Die Beschlagnahme eines Gebäudes für Flüchtlinge

Die Beschlagnahme eines Gebäudes durch eine Stadt zur Unterbringung von Flüchtlingen ist rechtswidrig, wenn nicht beachtet worden ist, dass der Eigentümer als nichtverantwortlicher Dritter nur unter den engen Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands und als „letztes Mittel“ in Anspruch genommen werden darf.

Die Beschlagnahme eines Gebäudes für Flüchtlinge

So die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg in dem hier vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren, mit dem der Eigentümer eines Grundstücks sich gegen die Beschlagnahme und gleichzeitige Einweisung von Flüchtlingen in das darauf befindliche Gebäude gewehrt hat. Auf dem Grundstück im Lüneburger Stadtteil Wilschenbruch befindet sich ein bereits entkerntes Gebäude, in dem früher ein Kinder- und Jugendheim untergebracht war. Auf dem Grundstück soll laut Investor ein neues Wohngebiet entstehen. Die Stadt Lüneburg hat am 1. Oktober 2015 die Beschlagnahme des Grundstücks – befristet auf 6 Monate – verfügt und angeordnet, dass der Eigentümer das Grundstück bis zum 12. Oktober 2015 zu räumen habe. Gleichzeitig wurde die Einweisung von 50 Flüchtlingen in das Gebäude verfügt und eine Entschädigung festgesetzt. Dagegen richtet sich der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Lüneburg seien die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nach Polizeirecht nicht gegeben. Drohende Obdachlosigkeit stelle zwar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Der Eigentümer als nichtverantwortlicher Dritter könne aber nur unter den engen Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands und als „letztes Mittel“ in Anspruch genommen werden. Die Beschlagnahme stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 Abs. 1 GG dar. Sie setze voraus, dass die Stadt die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren könne. Vor der Inanspruchnahme des Eigentums unbeteiligter Dritter sei die Stadt daher gehalten, alle eigenen Unterbringungsmöglichkeiten auszuschöpfen und ggfs. Räumlichkeiten – auch in Beherbergungsbetrieben – anzumieten, auch wenn letzteres kostenintensiv sein möge.

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Dem Verwaltungsgericht Lüneburg sei bewusst, dass die Unterbringung der derzeit hohen Zahl von Flüchtlingen eine große Herausforderung an alle Kommunen darstelle und die Bemühungen der Stadt Lüneburg mit dem von ihr erarbeiteten Konzept der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen einen wichtigen Aspekt für eine dauerhafte und zufriedenstellende Versorgung der Flüchtlinge darstelle. Dabei sei auch nicht zu beanstanden, dass eine Unterbringung in Turnhallen und Kleinstunterkünften möglichst vermieden werden solle. Dennoch obliege die Gewährung sozialer Fürsorge primär der Allgemeinheit – und damit der Stadt Lüneburg – und dürfe nur als letztes Mittel auf eine Privatperson abgewälzt werden.

Hiervon ausgehend habe die Stadt Lüneburg nicht hinreichend dargelegt, dass alle anderen Möglichkeiten der Unterbringung ausgeschöpft worden sind. Die Stadt hätte insbesondere prüfen müssen, ob Unterbringungsmöglichkeiten in der Lüneburger Jugendherberge (148 Betten) zur Verfügung stehen und diese oder Ferienwohnungen und Hotelzimmer anmieten müssen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürften bei der Inanspruchnahme keine wesentliche Rolle spielen.

Verwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 9. Oktober 2015 – 5 B 98/15