Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG hat das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung bei der Planung von Flugverfahren grundsätzlich auch zu beachten, ob und in welchem Umfang das Flugverfahren unter dem Aspekt eines Flugunfalls oder eines aus der Luft begangenen Terroranschlags zu einer Gefahr für am Boden befindliche Anlagen mit erheblichem Risikopotential führt. Dies gilt nicht nur, wenn ein solcher Bereich in den Blick genommen werden muss, weil er in geringer Entfernung von der Startbahn überflogen wird, sondern auch dann, wenn sich das Erfordernis einer Risikoanalyse für eine nicht mehr im näheren Umfeld des Flughafens gelegene sensible Anlage wie den Forschungsreaktor BER II infolge von Gutachten oder Hinweisen anderer Fachbehörden – hier: der Atomaufsichtsbehörde – im Flugroutenfestsetzungsverfahren aufdrängt.

Der vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung für erforderlich und ausreichend erachtete Sicherheitsabstand zwischen der sog. Wannseeroute und dem Forschungsreaktor BER II beruht nicht auf belastbaren Erkenntnissen. Aus dem Ermittlungsdefizit folgt ein Abwägungsmangel.
Die Festlegung der angegriffenen Abflugverfahren durch die 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung findet, wie in der Verordnung nach § 80 Abs. 1 Satz 3 GG angegeben, in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8, Abs. 4 c Satz 1 und 2 LuftVG in Verbindung mit § 27 a Abs. 1 und 2 Satz 1 LuftVO ihre Rechtsgrundlage. Danach ist das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Rahmen der ihm von dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen übertragenen Zuständigkeit unter anderem ermächtigt, bei An- und Abflügen zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrolle und bei Flügen nach Instrumentenflugregeln die Flugverfahren einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen.
Die 247. Durchführungsverordnung ist im allein maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß veröffentlicht gewesen. Der Senat kann offen lassen, ob die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Kläger greift, dass die Durchführungsverordnung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße, weil die Koordinaten der Wegpunkte zunächst nicht in der Verordnung selbst, sondern im Luftfahrthandbuch aufgelistet werden sollten. Maßgeblich ist, dass die Beklagte im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Verweisungstechnik auf das Luftfahrthandbuch aufgegeben und die Wegpunkte in § 4 Abs. 2 Nr. 5 der 1. Änderungsverordnung zur 247. Durchführungsverordnung vom 31.07.2012 publiziert hat. Soweit die Beklagte vor Erlass der 1. Änderungsverordnung eine erneute Benehmensherstellung (§ 32 Abs. 4c Satz 2 LuftVG) mit dem Umweltbundesamt für entbehrlich gehalten hat, ist dies nicht zu beanstanden. Eine solche wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn mit der 1. Änderungsverordnung eine substantielle Änderung der Festsetzung der Flugverfahren einhergegangen wäre. Dies ist jedoch ersichtlich nicht der Fall, da in der 1. Änderungsverordnung lediglich diejenigen Wegpunktkoordinaten aufgelistet worden sind, die auch für eine Veröffentlichung im Luftfahrthandbuch vorgesehen waren.
Die angegriffene Flugroutenfestsetzung über den Wannsee ist materiell rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie leidet an einem erheblichen Ermittlungsdefizit, weil die Beklagte im Rahmen des Flugroutenfestsetzungsverfahrens keine Risikoanalyse in Bezug auf den Forschungsreaktor BER II vorgenommen hat. Infolge dessen musste auch die Abwägungsentscheidung defizitär bleiben.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hat bei der Festlegung von Abflugstrecken durch eine Flugverfahrensverordnung eine Abwägungsentscheidung zu treffen. In welchem Umfang es dabei einer Abwägungspflicht unterliegt, richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und im Übrigen nach dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unabdingbar Gebotenen. Bei der Festlegung von Flugverfahren handelt es sich nach der gesetzgeberischen Konzeption in erster Linie um ein sicherheitsrechtliches Instrument, das der Verhaltenssteuerung insbesondere bei An- und Abflügen zu und von näher bezeichneten Flugplätzen dient und an den Luftfahrzeugführer adressiert ist. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ist es Aufgabe der Luftfahrtbehörden, zu denen auch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zählt, betriebsbedingte Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Luftfahrt abzuwehren. Der überragenden Bedeutung dieses Aspekts wird auch in § 27 c Abs. 1 LuftVG Rechnung getragen, wonach die Flugsicherung der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs dient. Dieser im eigentlichen Kern sicherheitsrechtliche Charakter verbietet es, die im Fachplanungsrecht zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätze unbesehen auf die Festlegung von Flugverfahren zu übertragen1.
Die Festsetzung von Flugverfahren wird allerdings nicht ausschließlich von dem Aspekt der Sicherheit des Luftverkehrs bestimmt, sondern hat im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung auch anderen Belangen Rechnung zu tragen. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG dürfen die Luftfahrtbehörden bei der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs nicht aus den Augen verlieren, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch durch die Luftfahrt drohen können2. Hieraus folgt die grundsätzliche Verpflichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung, bei der Planung von Flugverfahren auch zu beachten, ob und in welchem Umfang das Flugverfahren unter dem Aspekt eines Flugunfalls oder eines terroristisch motivierten Eingriffs in den Luftverkehr zu einer Gefahr für Anlagen mit erheblichem Risikopotential am Boden führt3. Dies gilt nicht nur, wenn ein solcher Bereich in den Blick genommen werden muss, weil er in geringer Entfernung von der Startbahn überflogen wird, sondern auch dann, wenn sich das Erfordernis einer Risikoanalyse für eine nicht mehr im näheren Umfeld des Flughafens gelegene sensible Anlage wie den Forschungsreaktor BER II infolge von Gutachten bzw. Hinweisen anderer Fachbehörden im Festsetzungsverfahren aufdrängen musste. Daher vermag der Einwand der Beklagten, dass das Flugroutenfestsetzungsverfahren nicht der richtige Ort sei, um eine im Planfeststellungsverfahren unterbliebene Sicherheitsanalyse vorzunehmen, mit Blick auf die sich aus § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ergebende Verpflichtung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die durch die Luftfahrt drohen können, nicht zu überzeugen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 11 LuftVO, wonach das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Luftsperrgebiete und Gebiete mit Flugbeschränkungen festlegt, wenn dies zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere für die Sicherheit des Luftverkehrs, erforderlich ist. Dieser Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass Sachverhalte, die eine Maßnahme nach § 11 LuftVO rechtfertigen, nicht auch in die Flugroutenfestsetzung einfließen können. Insoweit besteht keine Kongruenz der Regelungsgegenstände4. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 03.07.2012 der nicht näher begründeten Auffassung ist, dass für das Risiko eines Flugzeugabsturzes die Lage des Flughafens unabhängig von den Flugrouten keinen Zwangspunkt darstelle5, verhält es sich nicht zu der Frage, inwieweit neben der Möglichkeit, Flugbeschränkungsgebiete zu errichten, auch Flugroutenführungen eine Lösung zum Schutz der Atomanlage vor möglichen Absturzrisiken darstellen können. Dies gilt auch für die von dem Bundesverwaltungsgericht verneinte Frage, ob das Risiko eines terroristischen Anschlags auf den Reaktor aus der Luft von den Flugrouten abhängt.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung geht in seinem die Festlegung von Flugverfahren für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg begründenden Abwägungsvermerk vom 26.01.2012 davon aus, dass die planerische Gestaltungsfreiheit bei der Flugverfahrensplanung insoweit eingeschränkt sei, als die Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs und die Vermeidung von sonstigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit als gesetzliche Rahmenbedingung keiner Abwägung unterliegen. Mit dem Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrum hat es sich im Rahmen der Bewertung des Gesamtkonzepts unter dem Gliederungspunkt „Keine Entstehung von Gefahren für die Luftverkehrssicherheit bzw. öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ sowie bei der Einzelabwägung bezüglich des Abflugverfahrens von der nördlichen Piste in Betriebsrichtung (BR) 25 zum Punkt GERGA ausdrücklich befasst. Die dortigen Erwägungen sind jedoch unzureichend. Insbesondere fehlt es an einer Risikoanalyse, die die angenommenen Ergebnisse nachvollziehbar belegt. Soweit die Beklagte, ohne dies im Festsetzungsverfahren auch nur ansatzweise überprüft zu haben, sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf den Standpunkt stellt, dass die angegriffene Flugroute nicht zu einem rechtlich relevanten Risikozuwachs bei dem Forschungsreaktors BER II führen werde, kann das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem nicht folgen.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist unter D.IV. seines Abwägungsvermerks zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einführung der zur Festlegung vorgelegten Flugverfahren keine Gefahren für die Luftverkehrssicherheit bzw. die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begründe. Der äußere Rand des Flugbeschränkungsgebietes ED-R 4 um den Forschungsreaktor Wannsee des Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (BER II) werde von dem nächstgelegenen Flugverfahren, der hier streitgegenständlichen sog. Wannseeroute, mit einer Entfernung von 3 km seitlich passiert. Damit werde ein ausreichender Sicherheitsabstand auch unter Berücksichtigung denkbarer navigatorischer Ungenauigkeiten beim Führen von Luftfahrzeugen gewährleistet.
Es ist schon nicht feststellbar, dass die Flugroutenfestsetzung dieser Vorgabe entspricht. Das Flugbeschränkungsgebiet ED-R 4 hatte zum Zeitpunkt der Festlegung des streitgegenständlichen Flugverfahrens einen Radius von 0,8 NM (= 1,4816 km). Ein Flugroutenverlauf von 4,48 km östlich des Forschungsreaktors BER II ist anhand des einschlägigen Kartenmaterials jedoch nicht nachvollziehbar. Dieses legt vielmehr einen Abstand von ca. 3 km nahe. Diesen Widerspruch vermochte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht zu erklären. Hiervon abgesehen erschließt sich nicht, weshalb überhaupt an das – für den Instrumentenflugbetrieb nicht verbindliche – Flugbeschränkungsgebiet ED-R 4 angeknüpft wurde, und warum bei der Bemessung des Sicherheitsabstands der später vorgenommenen Vergrößerung des Flugbeschränkungsgebiets auf einen Radius von 2 NM (= 3,704 km), der nunmehr durch das Flugverfahren tangiert werden dürfte, nicht nachträglich Rechnung getragen wurde. Vor allem aber lässt der Abwägungsvermerk nicht erkennen, welche Distanz mindestens einzuhalten ist, um von einem „ausreichenden“ Sicherheitsabstand ausgehen zu können, und welche tatsächlichen Umstände das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hierfür als maßgebend ansieht. Es bleibt auch offen, von welchen denkbaren navigatorischen Ungenauigkeiten beim Führen von Luftfahrzeugen ausgegangen wird. Insoweit hat das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung auf die Anfrage, woher die Erkenntnisse zu navigatorischen Ungenauigkeiten stammen, geantwortet, dass es zu der gewählten Routenführung weder eine Alternative gebe noch statistische Erfahrungswerte zugrunde gelegt worden seien. Dies macht einerseits deutlich, dass die Feststellungen des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung zu einem ausreichenden Sicherheitsabstand nicht auf belastbaren Erkenntnissen basieren. Der Abwägungsvermerk zeigt andererseits aber eindeutig, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung selbst einen Sicherheitsabstand für erforderlich gehalten hat.
Letzteres wird durch die Darlegungen des Abwägungsvermerks nochmals bestätigt, die ausdrücklich feststellen, dass der Forschungsreaktor nicht direkt überflogen werde. Anschließend heißt es, dass ein Vorbeiflug im Osten des Reaktors auf dem kurzen Weg nach GERGA als „weniger kritisch“ angesehen werde als ein Vorbeiflug im Westen. Schließlich ist davon die Rede, dass eine „weitere Risikominimierung“ nicht möglich sei und ein Vorbeifliegen am Reaktor in einer „gewissen Entfernung“ nicht vermieden werden könne. Auch das zeigt deutlich, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Rechtssetzungsverfahren von einer rechtlich relevanten Risikoerhöhung in Abhängigkeit von der Distanz der Flugroute zum Reaktor ausgegangen ist.
In dem Abwägungsvermerk fehlt jedoch eine Darlegung, wie hoch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung das Risiko eingeschätzt hat, dass ein Flugzeug oder Teile davon als Folge eines Unfalls das Reaktorgebäude oder störfallanfällige benachbarte Flächen treffen. Entsprechende Feststellungen lassen sich den Verwaltungsvorgängen ebenfalls nicht entnehmen. Auch die Deutsche Flugsicherung, der die fachliche Planung der Flugrouten übertragen ist (vgl. § 27 c LuftVG; § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO), hat das Unfallrisiko in Bezug auf den Forschungsreaktor nicht näher untersucht. Sie hat in ihrem Abwägungsvermerk vom 31.05.2011 lediglich darauf hingewiesen, dass mit der als Vorzugsvariante ausgewählten Abflugstrecke der Betriebsrichtung 25 (= kurzes Verfahren über den Wannsee) der Forderung der Fluglärmkommission (vgl. § 32 b LuftVG) nachgekommen werde, den Forschungsreaktor nicht zu überfliegen. Um auf der Ideallinie östlich der Autobahn A 115 die Spurtreue möglichst genau einhalten zu können, werde die Geschwindigkeit in der Rechtskurve Richtung Norden bei Erreichen des Abdrehpunktes nordwestlich von Ludwigsfelde auf 230 Knoten begrenzt6.
Zu einer Risikoermittlung hätte insbesondere deshalb Anlass bestanden, weil die Atomaufsichtsbehörde des Landes Berlin das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sowie nachrichtlich die Deutsche Flugsicherung im Laufe des Flugroutenfestsetzungsverfahrens ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass derzeit keine Flugrouten der Verkehrsflughäfen Berlin-Tegel oder Berlin-Schönefeld über den Forschungsreaktor verlaufen und es nur zu einer geringen Zahl von Überflügen kommt und dass der geplante Verlauf der Abflugroute neue Risikountersuchungen nötig machen würde. Eine Minimierung der Absturzwahrscheinlichkeiten kann nach ihrer Auffassung nur dadurch erreicht werden, dass die Flugrouten möglichst weiträumig um den Forschungsreaktor herum geführt werden. Nach Einschätzung der Atomaufsichtsbehörde wäre eine größere Eintrittswahrscheinlichkeit als 10-6 pro Jahr für ein Ereignis, das zur unkontrollierten Freisetzung des gesamten im Kern des Forschungsreaktors BER II vorhandenen radioaktiven Inventars führen würde, „kaum akzeptabel“. Die von der Atomaufsichtsbehörde in Bezug genommene Studie des TÜV Süddeutschland zur „Neubewertung der Absturzhäufigkeit von Hubschraubern und Flugzeugen“ auf den Forschungsreaktor BER II aus dem Jahr 2002, wonach bei den errechneten Werten von 10-8 bis 10-10 pro Jahr ein nennenswertes Risiko nicht bestehe, bezieht sich ausschließlich auf Starts und Landungen am Flughafen Berlin-Tempelhof, da die An- und Abflugrouten der Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld das Gebiet des Forschungsreaktors nicht berührten. Die Kläger bemängeln zu Recht, dass diese Studie veraltet ist und damit keine geeignete Grundlage für eine aktuelle Risikobetrachtung bieten kann. Schließlich unterstellt auch der TÜV Rheinland in seiner Sonderüberprüfung „Stresstest“ für den Forschungsreaktor BER II vom Oktober 2011, dass nach einer Verlagerung des gesamten Flugbetriebs zum Flughafen Berlin Brandenburg eine Veränderung der anzunehmenden Absturzhäufigkeiten eintreten kann. Er weist darauf hin, dass eine Aktualisierung der Daten zu anzunehmenden Absturzhäufigkeiten aus Sicht des Sachverständigen vor dem Hintergrund der vorliegenden Randbedingungen erst dann sinnvoll sei, wenn die endgültigen Flugrouten festliegen und entsprechende Angaben zum Flugbetrieb vorliegen7. Es liegt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf der Hand, dass diese Überlegungen auf die Folgen, die ein Treibstoffbrand auf die Brennelemente-Lagerhalle und die Landessammelstelle für klein- und mittelradioaktive Abfälle haben kann, übertragbar sind.
Auch wenn die potentiellen Schadensfolgen eher von der Atomaufsicht eingeschätzt werden können, dürfte die Beklagte über die notwendige Fachkompetenz verfügen, Ursachen und Risiken möglicher Unfälle und damit deren Wahrscheinlichkeit in Abhängigkeit zu Abstand und Verlauf der Flugrouten einzuschätzen oder ermitteln zu lassen. Da das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung derartige Untersuchungen nicht angestellt hat und auch nicht durch Dritte hat erstellen lassen, fehlt seiner Einschätzung, zwischen Reaktor und Flugroute bestehe ein „ausreichender Sicherheitsabstand“, eine belastbare Grundlage.
Aus dem Ermittlungsdefizit folgt gleichzeitig ein Abwägungsmangel. Denn nur wenn das Risiko eines flugunfallbedingten Störfalls der Atomanlagen bekannt ist, kann es in die Abwägung zu den Vor- und Nachteilen des langen Flugverfahrens um Potsdam und Werder (Havel) und der kurzen Streckenvariante über den Wannsee einfließen. Eine solche Abwägung ist – soweit es Flüge am Tag betrifft – von dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung nur unter Lärmschutzgesichtspunkten, nicht aber mit Blick auf den Verlauf der Flugroute in der Nähe des Forschungsreaktors BER II vorgenommen worden. Auch die Deutsche Flugsicherung hat in ihrer Abwägung neben den Lärmgesichtspunkten lediglich auf die Flugweglänge und die Mehrbelastung der Umwelt mit Kohlendioxidemissionen abgestellt, die das lange Flugverfahren zur Folge hätte. Dies macht deutlich, dass das Störfallrisiko im Flugroutenfestsetzungsverfahren weder bemessen noch gewichtet und daher auch nicht abgewogen worden ist.
Soweit die Beklagte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat, die Gefahr eines Störfalls im Forschungsreaktor BER II sei durch die Flugroutenfestlegung ohnehin nicht steuerbar, weil bei erkennbaren Schwierigkeiten eines Luftfahrzeuges die Standard-Flugverfahren nicht mehr zur Anwendung kämen, sondern das Luftfahrzeug per Einzelanweisung durch einen Lotsen geführt werde, und weil im Falle eines Flugzeugabsturzes der Ort des Aufpralls infolge der Segeleigenschaften eines Flugzeuges durch das Flugverfahren nicht determiniert werde, ist ihr entgegen zu halten, derartige Annahmen der Festlegung der angegriffenen Flugverfahren erkennbar nicht zugrunde gelegt zu haben. Denn die nach dem Abwägungsvermerk tragende Festlegung eines Sicherheitsabstands wäre nach dem von der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingenommenen Rechtsstandpunkt überflüssig.
Gleiches gilt für die von der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zuletzt vertretene Auffassung, das Risiko eines Flugzeugunfalls im Bereich des Forschungsreaktors sei dem gesellschaftlich zu akzeptierenden Restrisiko zuzuordnen. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass die Unfallrisiken bereits hinreichend im dem hierfür maßgeblichen Planfeststellungsverfahren behandelt worden seien, hat sie im Normsetzungsverfahren hierauf nicht abgestellt. So führt sie im Abwägungsvermerk etwa zu den Abwägungsgesichtspunkten Natur und Landschaft und Gewässerschutz ausdrücklich aus, dass die Auswirkungen des Flugbetriebs auf die jeweiligen Aspekte im Planfeststellungsverfahren geprüft worden seien und angesichts des eindeutigen Bewertungsergebnisses kein Anlass zu einer erneuten Prüfung im Rahmen der Flugverfahrensfestlegung bestehe. Derartige Bezugnahmen finden sich im Abwägungsvermerk im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung des Forschungsreaktors gerade nicht.
Zwar ist in dem Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin Brandenburg eine Sicherheitsanalyse vorgenommen worden, die sich auch mit dem durch die Konzentration des Luftverkehrs am Standort Schönefeld einhergehenden Unfallrisiko für die benachbarten Siedlungsgebiete beschäftigt. Hierzu wurde bei der Gesellschaft für Luftverkehrsforschung die Studie „M 21 Flugsicherheitsgutachten für den Ausbau des Flughafens Schönefeld“ vom 15.10.1999 eingeholt. Die Sicherheitsanalyse hat ergeben, dass für die Anwohner in der näheren Umgebung des Flughafens das externe Risiko als gering einzustufen sei und in einer vergleichbaren Größenordnung mit anderen allgemein akzeptierten Gesellschaftsrisiken liege. Die Unfallwahrscheinlichkeit sei in der Nähe der Start- und Landebahnen am größten und nehme mit zunehmendem Abstand von den Bahnen ab. Da in Deutschland standardisierte Berechnungsverfahren und Grenzwerte für das externe Risiko fehlten, hat die Planfeststellungsbehörde die im Gutachten des TÜV Pfalz vom Januar 2004 dargestellten Methoden zur Risikoermittlung herangezogen.
Die ermittelten Risikozonen betreffen aber ausschließlich die nähere Umgebung des Flughafens. Der Forschungsreaktor BER II ist hingegen nicht mit in den Blick genommen worden8. Auch der Planergänzungsbeschluss vom 20.10.2009 verhält sich hierzu nicht.
Der Umstand, dass nach den im Planfeststellungsverfahren angestellten Risikoermittlungen wenige Kilometer von der Startbahn entfernt bereits der Bereich des sog. Restrisikos erreicht ist, bietet nach Auffassung des Senats noch keine verlässliche Grundlage für den Schluss, dass die Schadenseintrittswahrscheinlich eines durch Flugzeugunfall versursachten Störfalls im Forschungsreaktor BER II erst Recht nicht mehr im Bereich eines rechtlich relevanten Risikos liegen könne. Insoweit lässt die Beklagte außer Acht, dass im Rahmen der auf den Forschungsreaktor bezogenen Risikoeinschätzung neben der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit dem potentiellen Schadensumfang eines Worst-Case-Szenarios ein erhebliches Gewicht zukommt.
Nach Auffassung des Senats liegt es nahe, dass im Falle eines Flugunfalls über dem Forschungsreaktor durch die Freisetzung ionisierender Strahlung mit besonders nachhaltigen Folgewirkungen und umfangreichen Schäden für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu rechnen ist, so dass an die Eintrittswahrscheinlichkeit entsprechend geringere Anforderungen zu stellen sind. Insoweit vermag das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Einschätzung der Beklagten, dass das den Forschungsreaktor BER II betreffende Risiko zwar gravierend, in den Schadensfolgen jedoch mit Abstürzen auf öffentliche Infrastruktureinrichtungen wie Bahnhöfe, Autobahnen oder Veranstaltungsorte vergleichbar sei, nicht zu teilen. Zu den maximalen Folgen eines Flugzeugabsturzes auf den Forschungsreaktor BER II hat die Reaktor-Sicherheitskommission in ihrer „Anlagenspezifischen Sicherheitsüberprüfung (RSK-SÜ) deutscher Forschungsreaktoren unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I (Japan)“ vom 03.05.2012 ausgeführt, dass bei einem Absturz eines größeren Flugzeuges auf das Reaktorgebäude ein Verlust der Beckenintegrität nicht ausgeschlossen sei. Freisetzungen aus einer Kernschmelze im trocken gefallenen Reaktorbecken führten zu Auswirkungen, bei denen die Eingreifrichtwerte für die vorübergehenden Katastrophenschutzmaßnahmen deutlich überschritten würden und auch die Eingreifrichtwerte für weitere Katastrophenschutzmaßnahmen (Evakuierung – Eingreifwert 100 mSv, Einnahme von Jodtabletten auch für Erwachsene – Eingreifwert 250 mSv) überschritten würden. Der Einfluss von Treibstoffbränden während der Freisetzungsphase von radioaktiven Stoffen sei bei den Analysen teilweise berücksichtigt worden und führe wegen des thermischen Auftriebs zu größeren Freisetzungshöhen und damit zu einer niedrigen Strahlenexposition für Einzelpersonen. Da infolge eines Flugzeugabsturzes ein Kernschmelzen ohne Wasserüberdeckung mit erheblichen radiologischen Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden könne, sei keiner der von ihr definierten Schutzgrade erfüllbar9. Es kommt hinzu, dass nach Einschätzung der Atomaufsichtsbehörde das Schadenspotential nicht geändert werden könne, da weder das radioaktive Inventar reduziert werden könne noch der Bau eines gegen Flugzeugabsturz sicheren Containments für die bestehende Anlage möglich sei.
Auch hieraus wird deutlich, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Rahmen der Ermittlung des für seine Abwägungsentscheidung maßgeblichen Sachverhalts hätte prüfen müssen, ob durch den Verlauf der angegriffenen Flugroute in Bezug auf den Forschungsreaktor BER II und die benachbarten sensiblen Anlagen der Bereich des tolerablen Restrisikos verlassen und bereits eine Gefahrenlage eingetreten sein könnte. Darin sehen die Kläger zu Recht ein schwerwiegendes Ermittlungsdefizit.
Die Kläger machen darüber hinaus zu Recht geltend, dass die Abwägungsentscheidung an einem vollständigen Ermittlungsdefizit in Bezug auf die Frage leidet, ob und inwieweit das angegriffene Flugverfahren die Wahrscheinlichkeit von gezielten Angriffen auf den Forschungsreaktor BER II und die benachbarten Lagerhallen erhöht. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass mit Hilfe eines Flugzeugs gleichsam im Schutz der Flugroute aus der Luft ein Anschlag auf die Atomanlagen des Helmholtz-Zentrum verübt werden könnte.
Da das Risiko gezielter Flugzeugabstürze auf den Forschungsreaktor BER II nicht dem Restrisiko, gegen dessen Verwirklichung keine behördlichen Maßnahmen erforderlich sind, zuzuordnen ist10, hätte das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung unabhängig von der oben behandelten Frage nach einem flugunfallbedingten Risikozuwachs im Flugroutenfestsetzungsverfahren aufklären müssen, ob der von ihr vorgesehene seitliche Sicherheitsabstand ausreichend bemessen ist, um im Falle eines gezielten Angriffs auf den Forschungsreaktor eine bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge gewährleisten zu können. Mit dieser Frage hat sich das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Rechtssetzungsverfahren ausweislich seines Abwägungsvermerks vom 26.01.2012 nicht auseinandergesetzt. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, dass sie das Szenario eines gezielten Flugzeugabsturzes über dem Helmholtz-Zentrum Berlin im Festsetzungsverfahren als vorsorgebedürftig beachtet habe.
Soweit die Beklagte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Auffassung vertritt, dass allein ein Sicherheitsabstand von mindestens 100 km um den Forschungsreaktor effektiven Schutz vor terroristischen Angriffen bieten könne, führt das angesichts der Lage des Forschungsreaktors in einer Entfernung von gut 20 km Luftlinie zu dem Flughafen Berlin Brandenburg nicht weiter. Vorliegend kann es daher allein darum gehen, nach dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge11 die möglichen Folgen eines derartigen – nicht ausschließbaren – Angriffs weitestgehend zu minimieren. Deshalb wäre zu prüfen gewesen, ob der von dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festgelegte seitliche Sicherheitsabstand ausreichend bemessen ist, um im Falle eines drohenden Anschlags noch rechtzeitig schadensmindernde Schutzmaßnahmen – wie zum Beispiel ein Abschalten des Forschungsreaktors und Warnungen an die Anwohner, Innenräume aufzusuchen bzw. in diesen zu verbleiben – ergreifen zu können. Damit ist auch in Bezug auf das Risiko gezielter Angriffe auf den Forschungsreaktor BER II nicht erkennbar, dass das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die für und gegen die Festlegung der Wannseeroute streitenden Belange ermittelt hat. Es fehlt eine Darlegung, wie hoch das Risiko eines anschlagsbedingten Störfalls in dem Forschungsreaktor BER II ist. Eine Gewichtung und Abwägung der diesbezüglichen Belange konnte daher nicht stattfinden.
Die Kläger, die aufgrund ihres Wohnortes zu dem potentiell betroffenen Personenkreis gehören, der von einem flugunfallbedingten oder durch gezielten Angriff ausgelösten Austritt ionisierender Strahlung aus dem Forschungsreaktor BER II, der Brennelemente-Lagerhalle oder der Landessammelstelle für klein- und mittelradioaktive Abfälle betroffen sein kann, sind durch die mit der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der derzeit gültigen Fassung der 2. Änderungsverordnung vom 13.11.2012 erfolgten Festsetzung des kurzen Verfahrens über den Wannsee in ihrem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Belange, dem Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), verletzt. Das Interesse der Kläger, von flugunfall- und anschlagsbedingten Störfallen in den genannten sensiblen Anlagen und somit der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung verschont zu bleiben, hat die Beklagte – wie oben dargestellt – im Flugroutenfestsetzungsverfahren in wesentlichen Teilen unberücksichtigt gelassen und damit dem rechtsstaatlichen Abwägungsgebot, das auf einfachgesetzlicher Ebene in § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG geregelt ist, nicht entsprochen.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 23. Januar 2013 – OVG 11 A 1.13 und OVG 11 A 3.13
- vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2004 – 4 C 11.03, BVerwGE 121, 152, 159[↩]
- vgl. BVerwG, a.a.O.[↩]
- vgl. zu Störfallanlagen HessVGH, Urteil vom 24.10.2006 – 12 A 2216/05, NVwZ 2007, 597, 603[↩]
- vgl. Hess VGH, a.a.O.[↩]
- BVerwG 4 A 5000.10, juris Rn. 90[↩]
- vgl. Deutsche Flugsicherung, Verkehrsflughafen Berlin-Brandenburg International, Abwägung für Paket I vom 31.05.2011 S. 7-68[↩]
- vgl. „Stresstest“ S. 28[↩]
- zur Sicherheitsanalyse im Planfeststellungsverfahren s. BVerwG, Urteil vom 16.03.2006 – 4 A 1075.04, BVerwGE 125, 116 Rn. 241 ff.[↩]
- vgl. RSK-SÜ S. 41 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39/07, BVerwGE 113, 129 Rn. 26 ff.; Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11, BVerwGE 142, 159 Rn. 28 f.[↩]
- vgl. BVerwGE 131, 129 Rn. 32[↩]