Ein Verwaltungsakt ist bereits formell rechtswidrig, wenn der Adressat ist entgegen (hier:) § 28 Abs. 1 LVwVfG B‑W vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden ist.

Der Verfahrensfehler ist nur unbeachtlich, wenn nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG die erforderliche Anhörung nachgeholt worden wäre.
Ist die Anhörung entgegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unterblieben, tritt eine derartige Heilung nach den vorstehenden Bestimmungen nur dann ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird [1]. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht [2]. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht ausreichen lassen [3]. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken [4].
Das dies geschehen wäre, war im hier entschiedenen Fall nicht zu erkennen: Weder dem an den Klägervertreter gerichteten Antwortschreiben des Regierungspräsidiums vom 27.05.2016, das noch nicht auf eine abschließende Stellungnahme des Klägers – sondern ein Akteneinsichtsgesuch mit Vorabhinweisen zur Sachlage – erging, noch seinem Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist zu entnehmen, dass das Regierungspräsidium in ein ergebnisoffenes kritisches Überdenken seiner Entscheidung eingetreten ist, das ein Anhörungsverfahren nachträglich ersetzen könnte. Die Klageerwiderung vom 29.03.2017 erschöpft sich in einer Verteidigung des angefochtenen Bescheids, dessen Begründung größtenteils lediglich wiederholt wird. Im Wesentlichen lediglich mit einem Satz geht das Regierungspräsidium auf die Klagebegründung ein, wenn es heißt, der Kläger habe keine plausiblen Gründe dargelegt, weshalb er keinen Kontakt zu seiner Familie herstellen könne, und er habe in keiner Weise Nachweise über seine Bemühungen erbracht. Auf das übrige Vorbringen des Klägers wird nicht eingegangen. Mit Blick auf den Umstand, dass der Kläger jedoch (neben weiterem Vortrag beispielsweise) ausdrücklich auf die vielfältigen Bemühungen zur Passbeschaffung und seine diesbezüglichen Mitwirkungsaktivitäten hingewiesen hat, die sich „aus der Akte [der Stadt Tübingen] nachvollziehen“ ließen, deren Beiziehung er bereits mit der Klageerhebung angeregt hatte, wird das Regierungspräsidium der Funktion einer (nachzuholenden) Anhörung nicht ansatzweise gerecht, wenn es dies nicht zum Anlass nimmt, Defizite in der Sachverhaltsermittlung zu beheben, um nochmals eine eigenständige Entscheidung darüber treffen zu können, ob an dem streitigen Bescheid festgehalten werden soll. Jedenfalls vermag der Einzelrichter kein veritables Überdenken der eigenen – ohne valide Sachverhaltsgrundlage ins Blaue hinein verfügten – Entscheidung zu erkennen, wenn es das Regierungspräsidium auf das Vorbringen des Klägers hin noch nicht einmal für nötig hält, etwa durch Beiziehung des Akten der unteren Klägerbehörde die nötigen Informationen zu beschaffen, um überhaupt beurteilen zu können, ob vom seit 33 Jahren geduldeten Kläger nach jahrelangen und zwischenzeitlich aufgegebenen Passbeschaffungsbemühungen aktuell noch (zumutbare) Mitwirkungshandlungen – und ggf. welche konkret – verlangt werden können. Nach der im Tatbestand kurz zusammengefasst wiedergegebenen, dem Regierungspräsidium aber bislang weit gehend unbekannten Vorgeschichte wäre dies geboten gewesen. Auch an der mündlichen Verhandlung hat das Regierungspräsidium nicht teilgenommen und damit die Möglichkeit ausgelassen, hier eine Heilung des Verfahrensfehlers zu bewirken.
Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 18. Oktober 2017 – A 5 K 2247/16
- BVerwG, Urteil vom 17.12.2015 – 7 C 5.14, NVwZ-RR 2016, 449 m.w.N.; vgl. dazu allgemein Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 45 Rn. 42 f., auch mit Hinweis auf die noch strengeren Anforderungen im Schrifttum[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.1982 – 1 C 22.81, BVerwGE 66, 111[↩]
- BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 – 3 C 14.09, BVerwGE 137, 199; Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 16.11, BVerwGE 142, 205[↩]
- vgl. Emmenegger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl.2014, § 45 Rn. 109[↩]
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