Eine Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG kann auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst – gar vollständig oder nachhaltig – ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten im Wissen um deren ideologische Zwecke für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lässt.

Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist in Fällen, in denen der Ausländer weder abgeschoben wurde noch freiwillig ausgereist ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO in erster und letzter Instanz zuständigen Bundesverwaltungsgerichts [1]. Für die Rechtslage ist danach § 58a AufenthG in der seitdem nicht geänderten Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 [2] maßgeblich. Bei der Beurteilung der Sachlage sind mithin das Verhalten des Ausländers und die diesbezügliche Erkenntnislage der Behörde bis zur mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen.
Nach § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.
Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß [3]. Sie findet auch auf türkische Staatsangehörige Anwendung, denen als Arbeitnehmer und/oder Familienangehörige ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 6 und/oder Art. 7 ARB 1/80 zusteht [4].
Der Begriff der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ ist – wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein [5]. In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates [6].
Das Erfordernis einer „besonderen“ Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist es nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat [7].
Wesentliche Kriterien für die Bestimmung einer „terroristischen Gefahr“ können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 09.12.1999 [8], aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Union im Beschluss des Rates Nr.2002/475/JI vom 13.06.2002 [9], dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr.2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.12.2001 [10] und Art. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates [11] gewonnen werden [12]. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden [13]. Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder „Szeneeinbindungen“, die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und geeignet sind, die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern [14].
Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG).
Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen vom 11.09.2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mithilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine besondere Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird [15]. In Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten Jihad als verpflichtend ansieht, kann von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht [16].
Für eine entsprechende „Gefahrenprognose“ bedarf es – wie bei jeder Prognose – zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen beziehungsweise Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen kann [17].
Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben.
In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, kann sich – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – in der Gesamtschau schon daraus ergeben, dass ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer sich in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in „religiösen“ Fragen regelmäßig austauscht [18]. Erst recht kann ein solches beachtliches Eintrittsrisiko anzunehmen sein, wenn die Radikalisierung eines solchen Ausländers ein Stadium erreicht, in dem sich dieser nach reiflicher Abwägung verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen.
Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung – wie jede andere staatliche Stelle – an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art.20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde [19].
§ 58a AufenthG erlaubt Maßnahmen nur zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr, die im vorbeschriebenen Umfang durch eine (vorrangig) ideologisch radikalisierte, insbesondere politisch oder religiös geprägte Gewaltanwendung oder ‑drohung gekennzeichnet ist. Fehlt es an einer ideologisch radikalen Prägung, ist einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch einen Ausländer auch bei drohenden Straftaten von erheblicher Bedeutung mit den Mitteln des Ausweisungsrechts (§§ 53 ff. AufenthG) oder nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zu begegnen; hinzu tritt der Rechtsgüterschutz durch eine konsequente Verfolgung begangener Straftaten [20].
Die ideologische Prägung der drohenden Gewaltanwendung muss dabei nicht notwendigerweise in der eigenen Überzeugung des Ausländers begründet liegen. Eine Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG kann mit Blick auf die geschützten Rechtsgüter vielmehr auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst – gar vollständig oder nachhaltig – ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten im Wissen um deren ideologische Zwecke für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lässt.
Im hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall erwies sich die Verfügung damit auch unter Berücksichtigung der von der Behörde nach Ergehen des Eilbeschlusses und der daraufhin erfolgten Entlassung aus der Abschiebungshaft vorgelegten Erkenntnisse zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin als rechtswidrig. Auch nach dem unter 2.6 konkretisierten Maßstab gelangt das Bundesverwaltungsgericht in der Gesamtschau bei umfassender Würdigung des Verhaltens des Ausländers, seiner Persönlichkeit, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung und seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen zu der Bewertung, dass die festgestellten Tatsachen im Ergebnis nicht die Bewertung tragen, dass aktuell von dem Ausländer mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine nach § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr ausgeht.
Der Ausländer hatte zwar Kontakt zu Personen der salafistischen Szene und verhält sich konspirativ, ist gewaltbereit, hat eine Affinität zu Waffen, die er sich auch beschaffen kann, konsumiert Drogen und unterhält Kontakte in die Drogenszene und zu kriminellen Clanfamilien. Beim Ausländer lässt sich aber weder eine religiöse Hinwendung zum Islam dahingehend feststellen, dass er sich in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert oder sich gar verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen, noch besteht bei einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Ausländers bereits ein beachtliches Risiko, dass er sich für derartige Ziele instrumentalisieren lässt.
Die von der Behörde angeführten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden belegen, dass der Ausländer seit etwa Mitte 2018 bis zu seiner Inhaftierung Ende März 2019 regelmäßigen Kontakt zu Personen der salafistischen Szene in K. und G. hatte. Dabei handelt es sich unter anderem um Ih. Nrf., Pxu. W., K. Vd., Pr. Do. und Ü. Fhy. Nach Erkenntnissen der Behörde sind diese Personen unter anderem verantwortlich für die Radikalisierung anderer Personen, haben persönlichen Kontakt zu Selbstmordattentätern und Jihadisten gehabt und stehen unter dem Verdacht, politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen. Belegt sind neben regelmäßigen Telefonaten Verabredungen zu Treffen und der Versuch, den Ausländer in der Haft zu besuchen und zu unterstützen. Aus den in den Protokollen zur Telekommunikationsüberwachung dokumentierten Gesprächsinhalten ergibt sich auch, dass die Beteiligten konspirativ vorgehen und etwa die direkte Telefonkommunikation vermeiden und auf Messengerdienste oder Internettelefonie ausweichen. Seit Erlass der Abschiebungsanordnung gibt es Anhaltspunkte für eine weitere Abschottung der Szene. In Gesprächen des Ausländers unter anderem mit seiner Schwester, seiner Mutter und seiner Lebensgefährtin werden verdeckte Maßnahmen der Sicherheitsbehörden erwähnt (Telefonüberwachung, verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen). Den Kontakt zu Personen aus der salafistischen Szene hat der Ausländer nach der Haftentlassung auch nicht abgebrochen. Ausweislich der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung hat er in der Zeit vom 30.07.bis 17.08.2019 versucht, zu Nrf. und Fhy. Kontakt aufzunehmen. Mit Letzterem hat ein persönliches Zusammentreffen nachweislich am 17.08.2019 stattgefunden.
Zwar sind die Einlassungen des Ausländers, wonach es sich bei den Kontakten um bloße Zufallsbekanntschaften gehandelt und er von den salafistischen Bestrebungen der Personen nichts gewusst habe, er lediglich die falschen Freunde gefunden und es sich nicht um seine zentrale Bezugsgruppe gehandelt habe, insgesamt als unglaubwürdig einzustufen. Sie werden unter anderem durch ein Telefonat vom 04.07.2019 mit einem R. S. widerlegt, nach dem er nur mit drei von „denen“ (gemeint sind Mitglieder der Salafistenszene) zu tun gehabt haben will. Nrf. habe er beim Kampfsport kennengelernt und er hätte den Kontakt schon damals abgebrochen, wenn er „das“ (gemeint ist wohl der Salafismusvorwurf gegenüber Nrf.) gewusst hätte. Auf die Vorhalte zu Treffen und Kontakten mit den genannten Personen in der mündlichen Verhandlung hat er diese zunächst abgestritten und erst auf weitere Vorhalte eingestanden. Dass es bei den Kontaktversuchen mit Nrf. nach seiner Haftentlassung nur um die Rückgabe von ausgeliehenem Handwerkzeug gegangen sei, lässt sich durch die vorgelegten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden auch unter Berücksichtigung des konspirativen Verhaltens nicht dahingehend widerlegen, dass radikal-religiöse Inhalte und Bestrebungen das wesentliche Motiv für die Kontaktaufnahme gewesen sind. Obwohl er spätestens seit Erlass der Abschiebungsanordnung von der Einstufung der Kontaktpersonen durch die Behörde wusste, hat er nach der Haftentlassung Kontakt zu Nrf. und Fhy. gesucht, wodurch bloße Zufallsbekanntschaften widerlegt werden.
Ungeachtet dessen hat der bisherige Kontakt des Ausländers zu maßgeblichen Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene in K. und G. nicht schon zu einer erkennbaren, für den Ausländer voraussichtlich auch handlungsleitenden Verwurzelung im radikal-religiösen Islamismus geführt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Kontaktaufnahmeversuche des Ausländers nach seiner Haftentlassung auf die genannten beiden Mitglieder der salafistischen Szene G. beschränkt haben und ein persönliches Zusammentreffen nachweislich nur mit Fhy. stattgefunden hat. Eine Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern der Szene, zu denen er vor seiner Verhaftung Kontakt hatte, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen dagegen nicht erfolgt. Soweit der Ausländer danach Kontakt zur Salafistenszene sucht, handelt es sich nach dem Risikoanalysebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) um eine austauschbare Bezugsgruppe. So sucht er ebenso Kontakt zum Rockermilieu, zu Clanfamilien und – über den Ankauf von Betäubungsmitteln hinaus – auch zur Drogenszene. In dem jeweiligen Milieu verwendet er symbolische Begriffe und Gesten, um auf diese Weise seine Zugehörigkeit zur Gruppe auszudrücken und Anerkennung zu erhalten. Dass es bei den Kontakten zur Salafistenszene inhaltlich primär um religiöse oder gar jihadistische, also die religiöse Gewalt verherrlichende Inhalte geht, ist dagegen nicht hinreichend erkennbar oder gar mit der gebotenen Gewissheit (§ 108 VwGO) festzustellen.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt weiterhin nicht die tatsächlichen Anhaltspunkte, die für ein von dem Ausländer ausgehendes, allgemeines Gefahrenpotential sprechen. Nach den eingeführten und nach den überwiegend nicht glaubhaften, verharmlosenden Einlassungen des Ausländers nicht erschütterten Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat der Ausländer einen Hang zu Waffen und gefährlichen Gegenständen und ist in der Lage, sich solche jederzeit zu beschaffen.
Aus verschiedenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und den im Bundeszentralregister ausgewiesenen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Gewaltdelikten ergeben sich gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Ausländer gewalttätig und ‑bereit ist und er über eine niedrige Hemmschwelle verfügt, Gewalt gegenüber anderen Personen nicht nur anzudrohen, sondern auch einzusetzen. In der Gesamtschau spricht der Inhalt der beigezogenen Akten auch in Ansehung des Vorbringens des Ausländers für eine Persönlichkeit, die durch eine mangelnde wirtschaftliche, berufliche und gesellschaftliche Integration, Beeinflussbarkeit und Anerkennungsbedürfnis sowie die Bereitschaft geprägt ist, Gewalt nicht nur (situationsbedingt) anzudrohen, sondern auch einzusetzen. So war der Ausländer Mitglied der Straßengang „Bad Boys K.“ und des Rockerclubs „United Tribuns“ und in der Türsteherszene K. aktiv. Es wurde auch über körperliche Misshandlungen seiner Lebensgefährtin berichtet.
In der jüngeren Vergangenheit wird durch ein Telefongespräch vom 30.08.2019 zwischen dem Ausländer und Pxq. De. Ndg., einer Person aus der „Betäubungsmittelszene“, belegt, dass der Ausländer zu einer tätlichen Auseinandersetzung grundsätzlich bereit ist. Auch hat er gegenüber dem Genannten am 14.09.2019 am Telefon erklärt, dass er bereit sei, bei einer Auseinandersetzung dem De. Ndg. auch mit Waffen und/oder gefährlichen Gegenständen beizustehen, wenn er gerufen werde. Auf Fotos in einem sichergestellten Handy, die der Ausländer versandt hat, sind drei unterschiedliche Pistolen, davon mindestens eine in der Hand des Ausländers zu sehen. Nach weiteren Erkenntnissen der Behörde hat der Ausländer auch Kontakt mit Q. Ndun. aufgenommen, bei dem es sich um einen gewaltbereiten Straftäter der örtlichen Betäubungsmittelszene mit Bezug zur Clankriminalität handeln soll. So erwähnte er in einem Telefongespräch mit seiner Schwester am 16.10.2019, dass er eine arabische Großfamilie kennengelernt habe und mit dieser Personengruppe unterwegs sei. In einem Telefongespräch am 26.10.2019 wurde der Ausländer gefragt, ob er in einem Restaurant, das von der Großfamilie Ndun. als Sicherheitsdienst betreut wird, arbeiten möchte. Aus einem Gespräch am 16.11.2019 ergeben sich aus Äußerungen im Zusammenhang mit dem Konflikt mit einem Türsteher am 15.11.2019 Anhaltspunkte, dass Ndun. sehr wahrscheinlich im Besitz von scharfen Schusswaffen ist. Seit dem 28.10.2019 kam es im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelkonsum des Ausländers zum Kontakt zu Fhp. Vl. und Dk.-Vc. Vl. durch vermehrte Treffen in G. Diese Personen sollen ein hohes Gewalt- beziehungsweise Aggressionspotenzial und eine grundsätzlich negative beziehungsweise feindliche Einstellung gegenüber der Polizei besitzen. Der Ausländer hatte nach Erkenntnissen der zuständigen Behörde nach seiner Haftentlassung nachweislich telefonischen Kontakt zu den Personen R. S. und Dp. U. Pk. Ndul.; bei Letzterem soll es sich um einen gewaltbereiten Straftäter aus dem Rockermilieu und dem strafbaren Menschenhandel handeln. Der Ausländer soll nach polizeilicher Bewertung mit beiden Personen sehr vertraut wirken. Wegen dieser Kontakte zum Rockermilieu kann nach Einschätzung der zuständigen Behörde ein Zugang zu Waffen unterstellt werden. Der Ausländer hat auch ein Gewaltvideo (Messerstiche und Zerstückelung eines menschlichen Körpers) in einer Chatgruppe ausgetauscht.
Die im vorliegenden Verfahren von der Behörde vorgelegten Erkenntnisse enthalten auch hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Ausländer weiterhin Drogen (neben Marihuana auch harte Betäubungsmittel) konsumiert und regelmäßigen Kontakt zu Personen aus der Drogenszene hat. Telefongespräche am 21.07.2019 mit Il.-Vh. Ndf. belegen, dass der Ausländer an diesem Tage von dem Genannten Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erworben hat. Am 23.07.2019 kam es ausweislich eines Telefongesprächs zu einem weiteren Treffen mit Ndf. In einem Telefonat mit seinem Bruder am 31.07.2019 erklärt der Ausländer, dass er es genieße, und im Vergleich zu früher einen dicken Kopf bekomme, wo er immer morgens eine geraucht habe und dann mit dem Hund spazieren gegangen sei. Er, der Ausländer, habe früher jeden Tag 25 € für Rauchen ausgegeben und immer zum Kaffee eine geraucht. Nach einem Telefongespräch vom 25.08.2019 mit Ndf. kam es zu einem Streit im Zusammenhang mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln, am 26.08.2019 kam es zu einem weiteren Zusammentreffen. Am 7., 8. und 10.09.2019 sind durch Telefongespräche Betäubungsmittelgeschäfte zwischen dem Ausländer und Ndg. belegt, die auf den Konsum von harten Betäubungsmitteln (u.a. Kokain, Amphetamin) hindeuten. In einem Telefongespräch am 8.09.2019 berichtet die Lebensgefährtin, dass der Ausländer einen Joint geraucht hat.
Der fortgesetzte Drogenkonsum des Ausländers rechtfertigt zwar die Annahme, dass das Verhalten des Ausländers als unberechenbar beziehungsweise unkalkulierbar eingeschätzt werden kann. Dies rechtfertigt aber nicht mit der gebotenen Klarheit den Schluss, dass sich die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhe, er werde bei Hinzutreten nicht vorhersehbarer Umstände zumindest eine niedrigschwellige terroristische Einzeltat begehen. Eine durch Drogenkonsum herabgesetzte Schwelle zur Gewaltbereitschaft kann für sich genommen das Hinzutreten einer hinreichenden ideologischen, politischen oder religiösen Radikalisierung beziehungsweise die Bereitschaft, sich zu diesen Zwecken instrumentalisieren zu lassen, als Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht ersetzen.
Tatsächliche Anhaltspunkte für eine „besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ ergeben sich auch nicht aus dem wiederholten aggressiven bis bedrohlichen Auftreten des Ausländers gegenüber Polizei- und Vollzugsbeamten. Verhalten und Äußerungen des Ausländers lassen das für § 58a AufenthG erforderliche Moment nicht erkennen. Das Bundesverwaltungsgericht werte sie als – nicht zu billigende beziehungsweise gerechtfertigte – anlassbezogene Reaktion des Ausländers auf konkrete Maßnahmen, die im jeweiligen Zusammenhang der Äußerungen zu betrachten sind. Sie erreichen – ihre Ernsthaftigkeit unterstellt – aber keine mit einer von § 58a AufenthG erfassten Gefahr vergleichbare Gefahrendimension. Dies gilt auch hinsichtlich der im Vermerk der Polizeiinspektion G. vom 08.11.2019 wiedergegebenen Angaben einer Person, nach denen der Ausländer geäußert haben soll, dass er beabsichtige, sich im zeitlichen Kontext der gegen ihn betriebenen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen an der Polizei sowie an dem Land Niedersachsen rächen zu wollen. In diesem Zusammenhang soll der Ausländer auf „Allah“ verwiesen haben, welcher ihm bei seiner Tatbegehung helfen werde.
Auch wenn der Ausländer danach situationsbedingt gewaltbereit und unberechenbar ist, rechtfertigt dies nicht hinreichend die Prognose einer beachtlichen Eintrittswahrscheinlichkeit einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder terroristischen Gefahr durch den Ausländer. Hierin sieht sich das Bundesverwaltungsgericht durch einen Bericht des BKA bestätigt, das die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat durch ihn unter Beibehaltung seines bisherigen Lebensstils für unwahrscheinlich hält. Voraussetzung hierfür wäre, dass sich der Ausländer tiefgehend mit der salafistischen Ideologie auseinandersetzte, ihre Werte und Normen verinnerlichte oder sich politisch ideologisierte. Ferner müsste der Ausländer ein dezidiertes Feindbild entwickeln, das er während seiner Zugehörigkeit zur radikalen Szene und trotz des Einflusses des als charismatisch und überzeugend zu beschreibenden Nrf. nicht gezeigt habe. Der Ausländer müsste die Befriedigung seiner Bedürfnisse (nach Anerkennung, Status und Respekt) einem Gruppenwillen unterordnen und die Bereitschaft entwickeln, auf ein Leben in Deutschland zu verzichten. Die einzig feststellbare Angst des Ausländers sei jedoch gerade die Aufgabe seines Lebens in Deutschland. Somit müsste der Ausländer für die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat mehrere Bedingungen erfüllen, die im Widerspruch zu seinem bisher gezeigten Verhalten stehen, so dass diese Entwicklungsmöglichkeit derzeit für unwahrscheinlich gehalten werde.
Das Verhalten des Ausländers gibt zwar Anhaltspunkte für seine weiter bestehende religiöse Orientierung. Sie trägt nach Art oder Gewicht der Anhaltspunkte aber (weiterhin) nicht die Bewertung einer inhaltlichen Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islam beziehungsweise zum militanten Jihad mit einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die Prognose der zuständigen Behörde rechtfertigen, beim im Grundsatz gewaltbereiten Ausländer bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen bereits ein beachtliches Risiko zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann. Der Annahme einer hinreichenden „Schnellradikalisierung“, die sich in der Folgezeit verfestigt oder bestätigt habe, vermag das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage der vorliegenden Tatsachen nicht zu folgen.
In einem Telefonat mit Nrf. am 25.03.2019 hat er sich nach den Grundlagen des islamischen Glaubens erkundigt und berichtet seiner Lebensgefährtin am 26.03.2019 über die Auswirkungen und die Bedeutung des Gebets für ihn. Eine islamwissenschaftliche Bewertung der zuständigen Behörde kommt zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Ausländer nicht um eine Person mit fundiertem religiösem Wissen handelt. In einem Telefongespräch vom 12.07.2019 berichtet der Ausländer seiner Mutter, dass er nach drei Monaten Gefängnisaufenthalt zu sich gekommen sei. Im Gefängnis habe er sowohl den Koran als auch die Thora gelesen. Den Koran finde er besser als die Bibel. Die anderen heiligen Bücher außer dem Koran seien im Laufe der Zeit geändert worden. Gott habe den Koran so herabgelassen, wie er jetzt sei. Er habe im Gefängnis etwas Einziges gelernt, das sei die Wahrheit. „Diese“ (gemeint die Deutschen) hätten sehr viel Angst vor seiner Religion. In einem weiteren Telefongespräch am 12.07.2019 verlangt die Mutter vom Ausländer, dass er schnellstmöglich mit dem Beten anfängt, was dieser zusagt. In einem Telefonat mit seiner Mutter am 24.07.2019 lobte der Ausländer türkische Soldaten, die er in einem YouTube-Video gesehen hat. Er wolle sich bei einer türkischen Spezialeinheit bewerben und sich für diese Menschen (türkische Soldaten) opfern. Der Sieg sei für den Gott, diese Menschen seien wie Löwen. In Telefonaten am 6. und 7.08.2019 unterhält er sich mit seiner Mutter über das Beten und lässt es sich von ihr erklären. Er wolle täglich beten, er wolle Moslem sein und freitags beten gehen, auch wenn er deshalb Schwierigkeiten bekomme. Nach einem Telefonat mit seiner Mutter am 9.08.2019 sei er anlässlich des Freitagsgebets in der Moschee gewesen und habe den Hoca gefragt, ob er einen Hund besitzen dürfe, wenn er bete. Er habe sich erklären lassen, wie viele Male man beim Freitagsgebet auf die Knie gehen solle. Nach einem Bericht der Behörde vom 09.10.2019 gehören zu den Besuchern der vom Ausländer aufgesuchten Gebetsräumlichkeiten in der L.straße 2 in G., die von den Sicherheitsbehörden als salafistischer Brennpunkt bewertet wird, Nrf. und W., bei denen es sich um Kontakt- und Begleitpersonen des Ausländers handele. In einem Telefongespräch am 11.10.2019 berichtete der Ausländer, dass er gerade aus der Moschee gekommen sei (Freitagsgebet); in einem weiteren Telefongespräch erklärte er am 18.10.2019, dass er weiterhin beten gehe.
Die von der Behörde dem Ausländer vorgehaltene weitere religiöse Befassung und dessen weitere Hinwendung zum Islam wird durch die eingeführten Erkenntnisse dahingehend belegt, dass sich der Ausländer für islamische Riten interessiert, mehr oder weniger regelmäßig betet und eine Moschee besucht. Die Einschätzung der zuständigen Behörde, die formellen Riten der Religion würden einen immer höheren Stellenwert im Leben des Ausländers einnehmen und sein Verhalten gehe mit einem islamistischen Grundpotential einher, wird von den eingeführten Erkenntnissen dagegen nicht getragen.
Eine hierfür erforderliche tiefergehende Auseinandersetzung des Ausländers mit einer salafistischen Ideologie – trotz entsprechender Szenekontakte – ist weder festzustellen noch steht diese zu erwarten, weil sie im Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten und seinem mit einer radikal-islamistischen Ideologie unvereinbarem Lebensmodell (keine Unterordnung in Strukturen beziehungsweise einem Gruppenwillen, Drogenkonsum, westlich geprägte Lebensweise, auch seiner Lebensgefährtin) beziehungsweise seiner Angst vor einer Beendigung seines Lebensmittelpunktes in Deutschland steht. Auch haben die (bisherigen) Kontakte des Ausländers zu maßgeblichen Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene in K. und G. nicht schon zu einer erkennbaren, für den Ausländer voraussichtlich auch handlungsleitenden Verwurzelung im radikal-religiösen Islamismus geführt. Auch in Ansehung der durchweg verharmlosenden Einlassungen sieht das Gericht weiterhin keinen tragfähigen Anlass für die prognostische Bewertung, dass sich der Ausländer tiefgehend mit der salafistischen Ideologie auseinandersetzt, ihre Werte und Normen verinnerlicht oder sich politisch ideologisiert. Trotz seiner Kontakte zur radikalen Szene und trotz des Einflusses des als charismatisch und überzeugend zu beschreibenden Nrf. hat der Ausländer kein dezidiertes Feindbild entwickelt.
Mangels einer eigenen Ideologisierung des Ausländers lässt sich auch aus seiner Verbindung mit jihadistischen Symbolen keine inhaltliche Radikalisierung begründen. Aus der Tätowierung eines zweischneidigen Schwerts (Schwert von Dhu l‑faqar) auf seinem rechten Unterarm kann nach islamwissenschaftlicher Bewertung eine jihadistische Gesinnung nicht abgeleitet werden, weil es sich um ein in der türkisch-arabischen Tattooszene verbreitetes Kultsymbol für Ehre und Respekt handelt. Das Versenden eines Fotos mit der Shahada-Flagge an Nrf. und das Auffinden von Fotos in sichergestellten Mobiltelefonen mit einem den Tauhid-Finger zeigenden Ausländer vor einer schwarzen Flagge des Takbir, von zwei Jungen mit Waffen und dem Tauhid-Finger posierend und mit einer Frau mit Nikab und einer Schnellfeuerwaffe mit einem Mann mit Schwert im Hintergrund kann – ähnlich dem oben unter 3.2 dargestellten Posieren mit Waffen – als Verhalten angesehen werden, mit dem er nach Geltung in der Gruppe sucht, ohne sich des ideologischen Gehalts der Symbole zu eigen gemacht oder diese gar verinnerlicht zu haben; die für das Gericht nicht glaubhafte Einlassung des Ausländers, sich nicht einmal dieses Gehalts bewusst gewesen zu sein, rechtfertigt hier nicht den Umkehrschluss.
Insgesamt ist daran festzuhalten, dass das Verhalten und die Äußerungen des Ausländers eine religiös-ideologisierte Prägung seiner Person und seines Denkens nicht zur Überzeugung des Gerichts erkennen lassen. Sie tragen (weiterhin) nicht die Bewertung einer inhaltlichen Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islam beziehungsweise zum militanten Jihad mit einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die Prognose rechtfertigt, bei dem im Grundsatz gewaltbereiten Ausländer bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen bereits ein beachtliches Risiko zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen könne.
Auch die Gefahr einer Instrumentalisierung des Ausländers für ideologisch geprägte Gewaltanwendungen ist nicht hinreichend wahrscheinlich.
Das BKA kommt in dem Risikoanalysebericht zwar zu dem Ergebnis, dass für den Ausländer ein Lebensentwurf ohne die Begehung von Straftaten als äußerst unwahrscheinlich erscheint. Sein bisher gezeigtes Verhalten, bei dem er sich trotz der drohenden Abschiebung nicht rechtskonform verhalten habe, spreche dafür, dass er weiterhin Gewaltstraftaten begehen werde. Aufgrund seiner Bereitschaft, Gewalt auch in massiver Form in unterschiedlichen Kontexten anzuwenden, sei davon auszugehen, dass hierbei in Zukunft ein Opfer massiv zu Schaden kommen oder unter Umständen sogar sein Leben verlieren werde. Im Lebenslauf des Ausländers stellten Anschluss und Anerkennung in einer Gruppe handlungsleitende Motive dar, und er würde zu diesem Zweck auch Gewaltstraftaten begehen. Auf Grund dieser Motivation und seiner guten Beziehungen zu Nrf. hält es das BKA für möglich, dass der Ausländer, ohne dass er die salafistische Ideologie übernimmt, wieder Anschluss an die salafistische Szene findet. Sollte er in diesem Umfeld eine schwere Gewalttat begehen, bestehe die Möglichkeit, dass diese – obwohl vom Ausländer nicht mit feindseligen, salafistischen Motiven ausgeübt – in der Öffentlichkeit als islamistisch motivierte und damit staatsgefährdende Gewaltstraftat im Sinne des § 89a StGB wahrgenommen werde.
Seine leichte Beeinflussbarkeit, die etwa durch die Mitgliedschaft in beziehungsweise Kontakte zu verschiedenen gewaltbereiten Gruppierungen (Straßengang „Bad Boys K.“, Rockerclub „United Tribuns“, Clanfamilie Ndun., Drogenszene) belegt ist, in denen er erkennbar Halt und Anerkennung gesucht hat, und sein Drogenkonsum sind zwar bei einer allgemeinen Gefahrenprognose in Bezug auf das Gewaltpotential des Ausländers zu berücksichtigen; über dessen religiös-extremistische Fundierung oder die Bereitschaft, dies auch zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG einzusetzen beziehungsweise sich hierfür instrumentalisieren zu lassen, geben sie indes keinen hinreichenden Aufschluss.
Bei dieser Einschätzung ist insbesondere die Persönlichkeit des Ausländers zu berücksichtigen. Sie ist zwar geprägt von einer grundsätzlichen und chronifizierten Gewaltbereitschaft, und bei der Anwendung physischer Gewalt neigt der Ausländer zu Überreaktionen. Dabei ist er durchaus in der Lage, sich zu regulieren, insbesondere, wenn er durch die Anwendung von Gewalt ein Ziel nicht erreichen kann und letztlich als Verlierer aus einer Situation hervorginge. Er kann den Aufwand gegenüber dem Nutzen sehr gut abschätzen. Auch wenn er stetig nach einem Status, Anerkennung und Respekt in einer Gruppe sucht, fehlt es ihm grundsätzlich an der Bereitschaft, sich dem Willen anderer Personen oder Gruppen anzupassen beziehungsweise unterzuordnen. Der Ausländer ist egoistisch und verhält sich rücksichtslos bei der Erreichung seiner Ziele sowie der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Hierdurch wird erkennbar, dass sein Verhalten von Denkmustern in Form von einfachen Kausalitäten geprägt ist und in der Folge nur kurzfristige Ziele angestrebt werden. Er besitzt keine ausgeprägte Weitsicht oder eine mittel- beziehungsweise langfristige Strategie sowie Planung, und eine Verhaltensänderung erscheint nach dem Risikoanalysebericht des BKA beim Ausländer in Zukunft mangels Selbstreflexion als eher unwahrscheinlich. Mit dieser Persönlichkeitsstruktur fehlt es dem Gericht an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage für die Prognose, dass es hinreichend wahrscheinlich sei, dass er sich entgegen seinem Charakter den für eine terroristische Gewaltanwendung erforderlichen Organisationsstrukturen und Planungen unterwirft und dabei mit Blick auf die bei ihm ausgeprägte Aufwand-Nutzen-Kalkulation das Risiko der Verfolgung wegen einer terroristischen Straftat mit der erheblichen Gefahr einer Aufenthaltsbeendigung eingeht.
Mangels der hinreichenden Prognose einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr durch den Ausländer und damit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 58a AufenthG ist die angefochtene Abschiebungsanordnung aufzuheben. Damit entfällt auch die Grundlage für die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten (§ 58a Abs. 3 AufenthG).
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Januar 2020 – 1 A 3.19
- zuletzt BVerwG, Urteil vom 06.02.2019 – 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 16 unter Hinweis auf Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 14[↩]
- BGBl. I S. 162; die Neufassung tritt erst am 1.03.2020 in Kraft[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 16; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24.07.2017 – 2 BvR 1487/17, NVwZ 2017, 1526 Rn.20 ff.; und vom 26.07.2017 – 2 BvR 1606/17, NVwZ 2017, 1530 Rn. 18[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 22.05.2018 – 1 VR 3.18, Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 13 Rn. 12 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 – 1 C 26.03, BVerwGE 123, 114 <120 f.>[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 21[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 23[↩]
- BGBl.2003 II S.1923[↩]
- ABl. L 164 S. 3[↩]
- ABl. L 344 S. 93[↩]
- ABl. L 88 S. 6[↩]
- vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 – 1 C 26.03, BVerwGE 123, 114 <129 f.>[↩]
- BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 – 1 C 13.10, BVerwGE 141, 100 Rn.19 m.w.N.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 22; siehe auch BVerwG, Urteil vom 06.02.2019 – 1 A 3.18, NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 31[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 25[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 VR 8.17 18[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 27[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 28[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 – 1 A 3.17, BVerwGE 159, 296 Rn. 29[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 25.06.2019 – 1 VR 1.19, NVwZ-RR 2019, 971 Rn. 17[↩]
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- Bundesverwaltungsgericht Leipzig: Robert Windisch