Ein Rücktritt von Prüfungen ist bei einer ADHS-Erkrankung im Erwachsenenalter nicht möglich, da es sich prüfungsrechtlich um ein Dauerleiden handelt.

Mit dieser Begründung hat das Oberverwaltungsgericht Münster in dem hier vorliegenden Fall eines Klägers, der im Studiengang Bachelor of Laws eingeschrieben ist, der Berufung keinen Erfolg beschieden. Der Kläger war nach Diagnostizierung der ADHS-Erkrankung (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) von erfolglosen Prüfungsversuchen zurückgetreten und wollte neue Prüfungschancen gewährt bekommen. Nachdem die Klage vom Verwaltungsgericht Arnsberg 1 abgewiesen worden ist, hat der Kläger sein Ziel vor dem Oberverwaltungsgericht Münster weiter verfolgt.
In seiner Entscheidung hat sich das Oberverwaltungsgericht Münster auf ein medizinisches Sachverständigengutachten gestützt, nach dem ADHS im Erwachsenenalter als Dauerleiden anzusehen ist. Ein Dauerleiden sei eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, die die erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe prognostisch nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder doch auf unbestimmte, nicht absehbare Zeit ohne sichere Heilungschance bedinge. Dauerleiden prägten als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die Leistungsfähigkeit des Prüflings. Ihre Folgen bestimmten deshalb im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen das normale Leistungsbild des Prüflings. Sie seien mithin zur Beurteilung der Befähigung bedeutsam, die durch die Prüfung festzustellen sei.
Die Erkrankung ADHS im Erwachsenenalter sei nach gegenwärtigem Forschungsstand nicht heilbar, auch weil die genauen Ursachen nicht bekannt seien. Die erforderliche medizinische Behandlung durch monatelange Psychotherapie und gegebenenfalls zusätzlich medikamentös durch Methylphenidat sei daher nur auf den Umgang mit den Krankheitssymptomen mit dem Ziel der Verbesserung der Alltagskompetenz und der Lebensqualität gerichtet. Die angestrebte Persönlichkeitsveränderung hin zu einem prüfungsrechtlichen "Normalzustand", der als "gesund" oder jedenfalls im Wesentlichen "symptomfrei" zu bewerten sei, könne nicht hinreichend sicher erreicht werden; das wäre nur dann der Fall, wenn ein solcher Behandlungserfolg nur ausnahmsweise nicht erreichbar wäre. Außerdem erfordere selbst eine erfolgreiche Behandlung nicht absehbare Zeit. Beides schließe die Bewertung der Krankheit als eine zum Prüfungsrücktritt berechtigende Erkrankung, die nur zu einer zeitweisen Beeinträchtigung des physischen oder psychischen Zustands eines Prüflings führt, aus.
Folglich berechtigt diese Erkrankung nicht zum Rücktritt von Prüfungen.
Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 7. November 2019 – 14 A 2071/16
- VG Arnberg, Urteil vom 01.09.2016 – 9 K 2666/15[↩]