Für Streitigkeiten um Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz folgt die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.

Für Verfahren der in § 188 Satz 1 VwGO unter anderem genannten „Angelegenheiten der Fürsorge“ werden nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben. Der Begriff der „Angelegenheiten der Fürsorge“ ist weitgehend deckungsgleich mit dem Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG.
Für die öffentliche Fürsorge gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist es kennzeichnend, dass der Gesetzgeber auf eine besondere Situation zumindest potentieller Bedürftigkeit reagiert, wobei es genügt, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt [1].
Der damit korrespondierende Begriff der „Angelegenheiten der Fürsorge“ im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO bezieht sich auf Fürsorgemaßnahmen in diesem Sinne und erfasst Sachgebiete, in denen soziale Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind [2]. Hierzu zählt auch das Conterganstiftungsrecht (Änderung der bisherigen Rechtsprechung [3]).
Der durch das Errichtungsgesetz, für das der Gesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG in Anspruch genommen hat [4], geregelte Lebensbereich gehört, ohne dass es einer Prüfung der Vorschriften im Einzelnen bedürfte, zur öffentlichen Fürsorge im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG [5].
Dies gilt gleichermaßen für das an die Stelle des Errichtungsgesetzes getretene Conterganstiftungsgesetz.
Die Gerichtskostenfreiheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Conterganstiftungsrecht die Leistungsberechtigung nicht an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern an eine bestimmte Schädigungsursache und – hinsichtlich des Umfangs der Leistungen – an das Ausmaß der erlittenen Beeinträchtigungen knüpft.
Zwar wird die Bedürftigkeit, die eine Begünstigung durch Gerichtskostenfreiheit rechtfertigt, typischerweise nach Einkommens- und Vermögensgrenzen bestimmt. Das schließt es jedoch nicht aus, eine entsprechende Bedürftigkeit auch ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen dann anzunehmen, wenn das maßgebliche materielle Recht – wie hier – die Gewährung einer Fürsorgeleistung seinerseits nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Anspruchsberechtigten abhängig macht.
Gegen die Gerichtskostenfreiheit spricht schließlich auch nicht der Umstand, dass Streitigkeiten nach dem Errichtungsgesetz bis zum Erlass des Conterganstiftungsgesetzes im Jahre 2005 den Landgerichten zugewiesen waren (§ 20 Abs. 2 Satz 3 StHG), für die § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO keine Anwendung fand. Denn es kommt nicht auf die vormalige, sondern allein auf die derzeitige Rechtslage an.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Juni 2020 – 5 C 1.20
- BVerfG, Urteil vom 21.07.2015 – 1 BvF 2/13, BVerfGE 140, 65[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.2019 – 5 C 2.18, BVerwGE 165, 235 Rn. 37 ff.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2014 – 10 C 1.14, BVerwGE 150, 44[↩]
- vgl. BT-Drs. 6/926 S. 6[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 08.07.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75, BVerfGE 42, 263 <282>[↩]