Beweislast für die Existenz von Ortsstraßen

Für die Existenz von Ortsstraßen bzw. Bebauungsplänen, die nach dem Badischen Ortsstraßengesetz als Voraussetzung für die Herstellung einer Ortsstraße zu fordern sind, trägt derjenige die Beweislast, der sich auf das Vorhandensein solcher Pläne beruft.

Beweislast für die Existenz von Ortsstraßen

Im Einzelfall kann es in Betracht kommen, dass ein Gericht die Überzeugung von der tatsächlichen Existenz eines Ortsstraßen bzw. Bebauungsplans bereits aufgrund hinreichend verlässlicher Indizien gewinnt. An die Indizien dürfen nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden.

Bei der Bewertung etwa vorhandener Indizien über den Bau von Straßen ist auch zu berücksichtigen, dass es im ehemaligen Großherzogtum Baden an rechtliche Regeln gebundenen Straßenbau nicht nur auf Grundlage des Ortsstraßengesetzes, sondern auch auf Grundlage eines (allgemeinen) Straßengesetzes gab.

Nach § 49 Abs. 6 KAG Baden-Württemberg kann (auch) nach den Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes kein Erschließungsbeitrag erhoben werden für eine vorhandene Erschließungsanlage, für die eine Erschließungsbeitragsschuld auf Grund der bis zum 29.06.1961, dem Tag vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte. Die Vorschrift des § 49 Abs. 6 KAG entspricht den Vorgängerregelungen in den §§ 242 Abs. 1 BauGB bzw. 180 Abs. 2 BBauG. Ob eine Straße im Rechtssinne (das heißt im Sinne der zuvor genannten Vorschriften) „vorhanden“ ist, beurteilt sich nicht nur nach der tatsächlichen Existenz einer Straße (am 29.06.1961), vielmehr richtet sich das anerkanntermaßen nach dem bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes geltenden Landesrecht1.

Für den badischen Landesteil Baden-Württembergs, in dem sich die beklagte Stadt befindet, konnte nach dem Inkrafttreten des Badischen Ortsstraßengesetzes (wörtlich: „Gesetz, die Anlage der Ortsstraßen und die Feststellung der Baufluchten, sowie das Bauen längs der Landstraßen und Eisenbahnen betreffend“) in seiner ursprünglichen Fassung vom 20.02.1868 (Großherzoglich Badisches Regierungsblatt Nr. XVII vom 21.03.1868, S. 286 ff.) – OStrG – eine Ortsstraße im Rechtssinn, das heißt eine zum Anbau bestimmte oder dem Anbau dienende öffentliche Straße, nur noch aufgrund eines nach dem Ortsstraßengesetz (in seinen verschiedenen Fassungen) oder den Aufbaugesetzen vom 18.08.1948 und vom 25.11.1959 aufgestellten Ortsstraßen, Straßen- und Baufluchten- oder Bebauungsplans entstehen, weil die Gemeinden neue Ortsstraßen nur noch nach den Vorschriften dieser Gesetze, das heißt nur nach Maßgabe verbindlicher Pläne, herstellen durften. Eine Straße kann demnach im badischen Landesteil nur dann als „vorhanden“ bzw. „hergestellt“ angesehen werden, wenn sie in einem der zuvor genannten Pläne festgestellt war und sie entsprechend diesem Plan bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, das heißt bis zum 29.06.1961, plangemäß hergestellt war. Fehlte es an einem rechtsverbindlichen Plan für die Straße oder wurde die Straße nicht bis zum 29.06.1961 plangemäß hergestellt, liegt eine vorhandene Straße im Sinne des § 49 Abs. 6 KAG nicht vor2.

Im hier entschiedenen Fall konnte die N. Straße nach dem Inkrafttreten des Badischen Ortsstraßengesetzes die Eigenschaft einer Ortsstraße nicht erlangen, weil es an einem Plan im zuvor genannten Sinne fehlt. Dass ein solcher Plan zumindest heute nicht mehr auffindbar ist und es auch niemanden gibt, der einen solchen Plan jemals zu Gesicht bekommen hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Es gibt aber darüber hinaus – entgegen der Auffassung des Klägers – auch keine Indizien, die hinreichend sicher darauf schließen lassen, dass es einen solchen Plan einmal gegeben hat. Es gibt lediglich hinreichend sichere Hinweise darauf, dass die N. Straße in den Jahren 1869/1870 erstmals hergestellt sowie später in den Jahren 1930 und 1933 erneuert bzw. geteert worden ist.

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Das Verwaltungsgericht Freiburg ist aber nach Auswertung aller Erkenntnisquellen, insbesondere auch nach Auswertung der historischen Unterlagen aus dem Archiv der ehemals selbständigen Gemeinde W., nicht davon überzeugt, dass es einen Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplan nach dem damaligen Ortsstraßenrecht gegeben hat, auf dessen Grundlage die N. Straße in den Jahren 1869/1870 oder 1930 bzw.1933 hergestellt wurde. Dabei ist davon auszugehen, dass für die Existenz von Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplänen, die nach dem Badischen Ortsstraßengesetz als Voraussetzung für die Herstellung einer Ortsstraße zu fordern sind, derjenige die Beweislast trägt, der sich auf das Vorhandensein solcher Pläne beruft3, hier also der Kläger.

Einen solchen Nachweis für die Existenz eines dem erstmaligen Bau der N. Straße zugrunde liegenden Ortsbau- bzw. Ortsstraßenplans nach dem Badischen Ortsstraßengesetz hat der Kläger nicht zu erbringen vermocht. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es für einen Straßenanlieger regelmäßig sehr schwer ist, den vollen Beweis einer förmlichen Ortsbauplanung in lange zurückliegender Zeit (hier aus den Jahren 1869/1870) zu erbringen. Deshalb kann es im Einzelfall in Betracht kommen, dass ein Gericht die Überzeugung von der tatsächlichen Existenz eines Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplans bereits aufgrund hinreichend verlässlicher Indizien gewinnen kann4. Allerdings dürfen an die Indizien nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden, wenn die im vorstehenden Absatz beschriebene Beweislast sich nicht in ihr Gegenteil verkehren soll. Die vorgebrachten Tatsachen müssen vielmehr einen Sachverhalt nahelegen, bei dem eine Straßenplanung nach dem Badischen Ortsstraßengesetz unterstellt werden muss. Allein die Tatsache eines Straßenbaus lässt nicht notwendigerweise auf die Existenz eines Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplans schließen5.

Bei der Bewertung etwa vorhandener Indizien über den Bau von Straßen aufgrund von Plänen und sonstigen förmlichen Handlungen ist u. a. auch zu berücksichtigen, dass es im ehemaligen Großherzogtum Baden an rechtliche Regeln gebundenen Straßenbau nicht nur auf der Grundlage des Ortsstraßengesetzes gab. So gab es neben dem Ortsstraßengesetz vor allem auch ein (allgemeines) Straßengesetz, das „Gesetz über die Einteilung, Anlage und Unterhaltung der öffentlichen Wege“ vom 14.01.18686, das also etwa zur gleichen Zeit (sogar noch etwas vorher) in Kraft trat wie das Ortsstraßengesetz. Dieses Gesetz wurde später neugefasst durch das Straßengesetz vom 14.06.18847. Auch nach diesem (allgemeinen) Straßengesetz war die (erstmalige) Anlegung, die Verbesserung und die Unterhaltung von Gemeindewegen, Kreisstraßen und Landstraßen gleichfalls in rechtsförmlicher Weise geregelt8. Beide Regelungswerke, das Ortsstraßengesetz einerseits und das Straßengesetz andererseits, unterschieden sich in ihrem Anwendungsbereich darin, dass ersteres dem (gezielten) Anbau von Wohnstätten innerhalb der Ortsbebauung diente, letzteres in erster Linie allgemein verkehrlichen Zwecken. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit förmlicher (Straßenbau- und Vermessungs-)Pläne, die förmliche Ausschreibung der Vergabe von (Werk-)Leistungen und (Baustof-)Lieferungen für die Herstellung der Straße sowie den rechtsförmlichen Grunderwerb für die zur Herstellung der Straße notwendigen Flächen, gab es schon aus tatsächlichen Gründen keine strukturellen Unterschiede. Nur dann, wenn der Straßenbau auf dem Ortsstraßengesetz beruhte, kann die Annahme einer vorhandenen Straße im Sinne von § 49 Abs. 6 KAG in Betracht kommen.

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Nach diesen Grundsätzen vermag das Verwaltungsgericht aufgrund der von dem Kläger genannten Indizien für das Vorliegen eines Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplans nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass es einen solchen Plan für den Ausbau der N. Straße tatsächlich gegeben hat.

Dass es für den Ausbau der N. Straße in den Jahren 1869/1870 handschriftliche Pläne/Zeichnungen eines Feldmessers gibt, besagt nichts im Hinblick auf die Existenz eines Ortsstraßen- oder Bebauungsplans. Bei dem damaligen Straßenbau handelte es sich um die Neuanlage eines Weges bzw. einer Straße auf einer neuen Trasse. Wie auch der Kläger in Übereinstimmung mit den Zeichnungen des Feldmessers vorträgt, verlief der Weg, der schon davor vom Ortskern von W. nach Westen führte, in ganz anderer (unbegradigter) Weise. Dass die Gemeinde für diese Neutrassierung des Weges bzw. der neuen Straße die Dienste eines Vermessers in Anspruch genommen hat, ist aus technischen Gründen zumindest naheliegend, wenn nicht gar notwendig gewesen. Die Inanspruchnahme eines Vermessers zur Herstellung einer neuen Wegeanlage macht in gleicher Weise Sinn für den Bau einer Straße, die in erster Linie dem allgemeinen Verkehr, u. a. der Verbindung der Gemeinde mit dem überörtlichen Verkehrsnetz, dienen sollte, wie für den Bau einer dem Anbau von Wohnstätten dienenden Ortsstraße im Sinne des Ortsstraßengesetzes. Das Gleiche gilt im Hinblick auf den in den Akten der ehemals selbständigen Gemeinde W. belegten Grunderwerb durch Ankauf von Flächen von den privaten Anliegern und die Vergabe von Straßenbauarbeiten und der Lieferung von Straßenbaumaterialien. Dass die vorliegenden handgefertigten Pläne des Feldmessers ausschließlich Zeichnungen über den reinen Straßenkörper und nicht auch über seitliche Baufluchten oder dergleichen enthielten, mag sogar eher als Indiz dafür gelten, dass er eben nicht mit der vermessungstechnischen Umsetzung einer Ortsstraßenplanung nach dem Ortsstraßengesetz9, sondern (nur) mit der Anlage einer (vor allem verkehrlichen Zwecken dienenden) Straße beauftragt war.

Dafür könnte auch sprechen, dass die entsprechenden historischen Unterlagen über den damaligen Straßenbau überschrieben sind mit „Kostenanschlag über die Anlage einer Zufahrtsstraße beim Ort W.“ bzw. mit „Zufahrtstraße von der Landstraße nach W.“. Diese Wortwahl spricht eher für den Bau einer dem allgemeinen Verkehr dienenden („Zufahrts“-)Straße und gegen den Bau einer vor allem der Errichtung von Wohnbebauung dienenden Ortsstraße.

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Das wird auch bestätigt durch die tatsächliche Bauentwicklung in den Folgejahren. Denn es hat auch nach den Recherchen des Klägers immerhin ca. 30 Jahre (bis 1898) gedauert, bis nach der Errichtung des Gasthauses „…“, die schon vor dem Ausbau der N. Straße erfolgte und allein durch die Neutrassierung der B. L.straße veranlasst war, und (deshalb) mit dem späteren Straßenbau der N. Straße nichts tun gehabt haben konnte, das erste Gebäude an der (neuen) N. Straße errichtet wurde. Auch in den Jahren danach hielt sich die Nachfrage nach einer Bebauung der N. Straße in Grenzen. Erst nach weiteren zehn bis 14 Jahren (1908 und 1912) folgten weitere zwei Gebäude und noch weitere 21 Jahre später (1933) das insgesamt vierte. Auch das spricht dafür, dass es bei der Neuanlage der N. Straße in den Jahren 1869/1870 kein wirkliches Bedürfnis für die Errichtung von Wohnbebauung an dieser Straße gab.

Dass der Gemeinderat von W. die N. Straße später, in den Jahren 1930 und 1933, also mehr als 60 Jahre nach der erstmaligen Anlage, in zwei Beschlüssen als Ortsstraße bezeichnete, sagt demgegenüber wenig aus. Denn selbst für den (wenig wahrscheinlichen) Fall, dass die jeweils beiläufigen Bemerkungen in diesen Beschlüssen insoweit überhaupt im Bewusstsein der Bedeutung des Begriffs „Ortsstraße“ im Rechtssinn gemacht worden sein sollten, ist zu bedenken, dass inzwischen, das heißt mehr als 60 Jahre nach dem erstmaligen Ausbau, eben doch einige Bebauungen – zusammen mit der „…“ gab es damals bereits vier bzw. fünf bebaute Grundstücke – entlang der N. Straße entstanden sind, so dass die Einwohner von W. die N. Straße inzwischen – untechnisch – als eine dem Anbau dienende Ortsstraße bzw. als eine „Straße im Ort“ wahrgenommen haben mögen. Auf diese späte, 60 Jahre nach Herstellung der N. Straße zum Ausdruck gebrachte Sichtweise kommt es jedoch nicht an. Viel aussagekräftiger ist demgegenüber die Bezeichnung der N. Straße im Zeitpunkt ihrer Neuanlage als „Zufahrtsstraße von der Landstraße nach W.“, also zu einem Zeitpunkt, in dem es wegen der konkret anstehenden Planung und Finanzierung (ggf. auch im Wege eines dem heutigen Erschließungsbeitrag vergleichbaren Beizugsverfahrens gemäß den Art. 12 ff. OStrG vom 20.02.1868 [a.a.O.] einerseits oder gemäß § 4 des [allgemeinen] Straßengesetzes vom 14.01.1868 [a.a.O.] andererseits, beides erst ein Jahr vor dem Bau der N. Straße erlassener und deshalb im allgemeinen Bewusstsein sicherlich noch frischer Gesetze) von weitaus größerer Bedeutung war, sich Gedanken über die rechtliche Qualifizierung der Straße zu machen.

Allein die Tatsache, dass an der N. Straße in den Jahren 1898, 1908, 1912 und 1933 Bauvorhaben errichtet wurden, rechtfertigt – entgegen der Auffassung des Klägers – ebenfalls nicht die Schlussfolgerung, dass die N. Straße deshalb die Qualität einer Ortsstraße erlangt haben muss. Dagegen spricht zum einen, dass die Bautätigkeit erst etwa dreißig Jahre nach Herstellung der Straße einsetzte und auch danach keine größeren Ausmaße angenommen hatte, so dass daraus keine Rückschlüsse auf die Qualifizierung der Straße im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Herstellung gezogen werden können. Auf der anderen Seite war es auch an „normalen“ (Verkehrs-)Straßen in der Nähe von Siedlungen nicht unüblich, sie nach ihrer Entstehung als Anbaustraßen zu nutzen. Das widersprach auch durchaus nicht der damaligen Rechtslage. So ist u. a. in § 31 Abs. 1 des (allgemeinen) Straßengesetzes vom 14.06.188410 ausdrücklich Folgendes geregelt: „Auf dem längs der öffentlichen Wege befindlichen Privateigentum dürfen, vorbehaltlich der für Ortsstraßen geltenden besonderen Bestimmungen, bauliche Anlagen aller Art bei Landstraßen nur in einer Entfernung von 3,6 Meter, bei Kreisstraßen und Gemeindewegen nur in einer solchen von 2 Meter angebracht werden.“ Nach Absatz 3 der zuvor zitierten Vorschrift konnten im Einzelfall Ausnahmen von diesen Abständen zugelassen werden (wörtlich: „Wenn nach den Umständen eine Benachteiligung der öffentlichen Interessen nicht zu erwarten ist, kann durch die Verwaltungsbehörde … von der Einhaltung dieser Entfernung Nachsicht erteilt werden.“). Diese Regelung (im allgemeinen Straßengesetz) widerspricht auch nicht den erst in späteren Fassungen des Ortsstraßengesetzes, insbesondere in der Fassung des Gesetzes vom 15.10.190811, eingeführten §§ 11 und 12 OStrG über die Beschränkungen des Bauens außerhalb bestehender Ortsstraßen. Denn ein Bauverbot aufgrund von § 12 OStrG erforderte entweder – nach Absatz 1 – den vorherigen Erlass einer zeitlich ausdrücklich zu befristenden „ortspolizeilichen Vorschrift“, in etwa vergleichbar mit einer heutigen Polizeiverordnung, für deren Existenz in der damaligen Zeit in der Gemeinde W. keine Anhaltspunkte gegeben sind, oder – nach Absatz 2 – im Einzelfall eine ausdrücklichen Untersagung durch die „Baupolizeibehörde nach Vernehmung des Gemeinderats“ bei Vorliegen bestimmter Gefährdungslagen und Beeinträchtigungen oder Behinderungen bestehender oder nach Maßgabe von Ortsstraßenplänen geplanter Ortsstraßen. Auch aus § 11 OStrG ergab sich ein Bauverbot nur bei fehlender Verbindung zum nächsten befahrbaren öffentlichen Weg und ansonsten fehlender, für die Nutzung der jeweiligen Gebäude erforderlicher Erschließungsanlagen12. Damit stand § 11 OStrG einer Bebauung an einem vorhandenen Gemeindeweg, einer Kreis- oder Landstraße, durch den bzw. durch die die Verbindung zum Straßennetz vermittelt wurde, grundsätzlich gerade nicht entgegen.

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Auch der Umstand, dass die spätere Bebauung an der N. Straße, wie der Kläger vorträgt, weitestgehend parallel zur Straße ausgeführt worden ist und in etwa gleiche Abstände zu dieser wahrt, ist kein hinreichendes Indiz für das Vorliegen eines Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplans nach dem Ortsstraßengesetz mit Festsetzungen über eine Bauflucht. Eine solche in der N. Straße heute anzutreffende Bebauung, die geprägt ist von der Ausrichtung an die bereits vorhandenen Gebäude in der Nachbarschaft, kann ebenso gut Ausdruck eines natürlichen städtebaulichen Empfindens der jeweiligen Bauherrn bzw. Architekten oder Ergebnis einer informellen Einflussnahme der Orts- oder früheren Gemeindeverwaltung auf die Bauweise (gewesen) sein. Darüber hinaus zeigt auch gerade die im vorstehenden Absatz zitierte Vorschrift des § 31 des (allgemeinen) Straßengesetzes vom 14.06.1884, dass es damals auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Ortsstraßengesetzes rechtliche Regeln zur Einhaltung einer Art von Bauflucht gab. Es ist im Übrigen keine Seltenheit, wenn nicht gar ein sehr häufig anzutreffendes, bekanntes Phänomen, dass sich in vergangenen Jahren und Jahrzehnten in innerörtlichen Lagen tatsächliche Baufluchten auch ohne vorherige rechtsförmliche Festlegung herausgebildet haben.

Insgesamt belegen die vorstehenden Ausführungen, dass ein Ausbau der N. Straße nach Maßgabe eines auf dem Ortsstraßenrecht beruhenden Ortsstraßen- oder Bebauungsplans zumindest nicht nachgewiesen ist. Das hat zur Folge, dass die Kammer nach den anerkannten Regeln der Beweislast davon auszugehen hat, dass es einen solchen Ortsstraßen- oder Bebauungsplan nicht gegeben hat.

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Die N. Straße ist auch nicht deshalb eine „vorhandene“ Straße im Sinne von § 49 Abs. 6 KAG, weil sie eine so genannte historische Ortsstraße wäre, das heißt eine bereits bei Inkrafttreten des (ersten) Badischen Ortsstraßengesetzes am 20.02.1868 vorhandene Ortsstraße. Das ist zu Recht zwischen den Beteiligten nicht streitig, weil die tatsächliche bzw. die nicht vorhandene Bebauung an der N. Straße in jener Zeit, wie sie sich aus alten Plänen erschließt, einer solchen Annahme eindeutig entgegensteht13.

Nachdem hiernach davon auszugehen ist, dass die N. Straße keine vorhandene Straße im Sinne von § 49 Abs. 6 KAG ist, weil sie nicht aufgrund eines Ortsstraßen- und Bebauungsplans nach dem Ortsstraßengesetz hergestellt worden und auch sonst keine historische Ortsstraße ist, kommt es auf die zwischen den Beteiligten ausgiebig diskutierte Frage, ob der tatsächliche Ausbau dieser Straße den üblichen technischen Anforderungen der jeweiligen Epoche und/oder einem etwaigen Ortsstraßenplan entsprochen hat, nicht an.

Aus der in den Akten der Beklagten befindlichen Bescheinigung des Bürgermeisteramts der Beklagten vom 20.01.1976, mit der für ein anderes ebenfalls an der N. Straße gelegenes Grundstück (Flst.Nr. …) bestätigt wurde, dass die Erschließungsanlage nach § 127 BBauG und nach Landesrecht fertig gestellt, der Erschließungsbeitrag nach dem Bundesbaugesetz bezahlt und nach Landesrecht zu 50 % bezahlt und zu 50 % nach Abschluss der Maßnahme zu zahlen ist, kann der Kläger in diesem Verfahren keine Rechte ableiten. Diese offensichtlich auf einem Formblatt einer Bausparkasse ausgestellte Bescheinigung diente allein dem Zweck der Finanzierung eines Bauvorhabens sowie ggf. der Beleihung des betreffenden Wohngrundstücks. Solche Bescheinigungen wurden von den Gemeindeverwaltungen zugunsten der Grundstückseigentümer regel- und routinemäßig ausgestellt. Aus solchen routinemäßig ausgestellten Bescheinigungen kann generell nicht geschlossen werden, dass die Gemeinde die schwierige, eine Auswertung historischer Befunde erfordernde Rechtsfrage, ob es sich bei der betreffenden Straße um eine vorhandene Straße nach altem Landesrecht handelt, einer gründlichen Prüfung unterzogen hat14. Die hier zu beurteilende Bescheinigung ist im Übrigen zumindest widersprüchlich; bei wohlwollendem Verständnis kann ihr allenfalls eine Aussage zur Zahlung von Anliegerbeiträgen nach dem im Jahr 1976 geltenden Landesrecht entnommen werden, zu dem das Erschließungsbeitragsrecht, um das es hier jedoch allein geht, das damals aber noch ausschließlich im Bundesrecht geregelt war, aber nicht gehörte. Auch reicht eine solche Bescheinigung nicht zum Beleg dafür, dass tatsächlich bereits Anliegerbeiträge gezahlt wurden. Für diese Behauptung tragen die Beitragspflichtigen die materielle Beweislast, der sie u. a. in zumutbarer Weise durch Vorlage des Zahlungsbelegs oder des Beitragsbescheids nachkommen können und müssen15.

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Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 11. Juli 2012 – 4 K 1621/10

  1. siehe Reif, in: Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz für Baden-Württemberg, Stand: Febr.2012, Bd. II, § 49 Anm.03.02.01.1, m.w.N.; siehe auch VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011 – 4 K 659/10[]
  2. ständige Rspr. des VGH Bad.Württ., siehe Nachweise bei Reif, a.a.O., § 49 Anm.03.02.01.1, 3.02.2. und 3.02.03.2; siehe auch VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011, a.a.O.[]
  3. VGH Bad.Württ., Urteile vom 05.03.1998 – 2 S 615/96 – und vom 27.02.1992 – 2 S 37/90 – sowie Beschluss vom 14.11.1996 – 2 S 371/96 , m.w.N.; Urteil der Kammer vom 06.07.2011, a.a.O.; Reif, a.a.O., § 49 Anm.03.02.05.1, m.w.N.[]
  4. vgl. hierzu VG Stuttgart, Urteil vom 17.12.2003 – 2 K 2687/03 , juris; Reif, a.a.O., § 49 Anm.03.02.05.1, m.w.N.[]
  5. ständige Rspr., siehe VGH Bad.Württ., Beschlüsse vom 23.03.1990 – 2 S 2284/90; und vom 14.11.1996, a.a.O., m.w.N.; Reif, a.a.O., § 49 Anm.03.02.05.1[]
  6. Großherzoglich Badisches Regierungsblatt Nr. II vom 15.01.1868, S. 13 ff.[]
  7. Gesetzes- und Verordnungsblatt Nr. XXVI vom 09.07.1884 für das Großherzogthum Baden, 1884, S. 285 ff.[]
  8. vgl. hierzu VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011, a.a.O., m.w.N.; Reif, a.a.O., § 49 Anm.03.02.2.1[]
  9. zum notwendigen Inhalt eines Ortsstraßen- bzw. Bebauungsplans nach dem Ortsstraßengesetz siehe VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011, a.a.O., m.w.N.[]
  10. a.a.O.[]
  11. Gesetzes- und Verordnungsblatt Nr. XLVI vom 15.10.1908 für das Großherzogthum Baden, 1908, S. 605 ff.[]
  12. vgl. hierzu Flad, Das Badische Ortsstraßengesetz, Karlsruhe, 1909, S. 79 ff. und 226 ff.; zur den entsprechenden, inhaltlich etwas anders lautenden Vorschriften in den Art. 9 und 10 OStrG in der Fassung vom 06.07.1896 [Gesetzes- und Verordnungsblatt Nr. XIX vom 06.07.1896 für das Großherzogthum Baden, 1896, S. 213 ff.], siehe Walz, Badisches Ortstraßenrecht, Heidelberg, 1900, S. 140 ff.[]
  13. zu den Voraussetzungen für die Annahme einer historischen Ortsstraße siehe – ausführlich – VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011, a.a.O., m.w.N.[]
  14. so u. a. VGH Bad.Württ., Beschluss vom 16.01.2008 – 2 S 25/07; VG Freiburg Urteil vom 06.07.2011, a.a.O.[]
  15. siehe hierzu auch VG Freiburg, Urteil vom 06.07.2011, a.a.O.[]