§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfasst vorbehaltlich entgegenstehender Umstände des Einzelfalls auch die Verweigerung des Militärdienstes durch Antragsteller, die sich im militärdienstpflichtigen Alter befinden, zum Kreis derer gehören, die voraussichtlich dem Militärdienst unterliegen und bei denen beachtlich wahrscheinlich ist, dass sie zeitnah einberufen werden. Eine Zwangsrekrutierung mit anschließendem Fronteinsatz ohne hinreichende militärische Ausbildung ist keine Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.

Im Rahmen der Prüfung, ob eine Verknüpfung nach § 3a Abs. 3 AsylG zwischen einem Verfolgungsgrund und einer Verfolgungshandlung vorliegt, spricht eine starke Vermutung im Sinne eines tatsächlichen Erfahrungssatzes dafür, dass eine Militärdienstverweigerung unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang steht. Diese starke Vermutung rechtfertigt es nicht; vom Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit abzuweichen.
Eine Verweigerung des Militärdienstes im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann grundsätzlich auch durch einen Schutzsuchenden erfolgen, der noch kein Militärangehöriger ist oder der noch keinen Einberufungsbefehl erhalten hat.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die nach Nr. 1 aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten1 keine Abweichung zulässig ist, oder nach Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.
Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG unter anderem die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen.
§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfasst vorbehaltlich entgegenstehender Umstände des Einzelfalls auch die Verweigerung des Militärdienstes durch Antragsteller, die sich im militärdienstpflichtigen Alter befinden, zum Kreis derer gehören, die voraussichtlich dem Militärdienst unterliegen und bei denen beachtlich wahrscheinlich ist, dass sie zeitnah einberufen werden.
§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU dahingehend auszulegen, dass die genannten Vorschriften es, wenn das Recht des Herkunftsstaates die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht und es dementsprechend kein Verfahren zu diesem Zweck gibt, nicht verwehren, diese Verweigerung auch für den Fall festzustellen, dass der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat und aus seinem Herkunftsland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen. Maßgeblich ist, dass diese Verweigerung das einzige Mittel darstellt, das es dem Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG zu entgehen. Ist diese Verweigerung nach dem Recht des Herkunftsstaates rechtswidrig und ist der Antragsteller durch die Verweigerung der Strafverfolgung und Bestrafung ausgesetzt, so kann von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass er jene vor der Militärverwaltung zum Ausdruck gebracht hat2.
Erfordert eine Verweigerung des Militärdienstes damit nicht, dass sich der Betroffene zuvor der Militärverwaltung zur Verfügung gestellt haben muss, so setzt sie auch nicht voraus, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Verweigerung den Militärdienst bereits angetreten haben oder Angehöriger des Militärs sein muss. Dies folgt auch daraus, dass für einen Wehrpflichtigen, der seinen Militärdienst in einem Konflikt verweigert, seinen künftigen militärischen Einsatzbereich aber nicht kennt, die Ableistung des Militärdienstes in einem Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, unabhängig vom Einsatzgebiet unmittelbar oder mittelbar die Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen umfassen würde3. Eine solche Situation kann nicht nur bei einem Militärangehörigen, sondern auch bei Personen eintreten, deren Einberufung alsbald bevorsteht
Dieses Verständnis steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Zwar hat dieser zur Vorgängerregelung des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG ausgeführt, dass, auch wenn diese Bestimmungen in Bezug auf den erfassten Personenkreis keinen restriktiven Charakter aufweisen, die Eigenschaft als Militärangehöriger eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung darstellt, um den Schutz zu genießen, der mit den Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG verbunden ist4. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof in diesem Fall keine Veranlassung hatte, sich zur Anwendung dieser Vorschrift im Vorfeld eines Dienstantritts zu äußern, da das Verfahren einen Berufssoldaten betraf.
Nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. a, b und c RL 2011/95/EU ist der Nachweis, dass der Antragsteller den Militärdienst tatsächlich verweigert hat, wie die anderen zur Stützung des Antrags auf internationalen Schutz vorgebrachten Anhaltspunkte unter Berücksichtigung aller mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, der maßgeblichen Angaben des Antragstellers und der von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Umstände zu prüfen5.
Mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht im Einklang steht hingegen die Annahme, eine Zwangsrekrutierung mit anschließendem Fronteinsatz ohne hinreichende militärische Ausbildung sei als Bestrafung im Sinne der Norm anzusehen:
Der Begriff der Strafverfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU) bezeichnet das Handeln der mit der Aufklärung von Straftaten und Anklagevorbereitung befassten Strafverfolgungsorgane eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation, das heißt der Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei). Hierzu zählen alle strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Demgegenüber erfasst der Begriff der „Bestrafung“ das Urteil des Strafgerichts selbst und dessen Vollstreckung durch die Strafvollstreckungsorgane. Ein über derartige strafrechtliche Maßnahmen hinausgehendes, auch eine Zwangsrekrutierung mit anschließendem Fronteinsatz ohne hinreichende militärische Ausbildung umfassendes Begriffsverständnis ist nicht geboten.
Dies folgt schon aus dem Wortlaut des in § 3a Abs. 2 Nr. 3 und 5 AsylG (Art. 9 Abs. 2 Buchst. c und e RL 2011/95/EU) verwendeten Begriffspaares der Strafverfolgung oder Bestrafung und den europäischen Sprachfassungen der Richtlinie 2011/95/EU zum Begriff der Bestrafung (englisch: punishment, französisch: sanctions, italienisch: sanzioni penali, spanisch: penas, niederländisch: bestraffing, portugiesisch: sanções). Insbesondere die italienische Sprachfassung deutet auf den allein strafrechtlichen Charakter der von dem Begriff erfassten Sanktionen hin.
Eine solche Beschränkung auf strafrechtliche Maßnahmen ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des dem § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde liegenden Art. 9 RL 2011/95/EU. Der Vorschlag der Europäischen Kommission zu Art. 11 Abs. 1 Buchst. c und d der Vorgängerrichtlinie 2004/83/EG6 bezeichnet als Verfolgungshandlung unter anderem die strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen einer Straftat oder wegen der Weigerung, der allgemeinen Wehrpflicht nachzukommen, und bezieht sich damit auf strafrechtliche Sanktionen.
Dieses Verständnis wird von systematischen Erwägungen gestützt. Einer erweiternden Auslegung der Norm bedarf es nicht, um Maßnahmen, die zwar keine strafrechtliche Sanktion darstellen, aber gleichwohl für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft relevant sind, als Verfolgungshandlungen qualifizieren zu können. Diese werden von anderen Vorschriften erfasst.
So bezeichnet § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 2 Buchst. b RL 2011/95/EU) als Verfolgungshandlungen gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Zudem sind die Regelbeispiele des § 3a Abs. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU) nicht abschließend7. Daher können gravierende Verfolgungshandlungen auch unter § 3a Abs. 1 AsylG (Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU) gefasst werden, sofern die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind.
Sinn und Zweck des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sprechen ebenfalls für die Beschränkung auf strafrechtliche Maßnahmen. Strafverfolgung und Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion sind grundsätzlich nicht als flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung anzusehen. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zielt darauf, hiervon eine Ausnahme für den spezifischen Fall zu regeln, dass der verweigerte Militärdienst die Teilnahme an Kriegsverbrechen oder anderen völkerrechtswidrigen Handlungen umfassen würde8. Dieser Regelungszweck greift bei Maßnahmen, die keinen strafrechtlichen Charakter aufweisen, nicht ein.
Die dargestellte Interpretation des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bedarf namentlich im Hinblick auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV, da die zutreffende Anwendung der hier einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt9.
Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union10 ist davon auszugehen, dass es allein den staatlichen Behörden unter gerichtlicher Kontrolle obliegt zu prüfen, ob die Ableistung des Militärdienstes durch den Antragsteller, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, diesen zwangsläufig oder zumindest sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Verbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu begehen. Diese Tatsachenwürdigung muss sich auf ein Bündel von Indizien stützen, das geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände – insbesondere der mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers – zu belegen, dass die Gesamtsituation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt11.
In Anwendung dieses Maßstabs und auf der Grundlage der Feststellung der wiederholten Begehung umfassender und schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch syrische Regierungstruppen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger auch derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Einsatz an der Front oder eine Beteiligung an Kampfhandlungen droht, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG darstellen.
Dem steht nicht entgegen, dass das im vorliegenden Fall das in der Berufungsinstanz tätige Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg12 keine Ermittlungen zur zahlenmäßigen Beteiligung von Wehrpflichtigen an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgenommen hat. Im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG und Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU ist eine, sich auf ein Bündel von Indizien stützende, umfassende Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtsituation und der individuellen Umstände des Antragstellers erforderlich, die es plausibel erscheinen lässt, dass sich der betroffene Antragsteller an Kriegsverbrechen wird beteiligen müssen13; ein einzelnes quantitatives Kriterium ist dem nicht zu entnehmen. Das Erfordernis der Plausibilität mag allenfalls dazu führen, dass Erkenntnisse zu lediglich vereinzelten Fällen („Ausreißern“) nicht ausreichen. Nach den – für das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden – Feststellungen des Berufungsgerichts kann indes von nur vereinzelten Fällen nicht ausgegangen werden.
Mit Bundesrecht nicht im Einklang steht die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es liege die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung zwischen einem Verfolgungsgrund – hier der politischen Überzeugung des Klägers (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) – und der Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vor. Dies stützt das Oberverwaltungsgericht auf die revisionsrechtlich zu beanstandende Erwägung, es bestehe eine ausreichende Vermutung, dass die Bestrafung von Wehrdienstentziehern (auch) aus politischen Gründen erfolge, weil sie als vermeintliche politische Gegner des Regimes hätten diszipliniert werden sollen, auch wenn eine Bewertung der hier maßgeblichen Tatsachengrundlage in Bezug auf die geforderte Konnexität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund jedenfalls in gewissem Maße diffus bleibe und für eine vollständige gerichtliche Überzeugungsbildung eher nicht genügen dürfte. Diese Vermutung könne nicht zulasten des Klägers entkräftet oder widerlegt werden, weil eine Gesamtbetrachtung und -würdigung der Erkenntnisse dies nicht hergebe.
Mit dieser Auffassung verfehlt das Berufungsgericht nicht nur das von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit. Die hierauf gestützte Verfolgungsprognose begründet zugleich einen materiellen Rechtsverstoß. Denn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt tatbestandlich eine begründete Furcht vor Verfolgung voraus. Hierfür bedarf es einer Gefahrenprognose anhand des Maßstabs der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit. Das Tatsachengericht muss sich – auch in Ansehung der „asyltypischen“ Tatsachenermittlungs- und -bewertungsprobleme – die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit verschaffen. Kommt es dem bei der Verfolgungsprognose hinsichtlich der erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund nicht nach, so steht seine Entscheidung weder mit der Zielsetzung des Flüchtlingsrechts14 noch mit den maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben für das Verständnis des § 3a Abs. 3 AsylG15 im Einklang.
Das Bestehen einer derartigen Verknüpfung kann nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden, weil Strafverfolgung oder Bestrafung an die Verweigerung des Militärdienstes anknüpfen, und nicht schon aus diesem Grunde der Prüfung durch die mit der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz betrauten nationalen Behörden und Gerichte entzogen sein16.
Die Verweigerung des Militärdienstes muss nicht stets auf einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe beruhen. Sie kann etwa auch durch die Furcht begründet sein, sich den Gefahren auszusetzen, die die Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit sich bringt. Ginge man davon aus, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen in jedem Fall mit einem der von der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Verfolgungsgründe verknüpft ist, würde dies in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, diesen Gründen weitere Verfolgungsgründe hinzuzufügen und so den Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/95/EU gegenüber dem der Genfer Flüchtlingskonvention auszudehnen. Eine solche Auslegung liefe aber der eindeutigen, in Erwägungsgrund 24 RL 2011/95/EU dargelegten Intention des Unionsgesetzgebers zuwider, innerhalb der Union die Umsetzung des Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu harmonisieren. Deshalb bedarf das Bestehen einer Verknüpfung zwischen zumindest einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG der behördlichen und gegebenenfalls gerichtlichen Prüfung17.
Dabei ist es nicht Sache der um internationalen Schutz nachsuchenden Person, den Beweis für die genannte Verknüpfung zu erbringen. Vielmehr obliegt es den zuständigen Behörden und Gerichten, in Anbetracht sämtlicher von der um internationalen Schutz nachsuchenden Person vorgetragener Anhaltspunkte, die Plausibilität der Verknüpfung zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG genannten Gründen und der Strafverfolgung und Bestrafung zu prüfen, mit der die betroffene Person im Fall der Verweigerung des Militärdienstes unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen rechnen muss18.
Im Rahmen dieser Prüfung spricht aus unionsrechtlicher Perspektive eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Gründe in Zusammenhang steht19 und infolgedessen auch eine Verknüpfung im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG vorliegt. Dies folgt vor allem daraus, dass in einem bewaffneten Konflikt, insbesondere einem Bürgerkrieg, und bei fehlender Möglichkeit, sich seinen militärischen Pflichten zu entziehen, die hohe Wahrscheinlichkeit besteht20 oder eine starke Vermutung dafür spricht21, dass die Verweigerung des Militärdienstes von den Behörden des betreffenden Drittlands unabhängig von den persönlichen, eventuell viel komplexeren Gründen des Betroffenen als ein Akt politischer Opposition ausgelegt wird.
Unter Berücksichtigung dieser „starken Vermutung“ liegt es bei einer Militärdienstverweigerung unter den in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genannten Voraussetzungen hiernach im Sinne eines tatsächlichen Erfahrungssatzes22 nahe, dass die Militärdienstverweigerung mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang steht, insbesondere weil dem Antragsteller in dieser Situation durch den Verfolger eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Begründung des Antrags auf internationalen Schutz durch den Antragsteller nicht überspannt werden dürfen. Im Hinblick darauf erkennt Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU ausdrücklich an, dass ein Antragsteller nicht immer in der Lage sein wird, seinen Antrag durch Unterlagen oder sonstige Beweise zu untermauern, und führt die kumulativen Voraussetzungen auf, unter denen solche Beweise nicht verlangt werden; insoweit stellen die Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes und folglich die Strafverfolgung, zu der sie führt, subjektive Gesichtspunkte des Antrags dar, für die ein unmittelbarer Beweis besonders schwer erbracht werden kann23.
Ob die Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Gründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU plausibel ist, steht aber unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung durch die nationalen Behörden und Gerichte in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände, wie der Gerichtshof der Europäischen Union mehrfach ausdrücklich betont hat24. Dabei sind alle relevanten Tatsachen und auch der allgemeine Kontext des Herkunftslands der Person, die die Anerkennung als Flüchtling beantragt, zu berücksichtigen, insbesondere seine politischen, rechtlichen, justiziellen, historischen und soziokulturellen Aspekte25. Diese Vorgaben beanspruchen bei der gebotenen unionsrechtskonformen Interpretation des § 3a Abs. 3 AsylG ebenfalls Geltung.
Dem Unionsrecht und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lässt sich daher nicht – schon gar nicht unabhängig von einer auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse sich ergebenden Veränderung der tatsächlichen Verfolgungslage – entnehmen, dass Personen, die den Militärdienst verweigern, allein deswegen bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu besorgen haben. Der Gerichtshof hat vielmehr lediglich die rechtlichen Maßstäbe entfaltet, nach denen die Gefahr von Verfolgungshandlungen sowie die Verknüpfung mit flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsgründen zu prüfen und zu beurteilen sind26.
Diese Maßstäbe rechtfertigen es nicht, bei einem auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Begehren und der dabei gebotenen tatsächlichen Prüfung aller relevanten Umstände mit Blick auf § 3a Abs. 3 AsylG vom Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweichen.
In dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, dazu von Amts wegen die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und sich eine eigene Überzeugung zu bilden (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hierzu muss es die Prognosetatsachen ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung bilden. Die Überzeugungsgewissheit gilt es nicht nur in Bezug auf das Vorbringen des Schutzsuchenden zu seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Vorgängen, sondern auch hinsichtlich der in die Gefahrenprognose einzustellenden Erkenntnisse zu gewinnen. Diese ergeben sich vor allem aus den zum Herkunftsland vorliegenden Erkenntnisquellen. Auch für die Anknüpfungstatsachen gilt das Regelbeweismaß des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auf der Basis der so gewonnenen Prognosegrundlagen hat das Tatsachengericht bei der Erstellung der Gefahrenprognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehens-abläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden zu befinden. Diese Projektion ist als Vorwegnahme künftiger Geschehnisse typischerweise mit Unsicherheiten belastet. Zu einem zukünftigen Geschehen ist der Natur der Sache nach immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage möglich, die sich hier am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auszurichten hat. Auch wenn die Prognose damit keines „vollen Beweises“ bedarf, ändert dies nichts daran, dass sich der Tatrichter gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei verständiger Würdigung der (gesamten) Umstände des Einzelfalls von der Richtigkeit seiner – verfahrensfehlerfrei – gewonnenen Prognose einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung die volle Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat27. Im Rahmen dieses für die Entscheidungsfindung vorgegebenen Beweismaßes sind dabei auch (widerlegliche oder unwiderlegliche) tatsächliche Vermutungen, Beweiserleichterungen oder Beweislastregeln heranzuziehen28. Ebenso ist hierbei in Fällen wie dem vorliegenden – innerhalb des Beweismaßes – die unionsrechtlich vorgegebene starke Vermutung in die Prüfung der Verknüpfung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG einzustellen.
Diese rechtlichen Anforderungen verfehlt das Berufungsgericht, indem es das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugungsbildung unterschritten und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft schon auf einer diffusen Tatsachengrundlage zuerkannt hat.
Eine abschließende Entscheidung der Frage, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zusteht, ist dem Bundesverwaltungsgericht mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht möglich. Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und dabei – sofern es für die Entscheidung erheblich ist – die Plausibilität der Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund nach den dargestellten Maßstäben zu prüfen haben.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Januar 2023 – 1 C 22.21
- BGBl.1952 II S. 685, 953[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19 [ECLI:?EU:?C:?2020:?945], EZ, Rn. 27 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 38[↩]
- EuGH, Urteil vom 26.02.2015 – C-472/13 [ECLI:?EU:?C:?2015:?117], Shepherd, Rn. 34[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 31[↩]
- Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, KOM <2001> 510 endg.; Ratsdok. 13620/01 – BR-Drs. 1017/01, S.20 f., 50 f.[↩]
- so ausdrücklich auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 28.05.2020 – C-238/19 [ECLI:?EU:?C:?2020:?404], EZ, Rn. 45[↩]
- OVG Lüneburg, Urteil vom 22.04.2021 – 2 LB 147/18 74; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.03.2022 – 3 L 74/21 100[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-160/14 [ECLI:?EU:?C:?2015:?565], Ferreira da Silva e Brito u. a., Rn. 38[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 34 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 35 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 26.02.2015 – C-472/13, Rn. 46[↩]
- OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2021 – 3 B 68.18[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 34 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 31.18, Buchholz 402.251 § 3 AsylG Nr. 3 Rn.19 m. w. N.[↩]
- EuGH, Urteile vom 19.11.2020 – C-238/19; und vom 12.01.2023 – C-280/21 [ECLI:?EU:?C:?2023:?13], P. I.[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 50[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 48 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 54, 56[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 57[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 60[↩]
- EuGH, Urteil vom 12.01.2023 – C-280/21, Rn. 35[↩]
- vgl. hierzu auch Pettersson, ZAR 2021, 100 <105>[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 55[↩]
- vgl. hierzu insbesondere EuGH, Urteile vom 19.11.2020 – C-238/19, Rn. 50 ff., 56, 61; und vom 12.01.2023 – C-280/21, Rn. 35, 38, 39 i. V. m. Rn. 33[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 12.01.2023 – C-280/21, Rn. 39, 38 i. V. m. Rn. 33[↩]
- vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 03.03.2021 – 1 B 6.21 7 sowie vom 22.12.2021 – 1 B 70.21 6[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 – 9 C 109.84, BVerwGE 71, 180 <182> sowie vom 04.07.2019 – 1 C 31.18, Buchholz 402.251 § 3 AsylG Nr. 3 Rn. 22 und – 1 C 33.18, NVwZ 2020, 161 Rn. 21 und Beschluss vom 08.02.2011 – 10 B 1.11, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 43 Rn. 7[↩]
- vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 10.03.2021 – 1 B 2.21 8[↩]