DDR-Heimunterbringung wegen Gefahr der Republikflucht – und die strafrechtliche Rehabilitierung

Die Verurteilung wegen ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 StGB/DDR führt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1e StrRehaG zwingend zur strafrechtlichen Rehabilitierung.

DDR-Heimunterbringung wegen Gefahr der Republikflucht – und die strafrechtliche Rehabilitierung

Soweit die Unterbringung des Betroffenen in dem Jugendwerkhof möglicherweise auch auf familiären Schwierigkeiten und Problemen der Eltern mit seiner Erziehung beruhte, steht dies einer Rehabilitierung nicht entgegen. Im Übrigen belegen auch die weiteren vorliegenden Erkenntnisse, dass die gegen den Betroffenen angeordnete Einweisung in den Jugendwerkhof mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich rechtsstaatlichen Ordnung nicht vereinbar ist. Ihr lagen vorrangig politische Motive zugrunde und sie hat damit sachfremden Zwecken gedient. Folgendes Bild ergibt sich aus der Gesamtschau aller vorliegenden Erkenntnisse:

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sah offenbar im Hinblick auf die sensible Tätigkeit der Eltern des Betroffenen, der Wohnlage der Familie und der Westkontakte Veranlassung zur Beobachtung, offensichtlich seit dem 15.11.1973. Aufgrund der nicht der Norm entsprechenden Entwicklung des zu unüberlegten und spontanen Handlungen neigenden und durch „Umhertreiberei“ aufgefallenen Betroffenen sah das MfS auch im Hinblick auf die Wohnlage im Sperrgebiet, die Beeinflussung durch Westfernsehen und die intensiven Westkontakte offensichtlich die realistische Möglichkeit, dass der Betroffene die DDR verlassen könnte. Insoweit dürfte sich aus Sicht des MfS eine Heimeinweisung geradezu aufgedrängt haben. Hierfür sprechen auch die vorläufige Einweisungsverfügung und der handschriftliche Hinweis auf „versuchte Republikflucht“ in dem offensichtlich für Vermisste bzw. unbekannt aufhältliche Personen anzuwendenden Protokollformular Es ging nicht um die Sanktionierung, sondern um die Verhinderung einer Republikflucht.

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Klarstellend bemerkt das Oberlandesgericht, dass es für den Erfolg des Rehabilitierungsbegehrens wegen der Unterbringung in einem Heim für Kinder und Jugendliche auch nicht mehr darauf ankommt, ob diese Unterbringung unter haftähnlichen Bedingungen erfolgt ist1, sondern nur noch auf die Feststellung der politischen Verfolgung oder sonst sachfremder Zwecke.

Mit dem Vierten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 02.12 20102 wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG zur gesetzlichen Klarstellung und zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendungspraxis3 dahingehend geändert, dass insbesondere auch die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, eine entsprechende Anwendung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG eröffnet. Bei den in § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG aufgeführten Fällen handelt es sich um Regelbeispiele, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrRehaG erfüllen, wenn sie der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken dienten. Damit wird der freiheitsentziehende Charakter auch der Heimerziehung in der DDR gesetzlich unterstellt. Es ist daher nicht mehr zu prüfen, ob sich die konkrete Unterbringung unter zumindest haftähnlichen Bedingungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StrRehaG vollzog4

Landgericht Rostock, Beschluss vom 14. November 2011 – I WsRH 24/11

  1. vgl. zur alten Rechtslage nur OLG, Beschluss vom 29.01.2007 – I WsRH 17/05[]
  2. BGBl. I S. 1744[]
  3. vgl. BT-Drs.: 17/3233 S. 7[]
  4. so auch bereits OLG Naumburg, Beschluss vom 14.04.2011- 2 WS REh 96/11; KG, Beschluss vom 16.06.2011 – 2 Ws 351/09 REHA; Thüringisches OLG, Beschluss vom 23.05.2011 – 1 Ws Reha 3/11; s.a. LG Erfurt, Beschluss vom 14.07.2011 – 1 Reha 383/09[]
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