Das Bürgerbegehren im Bauplanungsrecht – und die Rechtsposition der Vertrauensleute

Vertrauensleute eines Bürgerbegehrens können sich als in einer Art organschaftlichem Verhältnis zur betreffenden Gemeinde stehende „Amtswalter“ nicht auf Art.19 Abs. 4 GG berufen. Auch das hessische Kommunalrecht räumt den Vertrauensleuten im Übrigen keine Rechtsposition ein.

Das  Bürgerbegehren im Bauplanungsrecht – und die Rechtsposition der Vertrauensleute

Vertrauensleute eines Bürgerbegehrens – und die Rechtsschutzgarantie[↑]

Abs. 4 GG garantiert dem Einzelnen bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt effektiven Rechtsschutz als Grundrecht1. Die Rechtsschutzgarantie vermittelt dem Bürger einen substantiellen Anspruch auf eine auch tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle2, ohne den gerichtlichen Kontrollauftrag dabei zu verabsolutieren3.

Auf Gebietskörperschaften und deren Organe findet Art.19 Abs. 4 GG jedoch grundsätzlich keine Anwendung.

Zwar gelten die Grundrechte nach Art.19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Dies gilt jedoch grundsätzlich nicht für inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts4, weil es mit dem Wesen der Grundrechte nicht vereinbar wäre, wenn der Staat über Art.19 Abs. 3 GG selbst zum Teilhaber oder Nutznießer der Grundrechte würde. Sein Handeln dient der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und vollzieht sich nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter ursprünglicher Freiheit, sondern aufgrund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt werden. Kompetenzzuweisungen und die Entscheidung aus ihnen resultierender Konflikte sind nicht Gegenstand der Grundrechte. Sie fallen daher auch nicht in den Schutzbereich der Rechtsschutzgarantie von Art.19 Abs. 4 GG5.

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Das gilt auch für Gemeinden und ihre Organe6. Sie sind lediglich besondere Erscheinungsformen einer einheitlich verstandenen Staatsgewalt. Soweit sie eine Verletzung ihnen zugewiesener Rechte geltend machen, handelt es sich um Streitigkeiten über die funktionale Zuständigkeitsordnung, denen es an dem notwendigen Bezug zur individuellen – in der Regel grundrechtlich radizierten – Selbstbestimmung fehlt7.

Die den Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens durch das Kommunalrecht zugewiesenen Rechte sind Teil der kommunalen Willensbildung. Sie betreffen die politische Willensbildung in der Gemeinde und begrenzen zugleich die Rechte der Gemeindevertretung. Ein zugelassenes Bürgerbegehren ist Teil des institutionellen Gefüges der Gemeinde, mit dem die Bürgerschaft an der politischen Willensbildung in der Gemeinde teilhat. Seine Vertrauensleute nehmen insoweit eine organschaftliche Funktion wahr8. Als „Organ“ der Gemeinde fallen sie nicht in den Schutzbereich von Art.19 Abs. 4 GG.

Die Vertrauensleute im hessisches Kommunalrecht[↑]

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass der Gesetzgeber kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeiten um die funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen einer Gemeinde durchaus den Gerichten zuweisen kann, dies nach der für die Kammer bindenden9 Auslegung der Hessischen Gemeindeordnung jedoch auf den Zeitpunkt begrenzt hat, zu dem ein Beschluss des Gemeindevorstands über die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 1 BauGB), der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange (§ 4 Abs. 1 BauGB) gefasst und öffentlich bekanntgemacht worden ist, das Bürgerbegehren insoweit also über keine Rechtsposition mehr verfügt. Art.19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht selbst den sachlichen Bestand oder Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung; diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im Übrigen. Art.19 Abs. 4 GG setzt mithin subjektive Rechte voraus und begründet sie nicht10.

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Soweit das materielle Recht den Vertrauensleuten eines Bürgerbegehrens daher keine subjektive Rechtsstellung zuweist, kommt eine Verletzung von Art.19 Abs. 4 GG von vornherein nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerinnen werden durch den Beschluss des Gemeindevorstands und seine Bestätigung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht in ihren Rechten betroffen. Da sie als Vertrauensleute des Bürgerbegehrens tätig geworden sind, machen sie nicht die Beeinträchtigung ihnen als natürlichen Personen zustehender Rechte geltend, sondern eine Verletzung der mit dem Bürgerbegehren verbundenen Kompetenzen. Insoweit handelt es sich um eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit.

Vertrauensleute eines Bürgerbegehrens – und das Willkürverbot[↑]

Als Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens können sich die Beschwerdeführerinnen gleichfalls nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen. Zwar ist das Willkürverbot auch mit Blick auf Träger öffentlicher Gewalt zu berücksichtigen11. Dogmatische Grundlage dafür ist jedoch das Rechtsstaatsprinzip und gegebenenfalls auch das Bundesstaatsprinzip, nicht hingegen das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG12.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. Februar 2019 – 2 BvR 2203/18

  1. vgl. BVerfGE 129, 1, 20; BVerfGK 18, 74, 80[]
  2. vgl. BVerfGE 35, 263, 274; 40, 272, 275; 84, 34, 49[]
  3. vgl. BVerfGE 116, 1, 18 ff.[]
  4. vgl. BVerfGE 21, 363, 368 f.[]
  5. vgl. BVerfGE 39, 302, 312 ff.; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2006 – 2 BvR 575/05 12[]
  6. vgl. BVerfGE 129, 108, 118; BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 1 BvR 1305/1320; offengelassen in BVerfGE 61, 82, 109; 140, 99, 109 f. Rn.19[]
  7. vgl. BVerfGE 21, 362, 370 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art.19 Abs. 4, Rn. 147 f., Juli 2014[]
  8. vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 02.03.2004 – 1 B 79/04, NVwZ-RR 2005, S. 54, 54 f., zu Art. 87 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen und dem Gesetz über das Verfahren beim Bürgerantrag, Bremen; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.12 1997 – 10 M 5396/97 2, zu § 22b Niedersächsische Gemeindeordnung a.F.; Urteil vom 15.02.2011 – 10 LB 79/10 30, zu § 22b Niedersächsische Gemeindeordnung a.F.; OVG NRW, Beschluss vom 19.03.2004 – 15 B 522/04 zu § 26 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.12 1994 – 7 B 12954/94 16; Urteil vom 06.02.1996 – 7 A 12861/95 32; Beschluss vom 10.10.2003 – 7 B 11392/03 8, jeweils zu § 17 Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz; OVG Saarland, Urteil vom 12.06.2008 – 1 A 3/08 77, zu § 21a Abs. 2 Satz 2 Kommunalselbstverwaltungsgesetz, Saarland; Sächsisches OVG, Beschluss vom 06.02.1997 – 3 S 680/96, NVwZ-RR 1998, S. 253, 253 f., zu § 24 f. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen a.F.[]
  9. vgl. BVerfGK 18, 74, 80[]
  10. BVerfGK 18, 74, 80 m.w.N.[]
  11. vgl. BVerfGE 21, 362, 369 f.; 23, 353, 372 f.; 26, 228, 244 f.; 35, 263, 271 f.; 76, 107, 119; 83, 363, 393; 86, 148, 251; 89, 132, 141; 113, 167, 262; 137, 108, 154 Rn. 107; BVerfGK 4, 75, 77 f.; BVerfG, Beschluss vom 10.05.2016 – 1 BvR 2871/13 5; Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15 210-214[]
  12. vgl. BVerfGE 21, 362, 369 f.; 26, 228, 244 f.; 137, 108, 154 Rn. 107; BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15 210-214[]
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