Das nicht weiterbetriebene Verfahren – und das nachträglich entfallene Rechtsschutzbedürfnis

Jede antragsgebundene gerichtliche Entscheidung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus1, d.h. die Verfolgung eines rechtsschutzwürdigen Interesses2.

Das nicht weiterbetriebene Verfahren – und das nachträglich entfallene Rechtsschutzbedürfnis

Das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens entfallen. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzbedürfnisses kann ein Gericht im Einzelfall auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist.

Einen gesetzlichen Niederschlag hat dieser Rechtsgedanke in § 92 Abs. 2 VwGO gefunden. Danach gilt eine Klage – mit der Folge der Einstellung des Verfahrens durch Beschluss (vgl. § 92 Abs. 3 VwGO) – als zurückgenommen, wenn ein Kläger das Verfahren trotz einer Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt.

Eine solche Beendigung eines gerichtlichen Verfahrens ohne Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren in der Sache setzt voraus, dass nach dem prozessualen Verhalten des Beteiligten hinreichender Anlass besteht, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen, dass das Gericht ihn daraufhin zum Betreiben des Verfahrens auffordert und dass der Beteiligte mit dieser Aufforderung auf die Folgen des (weiteren) Nichtbetreibens des Verfahrens hingewiesen wird.

Ob neben dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, der die an das Verhalten eines Rechtsschutzsuchenden anknüpfende Vermutung eines Wegfalls des Rechtsschutzinteresses zugrunde liegt3, noch Raum verbleibt, außerhalb der dort bestimmten Voraussetzungen und außerhalb des dort geregelten Verfahrens ein Rechtsschutzbegehren als unzulässig abzulehnen, weil nach dem Verhalten des Beteiligten davon auszugehen ist, dass er kein Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichts hat4, konnte das Bundesverwaltungsgericht im hier entschiedenen Fall dahinstehen. Denn jedenfalls wäre es erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den sicheren Schluss zulassen, dass dem Beteiligten an einer Sachentscheidung des Gerichts in Wahrheit nicht mehr gelegen ist2. Das war hier aber nicht der Fall.

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In dem hier entschiedenen Fall ist das Berufungsgericht in der Vorinstanz davon ausgegangen, dass sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG i.d.F. des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 06.09.20135 richtet. Wie der Begründung seines Beschlusses zur Zulassung der Berufung vom 17.09.2013 weiter zu entnehmen ist, hat es hinsichtlich des notwendigen Bekenntnisses des Klägers zum deutschen Volkstum zwischen einer entsprechenden Nationalitätenerklärung und dem Bekenntnis auf andere Weise unterschieden. Schließlich hat es § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG n.F. wiedergegeben, wonach das Bekenntnis auf andere Weise insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden kann.

Vor diesem materiellrechtlichen Hintergrund, der unterschiedliche Möglichkeiten zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum zulässt, erweist sich die Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger habe durch sein Verhalten Anlass zu der Annahme gegeben, dass ihm an einer gerichtlichen Sachentscheidung über sein Begehren nicht mehr gelegen sei, als nicht tragfähig. Denn die Beibringung eines Sprachnachweises über Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1, auf den die an den Kläger gerichteten Aufforderungen des Berufungsgerichts ausschließlich abzielen, ist nur eine hinreichende, nicht aber notwendige Voraussetzung für den Erfolg seiner Klage. Das Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren hatte sich auch nicht etwa nur auf diese Variante des § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVFG als angesichts der Umstände des vorliegenden Falles einzig realistische Möglichkeit eines Bekenntnisakts verengt. Verhält sich der Kläger in einer solchen Situation trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderungen nicht zur Ablegung der Sprachprüfung, trägt sein Verhalten mit Blick auf die anderen Möglichkeiten, sich zum deutschen Volkstum zu bekennen, nicht die Schlussfolgerung mangelnden Interesses an einer gerichtlichen Sachentscheidung. Diese lässt sich zudem weder auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 01.07.2015 auf seine unzutreffende Rechtsauffassung noch auf die Mitteilung der Schwester des Klägers stützen, ihr Bruder wolle „von Gericht absagen“.

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Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. April 2016 – 1 B 2.16

  1. vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.1982 – 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61, 126, 135[]
  2. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95 – DVBl.1999, 166[][]
  3. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl.2014, § 92 Rn. 13[]
  4. verneinend Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl.2015, Vorb. § 40 Rn. 54[]
  5. BGBl. I S. 3354[]