Praktische Konkordanz zwischen den Grundrechten einer dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichteten Versammlung in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beratungssuchender Frauen lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles herstellen. Einen absoluten Schutz vor Konfrontation mit dem Versammlungsthema garantiert Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG den Betroffenen dabei nicht.

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte die Stadt eine angemeldete Versammlung der Bürgerinitiative „40 Days for Life“ zum Thema „Lebensrecht ungeborener Kinder“ auf der anderen Straßenseite mit Auflagen versehen. Die Versammlung sollte gegenüber dem Eingang zu einer Beratungsstelle von pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V. – auf der anderen Straßenseite – für den Zeitraum vom 06.03.bis zum 14.04.2019 jeweils von 9 bis 13 Uhr mit einem täglichen stillen Gebet sowie einer Mahnwache stattfinden. Als Kundgebungsmittel waren lediglich Plakate vorgesehen. Weder war die Verteilung von Informationsmaterial beabsichtigt, noch eine aktive Ansprache von Frauen. Zu jenem Thema hatten bereits im Frühjahr und Herbst 2018 ähnliche Versammlungen dieser Bürgerinitiative in räumlicher Nähe zur Beratungsstelle von pro familia stattgefunden.
Die Stadt erließ daraufhin die Auflage, dass die Versammlung während der Beratungszeiten (an Werktagen Montag bis Freitag von 7.15 bis 18 Uhr) nur außerhalb direkter Sichtbeziehung zum Gebäudeeingang von pro familia durchgeführt werden dürfe. In einem der Verfügung als Anhang beigefügten Plan markierte sie die für die Versammlung ausgeschlossenen Gehwegbereiche. In dem Bescheid drohte sie des Weiteren für den Fall einer Zuwiderhandlung unmittelbaren Zwang an. Außerdem ordnete sie die sofortige Vollziehung der Auflage an. Zur Begründung stützte sich die Beklagte auf § 15 Abs. 1 VersG. Ohne die zeitliche und örtliche Beschränkung ginge von der Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aus. Zu den Schutzgütern gehöre das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der die Beratungsstelle aufsuchenden schwangeren Frauen. Das teilweise als „Spießrutenlauf“ empfundene Passieren einer Versammlung von Abtreibungsgegnern, die mit Plakaten und direktem Blickkontakt in der Nähe der Beratungsstelle stünden und die ratsuchenden Frauen anschauten, griffe in die Privatsphäre der betroffenen Frauen ein. Diese unmittelbare Gefahr könne auf verhältnismäßige Weise dadurch abgewendet werden, indem die Versammlung während der Beratungszeiten außerhalb direkter Sichtbeziehungen zum Eingang der Beratungsstelle stattfinde.
Der anschließend erhobene Widerspruch, ein gerichtliches Eilrechtsschutzverfahren sowie die Klage gegen den Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe1 sind erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Anmeldering hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, dass die versammlungsrechtlichen Auflagen sowie die Androhung unmittelbaren Zwangs rechtswidrig gewesen sind2.
Die hiergegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Stadt hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg:
Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist3. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die angestrebte Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann4. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann5.
Die Beschwerde erachtet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
„Unter welchen Umständen ist von einem sog. ‚Spießrutenlauf‘ der betroffenen Schwangeren auszugehen und wann beginnt ein solcher ‚Spießrutenlauf‘ im Sinne des Beschlusses des BVerfG6?“
„Ist bei der Abwägung der Eingriffswirkungen auf die Grundrechte der betroffenen Personen im Rahmen der praktischen Konkordanz auf die generell abstrakte Wirkung des Grundrechtseingriffs bei einem durchschnittlichen Grundrechtsträger abzustellen oder ist bei der Grundrechtsabwägung die konkrete Situation der üblicherweise betroffenen Grundrechtsträger zu berücksichtigen?“
sowie
„Ist bei der Abwägung der Grundrechte im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu berücksichtigen, dass sich die betroffenen Grundrechtsträgerinnen aufgrund einer gesetzlichen Pflicht in den Wahrnehmungsbereich der Versammlung begeben und damit zur erheblichen Einschränkung ihres Rechts auf Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes verpflichtet werden?“.
Sie führt dazu aus, das Berufungsgericht nehme im Rahmen der Güterabwägung der betroffenen Grundrechte auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.06.20107 Bezug. Welche Umstände bei abtreibungskritischen Versammlungen vor Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz in die Abwägung konkret einzustellen seien, sei bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt, aber angesichts der von der Klägerin regelmäßig in einer Vielzahl von Kommunen im gesamten Bundesgebiet durchgeführten Versammlungen von generellem Interesse. Das Berufungsurteil versäume es, der Versammlungsbehörde für die künftige Handhabung Maßstäbe an die Hand zu geben. Vielmehr verweise es darauf, bei der Herstellung praktischer Konkordanz lasse sich nicht abstrakt feststellen, dass jede Form der Versammlung zulässig oder unzulässig sei. Es komme darauf an, in welcher Art und Weise die Versammlung im Einzelfall stattfinden solle, wobei davon auszugehen sei, dass eine Versammlung solange zulässig sei, als sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht ihre Meinung aufdränge und zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf für diese führe.
Die erste der genannten Fragen zielt schon nicht unmittelbar auf die Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Zum einen ist die Metapher des „Spießrutenlaufs“, die zur plastischen Verdeutlichung einer tatsächlichen Konfrontationssituation verwendet wird, deskriptiver Natur und mangels normativen Gehalts kein Rechtsbegriff. Zum anderen lassen sich die Umstände, unter denen von einer mit diesem Bild angesprochenen Verdichtung eines Grundrechtskonflikts auszugehen ist, nur im Einzelfall bestimmen und sind einer allgemeinen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Sollte die Frage dahingehend zu verstehen sein, dass es um die Gewinnung verallgemeinerungsfähiger Obersätze für den Ausgleich der miteinander konkurrierenden Grundrechtspositionen der in der Beratungsstelle ratsuchenden schwangeren Frauen sowie der Teilnehmer einer Versammlung zum Schutz des ungeborenen Lebens und damit letztlich um die Anwendung des § 15 Abs. 1 VersG ginge, führte dies die Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg. § 15 VersG gilt zwar mangels ersetzender versammlungsrechtlicher Regelungen in Baden-Württemberg gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. als Bundesrecht fort und gehört zum revisiblen Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Ob aber die Versammlungsfreiheit mit einer – wie hier – den Ort und die Zeit der Versammlung regelnden Auflage eingeschränkt werden darf, weil eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht, beurteilt sich nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren konkreten Umständen. Versammlungsrechtliche Auflagen sind ein Mittel, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen8. Die hierbei zu beachtenden Grundsätze sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
Die Grundrechte bilden hierbei – wie vom Berufungsgericht zu recht angenommen – eine „objektive Wertordnung“ und sind von den Fachgerichten bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen9. Die sich in den vorliegenden Fallgestaltungen gegenüberstehenden Grundrechtspositionen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend verdeutlicht und werden im angefochtenen Urteil zutreffend aufgezeigt:
Den Teilnehmern der von der Klägerin angemeldeten Versammlung steht die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit zu, die für die Klägerin als Unionsbürgerin ebenfalls gewährleistet ist, sei es durch eine entsprechende Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GG10 oder durch eine unionskonforme Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG11. Aus der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit folgt das Recht der Grundrechtsträger, insbesondere des Veranstalters, selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen12. Dazu zählt, sich genau dort versammeln zu dürfen, wo es denjenigen „weh tut“, gegen die sich der Protest richtet13. Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, müssen hingenommen werden14. Auch im Rahmen einer Versammlung sind allerdings Tätigkeiten unzulässig, die anderen eine Meinung mit nötigenden Mitteln aufdrängen. Das Versammlungsrecht gibt dem Einzelnen kein Recht zum Übergriff in den geschützten Rechtskreis Dritter15. Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und auf dasjenige zu begrenzen, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit notwendig ist16. Im vorliegenden Fall treten zur Versammlungsfreiheit unterstützend die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit und die in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsfreiheit der Teilnehmer hinzu17.
Auf Seiten der die Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz aufsuchenden Frauen geht es demgegenüber um das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht, das in vielschichtiger Weise betroffen sein kann. Es ergänzt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte und schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Damit sichert es die Grundbedingungen dafür, dass der Einzelne seine Identität und Individualität selbstbestimmt finden, entwickeln und wahren kann18. Hierzu gehört – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – nicht nur das Geheimhaltungsinteresse der schwangeren Frauen hinsichtlich der bestehenden Frühschwangerschaft und eines von ihnen möglicherweise in Erwägung gezogenen Abbruchs der Schwangerschaft. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verlangt darüber hinaus auch die Berücksichtigung der besonderen seelischen Lage, in der sich Schwangere gerade in der Frühphase einer Schwangerschaft oftmals befinden, wenn sie typischerweise eine anerkannte Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz aufsuchen. Diese kann in Einzelfällen zu schweren Konfliktfällen führen, die als höchstpersönlich empfunden werden. Denn die Umstände erheblichen Gewichts, die einer Frau das Austragen eines Kindes bis zur Unzumutbarkeit erschweren können, bestimmen sich nicht nur nach objektiven Komponenten, sondern auch nach ihren physischen und psychischen Befindlichkeiten und Eigenschaften19. Andererseits verbürgt das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht den Schutz gegen alles, was die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung auf irgendeine Weise beeinträchtigen könnte20. Es gibt in einer pluralistischen Gesellschaft kein Recht darauf, von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben. Ein von politischen Diskussionen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unbeschwertes Inneres ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Unerheblich sind damit Störungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden. Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen ihres Inhalts wegen zu unterbinden21.
Somit hängt die grundrechtliche Beurteilung von Konfliktfällen der vorliegenden Art davon ab, inwieweit auf der einen Seite eine dem Schutz ungeborenen Lebens verpflichtete Versammlung darauf zielt, Adressatinnen eine bestimmte Meinung aufzudrängen, und inwiefern auf der anderen Seite die Adressatinnen eine solche Versammlung – über die bloße Konfrontation mit dem Thema hinaus – als einen unausweichlichen persönlichen Übergriff physischer oder psychischer Art verstehen dürfen, der das Aufsuchen einer Beratungsstelle einem „Spießrutenlauf“ gleichen lässt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist tatrichterlich anhand der jeweils maßgeblichen – von Fall zu Fall unterschiedlichen – Einzelumstände zu klären und entzieht sich generalisierender Festlegungen auf einer fallübergreifenden Ebene22.
Anhand dieser Rechtsprechung zeigt die Beschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf mit ihrer zweiten Frage nicht auf. Die Frage rechtfertigt daher ebenfalls nicht die Revisionszulassung. Im Übrigen unterstellt die Beschwerde mit ihrer Behauptung, Beratungsstellen würden üblicherweise von Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation sowie überproportional häufig von Opfern von Sexualstraftaten und auch Minderjährigen besucht, Tatsachen, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Sind aber Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, so kann die Revision mangels Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden23.
Auch die dritte Frage erweist sich als im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie legt zugrunde, dass ein bei der Herstellung der praktischen Konkordanz abwägungsrelevanter Belang – Konzept der verpflichtenden Beratung vor einer Abtreibung – vom Berufungsgericht nicht in die Abwägung eingestellt worden sei, was auf einen Fehler im rechtlichen Maßstab hinführen soll. Erneut geht die Beschwerde von unzutreffenden Tatsachen aus. Keineswegs hat das angefochtene Urteil den von der Beschwerde bezeichneten Umstand – wie behauptet – „in der gesamten Abwägung … vollständig unberücksichtigt“ gelassen. Nicht nur die Wortwahl im Rahmen der Ausführungen zur Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wonach „ratsuchende“ Frauen die „Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle“ wegen „des in Erwägung gezogenen Schwangerschaftsabbruchs“ aufsuchen, verdeutlicht, dass dem Berufungsgericht das gesetzliche Konzept der verpflichtenden Beratung vor einem Abbruch der Schwangerschaft deutlich vor Augen gestanden hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Beratungskonzept des Schwangerschaftskonfliktgesetzes darüber hinaus sogar eigenständig als Belang der öffentlichen Sicherheit in den Blick genommen. Der Verweis der Beschwerde auf die vierzigtägige Dauer der Versammlung, die mit der Frist des § 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB konfligiere, so dass Frauen von der „zeitkritischen Pflichtberatung abgehalten“ werden könnten, dringt ebenfalls nicht durch. Denn das Berufungsgericht hat den Vortrag, Frauen würden durch die Versammlung vor der Beratungsstelle abgeschreckt werden, ausdrücklich als bloße Behauptung der Beklagten zurückgewiesen, die sich nicht auf konkrete Vorfälle zurückführen lasse. Im Übrigen folgt aus der von der Beschwerde zitierten Resolution 2439 (2022) des Europarats vom 31.05.2022 „Access to abortion in Europe: stopping antichoice harassment“ schon deshalb keine Maßstabsverschiebung, weil es sich lediglich um eine Empfehlung handelt.
Soweit die Beschwerde das Abwägungsergebnis des Berufungsgerichts kritisiert, bezweifelt sie der Sache nach lediglich die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Solche Zweifel stellen aber keinen Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO dar.
Eine Abweichung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Bundesverwaltungsgericht der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht24.
Gemessen hieran genügt das Beschwerdevorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde behauptet, das angefochtene Urteil weiche von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.1975 ab, wonach die Schwangerschaft zur Intimsphäre der Frau gehöre25. Denn das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, welche Sphäre des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei. Es habe die Einordnung der Schwangerschaft in den Bereich der Intimsphäre verkannt. Einen der Einordnung der Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht widersprechenden, das angefochtene Urteil tragenden Rechtssatz benennt die Beschwerde damit nicht. Mit ihrem Vorbringen kritisiert die Beschwerde lediglich im Gewande der Divergenzrüge die Anwendung materiellen Rechts in dem hier vorliegenden Fall. Hiermit vermag sie eine Zulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht zu erreichen.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23. Mai 2023 – 6 B 33.22
- VG Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2021 – 2 K 5046/19[↩]
- VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.08.2022 – 1 S 3575/21, NVwZ 2022, 1746[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.10.1961 – 8 B 78.61, BVerwGE 13, 90 <91>[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 09.07.2019 – 6 B 2.18, NVwZ 2019, 1771 Rn. 7; und vom 08.01.2021 – 6 B 48.20 – KommJur 2021, 149 <150>[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.01.2015 – 6 B 43.14, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8 m. w. N.[↩]
- BVerfG Beschluss vom 08.06.2010 – 1 BvR 1745/06[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.06.2010 – 1 BvR 1745/06[↩]
- BVerwG, Urteil vom 24.05.2022- 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn. 24; BVerfG, Beschluss vom 05.09.2003 – 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004, 90 <92>[↩]
- stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, BVerfGE 148, 267 Rn. 32 m. w. N.[↩]
- Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl.2022, Art. 8 Rn. 11 m. w. N.[↩]
- Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl.2013, Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 55 und 115 f., Art. 2 Abs. 1 Rn. 17 m. w. N.; kritisch Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 119; vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 04.11.2015 – 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 – NJW 2016, 1436 <1437> m. w. N.[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 25.10.2017 – 6 C 46.16, BVerwGE 160, 169 Rn. 25; und vom 24.05.2022 – 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn.19 m. w. N.[↩]
- Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 173[↩]
- BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 <261>[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 24.05.2022 – 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn. 24; Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 63 m. w. N.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 <259> sowie Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, BVerfGE 69, 315 <348 f.>[↩]
- zur Grundrechtskonkurrenz: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl.2022, Art. 8 Rn. 2 sowie Art. 4 Rn. 6a m. w. N.[↩]
- stRspr, vgl. BVerfG, Urteile vom 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13, BVerfGE 141, 186 Rn. 32; und vom 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182 Rn.205 ff. m. w. N.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 u. a., BVerfGE 88, 203 <265 f.>.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13, BVerfGE 141, 186 Rn. 32[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 <266> zur negativen Glaubensfreiheit vgl. Beschluss vom 27.01.2015 – 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 296 Rn. 104[↩]
- vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 22.07.2013 – 6 B 3.13, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 55 Rn. 6 zu „Gehsteigberatungen“[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 17.03.2000 – 8 B 287.99, BVerwGE 111, 61 <62> und vom 06.11.2020 – 6 B 32.20 10[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.08.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 sowie vom 22.07.2020 – 6 B 9.20, Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 118 Rn. 12 jeweils m. w. N.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1/74 u. a., BVerfGE 39, 1 <42>[↩]
Bildnachweis:
- Bundesverwaltungsgericht: Robert Windisch