Der Begriff der beitragsfähigen Erschließungsanlage stellt auch im landesrechtlichen Erschließungsbeitragsrecht auf eine „natürliche Betrachtungsweise“ ab; maßgebend ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten nach Beendigung der Ausbauarbeiten geprägte Erscheinungsbild.

Ein Abweichen von der so zu bestimmenden Erschließungsanlage ist einer Gemeinde auch nicht zu Gunsten von Anliegern unter Inkaufnahme eines Beitragsverzichts möglich. Vielmehr unterliegt der Begriff der Anlage der vollen gerichtlichen Überprüfung und ist daher dann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu korrigieren, wenn der Beitragsbescheid auch mit zutreffend bestimmter Anlage zumindest teilweise – also mit geänderter Beitragshöhe – aufrechterhalten bleiben kann.
Die unrichtige Bezeichnung der beitragspflichtigen Anlage führt nicht zur Nichtigkeit eines Erschließungsbeitragsbescheids.
Der Begriff der beitragsfähigen Erschließungsanlage ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein Begriff des Erschließungs- oder Planungsrechts, sondern ein solcher des Erschließungsbeitragsrechts1. Dieser Begriff stellt auf eine „natürliche Betrachtungsweise“ ab; maßgebend ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten nach Beendigung der Ausbauarbeiten geprägte Erscheinungsbild, nicht dagegen eine nur „auf dem Papier stehende“ planerische Festsetzung. Dies gilt – bezogen auf Anbaustraßen – nicht nur für die Frage, ob es sich bei einem Straßenzug um eine einzelne Straße oder um zwei Straßen handelt, sondern ebenso, wenn zu beurteilen ist, ob eine Stichstraße eine selbständige Anbaustraße oder lediglich ein Anhängsel zu der Anbaustraße ist, von der sie abzweigt. Dies hat zur Folge, dass die Bestimmung der beitragsfähigen Anlage im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts nicht der Dispositionsfreiheit der Gemeinde obliegt. Diese bestimmt zwar zunächst über das (Straßen-)Planungsrecht über Art und Umfang des Ausbaus einer Straße; ist eine Straße jedoch angelegt, obliegt es dem Erschließungsbeitragsrecht als dem funktional nachgeordneten (nur mit der Kostenregelung) betrauten Recht, aus dem jeweiligen tatsächlichen Zustand beitragsrechtlich Konsequenzen zu ziehen2.
Dieser noch zum bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsrecht der §§ 127 ff. BauGB entwickelten Rechtsprechung schließt sich das Verwaltungsgerichtshof für das vorliegend anzuwendende landesrechtliche Erschließungsbeitragsrecht, welches für das Land Baden-Württemberg zum 01.10.2005 in Kraft getreten ist, an. Denn die Systematik des Erschließungsbeitragsrechts hat sich insoweit nicht geändert. Aus § 37 Abs. 1 KAG geht hervor, dass auch das landesrechtliche Erschließungsbeitragsrecht von dem Grundsatz der Abrechenbarkeit einer Einzelanlage ausgeht3 und eine abweichende Bestimmung der abrechenbaren Anlage nur in Form der ausdrücklichen Bildung von Abschnitten oder Abrechnungseinheiten in der Disposition der Gemeinde steht. Begrenzungen der danach gebotenen natürlichen Betrachtungsweise können sich ansonsten lediglich aus der Beitragsfreiheit eines Teilstücks, also aus Rechtsgründen ergeben. Ein Abweichen von der so zu bestimmenden Erschließungsanlage ist einer Gemeinde mithin auch nicht zu Gunsten von Anliegern unter Inkaufnahme eines Beitragsverzichts möglich. Vielmehr unterliegt der Begriff der Anlage der vollen gerichtlichen Überprüfung und ist daher dann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu korrigieren, wenn der Beitragsbescheid auch mit zutreffend bestimmter Anlage zumindest teilweise – also mit geänderter Beitragshöhe – aufrechterhalten bleiben kann.
Die unzutreffende Bestimmung der beitragsfähigen Anlage führt vorliegend nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids, da das Verwaltungsgerichtshof aufgrund der Verpflichtung zur Spruchreifmachung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) selbst – ggf. mit Hilfestellung der beklagten Behörde – zu ermitteln und zu prüfen hat, ob der hier streitgegenständliche Geldleistungsverwaltungsakt zumindest hinsichtlich eines Teilbetrags in bestimmter Höhe („soweit“) aufrechterhalten bleiben kann4. Dies ist vorliegend möglich. Die mit der falschen Bestimmung verbundene unzutreffende Bezeichnung der Anlage im Erschließungsbeitragsbescheid hat nicht dessen Nichtigkeit zur Folge. Der Anwender wurde für sein Grundstück auch zu Recht zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen, weil dieses (auch) bei zutreffender Bestimmung der beitragsfähigen Anlage durch diese erschlossen wird und für sämtliche Bestandteile der (zutreffend bestimmten) beitragsfähigen Anlage auch die sachliche Beitragspflicht entstanden ist.
Der Umstand, dass im angefochtenen Bescheid eine unrichtige beitragspflichtige Anlage angegeben wurde, führt nicht zu dessen Nichtigkeit. Die Bezeichnung der Erschließungsanlage, für die der Beitrag erhoben wird, gehört nicht zu den Mindesterfordernissen des § 157 Abs. 1 S. 2 AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG. Fehlt die Angabe der abgerechneten Erschließungsanlage im Bescheid oder ist sie – wie vorliegend – fehlerhaft, so kann darin allenfalls ein Verstoß gegen § 121 Abs. 1 AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 b KAG liegen, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen ist, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist5. Nach § 127 AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 b KAG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der – wie hier – nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Da die Erhebung von Erschließungsbeiträgen eine rechtlich gebundene Entscheidung ist, führt somit ein Begründungsmangel des Bescheids nicht zu dessen Aufhebung6.
Verwaltungsgerichtshof Baden -Württemberg, Urteil vom 20. August 2015 – 2 S 2301/14
- vgl. BVerwG, Urteil vom 15.02.1991 – 8 C 56.89 16[↩]
- vgl. BVerwG aaO Rn. 17[↩]
- vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.02.2014 – 2 S 1215/13 [↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.09.2008 – 9 B 2.08 [↩]
- so st. Rspr. des VGH Baden-Württemberg, vgl. Beschluss vom 11.12.1990 – 2 S 354/90[↩]
- vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.1991 – 2 S 3365/89 17[↩]