Bleibt ein Eilantrag im bayerischen Popularklageverfahren auf der Grundlage einer Folgenabwägung vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshofs bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ohne Erfolg, ist eine hiergegen – ggrfs. mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen – Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Insbesondere genügt eine solche Verfassungsbeschwerde nicht dem in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten Grundsatz der Subsidiarität.
Dieser Grundsatz verlangt, dass alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen sind, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen1.
Demgegenüber beanstanden die Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht in der Sache, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof dadurch ihren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt habe, dass er über ihren mit der Popularklage (Art. 98 Satz 4 der Bayerischen Verfassung i.V.m. Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayVfGHG) verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lediglich auf der Grundlage einer Folgenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache entschieden habe.
Sie setzen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde nicht damit auseinander, dass ihnen neben der Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen die angegriffenen Regelungen des bayerischen Landesrechts der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten durch ein Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit Art. 5 Satz 1 AGVwGO Bayern in der bis 30.04.2022 geltenden Fassung und entsprechender Eilrechtsschutz gemäß § 47 Abs. 6 VwGO offenstand2. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bayern sind im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags zu prüfen, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Dabei erlangten die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor Außerkrafttreten der Normen ergehen kann3. Das Normenkontrollverfahren gegen die im Ausgangsverfahren mit der Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof angegriffenen Regelungen hätte nach diesen Maßstäben die gerichtliche Kontrolldichte eröffnet, die die Beschwerdeführenden im hiesigen Verfahren einfordern.
Durch die daneben bestehende Möglichkeit, Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu erheben, wurde die Beschreitung dieses Rechtswegs nicht entbehrlich. Die Popularklage ermöglicht nur eine Überprüfung der Verordnung am Maßstab von Normen der Bayerischen Verfassung. Nur in diesem Umfang kann sie danach auch – nach § 47 Abs. 3 VwGO – die Prüfung der Verordnung dem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren entziehen. Im Übrigen bleibt dieses Verfahren unberührt, sodass darin die Verordnung auf ihre Vereinbarkeit mit sonstigem Landesrecht und – worauf es hier ankommt – mit Bundesrecht unter Einschluss des Bundesverfassungsrechts überprüft werden kann4.
Es war den Beschwerdeführenden auch nicht unzumutbar, dem Grundsatz der Subsidiarität zu genügen. Schwere und unabwendbare Nachteile im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, die ungeachtet der Möglichkeit eines verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Begehren der Beschwerdeführenden gebieten könnten, entstehen den Beschwerdeführenden durch die Verweisung auf diesen Rechtsweg nicht. Sie konnten – wie dargelegt – hier im fachgerichtlichen Verfahren insbesondere Eilrechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO erlangen5. Die Inanspruchnahme fachgerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzes war ihnen auch nicht im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unzumutbar6.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 BvR 2143/20
- vgl. BVerfGE 107, 395 <414>, 134, 106 <115 Rn. 27> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 35 <54> BVerfG, Beschluss vom 18.04.2020 – 1 BvR 829/20, Rn. 9[↩]
- vgl. BayVGH, Beschluss vom 12.01.2021 – 20 NE 20.2933, Rn. 33 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.04.1993 – 1 BvR 744/91, Rn. 4[↩]
- vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 18.04.2020 – 1 BvR 829/20, Rn. 9[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.04.2020 – 1 BvR 900/20, Rn. 6 m.w.N.[↩]
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