Der „Wahlaufruf“ des Ortsvorstehers für den Bürgermeister

Das verfassungsrechtliche Gebot der freien Wahl untersagt es staatlichen und gemeindlichen Organen, Wahlbewerber in amtlicher Funktion zu unterstützen. Ortsvorsteher, die unter Verwendung ihrer Funktion und Amtsbezeichnung während eines Wahlkampfes zum Bürgermeister an alle Haushalte einen „Wahlaufruf“ verteilen lassen und sich hierin für einen Wahlbewerber ausgesprechen, haben mit dieser unzulässigen amtlichen Beeinflussung der Wahl gegen die Wahlvorschriften verstoßen.

Der „Wahlaufruf“ des Ortsvorstehers für den Bürgermeister

Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Koblenz in dem hier vorliegenden Fall die Bürgermeisterwahl der Stadt Boppard für ungültig erklärt. Im Vorfeld der Wahl zum Bürgermeister der Stadt Boppard ließen am 24. Oktober 2012 sieben Ortsvorsteher städtischer Ortsbezirke „Postwurfsendungen an alle Haushalte“ verteilen. Hierin lobten sie die sehr gute Zusammenarbeit mit dem seit über 15 Jahren amtierenden Bürgermeister und teilten mit, ihn zu wählen. Ferner enthält der „Wahlaufruf“ die Fotos, Namen und Amtsbezeichnungen der Ortsvorsteher. Nachdem die Kommunalaufsicht des Rhein-Hunsrück-Kreises die Wahlwerbung beanstandet hatte, wurde hierüber am 3. November 2012 in der lokalen Presse berichtet. Gegenstand der Berichterstattung war auch die Reaktion der betroffenen Ortsvorsteher, die sich auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit beriefen. Bei der Bürgermeisterwahl am 4. November 2012 erhielt der Amtsinhaber 4.052 Stimmen (= 54,3 v. H.), sein Gegenkandidat 3.412 Stimmen (= 45,7 v. H.). Wegen des „Wahlaufrufes“ sowie zweier anderer Begebenheiten im Vorfeld der Wahlen erhoben zwei Einwohner Boppards gegen die Wahl Einspruch, den die Kommunalaufsicht des Rhein-Hunsrück-Kreises aber zurückwies. Daraufhin haben sie Klage erhoben.

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In seiner Urteilsbegründung verweist das Verwaltungsgericht Koblenz darauf, dass es staatlichen und gemeindlichen Organen durch das verfassungsrechtliche Gebot der freien Wahl untersagt sei, Wahlbewerber in amtlicher Funktion zu unterstützen. Die sieben Ortsvorsteher hätten in der heißen Phase des Wahlkampfes an alle Haushalte einen „Wahlaufruf“ verteilen lassen und sich hierin für die Wiederwahl des Amtsinhabers ausgesprochen. Die Wahlwerbung sei keine private Meinungsäußerung gewesen. Die Ortsvorsteher hätten hierbei ihre Amtsbezeichnung angegeben und auf die von ihnen ausgeübte Funktion verwiesen. Damit hätten sie eine Möglichkeit zur politischen Einflussnahme ausgenutzt, über die sie nur kraft ihres Amtes verfügten. Diese unzulässige amtliche Beeinflussung der Wahl sei ein Verstoß gegen die Wahlvorschriften, der erheblich sei. Es sei auch durchaus möglich, dass das Wahlergebnis ohne die rechtswidrige Wahlempfehlung anders ausgefallen wäre. Der Vorsprung des Amtsinhabers vor seinem Gegenkandidaten habe lediglich 640 Stimmen und damit weniger als 10 % betragen. Zudem hätten Ortsvorsteher in den Ortsbezirken eine hervorgehobene Stellung, viele persönliche Kontakte und fänden regelmäßig bei den Menschen Gehör. Angesichts dieser repräsentativen Funktion sei eine Beeinflussung der Wählerschaft nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Die Berichterstattung über die Beanstandung des Wahlaufrufs durch die Kommunalaufsicht am Tag vor der Wahl könne den Wahlverstoß nicht zuverlässig ausgleichen. Es sei nicht zu ermitteln, wie viele Wähler die Berichterstattung überhaupt zur Kenntnis genommen hätten. Zudem sei ebenfalls über die Reaktion der Ortsvorsteher berichtet worden, die ihre Wahlempfehlung als vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt dargestellt hätten. Hierdurch könne bei der Wählerschaft der Eindruck hinterlassen worden sein, die Amtsträger hielten ihre Erklärung rechtlich weiterhin für zulässig. Schließlich hätten die Briefwähler, die im Zeitraum vom 24. Oktober bis zum 2. November ihre Stimme abgegeben hätten, in jedem Fall einer verfassungswidrigen Wahlbeeinflussung unterlegen. Angesichts dieser gesamten Umstände hätte die Wahl möglicherweise einen anderen Ausgang genommen, wäre der „Wahlaufruf“ der Ortsvorsteher unterblieben. Daher sei die Wahl ungültig.

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Kommunalwahlen und das d`Hondtsche Höchstzahlverfahren

Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 2. Juli 2013 – 1 K 62/13.KO