Der Anspruch des Bürgers auf Beachtung eines Bürgerentscheids

Einem zur Abstimmung berechtigten Bürger einer Gemeinde steht ein Anspruch darauf zu, dass die Gemeindeorgane einen Bürgerentscheid während der dreijährigen Sperrfrist beachten1.

Der Anspruch des Bürgers auf Beachtung eines Bürgerentscheids

Für die Auslegung einer zum Bürgerentscheid gestellten Frage dürfte nicht nur das voraus gegangene Bürgerbegehren heranzuziehen sein. Maßgeblich sein dürften vielmehr auch Umstände, welche bis zur Entscheidung über den Bürgerentscheid für die Bürgerschaft allgemein erkennbar die Fragestellung mit geprägt haben. Dazu kann insbesondere auch die amtliche Information der Gemeinde zum Bürgerentscheid gehören.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg2 steht einem zur Abstimmung berechtigten Bürger einer Gemeinde ein Anspruch darauf zu, dass die Gemeindeorgane einen Bürgerentscheid während der dreijährigen Sperrfrist aufrecht erhalten und beachten. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof in der genannten Entscheidung aus § 21 Abs. 7 Satz 2 GemO gefolgert, wonach ein Bürgerentscheid innerhalb der Sperrfrist von drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden kann. Er hat insoweit ausgeführt, dass die Einräumung eines subjektiven Rechts des Bürgers in der genannten Vorschrift schon deshalb nahe liege, weil die Vorschrift in dem Unterabschnitt der Gemeindeordnung stehe, der von den Rechten der Bürger handele. Vor allem aber sei maßgeblich, dass nur durch die Zuerkennung eines subjektiven Rechts für den einzelnen Bürger die Sperrwirkung eines Bürgerentscheids im Klageweg gegenüber den (anderen) Gemeindeorganen gesichert und durchgesetzt werden könne. Vergleichbar sei die Rechtslage mit der, dass dem einzelnen Bürger ein Recht auf gerichtliche Überprüfung von Verfahrensverstößen bei der Durchführung eines Bürgerentscheids zustehe.

Weiterlesen:
Werbekosten für einen Bürgerentscheid

Dem ist in jüngerer Zeit zwar das Oberverwaltungsgericht Sachsen (in Bezug auf eine ähnliche Regelung der Sperrwirkung im Freistaat Sachsen) nicht gefolgt3. Das hat das Bundesverfassungsgericht von Verfassungs wegen nicht beanstandet4.

Dennoch hält das Verwaltungsgericht Freiburg an der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg fest. Denn soweit das Oberverwaltungsgericht Sachsen zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf eine jüngere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg5 hingewiesen hat, ist dieser Entscheidung keine ausdrückliche oder zumindest angedeutete Abkehr von der oben genannten Entscheidung aus dem Jahr 1974 zu entnehmen: Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil aus dem Jahr 2001 allgemein ausgeführt, dass die dort erhobene Feststellungsklage (betreffend die Gültigkeit eines Bürgerentscheids, bei dem das maßgebliche Quorum knapp verfehlt worden war) unzulässig sei, weil das Ergebnis eines Bürgerentscheids „in aller Regel und so auch hier“ kein Rechtsverhältnis zwischen den zur Abstimmung berechtigten Bürgern und der Gemeinde begründe. Er hat aber hinzu gefügt, dass dies gelte, wenn ein Bürgerentscheid (wegen Verfehlung des Quorums) dazu führe, dass die zur Entscheidung gestellte Frage vom Gemeinderat zu entscheiden sei, der Bürgerentscheid also nicht die Wirkung eines endgültigen Gemeinderatsbeschlusses habe. Dies trifft für Fälle wie den 1974 entschiedenen und den hier vorliegenden gerade nicht zu.

Ein Bürgerentscheid entfaltet Bindungswirkung hinsichtlich der Angelegenheit, über die die Bürgerschaft entschieden hat. Für die Bestimmung der Angelegenheit ist der sogenannte Empfängerhorizont maßgeblich, das heißt, entscheidend ist, wie die Bürger aus objektiver Sicht den Gegenstand des Bürgerbegehrens auffassen durften. Die Bindung an einen Bürgerentscheid erstreckt sich auf dasselbe (identische) Vorhaben aber auch auf gleichartige Vorhaben, bei denen das zum früheren Bürgerentscheid gestellte Vorhaben nur geringfügig oder nur im Detail geändert worden ist. Wesentliche Änderungen können dagegen eine neue Angelegenheit begründen etwa bei abweichender Nutzungsart, anderem Standort oder verändertem Raumprogramms eines Vorhaben6.

Weiterlesen:
Schleswig-Holsteinische Amtsordnung

Für die Auslegung einer zum Bürgerentscheid gestellten Frage nach den oben genannten Grundsätzen dürfte nicht nur das voraus gegangene Bürgerbegehren heranzuziehen sein. Maßgeblich sein dürften vielmehr auch Umstände, welche bis zur Entscheidung über den Bürgerentscheid für die Bürgerschaft allgemein erkennbar die Fragestellung mit geprägt haben. Dies ist hier deshalb wesentlich, weil der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Entscheidung über das Bürgerbegehren zunächst zurückgestellt hatte und an einem „Runden Tisch“ Alternativen zur ursprünglichen Planung erörtert worden waren, welche sowohl von den Initiatoren des Bürgerbegehrens wie auch von der Antragsgegnerin in der öffentlichen Diskussion gleichsam mit zum Bürgerentscheid gestellt worden waren.

Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 7. August 2014 – 5 K 1706/14

  1. wie VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.11.1974 – 1 S 453/74 – ESVGH 25, 193, 195 ff.; a.A. OVG Sachsen, Beschluss vom 12.02.2008 – 4 B 16/08 – juris unter Hinweis auf VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.04.2001, VBlBW 2002, 118[]
  2. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.1974 – 1 S 453/74 – ESVGH 25, 193, 195 ff. zu einer Klage gegen das Land wegen Genehmigung einer Eingliederungsvereinbarung; ebenso OVG SH, Urteil vom 21.06.1995 – 2 L 121/94 []
  3. OVG Sachsen, Beschluss vom 12.02.2008 – 4 B 16/08 []
  4. BVerfG, Beschluss vom 16.09.2010 – 2 BvR 2349/08 39[]
  5. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.04.2001, VBlBW 2002, 118[]
  6. zum Ganzen vgl. VG Freiburg, Urteil vom 05.12.1991 – 4 K 1453/91 – und hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.04.1992 – 1 S 333/92 – VBlBW 1992, 421 zur Zulässigkeit eines erneuten Bürgerbegehrens wegen einer Kultur- und Tagungsstätte; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.04.2010 – 1 S 2810/09 – VBlBW 2010, 311 und, zur Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts der Bürgerschaft zuletzt Urteil vom 22.06.2009 – 1 S 2865/08 – VBlBW 2009, 425[]
Weiterlesen:
Bürgerbegehrung in Bayern - und die dort wohnenden EU-Unionsbürger