Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Grundstücksnutzung in den Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme in der Weise belastet, dass die störende Nutzung die von ihr ausgehenden Belästigungen in Grenzen halten und die benachbarte Wohnnutzung die Tatsache, dass sie in der Nähe einer Belästigungsquelle angesiedelt ist, respektieren muss.

Als Grenze der zumutbaren Belastung ist in solchen Fällen ein Zwischenwert zu bilden, der bei Lärmimmissionen zwischen den Richtwerten liegt, welche bei jeweils isolierter Betrachtung für die benachbarten Gebiete unterschiedlicher Nutzung und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit gegeben sind. Der Zwischenwert ist nicht arithmetisch zu bestimmen, sondern bezeichnet die Zumutbarkeit der betreffenden Immissionen nach Maßgabe der Ortsüblichkeit und der Umstände des Einzelfalls1.
Diese in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze, die mittlerweile in Nr. 6.7 TA Lärm übernommen worden sind2, beziehen sich allgemein auf städtebauliche Konflikte in sogenannten Gemengelagen von Gebieten unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit, die unter anderem nach dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme auszugleichen sind3. Ihre Anwendbarkeit hat die Rechtsprechung weder auf Gebiete beschränkt, in denen nach den Wertungen der §§ 30 ff. BauGB grundsätzlich gebaut werden darf, noch – soweit es um eine Nutzung im Außenbereich geht – auf Konflikte zwischen einer Wohnnutzung und einem privilegierten Vorhaben. Das ihnen zugrunde liegende baurechtliche Rücksichtnahmegebot bestimmt nämlich auch das Maß der Einwirkungen, die eine Wohnnutzung gegenüber einem nicht privilegierten Vorhaben im angrenzenden Außenbereich hinzunehmen hat4.
Dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB richtet, steht einer Zwischenwertbildung in Orientierung an Nr. 6.7 TA Lärm folglich nicht entgegen. Diese ist Ausdruck der auch im Verhältnis zu einer nicht privilegierten Außenbereichsnutzung bestehenden gegenseitigen Pflichten zur Rücksichtnahme. Die Privilegierung eines Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB kann zwar als ein abwägungsrelevanter Umstand bei der Bestimmung des Maßes der gegenseitigen Rücksichtnahme im Einzelfall zu berücksichtigen sein5 und so die Höhe eines etwa zu bildenden Zwischenwertes beeinflussen. Sie ist aber nicht zwingende Voraussetzung dafür, dass eine an den Außenbereich angrenzende Wohnnutzung Immissionen nach einem Zwischenwert als zumutbar hinzunehmen hat, der über dem Wert liegt, der bei isolierter Betrachtung für die betroffene Wohnnutzung anzusetzen wäre.
Bei der Bildung eines Zwischenwertes zur Bestimmung der Zumutbarkeit von Immissionen in einer Gemengelage ist nach Nr. 6.7 TA Lärm die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich. Wesentliche Kriterien sind die Prägungen des Einwirkungsgebietes, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage der Priorität der jeweiligen Nutzungen. Die Höhe des Zwischenwertes ist unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und nicht allgemein klärungsfähig6. Darüber hinausgehenden, fallübergreifenden Klärungsbedarf zur allgemeinen Fortentwicklung der Maßstäbe gegenseitiger Rücksichtnahme zeigen die Kläger nicht auf.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 7. Juni 2019 – 8 B 36.18
- stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 02.11.2017 – 4 B 58.17 – BRS 85 Nr. 136 (2017) S. 899 f.[↩]
- vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Aufl., Stand September 2018, TA Lärm Rn. 57 ff.[↩]
- vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 28.09.1993 – 4 B 151.93, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 119 Rn. 12; und vom 21.12 2010 – 7 B 4.10, NVwZ 2011, 433 Rn. 32[↩]
- vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 – 4 C 5.93, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 120 S. 109 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.09.2017 – 4 B 26.17 – BRS 85 Nr. 135 S. 897 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.09.1993 – 4 B 151.93, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 119 S. 106; vom 12.09.2007 – 7 B 24.07 4 f.; vom 21.12 2010 – 7 B 4.10, NVwZ 2011, 433 Rn. 32; und vom 02.11.2017 – 4 B 58.17 – BRS 85 Nr. 136 S. 899 f.; allgemein zum Rücksichtnahmegebot: BVerwG, Beschlüsse vom 29.10.2002 – 4 B 60.02, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 165 S. 15 f.; und vom 14.09.2017 – 4 B 26.17 – BRS 85 Nr. 135 S. 897[↩]