Die Meinungsäußerung einer Bundesministerin

Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität.

Die Meinungsäußerung einer Bundesministerin

Die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, greift in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein.

Die Befugnis der Bundesregierung zur Erläuterung von ihr getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben schließt das Recht ein, sich mit darauf bezogenen kritischen Einwänden sachlich auseinanderzusetzen. Ein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht nicht.

Die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung einer Partei durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, greift in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ein. Dies gilt auch außerhalb von Wahlkampfzeiten. Dabei schließt die Befugnis der Bundesregierung zur Erläuterung ihrer Maßnahmen und Vorhaben zwar das Recht ein, sich mit darauf bezogenen kritischen Einwänden sachlich auseinanderzusetzen. Ein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht jedoch nicht. Dies hat der Zweite Bundesverfassungsgericht des Bundesverfassungsgerichtes mit heute verkündetem Urteil entschieden und festgestellt, dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung 151/2015 vom 04.11.2015 auf der Homepage ihres Ministeriums die Partei „Alternative für Deutschland“ in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt hat.

Der Ausgangssachverhalt

Die Partei, die Partei „Alternative für Deutschland“, war Veranstalterin einer in Berlin für den 7.11.2015 angemeldeten Versammlung unter dem Motto „Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!“ Zu dieser Veranstaltung veröffentlichte die Bundesbildungsministerin, die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, am 4.11.2015 auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums eine Pressemitteilung, in der sie sich zu der geplanten Demonstration wie folgt äußerte: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“

Zulässigkeit des Organstreitverfahrens

Der Antrag ist zulässig.

Die Partei ist eine politische Partei, die regelmäßig an Bundestags- und Landtagswahlen teilnimmt. Als solche ist sie im Organstreit parteifähig, soweit sie eine Verletzung ihres Rechts auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb geltend macht und sich damit auf ihren besonderen, in Art. 21 GG umschriebenen verfassungsrechtlichen Status beruft1.

Die Parteifähigkeit der Bundesbildungsministerin ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 63 BVerfGG. Bundesminister sind als Teile des obersten Staatsorgans Bundesregierung im Grundgesetz (Art. 65 Satz 2 GG) sowie in der Geschäftsordnung der Bundesregierung (§§ 9 bis 12, 14a GOBReg) mit eigenen Rechten ausgestattet und daher „andere Beteiligte“ im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG2.

Die Bundesbildungsministerin hat die Parteifähigkeit im Organstreitverfahren nicht dadurch verloren, dass ihr Amt als Bundesministerin gemäß Art. 69 Abs. 2 GG mit dem Zusammentritt des 19. Deutschen Bundestages am 24.10.2017 endigte. Maßgeblich für die Beurteilung der Parteifähigkeit eines Beteiligten im Organstreit ist grundsätzlich sein Status zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist3.

Die Partei ist antragsbefugt, da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Bundesbildungsministerin durch die streitgegenständliche Presseerklärung vom 04.11.2015 die verfassungsrechtlichen Grenzen der Äußerungsbefugnisse von Regierungsmitgliedern überschritten und dadurch die Partei in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat.

Soweit die Partei in diesem Zusammenhang auf eine Verletzung ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) verweist, kann sie eine solche im Organstreit nicht unmittelbar rügen. Parteien können im Organstreitverfahren nur Rechte geltend machen, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben. In einem Organstreit kann die geltend gemachte Verletzung eines Grundrechts durch ein anderes Verfassungsorgan daher allenfalls insoweit erheblich sein, als die Partei damit eine die Grundsätze der Staatsfreiheit und Chancengleichheit verletzende Sonderbehandlung rügt4.

Diese Möglichkeit hat die Partei aufgezeigt: Der verfassungsrechtliche Auftrag der Parteien zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst auch den Schutz der parteitypischen Betätigung im kommunikativen Bereich. Den Parteien steht es frei, innerhalb der rechtlich vorgegebenen Grenzen zu bestimmen, welcher Medien sie sich bei der Erfüllung ihres Auftrags zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung bedienen wollen5. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt demgemäß auch das Recht der Parteien, im Wege einer Versammlung auf ihre politischen Ziele hinzuweisen, für diese zu werben und ihnen im öffentlichen Diskurs Beachtung zu verschaffen. Hiervon ausgehend ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Bundesbildungsministerin mit ihrer Presseerklärung vom 04.11.2015 auf die kommunikative Betätigung der Partei in einer Weise eingewirkt hat, die deren Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

Das auch im Organstreit erforderliche Rechtsschutzbedürfnis6 liegt vor. Es ist weder durch den Erlass der einstweiligen Anordnung vom 07.11.2015 und die daraufhin erfolgte Entfernung der streitgegenständlichen Presseerklärung von der Homepage des Ministeriums noch dadurch entfallen, dass die in der Erklärung in Bezug genommene Demonstration der Partei zwischenzeitlich stattgefunden hat. Auch die Beendigung des Ministeramts der Bundesbildungsministerin gemäß Art. 69 Abs. 2 GG hat das Rechtsschutzbedürfnis der Partei nicht entfallen lassen.

Die Bundesbildungsministerin hat die Pressemitteilung 151/2015 zwar von der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entfernt, nachdem ihr dies durch die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.11.20157 aufgegeben worden war. Dies lässt das Rechtsschutzbedürfnis der Partei jedoch nicht entfallen, da die einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 7 Satz 2 BVerfGG nach einem Monat außer Kraft getreten ist und die Bundesbildungsministerin ab diesem Zeitpunkt nicht gehindert gewesen wäre, sich über die Partei erneut in einer der streitgegenständlichen Presseerklärung entsprechenden Weise zu äußern.

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Der Partei fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auch nicht deshalb, weil die in der Presseerklärung in Bezug genommene Demonstration am 7.11.2015 stattgefunden und sich der Anlass für die Äußerung der Bundesbildungsministerin damit erledigt hat. Im Organstreitverfahren entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht allein dadurch, dass die beanstandete Rechtsverletzung in der Vergangenheit liegt und bereits abgeschlossen ist8. Selbst wenn man in diesen Fällen ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse fordern wollte, läge dieses vorliegend in der Form einer Wiederholungsgefahr und eines objektiven Klarstellungsinteresses vor9. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Regierungsmitglieder bei weiteren Versammlungen oder sonstigen Aktivitäten der Partei erneut in einer der Presseerklärung der Bundesbildungsministerin vergleichbaren Weise äußern. Für die Partei besteht daher ein erhebliches Interesse an der Klärung der Frage, welche Äußerungsbefugnisse Regierungsmitglieder in Bezug auf von ihr durchgeführte Demonstrationen haben.

Schließlich steht dem Rechtsschutzbedürfnis der Partei auch die Beendigung des Ministeramts der Bundesbildungsministerin nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht entgegen, ohne dass es auf die Verpflichtung der Bundesbildungsministerin zur Fortführung der Geschäfte gemäß Art. 69 Abs. 3 GG ankommt.

Mit dem Schriftsatz zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens vom 27.01.2016 hat die Partei die Frist gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG gewahrt.

Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien

Der Antrag ist begründet. Die Veröffentlichung der Pressemitteilung 151/2015 auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verletzt die Partei in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG.

Der aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgende Grundsatz der Chancengleichheit umfasst das Recht der Parteien, durch Demonstrationen und Versammlungen an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Damit ist die einseitige Einflussnahme von Staatsorganen auf die Ankündigung oder Durchführung politischer Kundgebungen grundsätzlich unvereinbar. Auch soweit die Bundesregierung von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, hat sie das Gebot der Neutralität staatlicher Organe zu beachten. Dies schließt zwar die Zurückweisung der an ihrer Politik geübten Kritik nicht aus; dabei ist sie aber darauf beschränkt, in sachlicher Weise über ihre Arbeit zu informieren und sich mit erhobenen Vorwürfen auseinanderzusetzen. Nichts anderes gilt, soweit ein einzelnes Mitglied der Bundesregierung sich unter Inanspruchnahme seiner Amtsautorität an einer derartigen Auseinandersetzung beteiligt.

In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art.20 Abs. 1 und 2 GG). Demokratische Legitimation im Sinne des Art.20 Abs. 2 GG vermögen Wahlen und Abstimmungen aber nur zu vermitteln, wenn sie frei sind. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern auch, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können10.

In diesem Prozess kommt in der modernen parlamentarischen Demokratie politischen Parteien entscheidende Bedeutung zu11. Art. 21 GG verleiht dem dadurch Ausdruck, dass Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Einrichtungen für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben worden sind. Parteien sind frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen, die in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinwirken, ohne diesem selbst anzugehören12. Ihnen kommt eine spezifische Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft zu. Es handelt sich um politische Handlungseinheiten, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen13.

Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss14. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt15.

Im Rahmen der durch Art. 21 Abs. 1 GG gewährleisteten Handlungsfreiheit bleibt es den Parteien grundsätzlich selbst überlassen, unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben darüber zu befinden, welcher Medien oder sonstigen Kommunikationsmöglichkeiten sie sich bei der Wahrnehmung des ihnen übertragenen Verfassungsauftrages bedienen5. Daher umfasst der Grundsatz der Chancengleichheit auch das Recht der Parteien, durch die Veranstaltung von Kundgebungen am politischen Wettbewerb teilzunehmen. Demonstrationen sind in der freiheitlichen Demokratie wesentliche Instrumente der Meinungskundgabe, die geeignet sind, den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes in erheblichem Umfang zu beeinflussen. Für die Parteien stellen sie – insbesondere wenn diese sich in der Opposition befinden – ein wichtiges Mittel des politischen Meinungskampfes dar.

Neutralitätspflicht staatlicher Organe

Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Demgemäß wird in den Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG eingegriffen, wenn staatliche Organe auf die Ankündigung oder Durchführung politischer Kundgebungen in einseitig parteiergreifender Weise reagieren.

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Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die staatliche Einwirkung in den Wahlkampf zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern dem aus Art. 21 Abs. 1 GG resultierenden Status der Parteien widerspricht. Die Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten16. Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen17.

Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität18. Denn der Prozess der politischen Willensbildung ist nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern findet fortlaufend statt. Die Willensbildung des Volkes und die Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich in vielfältiger und vor allem tagtäglicher Wechselwirkung19. Zwar mag der politische Wettbewerb zwischen den Parteien im Wahlkampf mit erhöhter Intensität ausgetragen werden; er herrscht aber auch außerhalb von Wahlkämpfen und wirkt auf die Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler zurück. Ob in Zeiten des Wahlkampfs das Neutralitätsgebot zu verschärften Anforderungen an das Verhalten staatlicher Organe führt, kann dahinstehen20. Jedenfalls gilt das Gebot staatlicher Neutralität nicht nur für den Wahlvorgang und die Wahlvorbereitung21, sondern für sämtliche Betätigungen der Parteien, die auf die Erfüllung des ihnen durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrags gerichtet sind22. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit23.

Damit ist es grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn Staatsorgane die Ankündigung oder Durchführung einer politischen Kundgebung zum Anlass nehmen, sich unter Missachtung des Neutralitätsgebots einseitig mit der Kundgebung oder der diese veranstaltenden Partei auseinanderzusetzen.

Dies ist der Fall, wenn das Handeln staatlicher Organe darauf gerichtet ist, die Durchführung politischer Demonstrationen oder das Verhalten potentieller Teilnehmer zu beeinflussen. Veranstaltet eine Partei eine politische Kundgebung, nimmt sie damit den ihr durch Art. 21 Abs. 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrag wahr. Staatliche Organe sind verpflichtet, dies im Rahmen der ihnen obliegenden Neutralitätspflicht hinzunehmen. Sie sind nicht dazu berufen, Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an von einer Partei angemeldeten Demonstrationen zu veranlassen24. Ein Eingriff in den Anspruch der Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb liegt dabei nicht erst vor, wenn Staatsorgane unmittelbar zum Boykott einer bestimmten politischen Kundgebung aufrufen25 oder für den Fall der Teilnahme rechtliche oder tatsächliche Sanktionen in Aussicht stellen. Da jegliche negative Bewertung einer politischen Veranstaltung, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen26, die gleichberechtigte Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung beeinträchtigt, greift bereits ein derartiges Verhalten in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein.

Darüber hinaus liegt ein Eingriff in dieses Recht auch vor, wenn staatliche Organe aus Anlass einer politischen Kundgebung negative oder positive Werturteile über die veranstaltende Partei abgeben. Auch insoweit verlangt der Grundsatz der Neutralität, dass staatliche Organe sich der offenen oder versteckten Werbung für oder gegen einzelne miteinander konkurrierende Parteien enthalten27.

Informations- und Öffentlichkeitsarbeit?

Auch wenn die Bundesregierung von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, entbindet sie dies nicht von der Beachtung des Neutralitätsgebots.

Die Bundesregierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt28. Die ihr gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegende Aufgabe der Staatsleitung29 schließt als integralen Bestandteil – und damit unabhängig von einer gesonderten gesetzlichen Ermächtigung30 – die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein31. Diese ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie der Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen32. Sie umfasst die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit33. Dabei kann die Bundesregierung auch Empfehlungen und Warnungen aussprechen34.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die der Bundesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen beinhaltet35.

Als Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht, ist es daher zwar hinzunehmen, dass das Regierungshandeln sich in erheblichem Umfang auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien auswirkt36. Davon ist aber der zielgerichtete Eingriff der Bundesregierung in den Wettbewerb der politischen Parteien zu unterscheiden. Es ist der Bundesregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen37.

Demgemäß endet die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dort, wo Werbung für einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien beginnt. Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nutzt, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen38.

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Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei hat sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren.

Die Befugnis der Bundesregierung zur Erläuterung von ihr getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben schließt das Recht ein, sich mit darauf bezogenen kritischen Einwänden sachlich auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung muss es insbesondere nicht hinnehmen, wenn ihre Arbeit auf der Grundlage unzutreffender Tatsachenbehauptungen oder in unsachlicher und diffamierender Weise angegriffen wird. Andernfalls wäre das Ziel der Öffentlichkeitsarbeit, durch die Erläuterung der Regierungspolitik den notwendigen Grundkonsens der Bürgerinnen und Bürger im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten39, nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen erreichbar. Daher darf die Bundesregierung gegen ihre Politik erhobene Vorwürfe aufgreifen, fehlerhafte Tatsachenbehauptungen richtigstellen und unsachliche Angriffe zurückweisen.

Dies gilt auch, soweit die Regierungspolitik durch politische Parteien angegriffen wird. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Regierungshandeln ist ein zentraler Bestandteil des politischen Wettbewerbs. Der Grundsatz gleichberechtigter Teilnahme der Parteien an diesem Wettbewerb führt indes nicht dazu, dass die Bundesregierung verpflichtet wäre, parteipolitische Angriffe auf das Regierungshandeln ausnahmslos hinzunehmen. Vielmehr besteht auch insoweit das Recht der Bundesregierung, auf aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Angriffe in angemessener Form öffentlich zu reagieren. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die politischen Parteien nicht vor einer sachlichen Auseinandersetzung der Bundesregierung mit den gegen ihr Handeln erhobenen Vorwürfen40.

Das Neutralitätsgebot verpflichtet die Bundesregierung allerdings auch in diesen Fällen, einseitig parteiergreifende Stellungnahmen zugunsten oder zulasten einzelner politischer Parteien zu unterlassen. Die Erläuterung ihrer Politik und die Zurückweisung der darauf zielenden Einwände darf sie nicht zum Anlass nehmen, für Regierungsparteien zu werben oder Oppositionsparteien zu bekämpfen. Stattdessen hat sie sich darauf zu beschränken, ihre politischen Entscheidungen zu erläutern und dagegen vorgebrachte Einwände in der Sache aufzuarbeiten.

Wie jedes Staatshandeln unterliegt auch die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dem Sachlichkeitsgebot41. Das schließt die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Darüber hinausgehende, mit der Kritik am Regierungshandeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen sind demgegenüber zu unterlassen42. Derart unsachliche, diskriminierende oder diffamierende Äußerungen über Parteien stellen, auch wenn diese nur als Reaktion auf erhobene Vorwürfe erfolgen, eine unzulässige einseitige Parteinahme im politischen Wettbewerb dar, die den Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt43.

Ein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht nicht. Die Auffassung der Bundesbildungsministerin, reaktive Äußerungen auf verbale Angriffe seien vom Neutralitätsprinzip gedeckt, soweit und solange sie sich nach Form und Inhalt in dem Rahmen hielten, der durch die kritische Äußerung vorgegeben worden sei, geht fehl. Sie hätte zur Folge, dass die Bundesregierung bei einem auf unwahre Behauptungen gestützten Angriff auf ihre Politik ihrerseits berechtigt wäre, unwahre Tatsachen zu verbreiten. Dem steht die Verpflichtung staatlicher Organe entgegen, in Bezug genommene Tatsachen korrekt wiederzugeben44. Auch der Hinweis, die gesellschaftliche Entwicklung habe dazu geführt, dass nur das „lautstark“ Gesagte Gehör finde, und dass es nicht sein könne, dass eine politische Partei sich das Recht nehme, diskreditierend in der öffentlichen Debatte zu agieren und gleichzeitig von staatlichen Organen eine zurückhaltende Sprache einzufordern45, ändert nichts daran, dass der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG der abwertenden Beurteilung einzelner politischer Parteien durch staatliche Organe grundsätzlich entgegensteht. Die Bundesregierung ist darauf beschränkt, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit über das Regierungshandeln aufzuklären, hiergegen erhobene Vorwürfe in der Sache aufzuarbeiten und diffamierende Angriffe zurückzuweisen. Darüber hinausgehender wertender Einflussnahmen auf den politischen Wettbewerb und die an diesem beteiligten Parteien hat sie sich – auch soweit es sich um bloß reaktive Äußerungen handelt – aufgrund der Gebote der Neutralität und Sachlichkeit zu enthalten.

a)) Für die Äußerungsbefugnisse eines einzelnen Mitglieds der Bundesregierung kann nichts anderes gelten als für die Bundesregierung als Ganzes. Handelt das Regierungsmitglied in Wahrnehmung seines Ministeramts, hat es gemäß Art.20 Abs. 3 GG in gleicher Weise wie die Bundesregierung den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu beachten. Es ist ihm im Rahmen seiner Regierungstätigkeit von Verfassungs wegen untersagt, einseitig im politischen Wettbewerb stehende Parteien zu bekämpfen oder zu unterstützen46.

Dies schließt allerdings nicht aus, dass ein Regierungsmitglied außerhalb seiner amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnimmt. Die bloße Übernahme eines Regierungsamts hat nicht zur Folge, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht, da die die Regierung tragenden Parteien anderenfalls in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt würden47. Es muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten, die den politischen Wettbewerbern verschlossen sind, unterbleibt.

Dem Neutralitätsgebot steht nicht entgegen, dass der Inhaber eines Regierungsamts regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen wird. Zwar mögen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger aufgrund der Verschränkung von staatlichem Amt und parteipolitischer Zugehörigkeit gegenüber dem einzelnen Regierungsmitglied nur begrenzte Neutralitätserwartungen bestehen48, unabhängig davon bleibt es aber verfassungsrechtlich geboten, den Prozess der politischen Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen durch die chancengleiche Teilnahme der Parteien am politischen Wettbewerb im weitest möglichen Umfang zu gewährleisten Rn. 42)). Deshalb führt der Umstand, dass eine strikte Trennung der Sphären des „Bundesministers“, des „Parteipolitikers“ und der politisch handelnden „Privatperson“ nicht möglich ist, nicht zur Unanwendbarkeit des Neutralitätsgebots im ministeriellen Tätigkeitsbereich49.

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Vielmehr ist davon auszugehen, dass bereits die Wahrnehmung der Aufgabe der Staatsleitung durch die Bundesregierung als Ganzes ebenso wie durch ihre einzelnen Ministerinnen und Minister in vielfältiger Weise auf die politische Willensbildung des Volkes einwirkt Rn. 52 ff.)). Auch wenn dies als Folge der vorgefundenen Wettbewerbslage im politischen Prozess hinzunehmen ist50, hat eine darüber hinausgehende Beeinflussung dieser Wettbewerbslage durch staatliches Handeln zu unterbleiben51. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt daher vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen52. Demgemäß verstößt eine parteiergreifende Äußerung eines Bundesministers im politischen Meinungskampf gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und verletzt die Integrität des freien oder offenen Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amts fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen52. Die aus dem Grundsatz der Chancengleichheit folgende Bindung der Mitglieder der Bundesregierung an das Neutralitätsgebot in ihrem dienstlichen Tätigkeitsbereich entspricht einem im Amtseid gemäß Art. 64 Abs. 2, Art. 56 GG zum Ausdruck kommenden Amtsverständnis, wonach das Ministeramt unparteiisch gegenüber jedermann und zum Wohle des (gesamten) deutschen Volkes wahrzunehmen ist. Für eine parteiergreifende Teilnahme am politischen Wettbewerb ist die spezifische Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamts oder der damit verbundenen Ressourcen dagegen aus Verfassungsgründen ausgeschlossen.

Demgegenüber kann nicht darauf verwiesen werden, die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes auf regierungsamtliche Äußerungen erschwere den Mitgliedern der Bundesregierung die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Verantwortlichkeit und führe zu einer „Entpolitisierung“ des Regierungshandelns53. Eine solche Argumentation lässt außer Betracht, dass das Neutralitätsgebot die Bundesregierung und ihre Mitglieder nicht daran hindert, über politische Vorhaben und Maßnahmen zu informieren sowie unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots Angriffe und Vorwürfe zurückzuweisen. Die Wahrnehmung parlamentarischer Verantwortlichkeit und das Führen der politischen Sachdebatte sind daher auch bei Geltung des Neutralitätsgrundsatzes nicht infrage gestellt. Die Mitglieder der Bundesregierung sind durch das Neutralitätsgebot lediglich daran gehindert, im Rahmen der Ausübung der Regierungstätigkeit einseitig Partei zu ergreifen oder bei der Teilnahme am allgemeinen politischen Wettbewerb auf die spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramts zurückzugreifen.

Der Einwand, die Abgrenzung zwischen ministeriellen Äußerungen, die dem Neutralitätsgebot unterfallen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, wirke nicht nur konstruiert und lebensfremd, sondern könne auch nicht mit einem hinreichenden Maß an Rechtssicherheit erfolgen54, geht fehl. Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung in Ausübung des Ministeramts stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen55. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu Kriterien entwickelt, die die Unterscheidung zwischen einer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamts und der damit verbundenen Ressourcen einerseits und der bloßen Beteiligung am politischen Meinungskampf andererseits ermöglichen56. Dabei hat er insbesondere klargestellt, dass die Amtsautorität in Anspruch genommen wird, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen sowie auf der offiziellen Internetseite seines Geschäftsbereichs erklärt oder wenn Staatssymbole und Hoheitszeichen eingesetzt werden57. Bei sonstigen öffentlichen Äußerungen ist es dem Amtsinhaber im Übrigen unbenommen, klarstellend darauf hinzuweisen, dass es sich um Beiträge im politischen Meinungskampf jenseits der ministeriellen Tätigkeit handelt.

Der Boykottaufruf der Bundesbildungsministerin

Nach diesen Maßstäben hat die Bundesbildungsministerin mit ihrer Pressemitteilung 151/2015 vom 04.11.2015 die Partei in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Durch die Veröffentlichung auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums hat sie diese Erklärung mit der Autorität ihres Ministeramts unterlegt. Der Inhalt der Erklärung missachtet das Recht der Partei auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb. Dieser Eingriff ist durch das Recht der Bundesbildungsministerin auf öffentliche Darlegung und Verteidigung des Regierungshandelns nicht gerechtfertigt.

Die Bundesbildungsministerin hat bei der Abgabe der Pressemitteilung 151/2015 vom 04.11.2015 in Wahrnehmung ihres Regierungsamts gehandelt. Sie hat die Erklärung unter Verwendung des Dienstwappens auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums veröffentlicht und damit ihr aufgrund des Ministeramts zustehende Ressourcen in Anspruch genommen. Mit der Einstellung der Pressemitteilung auf der offiziellen Internetseite des Ministeriums sowie der Verwendung des Dienstwappens hat sie in spezifischer Weise auf die Autorität dieses Amts zurückgegriffen.

Einem Handeln in amtlicher Funktion steht nicht entgegen, dass die Bundesbildungsministerin im Text der Pressemitteilung nicht ausdrücklich auf ihr Ministeramt Bezug genommen, sondern sich nur unter ihrem bürgerlichen Namen geäußert hat. Die Homepage eines Bundesministeriums dient der Verlautbarung von Mitteilungen zu Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich. Daher stellt sich die Pressemitteilung vom 04.11.2015 nach ihrem objektiven Erscheinungsbild als Verlautbarung der Bundesbildungsministerin in ihrer Eigenschaft als Bundesministerin für Bildung und Forschung dar. Der Verzicht auf die Amtsbezeichnung reicht nicht aus, um ein Handeln in nichtamtlicher Funktion zu dokumentieren. Außerdem erkennt die Bundesbildungsministerin selbst an, dass sie bei der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Pressemitteilung in amtlicher Funktion gehandelt hat, wenn sie darauf verweist, dass sie als Mitglied der Bundesregierung in Ausübung ihres Ministeramts einen Angriff auf die Regierungspolitik unter Einsatz ihrer Amtsressourcen zurückgewiesen habe.

Die Bundesbildungsministerin hat durch die Verbreitung ihrer Presseerklärung auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums den Grundsatz der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb missachtet und dadurch das Recht der Partei aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Die Presseerklärung beinhaltet sowohl einseitig negative Bewertungen der Partei als auch den Versuch, das Verhalten potentieller Teilnehmer an der für den 7.11.2015 geplanten Demonstration zu beeinflussen.

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Die Bundesbildungsministerin spricht sich in ihrer Erklärung dafür aus, der Partei die „Rote Karte“ zu zeigen. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Sprecher der Partei „der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub leisten“. Außerdem wird der Partei ausdrücklich angelastet, dass durch das Verhalten von Björn Höcke und anderen Sprechern der Partei „Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben, wie der Pegida-Chef Bachmann, unerträgliche Unterstützung erhalten“. Die in diesen Aussagen enthaltene abwertende Qualifizierung der Partei als eine Partei, die den Rechtsextremismus und die Radikalisierung der Gesellschaft fördert, ist geeignet, deren Position im politischen Meinungskampf zu beeinträchtigen. Die Bundesbildungsministerin fordert durch die Verwendung der Metapher der „Roten Karte“ erkennbar dazu auf, sich von der Partei zu distanzieren, und wirkt dadurch einseitig zu deren Lasten auf den politischen Wettbewerb ein.

Daneben ist die Presseerklärung darauf gerichtet, das Verhalten potentieller Teilnehmer an der von der Partei für den 7.11.2015 geplanten Demonstration zu beeinflussen.

Sie enthält zwar keinen ausdrücklichen Aufruf zum Boykott der von der Partei angekündigten Demonstration. Auch werden potentiellen Versammlungsteilnehmern weder Sanktionen angedroht, noch wird ihre Teilnahme faktisch behindert oder in sonstiger Weise unmöglich gemacht.

Entgegen der Auffassung der Bundesbildungsministerin enthält sich die Presseerklärung aber keineswegs einer Bewertung der Teilnahme an dieser Versammlung. Vielmehr wird die geplante Demonstration ausdrücklich als Anlass für die Pressemitteilung ausgewiesen. Zugleich kommt erkennbar die Auffassung der Bundesbildungsministerin zum Ausdruck, dass mit der Teilnahme an dieser Versammlung eine Partei gestärkt würde, deren Sprecher der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub leisteten und Rechtsextreme unterstützten. Die Forderung, einer solchen Partei die „Rote Karte“ zu zeigen, stellt sich vor diesem Hintergrund zumindest als mittelbare Aufforderung dar, der geplanten Demonstration fernzubleiben. Eine derartige Aufforderung missachtet das Gebot der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb.

Der durch die Pressemitteilung vom 04.11.2015 bewirkte Eingriff in das Recht der Partei auf Chancengleichheit ist nicht durch die Befugnis der Bundesbildungsministerin zur öffentlichen Erläuterung des Regierungshandelns und zur Zurückweisung hiergegen gerichteter Angriffe gerechtfertigt.

Dabei kann dahinstehen, ob einer Rechtfertigung des Eingriffs in das Recht der Partei aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG bereits entgegensteht, dass der streitgegenständlichen Presseerklärung vom 04.11.2015 ein inhaltlicher Bezug zu dem von der Bundesbildungsministerin geleiteten Geschäftsbereich fehlt.

Grundsätzlich setzt die Befugnis staatlicher Organe zur Öffentlichkeitsarbeit die Beachtung der bestehenden Kompetenzordnung voraus58. Für die Bundesregierung ergibt sich dabei die Verteilung der Zuständigkeiten aus Art. 65 GG. Eine Berufung der Bundesbildungsministerin auf Art. 65 Satz 2 GG kommt hier nicht in Betracht, da die streitgegenständliche Pressemitteilung jeglichen Bezug zu dem ihr übertragenen Geschäftsbereich der Bildungs- und Forschungspolitik vermissen lässt. Ob der Bundesbildungsministerin auch darüber hinaus als Mitglied des Kollegialorgans Bundesregierung eine eigenständige Befugnis zukommt, Angriffe auf die Regierungspolitik und insbesondere auf das Handeln der Bundeskanzlerin zurückzuweisen, kann dem Wortlaut von Art. 65 GG nicht ohne Weiteres entnommen werden.

Unabhängig davon steht einer Rechtfertigung des Eingriffs der Bundesbildungsministerin in das Recht der Partei auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb jedenfalls entgegen, dass die Pressemitteilung 151/2015 die sich aus den Geboten der Neutralität und Sachlichkeit ergebenden Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitet. Weder hat die Presseerklärung die Information über das Regierungshandeln zum Gegenstand, noch werden hiergegen erhobene Vorwürfe in sachlicher Form zurückgewiesen.

Zwar wird in der Pressemitteilung auf die von der Partei für den 7.11.2015 angekündigte und gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gerichtete Demonstration Bezug genommen. Zugleich sind der Pressemitteilung aber keinerlei erläuternde Informationen über das Handeln der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik oder in einem sonstigen Politikbereich zu entnehmen. Zudem fehlt es an jeglicher sachlicher Aufarbeitung von gegen das Handeln der Bundesregierung oder der Bundeskanzlerin gerichteten Vorwürfen. Stattdessen beschränkt sich die Pressemitteilung auf den Vorwurf an die Partei, deren Sprecher leisteten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub und gewährten Rechtsextremen unerträgliche Unterstützung. Hinzu kommt die Aufforderung der Bundesbildungsministerin, der Partei die „Rote Karte“ zu zeigen, und damit jedenfalls mittelbar der Aufruf, der Demonstration am 7.11.2015 fernzubleiben. Informationen über politische Maßnahmen und Vorhaben der Bundesregierung oder eine Zurückweisung hiergegen gerichteter Vorwürfe enthält die Presseerklärung der Bundesbildungsministerin dagegen nicht. Vielmehr stellt sie einen parteiergreifenden Angriff auf die Partei im politischen Wettbewerb aus Anlass der Ankündigung einer politischen Kundgebung dar. Damit überschreitet die Bundesbildungsministerin die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Mitglieder.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Bundesbildungsministerin, die Veröffentlichung der Pressemitteilung auf der Homepage des Ministeriums sei für sie die einzige Möglichkeit gewesen, am politischen Meinungskampf teilzunehmen, da sie nicht über ein Bundestagsmandat verfügt habe. Dieses Argument verkennt Bedeutung und Funktion des aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien fließenden Neutralitätsgebots grundlegend. Dass die Bundesbildungsministerin nicht über ein Bundestagsmandat verfügt hat, rechtfertigt nicht die Beeinträchtigung eines chancengleichen Wettbewerbs zwischen den politischen Parteien durch den Rückgriff auf die Ressourcen des von ihr ausgeübten Regierungsamts. Der Bundesbildungsministerin ist es unbenommen, sich der den Parteien zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten im politischen Meinungskampf zu bedienen. Ein Rückgriff auf staatliche Ressourcen hat jedoch zu unterbleiben, da ansonsten einer mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbaren Verfälschung der vorgefundenen Wettbewerbslage Tür und Tor geöffnet wäre.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 27. Februar 2018 – 2 BvE 1/16

  1. vgl. BVerfGE 4, 27, 30 f.; 11, 239, 241 f.; 14, 121, 129; 20, 18, 22 f.; 24, 260, 263; 24, 300, 329; 44, 125, 136 f.; 60, 53, 61; 73, 40, 65; stRspr[]
  2. vgl. BVerfGE 45, 1, 28; 90, 286, 338; 138, 102, 107 Rn. 22[]
  3. vgl. BVerfGE 4, 144, 152; 102, 224, 231; 108, 251, 270 f.; 136, 277, 299 f. Rn. 60; 139, 194, 220 Rn. 96; 140, 115, 138 Rn. 55; BVerfG, Urteil vom 07.11.2017 – 2 BvE 2/11 162[]
  4. vgl. BVerfGE 84, 290, 299[]
  5. vgl. BVerfGE 121, 30, 57[][]
  6. vgl. BVerfGE 62, 1, 33; 67, 100, 127; 68, 1, 77; 119, 302, 307 f.; 124, 78, 113; 140, 115, 146 Rn. 80; BVerfG, Urteil vom 07.11.2017 – 2 BvE 2/11 178[]
  7. BVerfGE 140, 225[]
  8. vgl. BVerfGE 10, 4, 11; 49, 70, 77; 121, 135, 152; 131, 152, 193[]
  9. vgl. dazu BVerfGE 119, 302, 308 f.; 121, 135, 152; 131, 152, 193 f.; 137, 185, 230 Rn. 127; BVerfG, Urteil vom 07.11.2017 – 2 BvE 2/11 187[]
  10. vgl. BVerfGE 20, 56, 97; 44, 125, 139; 138, 102, 109 Rn. 27[]
  11. vgl. BVerfGE 44, 125, 145; 138, 102, 110 Rn. 29[]
  12. vgl. BVerfGE 20, 56, 101; 44, 125, 145; 52, 63, 82 f.; 73, 40, 85; 104, 14, 19[]
  13. vgl. BVerfGE 11, 266, 273; 69, 92, 110; 73, 40, 85; 107, 339, 358 f.; 121, 30, 53 f.[]
  14. vgl. BVerfGE 24, 300, 340 f.; 44, 125, 146; 138, 102, 110 Rn. 30[]
  15. vgl. BVerfGE 44, 125, 139; 138, 102, 110 Rn. 29[]
  16. BVerfGE 44, 125, 144[]
  17. vgl. BVerfGE 44, 125, 144; 136, 323, 333 Rn. 28; 138, 102, 110 f. Rn. 31[]
  18. vgl. BVerfGE 140, 225, 227 Rn. 9[]
  19. vgl. BVerfGE 138, 102, 111 Rn. 32[]
  20. vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.10.2006 – VGH O 17/0520, 25; Thüringer VerfGH, Urteil vom 03.12 2014 – VerfGH 2/14 65 m.w.N.[]
  21. vgl. BVerfGE 14, 121, 132 f.; 44, 125, 146; 104, 14, 19 f.; 138, 102, 110 Rn. 30[]
  22. vgl. für Parteispenden BVerfGE 8, 51, 64 f.[]
  23. vgl. BVerfGE 140, 225, 227 Rn. 9; Thüringer VerfGH, Urteil vom 08.06.2016 – VerfGH 25/15 69; so auch Barczak, NVwZ 2015, S. 1014, 1018; Kliegel, in: Scheffczyk/Wolter, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2017, S. 413, 436 f.; Payandeh, Der Staat 55, 2016, S. 519, 540[]
  24. vgl. Thüringer VerfGH, Urteil vom 03.12 2014 – VerfGH 2/14 72[]
  25. vgl. Thüringer VerfGH, Urteil vom 08.07.2016 – VerfGH 38/15 43[]
  26. vgl. BVerfGE 140, 225, 228 Rn. 11[]
  27. vgl. BVerfGE 44, 125, 149[]
  28. vgl. BVerfGE 9, 268, 282; 138, 102, 113 Rn. 39[]
  29. vgl. BVerfGE 11, 77, 85; 26, 338, 395 f.; 105, 252, 270; 105, 279, 301[]
  30. vgl. dazu BVerfGE 105, 252, 270; 105, 279, 304 f.[]
  31. vgl. BVerfGE 138, 102, 114 Rn. 40[]
  32. vgl. BVerfGE 44, 125, 147; 105, 252, 269; 105, 279, 302[]
  33. vgl. BVerfGE 20, 56, 100; 44, 125, 147; 63, 230, 243; 105, 252, 269; 105, 279, 302[]
  34. vgl. BVerfGE 105, 252, 271; 105, 279, 306 f.[]
  35. vgl. BVerfGE 138, 102, 115 Rn. 45[]
  36. vgl. BVerfGE 44, 125, 140; 138, 102, 114 f. Rn. 44[]
  37. vgl. BVerfGE 44, 125, 141 ff.; 138, 102, 115 Rn. 45[]
  38. vgl. BVerfGE 44, 125, 148 ff.; 63, 230, 243 f.; 138, 102, 115 Rn. 46[]
  39. vgl. BVerfGE 44, 125, 147; 138, 102, 114 Rn. 40[]
  40. vgl. Thüringer VerfGH, Urteil vom 08.06.2016 – VerfGH 25/15 101[]
  41. vgl. BVerfGE 57, 1, 8; 105, 252, 272[]
  42. vgl. BVerfGE 44, 125, 149 f.; 105, 252, 272 f.[]
  43. vgl. VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 08.07.2014 – Lv 5/14 36; Thüringer VerfGH, Urteil vom 08.06.2016 – VerfGH 25/15 101[]
  44. vgl. BVerfGE 57, 1, 8[]
  45. vgl. VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 08.07.2014 – Lv 5/14 42, 45[]
  46. vgl. BVerfGE 138, 102, 116 f. Rn. 49[]
  47. vgl. BVerfGE 44, 125, 141; 63, 230, 243; 138, 102, 117 Rn. 50 ff.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.05.2014 – VGH A 39/14 22[]
  48. dazu Krüper, JZ 2015, S. 414, 416; Payandeh, Der Staat 55, 2016, S. 519, 532 ff.; Putzer, DÖV 2015, S. 417, 422 f.; Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, S. 215, 216[]
  49. vgl. BVerfGE 138, 102, 117 f. Rn. 53 f.[]
  50. vgl. BVerfGE 44, 125, 140; 138, 102, 115 Rn. 44[]
  51. vgl. BVerfGE 73, 40, 89; 78, 350, 358; 85, 264, 287[]
  52. vgl. BVerfGE 138, 102, 118 Rn. 55[][]
  53. vgl. Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, S. 215, 215 f.[]
  54. vgl. Krüper, JZ 2015, S. 414, 417; Putzer, DÖV 2015, S. 417, 423; Mandelartz, DÖV 2015, S. 326, 329[]
  55. vgl. BVerfGE 138, 102, 118 Rn. 56; VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.05.2014 – VGH A 39/14 25[]
  56. vgl. BVerfGE 138, 102, 118 ff. Rn. 57 ff.[]
  57. vgl. BVerfGE 138, 102, 118 f. Rn. 57; siehe auch VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.05.2014 – VGH A 39/14 25; Thüringer VerfGH, Urteil vom 03.12 2014 – VerfGH 2/14 58, und Urteil vom 08.07.2016 – VerfGH 38/15 33; Barczak, NVwZ 2015, S. 1014, 1016; Kliegel, in: Scheffczyk/Wolter, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2017, S. 413, 432 f.; Putzer, DÖV 2015, S. 417, 423[]
  58. vgl. BVerfGE 44, 125, 149; 105, 252, 270[]
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Denkmalschutz und der Grundsteuererlass