Das Unionsbürgerkind – und das Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Elternteils

Dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats besitzt, kann ein vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV (Freizügigkeitsrecht) nur zustehen, wenn das Kind ein eigenes – und nicht nur vom anderen (Unionsbürger-)Elternteil abgeleitetes – Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat hat.

Das Unionsbürgerkind – und das Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Elternteils

In dem jetzt vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hat ein kosovarischer Staatsangehöriger geklagt, der Vater eines im Juli 2017 geborenen Kindes ist, das über seine Mutter, mit der er zusammenlebt, die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Das Sorgerecht für das Kind wird von den Eltern gemeinsam ausgeübt. Nach der Geburt des Kindes hat der Vater erfolglos die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkindes (entsprechend § 5 Abs. 1 FreizügG/EU) beantragt.

Die erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht Augsburg erfolgreiche Klage1 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf die Berufung der Ausländerbehörde abgewiesen2. Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers bestehe grundsätzlich nur, so der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, wenn es erforderlich sei, damit der Unionsbürger (hier das Kind) sein Recht auf Freizügigkeit wirksam ausüben könne. Hierzu gehöre zwar auch ein familiäres Zusammenleben im Aufnahmemitgliedstaat. Ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht sei aber nicht geboten, wenn das Familienleben auch durch Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, hier einer humanitären Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 5 AufenthG), erreicht werden könne. Eine solche habe der Vater zwar nie beantragt, deren Erteilung habe die Ausländerbehörde aber zugesagt.

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Nachdem der Vater inzwischen die Kindesmutter geheiratet hat und ihm daraufhin eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, begehrt er nur noch die gerichtliche Feststellung, dass ihm ein von seinem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugestanden habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen:

Art. 21 AEUV schützt das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und vermittelt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch in bestimmten Fallkonstellationen, die nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/38/EG (sog. Unionsbürgerrichtlinie) erfasst werden, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier das Kind) im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reicht hierfür nicht. Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes besteht nur, wenn u.a. ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b Unionsbürgerrichtlinie). Außerdem muss der drittstaatsangehörige Elternteil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dieser Fallkonstellation für ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht auch tatsächlich für das Kind sorgen.

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Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nunmehr im zurückverwiesenen Verfahren zu treffen. Ein unmittelbar aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ist ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht, dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 27.19

  1. VG Augsburg, Urteil vom 20.12.2017 – Au 6 K 17.1538[]
  2. BayVGH, Urteil vom 25.06.2019 – 10 BV 18.281[]