Die Ausweisung eines noch nicht eingereisten Ausländers

Ein visumpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der sich noch nie in Deutschland aufgehalten hat, kann auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG nicht ausgewiesen werden. 

Die Ausweisung eines noch nicht eingereisten Ausländers

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte ein irakischer Staatsangehöriger geklagt, der noch nie in das Bundesgebiet eingereist ist. Im Februar 2018 beantragte er bei der deutschen Botschaft in Ankara ein Visum zum Zwecke des Familiennachzuges zu seiner in Deutschland lebenden deutschen Ehefrau. Im Rahmen der Identitätsprüfung wurde festgestellt, dass gegen ihn eine von den amerikanischen Sicherheitsbehörden im Jahr 2015 veranlasste Interpol-Ausschreibung  (sog. blue notice) wegen des Verdachts der Beteiligung an terroristischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Bau einer Sprengfalle im Irak vorlag. Der Visumantrag wurde abgelehnt; das dagegen eingeleitete Klageverfahren ruht. Im März 2019 wies die Münchener Ausländerbehörde den Iraker auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG aus dem Bundesgebiet aus und verhängte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen ihn.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Verwaltungsgericht München hat diesen Bescheid aufgehoben1. Auf die Berufung der Ausländerbehörde und der Landesanwaltschaft Bayern hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen2. Der Iraker könne auf Grundlage von §§ 53 ff. AufenthG ausgewiesen werden, obwohl er noch nie in das Bundesgebiet eingereist sei. Der Aufenthalt des Irakers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Er verwirkliche ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Hinreichende Anhaltspunkte rechtfertigten die Annahme, der Iraker habe im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 HS. 2 AufenthG eine schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Abs. 1 und 2 StGB vorbereitet, indem er an der Fertigung einer Sprengfalle zumindest mitgewirkt habe. Das dadurch begründete und auch aktuell fortbestehende Ausweisungsinteresse überwiege das aus der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen resultierende besonders schwerwiegende Bleibeinteresse.

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Auf die Revision des Irakers hat das Bundesverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt:

Der angefochtene Bescheid entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind im Rahmen der Entscheidung über eine Ausweisung die Interessen an der Ausreise des Ausländers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen. Daraus wird deutlich, dass eine Ausweisung an einen Aufenthalt des Ausländers im Inland anknüpft. Dieses Ergebnis wird von gesetzessystematischen Erwägungen gestützt. So beginnt die Frist für das mit einer Ausweisung zu verbindende Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Ausreise des Ausländers (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG); die Regelung setzt damit einen der Ausweisung vorangehenden Aufenthalt in Deutschland voraus. Entsprechendes folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie dem daraus abzuleitenden Sinn und Zweck der §§ 53 ff. AufenthG, die vor allem auf die Abwehr von Gefahren für die in § 53 Abs. 1 AufenthG genannten Rechtsgüter, aber auch auf die Berücksichtigung der Bleibeinteressen des Ausländers gerichtet sind. Besteht hingegen bei einem noch nie eingereisten visumpflichtigen Ausländer ein Ausweisungsinteresse, ist dem nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes in erster Linie im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung eines Visums Rechnung zu tragen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 AufenthG). Ob es in solchen Fällen darüber hinaus einer Möglichkeit bedarf, den Ausländer auszuweisen oder ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen, bleibt der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten.

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Aufenthaltsrecht des Ausländers nach Rücknahme der Einbürgerung

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Mai 2023 – 1 C 6.22

  1. VG München, Urteil vom 07.11.2019 – VG M 24 K 19.1932[]
  2. BayVGH, Urteil vom 07.12.2021 – VGH 10 B 21.1451[]

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