Ein Vertrauensschutz aufgrund hypothetischer Festsetzungsverjährung des Anschlussbeitrags ist auch bei einer Umstellung auf Benutzungsgebühren zu berücksichtigen.

Wechselt ein Einrichtungsträger zur Deckung des Herstellungsaufwands von einer Beitragsfinanzierung auf eine reine Gebührenfinanzierung mit unterschiedlichen Gebühren für Beitragszahler und -nichtzahler („gespaltene“ Gebührensätze), darf ein Herstellungsaufwand, für den hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten ist, aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht über Benutzungsgebühren gedeckt werden.
In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall wendet sich der Antragsteller mit seinem Normenkontrollantrag gegen die Schmutzwassergebührensatzung des Antragsgegners. Der Antragsgegner erhob zunächst zur Deckung des Aufwands für die Herstellung der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage Anschlussbeiträge. Mit Beschluss vom 12. November 20151 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Erhebung von Anschlussbeiträgen in Fällen, in denen solche Beiträge nach der früheren Rechtslage in Brandenburg wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten, gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt. Daraufhin hob der Antragsgegner noch nicht bestandskräftige Anschlussbeitragsbescheide auf und zahlte die entrichteten Beiträge – u.a. auch an den Antragsteller – zurück. Außerdem änderte er seine Schmutzwassergebührensatzung und führte „gespaltene“ Gebührensätze ein. Diese betrugen 2017 und 2018 für Grundstücke, für die Anschlussbeiträge gezahlt worden waren, 3,30 €/m3 Schmutzwasser und für Grundstücke, für die keine Anschlussbeiträge gezahlt worden waren, 4,35 €/m3 Schmutzwasser.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg lehnte den Normenkontrollantrag ab, da sich der Schutz des Vertrauens, nicht mehr zu Anschlussbeiträgen herangezogen zu werden, nicht auf Benutzungsgebühren erstrecke2. Das Bundesverwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen:
Das Grundgesetz schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechtspositionen. Geschützt ist auch das Vertrauen, nach Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung nicht mehr zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen zu werden. Nach brandenburgischem Landesrecht darf ein und derselbe Herstellungsaufwand nicht durch Anschlussbeiträge und zusätzlich über Benutzungsgebühren auf die Grundstückseigentümer umgelegt werden.
Wechselt der Einrichtungsträger sein Satzungsrecht und geht zu einer reinen Gebührenfinanzierung mit „gespaltenen“ Gebührensätzen über, können die von der Festsetzungsverjährung Begünstigten darauf vertrauen, auch über Benutzungsgebühren nicht mehr zur Deckung des beitragsfinanzierten Herstellungsaufwands herangezogen zu werden. Dem steht das Haushaltsinteresse des Einrichtungsträgers nicht entgegen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte nicht in der Sache jedoch nicht selbst entscheiden, weil es noch an Feststellungen im Zusammenhang mit der hypothetischen Festsetzungsverjährung fehlte.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Oktober 2023 – 9 CN 3.22
- BVerfG, Beschluss vom 12.11.2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14[↩]
- OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.06.2022 – 9 A 2.17[↩]
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