Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz dient dem Ausgleich beruflicher Nachteile und setzt voraus, dass der Nachteil Folge politischer Verfolgung war. Die politische Verfolgung muss aber nicht selbst in der Zufügung gerade eines beruflichen Nachteils bestanden haben.

Politisch verfolgt im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG ist auch, wer sich in einer Zwangslage sieht, weil er Grund zu der Annahme hat, politisch verfolgt zu werden. Die Annahme einer Zwangslage muss allerdings auf tatsächliche Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen sein. Richten sich diese gegen Dritte im eigenen Umfeld, so ist entscheidend, ob die Maßnahmen geeignet sind, bei jedem Nichtbetroffenen in vergleichbarer Situation den Anschein gegenwärtiger oder drohender eigener Verfolgung zu schaffen.
Ein beruflicher Nachteil, den sich der Betroffene selbst zugefügt hat (etwa durch Aufgabe einer Beschäftigung), ist gleichwohl Folge einer – tatsächlichen oder angenommenen – Verfolgung, wenn der Betroffene annehmen durfte, den befürchteten Maßnahmen dadurch ausweichen oder zuvorkommen zu können.
Dies entschied jetzt in letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht in einem auf Verpflichtung zur Erteilung einer Rehabilitierungsbescheinigung nach § 17 Abs. 1 BerRehaG gerichteten Klageverfahren. Diese Rehabilitierungsbescheinigung erbringt den Nachweis darüber, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 oder des § 3 Abs. 1 BerRehaG vorliegen und Ausschließungsgründe nach § 4 BerRehaG nicht gegeben sind. Die in der Bescheinigung festzustellende Verfolgungszeit (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG) ist Voraussetzung für den Ausgleich rentenrechtlicher Nachteile, den die Klägerin gegebenenfalls in einem nachfolgenden Verwaltungsverfahren gegenüber der zuständigen Fachbehörde geltend zu machen hätte (vgl. §§ 10 ff. BerRehaG). Für diese sind die Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG bindend.
Der Klägerin ist die Rehabilitierungsbescheinigung zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BerRehaG vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht nur Nr. 4 dieser Vorschrift geprüft, weil gegen die Klägerin gerichtete hoheitliche Maßnahmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG i.V.m. § 1 VwRehaG nicht im Raum stehen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG ist Verfolgter, wer in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 durch eine andere als die in Nummern 1 bis 3 genannten Maßnahmen im Beitrittsgebiet, wenn diese der politischen Verfolgung gedient hat, unter anderem seinen bisher ausgeübten oder einen sozial gleichwertigen Beruf nicht ausüben konnte.
Auch eine Mehrzahl von Einzelmaßnahmen (Beobachtungen, Nachstellungen, Verhaftungen und ähnliches) kann als „eine“ Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG zu betrachten sein. Ansonsten ließen sich gerade Maßnahmen der so genannten operativen Zersetzung nicht erfassen, die darauf angelegt waren, in ihrer Abfolge und ihrem Zusammenwirken auf längere Sicht die gewollte rechtsstaatswidrige Wirkung zu erzielen1. Bei Maßnahmebündeln müssen die Einzelmaßnahmen aber möglichst genau – zumindest nach ihrer Art und ihrem Zeitpunkt oder Zeitraum – bezeichnet werden und durch einen angebbaren Umstand zu einem Gesamtkomplex verbunden sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat insofern gefordert, dass den Einzelmaßnahmen „regelmäßig“ ein einheitlicher Plan oder Willensentschluss zugrunde gelegen hat2. Inwiefern diese Regel Ausnahmen zugänglich ist, bedarf hier keiner Entscheidung; denn den in Rede stehenden Zersetzungsmaßnahmen lag ein einheitlicher Willensentschluss der staatlichen Stellen der DDR zugrunde.
Das erstinstanzlich mit dem Rechtsstreit befasste Verwaltungsgericht Chemnitz3 hat das nicht bezweifelt. Es hat die von der Klägerin angenommenen Zersetzungsmaßnahmen unter anderem deshalb nicht als „andere Maßnahme“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG anerkannt, weil mit ihnen kein vom MfS initiierter und gewollter Zwang zur Aufgabe ihres Berufes verbunden gewesen sei, es sich mit anderen Worten nicht um berufsbezogene Maßnahmen gehandelt habe. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde. § 1 Abs. 1 BerRehaG dient dem Ausgleich eines beruflichen Nachteils und setzt voraus, dass dieser Nachteil Folge politischer Verfolgung war. Die Vorschrift fordert aber nicht, dass die politische Verfolgung selbst in der Zufügung gerade eines beruflichen Nachteils bestand. Die politische Verfolgungsmaßnahme kann auch auf andere Rechtsgüter zielen. So zielen die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BerRehaG genannten Verfolgungsmaßnahmen (Freiheitsentziehung, Gewahrsam) auf die Freiheit der Person im Sinne der körperlichen Bewegungsfreiheit. In Betracht kommen ferner Maßnahmen, die etwa die Gesundheit des Betroffenen beeinträchtigen. Dass die in Rede stehenden Zersetzungsmaßnahmen nicht auf die Berufstätigkeit des Betroffenen gerichtet waren, sondern teilweise – soweit mit ihnen Inhaftierungen einhergingen – gegen dessen Bewegungsfreiheit und insgesamt, weil sie auf die Beendigung der oppositionellen Gesprächszirkel bezweckend, gegen die Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit, steht der Anwendung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes also nicht entgegen.
Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass Maßnahmen, auch wenn sie aus politischen Gründen zugefügt werden, erst dann als Verfolgung anzusehen sind, wenn sie eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten. Das ist bei Eingriffen in Leben und Gesundheit sowie in die körperliche Bewegungsfreiheit immer anzunehmen, erfordert aber bei Eingriffen in andere Rechtsgüter wie die Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit, die Freiheit der Religionsausübung oder auch die Berufsfreiheit eine wertende Beurteilung. Insofern zieht das Gesetz eine generelle Grenze dort, wo derartige Eingriffe und Benachteiligungen systembedingt mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren4.
Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen einer „anderen Maßnahme“ ferner deshalb verneint, weil die Klägerin selbst im Zeitpunkt ihrer Berufsaufgabe keinen Einwirkungen durch das MfS mehr ausgesetzt gewesen sei. Das ist in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesverwaltungsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO), schöpft aber in rechtlicher Hinsicht nicht die Voraussetzungen aus, unter denen ein Eingriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG angenommen werden kann. Das Verwaltungsgericht hat nämlich ebenso festgestellt, dass solche Zersetzungsmaßnahmen bis 1979 auch gegen die Klägerin gerichtet waren. Die Klägerin hat ferner behauptet, dass die Maßnahmen gegen andere Mitglieder ihrer politischen Gruppierung über 1981 hinaus fortgesetzt worden seien und dass sie von der Einstellung der gegen sie selbst gerichteten Verfolgung nichts gewusst habe. Dies unterstellt, hatte die Klägerin auch im Zeitpunkt ihrer Berufsaufgabe Grund zu der Annahme, selbst politisch verfolgt zu sein oder in naher Zukunft (wieder) verfolgt zu werden. Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz will auch hierdurch bedingte nachteilige berufliche Folgen ausgleichen; denn auch sie gehen auf politische Verfolgung zurück. Es wäre unverständlich, einem Betroffenen, der Grund zur Annahme hat, selbst politisch verfolgt zu werden, das Risiko einer Fehleinschätzung seiner Situation aufzubürden, zumal ihm in der DDR keine zumutbaren Mittel und Wege zu Gebote standen, seine tatsächliche Verfolgungslage in Erfahrung zu bringen. Erforderlich ist allerdings, dass die Zwangslage, in der der Betroffene sich sieht, auf tatsächliche Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen ist, seien es frühere, seien es solche, die sich gegen Dritte aus dem eigenen Umfeld richten. Subjektive Fehlvorstellungen, die keine ausreichende Grundlage in staatlichen Maßnahmen haben, können den Anspruch auf Rehabilitationsleistungen nicht begründen. Entscheidend ist damit, ob solche Verfolgungsmaßnahmen geeignet sind, bei jedem Nichtbetroffenen in vergleichbarer Situation den Anschein gegenwärtiger oder drohender eigener Verfolgung zu schaffen.
Folge der politischen Verfolgung muss schließlich der berufliche Nachteil sein, dessen Ausgleich im Wege der Rehabilitierung der Betroffene begehrt, etwa der Verlust des Arbeitsplatzes. Hier verschlägt der Umstand als solcher nichts, dass der Betroffene den beruflichen Nachteil selbst herbeigeführt oder an seiner Entstehung – wie hier durch Anregung und Abschluss eines Aufhebungsvertrages – maßgeblich mitgewirkt hat. Dies hat der Senat für den Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung bereits anerkannt, sofern der Betroffene damit einer tatsächlich drohenden berufsbezogenen Maßnahme zuvorkommen wollte, die zugleich im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG seine politische Benachteiligung bezweckte5. Es gilt aber allgemein und damit nicht nur, wenn der Betroffene einer politisch motivierten Kündigung zuvorkommen will, sondern auch bei jeder anderen Verfolgung, ferner nicht nur bei tatsächlicher Verfolgung, sondern auch, wenn der Betroffene Grund zu der Annahme hat, politisch verfolgt zu sein oder in naher Zukunft verfolgt zu werden. Entscheidend ist, dass er annehmen durfte, der tatsächlichen oder befürchteten Verfolgung auf diese Weise ausweichen oder zuvorkommen zu können. Die Aufgabe des Arbeitsplatzes, um „unter den Schutz der Kirche“ zu flüchten, kommt daher als berufsbezogene Folge politischer Verfolgung in Betracht.
Ob die genannten Voraussetzungen im Fall der Klägerin vorliegen, lässt sich ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob in der Zeit zwischen Mitte 1979 und September 1981 Umstände eingetreten waren, aus denen die Klägerin nach den dargestellten Maßstäben auf das Vorliegen einer gegen sie gerichteten oder ihr in naher Zukunft drohenden Verfolgung schließen durfte. Zwar ist das Verwaltungsgericht von der Richtigkeit des Vortrags ausgegangen, dass Freunde der Klägerin 1980 oder 1981 verhaftet und stärker observiert worden seien. Dem ist es jedoch nicht weiter nachgegangen, weil es der Auffassung war, dass nach der Rechtsprechung des Senats Maßnahmen des MfS in jedem Fall hätten darauf abzielen müssen, die Klägerin in ihrer Berufsausübung zu schädigen.
Da das Bundesverwaltungsgericht die nötigen Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht wird dabei Art, Dichte und Intensität der Stasi-Maßnahmen im Umfeld der Klägerin bis Mitte 1981 zu prüfen haben. Auf der Grundlage der sich ergebenden tatsächlichen Erkenntnisse ist zu bewerten, ob sich die Klägerin einer eigenen Verfolgung ausgesetzt sehen durfte. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin bereits vorverfolgt war und ihre Behauptung plausibel ist, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die gegen sie gerichteten Maßnahmen Mitte 1979 eingestellt worden waren. Ist eine zurechenbare Zwangslage zu bejahen, so wird weiter zu prüfen sein, wodurch der Abschluss des Aufhebungsvertrages auf Seiten der Klägerin vornehmlich motiviert war und ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Stadt L. ein geeignetes Mittel war, der angenommenen Bedrohung auszuweichen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 40.09