrer Abwehrfunktion eine wertentscheidende Grundsatznorm, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern16. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus diesem Schutz- und Förderungsgebot die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern17. Die Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt18. Der Staat hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden19.
Allerdings ist der Staat nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen, und lassen sich aus dem Verfassungsauftrag konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten20. Vielmehr kann der Normgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit grundsätzlich selbst bestimmen, in welchem Umfang und auf welche Weise er den ihm aufgetragenen besonderen Schutz von Ehe und Familie verwirklichen will21. Dabei hat er die gegenläufigen privaten und öffentlichen Belange und Interessen in einer Güterabwägung zu berücksichtigen22.
Nach diesen Maßstäben war eine Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist des § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. um die von einem Prüfungsteilnehmer in Anspruch genommene Elternzeit ersichtlich verfassungsrechtlich nicht geboten.
Dies gilt schon deshalb, weil der Normgeber bei der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten hatte. Nach diesem mit Verfassungsrang ausgestatteten, das gesamte Prüfungsverfahren prägenden Grundsatz müssen für vergleichbare Prüflinge soweit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten23.
Ausgehend hiervon war der Normgeber auch im Zusammenhang mit der Regelung der befristeten Prüfungserleichterung für Wiederholer kraft Verfassungsrechts gehalten, dem Grundsatz der Chancengleichheit der Prüfungsteilnehmer maßgebliche Bedeutung beizumessen. Dass diesem Grundsatz bei der hier einschlägigen Fortbildungsprüfung nur ein wesentlich eingeschränkter Stellenwert zuzuerkennen wäre, lässt sich – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht feststellen. Allgemeines Ziel der Prüfung ist die berufliche Fortbildung, die es ermöglicht, die berufliche Handlungsfähigkeit an die gewandelten Erfordernisse der Arbeitswelt anzupassen (Anpassungsfortbildung) oder im Hinblick auf qualitativ höherwertige Berufstätigkeiten zu erweitern und beruflich aufzusteigen (Aufstiegsfortbildung; vgl. § 1 Abs. 4 BBiG24). Hierzu sind im Rahmen der Fortbildungsprüfung entsprechende Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen nachzuweisen (vgl. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 IndFachwirtPrV a.F.). Danach ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch die Ergebnisse von Fortbildungsprüfungen Auswirkungen auf die Chancen der Prüfungsteilnehmer im Berufsleben und damit auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der beruflichen Betätigung haben. Deshalb besteht auch hier ein „natürliches Konkurrenzverhältnis“ der Prüflinge untereinander25, das ihre weitgehende Gleichbehandlung verlangt.
Wie dargelegt, wird die Chancengleichheit am ehesten gewahrt, wenn alle Prüflinge ihre Leistungsfähigkeit hinsichtlich aller Prüfungsfächer gleichzeitig in einem kurzen Zeitraum unter Beweis stellen. Mit der dem Wiederholer in § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. eingeräumten Möglichkeit des „Abschichtens“ der Erbringung der Prüfungsleistungen über einen längeren Zeitraum geht deshalb bereits eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im Verhältnis zu den Erstprüflingen einher. Dass es schwieriger ist, das gesamte für einen Prüfungsteil erforderliche Wissen in einem kurzen Zeitraum präsent zu haben, als mit zeitlichen Abständen nur über das für einzelne Prüfungsfächer erforderliche Wissen verfügen zu müssen, liegt auf der Hand. Insoweit nimmt der Verordnungsgeber mit der für alle Wiederholer gleichermaßen geltenden Befristung der Befreiungsmöglichkeit auf zwei Jahre einen Ausgleich vor zwischen dem Anspruch der Prüfungsteilnehmer auf Wahrung der Chancengleichheit und dem Interesse der Wiederholer, keinen unverhältnismäßigen Prüfungsanforderungen ausgesetzt zu werden26.
Die von der Klägerin verlangte Neuregelung würde indes das Ausmaß der Beeinträchtigung der Chancengleichheit erheblich erhöhen. Eine Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist um die Elternzeit für diejenigen Wiederholer, die Elternzeit in Anspruch nehmen, würde die bereits vorhandenen Wettbewerbsvorteile gegenüber den Erstprüflingen wesentlich vertiefen. Vor allem aber würden nun auch Wettbewerbsvorteile gegenüber den „normalen“ Wiederholern begründet. Die bislang einheitlich für alle Wiederholer geltenden Bestehensvoraussetzungen würden zugunsten einer Teilgruppe modifiziert aus Gründen, die allein in ihrem persönlichen Bereich liegen27. Das Ausmaß der Wettbewerbsverzerrung zeigt sich im Fall der Klägerin. Diese könnte auf der Basis der begehrten Neuregelung die Anrechnung einer bereits vor weit über sechs Jahren erbachten Prüfungsleistung erreichen.
Demnach würde die begehrte Regelung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Chancengleichheit führen. Dies verkennt die Klägerin, wenn sie (u.a.) auf die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 LHG verweist, die Hochschulen zur Berücksichtigung der Elternzeit verpflichtet (vgl. auch § 16 Abs. 3 HRG). Danach müssen Prüfungsordnungen Schutzbestimmungen entsprechend (…) den Fristen der gesetzlichen Bestimmungen über die Elternzeit vorsehen und deren Inanspruchnahme ermöglichen; sie müssen flexible Fristen ermöglichen, wenn Studierende Familienpflichten wahrzunehmen haben28. Diese Norm berührt das Interesse an der Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen nicht in vergleichbarer Weise. Sie ist darauf gerichtet zu verhindern, dass ein Studierender, der wegen der während des Studiums notwendig werdenden Betreuung von Kindern bzw. der Inanspruchnahme von Elternzeit vorgeschriebene Prüfungsfristen überschreitet, seinen Prüfungsanspruch endgültig verliert29. Als Mittel hierfür dient die Verschiebung von Prüfungen oder die Verlängerung von Prüfungsfristen30. § 34 Abs. 1 Satz 2 LHG regelt nicht innerhalb einer begonnenen Prüfung geltende Bestehensvoraussetzungen, die Bestimmung bezieht sich vielmehr auf die gedanklich vorgelagerte Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Prüfung (spätestens) abzulegen ist31. Anders als § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. betrifft sie somit nicht die eigentlichen Leistungsanforderungen und damit auch nicht den unmittelbaren Wettbewerb zwischen den Prüflingen.
Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nicht fern, eine Verlängerung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. normierten Zwei-Jahres-Frist um eine in Anspruch genommene Elternzeit bereits für mit der Chancengleichheit unvereinbar anzusehen32. Dies kann indes dahinstehen. Denn jedenfalls bestehen keinerlei Zweifel an der Berechtigung des Normgebers, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bei der Abwägung der konkurrierenden privaten und öffentlichen Belange dem Grundsatz der Chancengleichheit den Vorrang einzuräumen und eine maßvolle, einheitlich für alle Wiederholer geltende MaximalFrist von zwei Jahren vorzusehen33.
Für dieses Ergebnis spricht im Übrigen, dass der Normgeber zugunsten der geltenden Regelung weitere Gesichtspunkte ins Feld führen kann.
Die klare zeitliche Begrenzung der Befreiungsmöglichkeit dient nämlich – neben der Vermeidung von Abgrenzungsproblemen – auch dem Ziel sicherzustellen, dass der Zweck der Fortbildungsprüfung tatsächlich erreicht werden kann. Liegt die Erstprüfung, in der der Wiederholer einzelne Prüfungsleistungen bestanden hat, zu lange zurück, besteht die Gefahr, dass die damals erbrachten Leistungen im Zeitpunkt der Wiederholungsprüfung keine ausreichenden Schlüsse mehr auf das Vorliegen der erforderlichen Qualifikation eines Industriefachwirts zulassen und mit der Prüfungserleichterung letztlich der Zweck der Fortbildungsprüfung verfehlt wird. Auch diesem Gesichtspunkt und damit dem öffentlichen Interesse an qualifizierten Fachkräften in einer sich wandelnden Arbeitswelt34 trägt die bestehende Regelung Rechnung.
Das Unterlassen des Normgebers ist aber auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die mit der bestehenden Regelung verbundenen Nachteile für Prüfungsteilnehmer, die Kinder betreuen und Elternzeit in Anspruch nehmen, begrenzt sind. Bereits der Zeitraum von zwei Jahren ermöglicht die Berücksichtigung von Zeiten der Inanspruchnahme durch Kinderbetreuung bei Prüfungswiederholern. Auch ist der besondere Charakter der Fortbildungsprüfung in Rechnung zu stellen. Wird diese – wie wohl im Regelfall – berufsbegleitend abgelegt, kann die Prüfungsvorbereitung nur außerhalb der normalen Arbeitszeit erfolgen. Gemessen daran dürfte sich die Situation eines Prüfungsteilnehmers, der Kinder zu betreuen hat, nicht wesentlich ungünstiger darstellen. Vor allem aber besteht der Nachteil für den Prüfungsteilnehmer, der die Prüfung nicht innerhalb der Zwei-Jahres-Frist wiederholen kann, allein in dem Verlust einer Prüfungserleichterung mit der Folge, dass nunmehr auch in der Erstprüfung bereits bestandene Prüfungsfächer in der Wiederholungsprüfung nochmals abgelegt werden müssen. Letztlich werden somit lediglich die für den Erstprüfling geltenden Prüfungsbedingungen und damit die volle Chancengleichheit der Prüfungsteilnehmer wiederhergestellt.
Das begrenzte Ausmaß dieses Nachteils wird deutlich, wenn die bereits erwähnte hochschulrechtliche Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 LHG gegenübergestellt wird, die die grundrechtlichen Belange des Prüfungsteilnehmers weit massiver betrifft. Die bei Überschreitung von Prüfungsfristen drohende Sanktion des Verlusts des Prüfungsanspruchs (vgl. § 34 Abs. 2 und Abs. 3 LHG35) kann den Zugang zu einem bestimmten Beruf endgültig versperren und ist deshalb mit Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, weil sie das Vertretenmüssen der Fristüberschreitung voraussetzt36. § 34 Abs. 1 Satz 2 LHG dient insoweit der Vermeidung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Grundrechts des Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG. Mit dieser Situation ist die Lage des Teilnehmers an einer Fortbildungsprüfung bei Überschreitung der Frist des § 9 Abs. 2 Satz 1 IndFachwirtPrV a.F. nicht vergleichbar. Diesem steht die Wiederholungsprüfung ohne zeitliche Begrenzung offen.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Mai 2012 – 9 S 2246/11
- BGBl. I S. 711[↩]
- BGBl. I S. 2960[↩]
- BGBl. I S. 833[↩]
- vgl. Wohlgemuth, a.a.O., § 46 Rn. 12[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.1968 – VII C 46.67; und vom 13.12.1979 – 7 C 43/78, DVBl 1980, 597[↩]
- vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl.2010, Rn. 774[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.05.1991 – 7 B 43/91, DVBl.1991, 959[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.10.1985 – 1 BvL 44/83, BVerfGE 71, 81, 105, und vom 15.10.1996 – 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 93; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, 3. Aufl.2005, § 70 Rn. 126[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.04.1994 – 1 BvR 1299/89 und 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263, 275[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.03.1989 – 1 BvR 1033/82 u.a., BVerfGE 80, 1, 21 f.; Beschluss vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 u.a., BVerfGE 84, 34, 45; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.1995 – 9 S 2226/93, VBlBW 1995, 325; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.2011 – 9 S 1687/11; BayVGH, Urteil vom 19.03.2004 – 7 BV 03.1953; Niehues/Fischer, a.a.O., Rn.19 ff., 25 ff., 34 ff.[↩]
- vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl.2011, Art. 12 Rn. 93, 97; vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2002 – 6 C 11/01, BVerwGE 116, 49, 52[↩]
- vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 – 1 BvR 1529/84 und 138/87, BVerfGE 84, 59, 72 f.; BVerwG, Urteil vom 16.03.1994 – 6 C 1/93, BVerwGE 95, 237, 243; Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl.2011, Art. 12 Rn. 25 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 10.01.1995 – 1 BvF 1/90 u.a., BVerfGE 92, 26, 46; Beschluss vom 27.01.1998 – 1 BvL15/87, BVerfGE 97, 169, 175 ff.; BVerwGE 116, 49, 52; Mann, a.a.O., Art. 12 Rn. 21[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 07.07.1992 – 1 BvL 51/86 u.a., BVerfGE 87,1, 42; Beschlüsse vom 12.03.1996 – 1 BvR 609/90, 692/90, BVerfGE 94, 241, 259; vom 10.03.2010 – 1 BvL 11/07; und vom 17.11.2010 – 1 BvR 1883/10, NJW 2011, 1663; Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 6 Rn. 53[↩]
- vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O.[↩]
- vgl. BVerfG, BVerfGE 87, 1, 35; Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242, 257 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteile vom 22.05.1993 – 2 BvF 2/90 u.a., BVerfGE 88, 203, 258 f.; Beschluss vom 10.11.1998 – 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 234; Beschluss vom 18.06.2008 – 2 BvL 6/07, BVerfGE 121, 241, 263 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 87, 1, 38 f.; 88, 203, 258 f.; 99, 216, 234[↩]
- vgl. BVerfGE 99, 216, 234; vgl. zu dieser Zweckrichtung des BEEG Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, Handkommentar, 2. Aufl.2010, § 15 BEEG Rn. 8 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 87, 1, 35 f.; Urteil vom 12.02.2003 – 1 BvR 624/01, BVerfGE 107, 205, 213; Beschlüsse vom 08.06.2004 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 445; und vom 10.03.2010, a.a.O.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 1 BvL 20 u.a., BVerfGE 82, 60, 81; 87, 1, 36; 103, 242, 259 f.; 107, 205, 213; 110, 412, 445[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 60, 81 f.; Urteil vom 28.01.1992 – 1 BvR 1025/82 u.a., BVerfGE 85, 191, 212; Beschluss vom 02.04.1996 – 2 BvR 169/33, NVwZ 1997, 54[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25.06.1974 – 1 BvL 11/73, BVerfGE 37, 342, 353 f.; vom 13.11.1979 – 1 BvR 1022/78, BVerfGE 52, 380, 388; vom 06.12.1988 – 1 BvL 5, 6/85, BVerfGE 79, 212, 218 f.; und vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 u.a., BVerfGE 84, 34, 52 ff.; BVerwG, Urteil vom 14.12.1990 – 7 C 17.90, BVerwGE 87, 258, 261[↩]
- Knopp/Kraegeloh, a.a.O., § 1 Rn. 4[↩]
- vgl. BVerfGE 37, 342, 353 f.[↩]
- zu letzterem vgl. Pietzcker, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen, 1975, S. 98; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl.2007, Rn. 57[↩]
- vgl. bereits zur Problematik der Anerkennung von außerhalb des Prüfungszwecks liegenden Gesichtspunkten im objektivierten Verfahren der Leistungsmessung Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.1990 – 9 S 707/89, VBlBW 1991, 148[↩]
- vgl. etwa § 8 Abs. 3 der Studien- und Prüfungsordnung der Universität Heidelberg für den BachelorStudiengang Biochemie vom 13.02.2012, Mitteilungsblatt des Rektors vom 29.02.2012, S. 185: „Bei seiner Entscheidung, ob die Überschreitung einer Frist für die Anmeldung oder Ablegung von Prüfungen vom Prüfling zu vertreten ist, hat der Prüfungsausschuss die Schutzbestimmungen … entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen über die Elternzeit zu beachten und deren Inanspruchnahme zu ermöglichen“[↩]
- vgl. LT-Drs. 14/3390, S. 94, sowie § 34 Abs. 2 und Abs. 3 LHG; vgl. auch Reich, Hochschulrahmengesetz, 10. Aufl.2007, § 16 Rn. 5[↩]
- vgl. Waldeyer, in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), Hochschulrecht in Bund und Ländern, Stand: September 2004, § 16 HRG Rn. 39, 47[↩]
- vgl. Zimmerling/Brehm, a.a.O., Rn. 214 ff.[↩]
- in diesem Sinne wohl BVerwG, Urteil vom 15.03.1968 – VII C 46.67, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 33, zum Gesichtspunkt des Schwangerschafts- bzw. Mutterschutzes[↩]
- zur Bedeutung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers vgl. auch BGH, Urteil vom 21.11.2011 – NotZ (Brfg) 3/11, NJW 2012, 531, im Hinblick auf ein Begehren auf Wiederbestellung des Anwaltsnotars bei mehr als einjähriger Amtsniederlegung wegen Kinderbetreuung[↩]
- vgl. den Gesetzentwurf zum Berufsbildungsreformgesetz, BT-Drs. 15/3980, S. 38[↩]
- Kalous, in: Haug (Hrsg.), Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl.2009, Rn. 647, 661[↩]
- vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 07.07.1980 – 9 S 111/79, DÖV 1981, 84; Nds. OVG, Urteil vom 20.12.1994 – 10 L 1179/92, Juris; OVG NRW, Urteil vom 25.01.1978 – XVI A 1957/77, DÖV 1979, 418; siehe dazu auch Zimmerling/Brehm, a.a.O., Rn. 215 m.w.N.[↩]